VwGH 03.01.2023, Ra 2022/02/0223
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Für die Lösung abstrakter oder hypothetischer Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG nicht zuständig (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/15/0122 B RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des C, vertreten durch Mag. Gunilla Prohart, Rechtsanwältin in 1090 Wien, Günthergasse 3/4, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-001/016/5364/2022-17, betreffend Übertretung des Wiener Tierhaltegesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe zu verantworten, zur Tatzeit am Tatort 1. einen näher umschriebenen Hund nicht so verwahrt zu haben, dass Menschen nicht gefährdet würden, weil er beide Eingangstore offengelassen habe und dadurch der Hund eine andere Person habe attackieren können, und 2. an einem öffentlichen Ort entgegen den Bestimmungen des Wiener Tierhaltegesetzes den näher umschriebenen hundeführerscheinpflichtigen Hund ohne den erforderlichen Sachkundenachweis im Sinne der positiven Absolvierung der Hundeführerscheinprüfung verwahrt zu haben. Der Revisionswerber habe dadurch 1. § 3 Abs. 1 Wiener Tierhaltegesetz und 2. § 5a Abs. 1 und 2 Wiener Tierhaltegesetz verletzt, weshalb über ihn zu Spruchpunkt 1. gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz eine Geldstrafe in der Höhe von € 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Stunden) und zu Spruchpunkt 2. gemäß § 13 Abs. 2 Z 13 Wiener Tierhaltegesetz eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens festgesetzt wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses Folge, behob das Straferkenntnis in diesem Umfang und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein (Spruchpunkt I.). Die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses wies das Verwaltungsgericht mit der Maßgabe der Ergänzung der verletzten Verwaltungsvorschrift sowie der Strafsanktionsnorm um ihre Fundstellen als unbegründet ab (Spruchpunkt II.). Weiters setzte das Verwaltungsgericht einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens fest (Spruchpunkt III.) und erklärte eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig (Spruchpunkt IV.).
3 Neben den aus den beiden Spruchpunkten entnommenen Feststellungen stellte das Verwaltungsgericht noch Folgendes fest: die Halterin des am geborenen Hundes sei die Ehegattin des Revisionswerbers. Sie habe am um 14:30 Uhr die gemeinsame Wohnadresse verlassen, um den Hausmüll zu einer drei bis vier Minuten vom Wohnhaus entfernten Tonne zu tragen. Der Hund sei daheim zurückgeblieben, wo sich in diesem Zeitpunkt auch der Revisionswerber aufgehalten habe. Dieser habe die Hundeführerscheinprüfung bislang nicht absolviert. Das gegen den Revisionswerber wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB eingeleitete Strafverfahren sei durch die Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 203 Abs. 1 StPO diversionell erledigt worden.
4 Nach Darstellung seiner Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht rechtlich aus, Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses sei infolge der diversionellen Erledigung des gegen den Revisionswerber geführten strafgerichtlichen Verfahrens wegen sonstiger Doppelbestrafung zu beheben und das Verfahren in diesem Umfang einzustellen gewesen. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf die Materialien zum Wiener Tierhaltegesetz, wonach „Verwahrer“ im Sinne des Gesetzes eine Person sei, die eine tatsächliche und unmittelbare Herrschaft über ein Tier ausübe, sodass sie ihm seinen Willen durch körperliche Gewalt aufzwingen könne, und führte (zusammengefasst) weiters aus, dass insbesondere bei der Übergabe eines Tieres an den Ehegatten das Vorliegen einer „Verwahrung“ durch den Übernehmer anzunehmen sei. Eine solche Übergabe sei hier deshalb anzunehmen, weil sich die Ehegattin des Revisionswerbers, anders als er selbst, zum Tatzeitpunkt nicht zu Hause aufgehalten und somit der Revisionswerber die tatsächliche und unmittelbare Herrschaft über den Hund ausgeübt habe. Dafür spreche nicht zuletzt, dass er diesen unmittelbar nach dem Vorfall sogleich in den Garten zurückgebracht habe und seiner Aussage zufolge „eh immer“ auf den Hund aufpasse, sodass der Revisionswerber im Tatzeitpunkt als Verwahrer des Hundes zu qualifizieren sei. Die Ehegattin des Revisionswerbers habe nicht als „im Nahebereich des Tieres befindlich“ gewertet werden können, weil sie sich im Tatzeitpunkt drei bis vier Minuten vom Hund entfernt aufgehalten habe. Bei einer solchen Entfernung vermöge die Tierhalterin die Herrschaft über das Tier nicht mehr auszuüben. Im Hinblick auf eine vom Revisionswerber angesprochene Entscheidung des Verwaltungsgerichtes seien die in § 5 Abs. 10 Wiener Tierhaltegesetz genannte „Verwahrung“ und das „Führen an einem öffentlichen Ort“ als zwei voneinander unabhängige Tatbildalternativen zu sehen. Indem der Revisionswerber die Verwahrung des Hundes vorgenommen habe, ohne die Hundeführerscheinprüfung absolviert zu haben, sei das Tatbild des § 5a Abs. 1 Wiener Tierhaltegesetz verwirklicht worden. Hinsichtlich dieses Tatvorwurfes liege auch kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot vor, weil der im strafgerichtlichen Verfahren herangezogene Deliktstypus des § 88 Abs. 1 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des verwaltungsstrafrechtlich nach § 5a Abs. 1 Wiener Tierhaltegesetz zu ahndenden Täterverhaltens nicht vollständig erschöpfe. Von der zuletzt genannten Bestimmung werde die Haltung oder Verwahrung eines hundeführerscheinpflichtigen Hundes ohne den hierfür gebotenen Sachkundenachweis erfasst; der Gefährdung oder Verletzung einer Person bedürfe es zur Verwirklichung jenes Tatbildes nicht. Zuletzt erörterte das Verwaltungsgericht die subjektive Tatseite sowie die Strafbemessung und traf Ausführungen zur Ergänzung der Fundstellen der verletzten Verwaltungsvorschrift und der Strafsanktionsnorm.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom , E 2397/2022-5, deren Behandlung ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Der Revisionswerber brachte in der Folge die vorliegende, gegen die Spruchpunkte II. und III. des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien gerichtete außerordentliche Revision ein.
7 Die Revision erweist sich als unzulässig:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In der demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebenden Zulässigkeitsbegründung wird zunächst geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob die „Verwahrung“ eines Listenhundes gemäß § 5a Abs. 1 Wiener Tierhaltegesetz immer erst in Bezug zum öffentlichen Raum und immer erst dann auf ihre Rechtmäßigkeit zu beurteilen sei, wenn die Ausübung unmittelbarer Herrschaft über den Hund tatsächlich erforderlich sei. Weiters bringt die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob jene Personen, die sich bei kurzer Abwesenheit des Tierhalters zur selben Zeit am selben Ort wie der Listenhund aufhielten, auch ohne Verwahrauftrag des Tierhalters ex lege zu Verwahrern würden. Damit würde die Pflicht zur Absolvierung der Hundeführerscheinprüfung ausufern, weil quasi jedes Familienmitglied bzw. jeder Besucher oder Begleiter einen Hundeführerschein besitzen müsste, um nicht Gefahr zu laufen, bei kurzer Abwesenheit des Halters automatisch zum Verwahrer zu werden.
12 Gemäß § 5a Abs. 1 Wiener Tierhaltegesetz hat jede Person, die einen mindestens 6 Monate alten Hund hält bzw. verwahrt, der bei unsachgemäßer Haltung bzw. Verwahrung ein erhöhtes Potential hat, Menschen oder Tiere zu verletzen, die positive Absolvierung der Hundeführscheinprüfung gemäß § 8 Abs. 8 zu erbringen. Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Wiener Tierhaltegesetz ist Verwahrer, wer die unmittelbare Herrschaft über das Verhalten eines Tieres ausübt.
13 Die vom Revisionswerber formulierten Rechtsfragen stellen sich im Revisionsfall jedoch nicht: Zum einen wurde dem Revisionswerber im Spruch gerade vorgeworfen, „an einem öffentlichen Ort“ den näher bezeichneten Hund ohne den erforderlichen Sachkundenachweis verwahrt zu haben. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Hundehalterin nicht anwesend war, der Revisionswerber den Hund nach dem Biss in den Garten zurückgebracht habe sowie - wenn auch disloziert, aber auf Grund der Aussage des Revisionswerbers -, dass der Revisionswerber „eh immer“ auf den Hund aufpasse. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen ist die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts, der Revisionswerber sei in dieser konkreten Situation als Verwahrer des Hundes zu qualifizieren, nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die Frage, wann eine Person „automatisch ex lege zum Verwahrer“ werde, stellt sich daher im Revisionsfall ebensowenig. Zur Lösung hypothetischer oder abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht zuständig (vgl. , mwN).
14 Sofern die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit schließlich unter Verweis auf nach Datum und Geschäftszahl bezeichnete Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot geltend macht, wird hierdurch schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, weil sich dieses Vorbringen entgegen der hg. Judikatur, wonach bereits in der Zulässigkeitsbegründung unter konkreter Bezugnahme auf die vorliegende Rechtssache darzulegen ist, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und worin diese Abweichung fallbezogen besteht, in der bloßen Wiedergabe eines Rechtssatzes erschöpft (vgl. hierzu ; , Ra 2021/02/0116, jeweils mwN).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022020223.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAF-45847