VwGH 15.02.2023, Ra 2022/02/0215
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG ist keine Ermächtigungsnorm, sondern lediglich eine Publizitätsvorschrift für etwaige organisatorische Beschränkungen. Nur wenn das in § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG vorgesehene Publizitätserfordernis für organisatorische (zeitliche) Beschränkungen eingehalten wird, liegt tatsächlich eine solche Beschränkung der Entgegennahme schriftlicher Anbringen in Form von E-Mails vor. Durch das in § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG normierte Gebot der Publizität wird gewährleistet, dass jedermann erkennen kann, ob entsprechende "organisatorische Beschränkungen" (durch das Organisationsrecht) für schriftliche Anbringen in Form von E-Mail festgelegt worden sind (vgl. ). |
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RS 2 | § 13 Abs. 5 AVG verpflichtet lediglich dazu, den Inhalt der einschlägigen Regelungen in der darin vorgesehenen Weise öffentlich bekanntzumachen ("kundzumachen"). Diese Bekanntmachung ("Kundmachung") hat ausschließlich den Zweck eine größere Publizität der organisations- bzw. dienstrechtlichen Regelungen über die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit zu erreichen (vgl. das Vorblatt der ErläutRV zum Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, 294 BlgNR 23. GP, 12). |
Normen | AVG §13 Abs2 AVG §13 Abs5 B-VG Art144 Abs3 VwGG §24 Abs1 VwGG §26 Abs1 VwGG §26 Abs4 VwGG §34 Abs1 VwGVG 2014 §17 VwRallg |
RS 3 | Hat das VwG mit der Kundmachung des Präsidenten des VwG die mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme von Schriftstücken, die außerhalb der Amtsstunden tatsächlich in seinen elektronischen Verfügungsbereich gelangt sind, iSd. § 13 Abs. 2 und 5 AVG zum Ausdruck gebracht, so ändert daran nichts, dass in der Kundmachung ausgeführt ist, dass die Empfangsgeräte außerhalb der Amtsstunden nicht bereitgehalten werden, zielt doch § 13 Abs. 2 iVm Abs. 5 AVG unter Berücksichtigung der hiezu vom Gesetzgeber gegebenen Erläuterungen (vgl. das Vorblatt der ErläutRV zum Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, 294 BlgNR 23. GP, 12) darauf ab, den organisationsrechtlichen Beschränkungen auch die verfahrensrechtliche Wirkung (im Sinn der Festlegung, wann ein Anbringen als eingebracht gilt und damit eine Frist gewahrt ist) zuzumessen (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über 1. den Antrag der M GmbH in W, vertreten durch die pfletschinger .renzl Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Weihburggasse 26/4, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-AV-368/001-2022, betreffend Bewilligung nach § 84 StVO, und 2. in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom erteilte diese der Revisionswerberin die Bewilligung für die Errichtung einer LED-Videowall eingeschränkt auf konkret genannte Werbeaufschriften auf einer näher bezeichneten Liegenschaft außerhalb des Ortsgebietes neben einer Landesstraße.
2 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin, die sich gegen die Einschränkung der Bewilligung auf die im Bescheid genannten Aufschriften richtete, als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Dagegen erhob die Revisionswerberin zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
4 Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , E 1552/2022-7, wurde deren Behandlung abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Dieser Beschluss wurde dem Vertreter der Revisionswerberin am im elektronischen Rechtsverkehr hinterlegt.
5 Daraufhin erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision, indem ihr Rechtsvertreter diese am Dienstag, den , um 18:15:29 Uhr per E-Mail an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich übersendete.
6 Über Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde von der Revisionswerberin am eine Stellungnahme sowie der vorliegende (Eventual-)Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Revision eingebracht und damit die außerordentliche Revision verbunden.
7 Zunächst bestreitet die Revisionswerberin in ihrer Stellungnahme das Vorliegen einer Verspätung, weil die Kundmachung des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich betreffend die „Einbringungsmöglichkeiten“ unklar formuliert sei. Es gehe aus der verwendeten Formulierung nicht klar hervor, dass die Einschränkung der Einbringung auf die Amtsstunden nicht bloß für Einbringungen per Fax gelte. Der in der Kundmachung enthaltene Hinweis, wonach „Empfangsgeräte nur während der Amtsstunden empfangsbereit gehalten werden“, könne sich nur auf Faxgeräte beziehen, weil ein Computer bzw. ein darauf befindlicher E-Mail-Server auch in ausgeschaltetem Zustand empfangsbereit sei. Im Übrigen sei die Revision vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich tatsächlich empfangen und damit entgegengenommen worden. Darüber hinaus bestritt die Revisionswerberin - aus anwaltlicher Vorsicht - eine Bekanntmachung der Amtsstunden an der Amtstafel. Schließlich erblickt die Revisionswerberin auch einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitssatz, weil eine Differenzierung zwischen Einbringungen per E-Mail und per Post sachlich nicht gerechtfertigt sei. Im Übrigen könnten Schriftsätze beim Bundesverwaltungsgericht auch außerhalb der Amtsstunden im Wege des ERV eingebracht werden.
8 Zu dem hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag bringt die Revisionswerberin vor, dass es auf ein in der Kanzlei ihres Rechtsvertreters internes Missverständnis bzw. Versehen, dabei handle sich um ein Versehen minderen Grades, zurückzuführen sei, dass die außerordentliche Revision am lediglich per E-Mail beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eingebracht worden sei. Der Rechtsvertreter Mag. R. habe im Rahmen der Überprüfung des vom Rechtsanwaltsanwärter vorbereiteten Revisionsschriftsatzes bemerkt, dass sich dort lediglich der Vermerk „Per WEB-ERV“ befunden habe. Da das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht am WEB-ERV angebunden sei, habe Mag. R. der zuständigen Sekretariatsangestellten die Anweisung erteilt, dass der Schriftsatz postalisch sowie „Vorab per E-Mail“ einzubringen sei. Den einigen Minuten später korrigierten Schrifsatz habe Mag. R. auf die Richtigkeit der nunmehr angeführten E-Mailadresse überprüft, indem er diese mit den auf der Homepage des Gerichts angeführten Adressen abgeglichen habe. Er habe jedoch im Zuge der Unterfertigung übersehen, dass auf dem Deckblatt des Schriftsatzes das Wort „Vorab“ gefehlt habe (dort habe sich nur der Hinweis „Per E-Mail an:...“ befunden). Am Ende des Arbeitstages habe sich Mag. R. durch Einsichtnahme in den „Gesendet“-Ordner des E-Mailprogrammes vergewissert, dass der Schriftsatz bereits abgefertigt worden sei. Aufgrund seiner klaren Anweisung sei er irrtümlich davon ausgegangen, dass auf dem Deckblatt die entsprechenden Hinweise auch auf eine postalische Zustellung und eine Vorabübermittlung per E-Mail angebracht seien und die Revision auch postalisch übermittelt werde. Es gebe im Übrigen eine schriftliche Dienstanweisung vom an sämtliche Mitarbeiter der Kanzlei, dass Schriftsätze an die Verwaltungsgerichte postalisch und vorab per E-Mail zu übermitteln seien. Dies sei auch über die letzten Jahre hinweg stets so erfolgt. In den vergangenen Jahren sei es zu keinerlei Fristversäumnissen gekommen. In der Kanzlei der Rechtsvertreter bestehe ein wirksames Kontrollsystem (angeführte Dienstanweisung, Überprüfung der finalen Schriftsätze durch den aktführenden Rechtsanwalt sowie Anweisung, dass eine Streichung aus dem Fristenkalender erst nach Abfertigung gemäß den Vorgaben des aktführenden Rechtsanwalts zu erfolgen hat). Erst durch die Zustellung des Verspätungsvorhaltes habe die Revisionswerberin erstmals davon erfahren, dass die Revision lediglich per E-Mail außerhalb der Amtsstunden an das Verwaltungsgericht übermittelt worden sei.
9 Dem Antrag lag als Bescheinigungsmittel eine eidesstattliche Erklärung des Rechtsvertreters Mag. R. bei.
10 Die Revision erweist sich als verspätet:
11 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) sechs Wochen und beginnt gemäß § 26 Abs. 4 leg cit. in einem Fall wie dem vorliegenden mit der Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses, mit dem der Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat. Ausgehend vom Zustellungszeitpunkt (vgl. § 14a Abs. 3 VfGG iVm § 89d Abs. 2 GOG) endete die sechswöchige Revisionsfrist am Dienstag, den .
12 Gemäß § 13 Abs. 2 AVG können schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.
Nach § 13 Abs. 5 AVG ist die Behörde nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.
13 § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG ist keine Ermächtigungsnorm, sondern lediglich eine Publizitätsvorschrift für etwaige organisatorische Beschränkungen. Nur wenn das in § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG vorgesehene Publizitätserfordernis für organisatorische (zeitliche) Beschränkungen eingehalten wird, liegt tatsächlich eine solche Beschränkung der Entgegennahme schriftlicher Anbringen in Form von E-Mails vor. Durch das in § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG normierte Gebot der Publizität wird gewährleistet, dass jedermann erkennen kann, ob entsprechende „organisatorische Beschränkungen“ (durch das Organisationsrecht) für schriftliche Anbringen in Form von E-Mail festgelegt worden sind (vgl. ). Auch § 13 Abs. 5 AVG verpflichtet lediglich dazu, den Inhalt der einschlägigen Regelungen in der darin vorgesehenen Weise öffentlich bekanntzumachen („kundzumachen“). Diese Bekanntmachung („Kundmachung“) hat ausschließlich den Zweck eine größere Publizität der organisations- bzw. dienstrechtlichen Regelungen über die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit zu erreichen (vgl. das Vorblatt der ErläutRV zum Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, 294 BlgNR 23. GP, 12).
14 Nach § 24 Abs. 1 VwGG sind Revisionsschriftsätze beim Verwaltungsgericht einzubringen.
15 Nach der hier maßgeblichen Kundmachung des Präsidenten des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich nach § 13 Abs. 2 und 5 AVG vom betreffend die Einbringungsmöglichkeiten, LVwG-A-1500/004-2014, welche im Internet veröffentlicht ist, werden schriftliche Anbringen nur während der Amtsstunden (http://www.lvwg.noel.gv.at/amtsstunden) entgegengegengenommen und Empfangsgeräte nur während der Amtsstunden empfangsbereit gehalten.
16 Mit der Kundmachung des Präsidenten des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich betreffend die Festsetzung von Amtsstunden und Parteienverkehrszeiten nach § 13 Abs. 2 und 5 AVG vom , LVwG-P-3030/002-2020, wurde (soweit hier maßgeblich) bestimmt, dass an den gesetzlichen Feiertagen sowie am 15. November, am 24. Dezember und am 31. Dezember keine Amtsstunden stattfinden. Weiters findet sich in dieser Kundmachung der Hinweis, dass schriftliche Anbringen nur während der Amtsstunden entgegengenommen werden. Eine spätere Fassung der Kundmachung vom , LVwG-P-3030/002-2020, betraf lediglich eine Änderung der Parteienverkehrszeiten, die Regelungen betreffend die Amtsstunden blieben unverändert. Laut Mitteilung des Präsidenten des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom war die Kundmachung vom , LVwG-P-3030/002-2020, vom bis zum an der Amtstafel angeschlagen. Die Amtsstunden waren auch auf der Homepage des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich veröffentlicht.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu einer gleichlautenden Formulierung in einer früheren Fassung der Kundmachung des Präsidenten des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich betreffend die Wirksamkeit der Einbringung von schriftlichen Anbringen bereits festgehalten, dass das Verwaltungsgericht damit die mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme von Schriftstücken, die außerhalb der Amtsstunden tatsächlich in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangt sind, im Sinne des § 13 Abs. 2 und 5 AVG zum Ausdruck gebracht hat. Daran ändert auch nichts, dass in der Kundmachung ausgeführt ist, dass die Empfangsgeräte außerhalb der Amtsstunden nicht bereitgehalten werden, zielt doch § 13 Abs. 2 iVm Abs. 5 AVG unter Berücksichtigung der hiezu vom Gesetzgeber gegebenen Erläuterungen darauf ab, den organisationsrechtlichen Beschränkungen auch die verfahrensrechtliche Wirkung (im Sinn der Festlegung, wann ein Anbringen als eingebracht gilt und damit eine Frist gewahrt ist) zuzumessen (vgl. ).
18 Der Revisionswerber konnte die organisatorischen Beschränkungen des Landesverwaltungsgerichts, insbesondere die für die rechtzeitige Einbringung der Revision maßgebliche Beschränkung der Amtsstunden dahingehend, dass am 15. November keine Amtsstunden stattfinden, sowohl der Homepage des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich als auch der Amtstafel entnehmen.
19 Ausgehend davon ist die vorliegende Revision - zumal sie zwar am letzten Tag der Frist, allerdings außerhalb der Amtsstunden, in den elektronischen Verfügungsbereich des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich gelangt ist - als am eingebracht und somit als verspätet anzusehen.
20 Vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , G106/2013 (VfSlg. 19.849), in dem dieser unterschiedliche Regelungen hinsichtlich des Einbringens schriftlicher Anbringen (gleichgültig ob sie elektronisch oder nicht elektronisch sind) direkt bei der Behörde einerseits und von Anbringen, die im Weg eines Zustelldienstes übergeben werden, ausdrücklich als nicht unsachlich beurteilte, werden vom Verwaltungsgerichtshof die vom Revisionswerber geäußerten Bedenken an der Gesetz- bzw. Verfassungsmäßigkeit an den Regelungen des § 13 Abs. 2 und 5 AVG nicht geteilt.
21 Zu dem sich angesichts der Verspätung der Revision als zulässig erweisenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Versäumung der Revisionsfrist ist auszuführen, dass gemäß § 46 Abs. 1 VwGG der Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
22 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber - oder sein Vertreter - darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben; dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an einem gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen; die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei oder ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt (vgl. etwa , mwN).
23 Auf dem Boden der genannten Rechtsprechung kann jedoch in der unrichtigen Festlegung der Form der Einbringung im Revisionsschriftsatz lediglich mittels E-Mail kein bloßes Versehen minderen Grades erblickt werden. Nach dem Vorbringen hat sich der Rechtsvertreter der Revisionswerberin, Mag. R., beim abschließenden Korrekturlesen lediglich von der Richtigkeit der E-Mailadresse überzeugt, indem er diese mit der auf der Homepage bekanntgemachten Kundmachung betreffend Einbringungsmöglichkeiten angeführten E-Mailadressen abgeglichen habe. Da am keine Amtsstunden stattgefunden haben, was Mag. R. ebenfalls aus der Homepage des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich hätte entnehmen können, wäre eine Einbringung der Revision mittels E-Mail aber jedenfalls nicht rechtzeitig gewesen. Vom Rechtsvertreter wäre bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt zu erwarten gewesen, dass dieser sein Augenmerk daher auf die Sicherstellung der postalischen Abfertigung richtet, zumal nur durch diese im konkreten Fall eine fristgerechte Einbringung gewährleistet gewesen wäre. Dass er die postalische Einbringung überprüft habe, hat der Rechtsvertreter nicht einmal behauptet.
24 Der von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Aspekt, ihr Vertreter habe seiner Mitarbeiterin aufgetragen, die Revision postalisch und „Vorab per E-Mail“ einzubringen, entbindet nicht vom Erfordernis einer entsprechenden Überwachung. Da auf der ersten Seite des Revisionsschriftsatzes, hervorgehoben mittels Fettdruck, lediglich der Verweis „Per E-Mail“ angeführt war, erscheint auch schon das Vorliegen einer eindeutigen Anordnung der Form der Abfertigung fraglich (vgl. im Zusammenhang mit der behaupteten Anordnung einer von der Adressierung im Revisionsschriftsatz abweichenden Einbringung - ; ).
25 Mit dem wiedergegebenen Antragsvorbringen wurde somit von der Revisionswerberin nicht dargelegt, dass von ihrem Rechtsvertreter die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt eingehalten wurde sowie dass ihr sein Rechtsvertreter und damit ihr kein Verschulden an der Versäumung der Revisionsfrist oder ein lediglich minderer Grad des Versehens im Sinne des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG angelastet werden könne. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher abzuweisen.
26 Dies hat zur Folge, dass die - wie oben dargestellt - verspätet erhobene Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen war.
Wien, am
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Normen | AVG §13 Abs2 AVG §13 Abs5 B-VG Art144 Abs3 VwGG §24 Abs1 VwGG §26 Abs1 VwGG §26 Abs4 VwGG §34 Abs1 VwGVG 2014 §17 VwRallg |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022020215.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-45846