VwGH 25.05.2022, Ra 2022/02/0084
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | AVG §69 |
RS 1 | Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist die Verfügung, ein bereits abgeschlossenes Verfahren neuerlich durchzuführen, weil - aus den im Gesetz genannten besonderen Gründen - die Richtigkeit der Sachentscheidung im ersten Verfahren in Frage gestellt erscheint (). |
Norm | AVG §69 Abs1 Z1 |
RS 2 | Der sogenannte Erschleichungstatbestand des § 69 Abs 1 Z 1 AVG ist verwirklicht, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt wurde. Dieser Tatbestand des "Erschleichens" kommt daher für das Handeln der Behörde selbst von vornherein grundsätzlich nicht in Betracht (Hinweis E , 91/12/0296). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 93/12/0178 E RS 4 |
Norm | AVG §69 Abs1 Z1 |
RS 3 | Vom Erschleichen eines Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z. 1 letzter Fall AVG kann - im Gegensatz zum Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung - nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei oder ihres Vertreters durch eine vorsätzliche (also schuldhafte) verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird. Dies erfordert in Irreführungsabsicht gemachte objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung, die dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind. Ein Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde dagegen verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Angaben der Partei (oder fallbezogen der dem Bf zurechenbaren Vertreter) als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten (vgl. E , 2001/20/0346; E , 2003/01/0184). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/21/0428 E RS 2 (hier ohne den letzten Satz) |
Norm | AVG §69 Abs1 Z1 |
RS 4 | Eine Irreführungsabsicht setzt voraus, dass die Partei (bzw. ihr Vertreter) wider besseres Wissen gehandelt hat (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/22/0234 E RS 2 |
Normen | |
RS 5 | Ein ‚Erschleichen' kann nur von einer Partei oder ihrem Vertreter vorgenommen werden (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/22/0051 B RS 5 |
Normen | |
RS 6 | Gemäß § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Diese Frist für die Antragstellung gilt nicht nur für den Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG, weil dem Abs. 2 des § 69 AVG keine Einschränkung dahin zu entnehmen ist (vgl. ). |
Normen | |
RS 7 | Vorbringen, das eine Bekämpfung der von der Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung enthält, kann jedenfalls keinen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 AVG begründen (vgl. ). Es wäre am Revisionswerber gelegen, die von ihm behauptete falsche Beweiswürdigung der belangten Behörde mittels Beschwerde zu bekämpfen, sodass sich schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt. |
Normen | |
RS 8 | Der Tatbestand "falsches Zeugnis" iSd. § 69 Abs. 1 Z 1 AVG liegt nur dann vor, wenn das falsche Zeugnis auf Vorsatz beruht (vgl. ). |
Normen | |
RS 9 | Nach dem insoferne eindeutigen Wortlaut des § 69 Abs 1 Z 1 AVG ist es für eine Wiederaufnahme zwar nicht erforderlich, daß die Partei wegen der strafbaren Handlung bereits verurteilt ist. Der Wiederaufnahmsgrund - insbesondere die strafbare Handlung - muß von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde aber auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommmen werden. Ein bloßer Verdacht kann zwar zur Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens führen, aber keinen Wiederaufnahmsgrund darstellen, der es rechtfertigte, die Rechtskraft zu durchbrechen und gegebenenfalls eine rechtskräftig zuerkannte Berechtigung wieder aufzuheben. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 93/11/0271 E RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des B in T, vertreten durch Sauerzopf & Partner, Rechtsanwälte in 7000 Eisenstadt, Friedrich Wilhelm Raiffeisen-Straße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom , E F03/03/2021.005/002, betreffend Wiederaufnahme i.A. einer Übertretung des FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Revisionswerber wegen der Übertretung des § 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG schuldig erkannt und über ihn eine Freiheitsstrafe in der Höhe von 32 Tagen verhängt; der Revisionswerber habe am Tatort zur Tatzeit ein näher bezeichnetes KFZ gelenkt, ohne im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung zu sein. Beweiswürdigend folgte die belangte Behörde dem zeugenschaftlich einvernommenen Angaben des Meldungslegers. Bei der Strafbemessung wurden u.a. die einschlägigen Vormerkungen des Revisionswerbers gewürdigt. Das Straferkenntnis erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
2 1.2. Nach Vollzug eines Teiles der Freiheitsstrafe beantragte der Revisionswerber mit Eingabe vom bei der belangten Behörde die Wiederaufnahme des mit Straferkenntnis vom abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahrens. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom abgewiesen.
3 2.1. Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland (Verwaltungsgericht) als unbegründet abgewiesen; das Verwaltungsgericht sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 2.2. Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensganges fest, der Revisionswerber habe gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom keine Beschwerde erhoben. Seinen Antrag auf Wiederaufnahme stütze er auf die Falschaussage des Meldungslegers im Verwaltungsstrafverfahren sowie die Behauptung des Erschleichens des Bescheides und das fehlende Parteiengehör. Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt habe laut Verständigung vom von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens betreffend die Vorwürfe gegen den Meldungsleger im Verwaltungsstrafverfahren abgesehen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft habe die Anzeige vom betreffend den Meldungsleger wegen § 302 StGB an die Staatsanwaltschaft Eisenstadt weitergeleitet. Dieser Sachverhalt sei unstrittig. Es sei aber nicht nachvollziehbar, warum der Revisionswerber davon ausgehe, von den Aussagen des Meldungslegers erst anlässlich eines Verfahrens wegen übler Nachrede gegen seinen Bruder erfahren zu haben, weshalb sein Antrag auf Wiederaufnahme rechtzeitig sei. Selbst wenn man nämlich davon ausgehe, dass ihm zur Niederschrift mit dem Meldungsleger aufgrund einer fehlerhaften Zustellung kein Parteiengehör eingeräumt worden sei, sei ihm der Inhalt der Aussage mit der Zustellung des Straferkenntnisses, mithin ab , bekannt gewesen. In der Begründung des Straferkenntnisses seien die Angaben des Zeugen ausführlich wiedergegeben, sodass der Antrag auf Wiederaufnahme nicht rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis gestellt worden sei. Dem Revisionswerber wäre die Bekämpfung des Straferkenntnisses mit Beschwerde offen gestanden; eine Sanierung des allenfalls fehlerhaften Parteiengehörs hätte im Beschwerdeverfahren stattfinden können. Die Unterlassung der Erhebung der Beschwerde könne nicht durch einen Wiederaufnahmeantrag ausgeglichen werden; auch die Beweiswürdigung der Behörde im Straferkenntnis könne nicht durch einen Wiederaufnahmeantrag bekämpft werden.
5 Selbst bei Berücksichtigung der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe sei der Beschwerde kein Erfolg beschieden: Soweit sich der Revisionswerber auf die „Falschaussage“ des Meldungslegers berufe, sei ihm entgegenzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft Eisenstadt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen der Vorwürfe gegen den Meldungsleger abgesehen habe. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte für die Erfüllung der objektiven und subjektiven Tatseite. Die Nachreichung der Anzeige gemäß § 302 StGB sei unzulässig, weil Wiederaufnahmegründe nicht ausgetauscht werden dürften. Das „Erschleichen“ des Bescheides scheide schon deshalb aus, weil in diesem Tatbestand ein „Sichzuwenden“ liege, was eine verpönte Einflussnahme einer Partei voraussetze. Der Wiederaufnahmeantrag sei zurecht abgewiesen worden, weil der Revisionswerber Beschwerde hätte erheben können; die Unterlassung sei ihm als Verschulden zuzurechnen.
6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Diese erweist sich als unzulässig:
7 4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert -vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 4.2. § 69 AVG lautet auszugsweise wie folgt:
„Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
...“
11 4.3.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es gebe keine höchstgerichtliche Judikatur zur rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach das Erschleichen des Bescheides schon deshalb ausscheide, weil in diesem der Tatbestand des „Sichzuwendens“ liege, was eine verpönte Einflussnahme einer Partei voraussetze. Nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 1 AVG sei das Tatbestandsmerkmal des „Erschleichens“ nicht darauf beschränkt, dass eine Partei sich selbst etwas erschleiche. Auch eine dritte Person - hier der Meldungsleger - könne einen Strafbescheid gegen den Revisionswerber erschleichen. Nach der Judikatur sei nur das Erschleichen durch die Behörde ausgeschlossen (Hinweis auf ). Auch im „Erkenntnis Ra 2021/22/0207“ seien die falschen Angaben nicht von der Partei, sondern von deren Schwester bzw. Lebensgefährtin gemacht worden, weshalb das Handeln anderer Personen ein „Erschleichen“ sein könne.
12 Vorweg ist in Erinnerung zu rufen, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens die Verfügung ist, ein bereits abgeschlossenes Verfahren neuerlich durchzuführen, weil - aus den im Gesetz genannten besonderen Gründen - die Richtigkeit der Sachentscheidung im ersten Verfahren in Frage gestellt erscheint ().
13 Anders als der Revisionswerber vorbringt, liegt zur Auslegung des Tatbestandes des Erschleichens gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor: Nach dieser setzt der Tatbestand des Erschleichens voraus, dass der Bescheid in einer Art zustande gekommen ist, dass die Partei vor der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und diese unrichtigen Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt wurden, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. z.B. ). Hiebei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Situation bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen ().
14 Der sogenannte Erschleichungstatbestand ist demnach verwirklicht, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt wurde. Dieser Tatbestand des „Erschleichens“ kommt daher für das Handeln der Behörde selbst von vornherein grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. ). Von einem (sonstigen) Erschleichen eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 letzter Fall AVG kann - im Gegensatz zu einem Herbeiführen durch eine gerichtlich strafbare Handlung - nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei oder ihres Vertreters durch eine vorsätzliche (also schuldhafte) verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsgrundlagen veranlasst wird. Eine Irreführungsabsicht setzt voraus, dass die Partei (bzw. ihr Vertreter) wider besseres Wissen gehandelt hat (vgl. dazu erneut , mwN). Ein „Erschleichen“ kann nur von einer Partei oder ihrem Vertreter vorgenommen werden (vgl. erneut ; siehe auch § 12 AVG).
15 Zusammengefasst müssen daher drei Voraussetzungen zur Erfüllung des Tatbestandes der „Erschleichung“ iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vorliegen: Objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung, ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen (vgl. , mwN).
16 Die vom Revisionswerber vorgebrachte Rechtsfrage ist daher in der Judikatur bereits beantwortet; aus dem Beschluss vom , Ra 2021/22/0207, folgt nichts Gegenteiliges, weil auch dort das „Erschleichen“ des Aufenthaltstitels durch den Revisionswerber geprüft wurde und „neu hervorgekommen Tatsachen“ gewürdigt wurden.
17 4.3.2. Darüber hinaus wird zur Zulässigkeit der Revision ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht bei seinen Ausführungen übersehe, dass dem ursprünglichen Straferkenntnis eine dermaßen ausschließlich einseitige Beweiswürdigung zugrunde liege, dass von einer Beweiswürdigung nicht gesprochen werden könne. Der Behörde obliege es, alle Beweise aufzunehmen und entsprechend zu würdigen; die Behörde habe es hier unterlassen aktenkundige Entlastungszeugen zu vernehmen bzw. eine „eidesstaatliche“ Erklärung zu würdigen. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei daher nicht anwendbar, weshalb der Wiederaufnahmeantrag des Revisionswerbers nicht fristwidrig sei.
18 Gemäß § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen vom Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
19 Diese Frist für die Antragstellung gilt nicht nur für den Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG, weil dem Abs. 2 des § 69 AVG keine Einschränkung dahin zu entnehmen ist (vgl. erneut ).
20 Nach den - unbestrittenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichtes war dem Revisionswerber der Inhalt der Aussage des Meldungslegers seit der Zustellung des Straferkenntnisses am bekannt; der Wiederaufnahmeantrag wurde aber erst mit Schreiben vom 16. August 2021gestellt (zu so einer Konstellation vgl. z.B. ).
21 Vorbringen, das eine Bekämpfung der von der Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung enthält, kann im Übrigen jedenfalls keinen Wiederaufnahmegrund nach dieser Bestimmung begründen (vgl. z.B. , mwN).
22 Es wäre am Revisionswerber gelegen, die von ihm behauptete falsche Beweiswürdigung der belangten Behörde mittels Beschwerde zu bekämpfen, sodass sich schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt.
23 4.3.3. Zuletzt wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, das Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung müsse nicht durch ein gerichtliches Urteil festgestellt sein; die Behörde könne Vorfragen gemäß § 38 AVG selbst entscheiden oder ihr Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieser Vorfrage aussetzen. Sofern wie hier keine Aussetzung erfolge und über die Vorfrage - „nämlich ob ein Bescheid durch eine ‚Falschaussage‘ herbeigeführt“ worden sei - selbst entschieden werde, habe die Entscheidung abgewogen und begründet zu sein; diesem Erfordernis werde nicht entsprochen. Die vom Revisionswerber vorgelegten Beweismittel würden „eindeutig“ klarstellen, dass bei objektiver Überprüfung der Angaben des Anzeigenlegers sich diese als falsch herausstellten. Der Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft Eisenstadt kein Ermittlungsverfahren eingeleitet habe, entspreche der Begründungsverpflichtung nicht.
24 Der Tatbestand „falsches Zeugnis“ liegt nur dann vor, wenn das falsche Zeugnis auf Vorsatz beruht (vgl. ).
25 Nach dem insoferne eindeutigen Wortlaut des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist es für eine Wiederaufnahme zwar nicht erforderlich, dass etwa die Partei wegen der strafbaren Handlung bereits verurteilt ist. Der Wiederaufnahmsgrund - insbesondere die strafbare Handlung - muss von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde aber auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden. Ein bloßer Verdacht kann zwar zur Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens führen, aber keinen Wiederaufnahmsgrund darstellen (vgl. ).
26 Wie das Verwaltungsgericht hier ausgeführt hat, bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass die objektive und subjektive Tatseite einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt seien; eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt sich daher im vorliegenden Fall nicht.
27 4.4. In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
28 5. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
29 6. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
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Normen | AVG §69 AVG §69 Abs1 AVG §69 Abs1 Z1 AVG §69 Abs2 B-VG Art132 Abs1 Z1 B-VG Art133 Abs4 StGB §5 VwGG §34 Abs1 VwGVG 2014 §17 VwRallg |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020084.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-45832