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VwGH 24.08.2022, Ra 2022/01/0151

VwGH 24.08.2022, Ra 2022/01/0151

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Röder, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. G305 2205157-1/29E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (Mitbeteiligter: A S, in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom , E 4103/2020, wurde - soweit vorliegend wesentlich - das am  mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), soweit damit die Beschwerde des Mitbeteiligten, eines Staatsangehörigen des Irak, gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, aufgehoben (I.1.).

2 Begründend führte der VfGH - soweit vorliegend wesentlich - aus:

„3.2. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich einer möglichen Verletzung des Beschwerdeführers in seinen durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann handle, der über Familienangehörige im Irak verfüge und auf Grund seiner vielseitigen Erwerbstätigkeiten davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer in der Lage sei, sich den Lebensunterhalt im Herkunftsstaat wieder mit Erwerbsarbeit zu verdienen.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat es bei seinen Ausführungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinander-zusetzen, aus der der Beschwerdeführer stammt bzw. die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl. zB VfSlg. 20.140/2017, 20.141/2017; ; , E 566/2017; , E 2927/2017; , E 4317/2017; , E 4387/2017; , E 1764/2018 ua.). Eine pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak wird den Anforderungen an eine am Maßstab der Art. 2 und 3 EMRK vorzunehmende Beurteilung der Rückkehrsituation in solchen Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert (siehe dazu bezogen auf den Irak VfSlg. 20.141/2017) nicht gerecht (vgl. zB ; , E 4387/2017; , E 4766/2018).

3.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und - daran anknüpfend - auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.“

3 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen und nunmehr mit Amtsrevision angefochtenen Erkenntnis vom wurden dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt (A.I.), eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt (A.II.), die Spruchpunkte III. bis VI. des beim BVwG angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Abspruch über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Zulässigkeit der Abschiebung sowie Frist zur freiwilligen Ausreise ersatzlos aufgehoben (A.III.) und eine Revision für nicht zulässig erklärt (B.).

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, „Aufgrund der bisherigen Spruchpraxis des VfGH ist die Teilbehebung des Erkenntnisses des BVwG [...] dahingehend aufzufassen, dass dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist. Es war daher subsidiärer Schutz im Sinne des § 8 AsylG. zu gewähren“.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA.

6 Der Mitbeteiligte erstattete nach Durchführung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung, in der er im Wesentlichen vorbrachte, er sei homosexuell und habe aufgrund seines langen „Coming-out Prozesses“ Schwierigkeiten gehabt, dies der Behörde darzulegen. Falls der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung sei, dass das angefochtene Erkenntnis aufzuheben sei, werde das BVwG diesen Umstand im weiteren Verfahren zu berücksichtigen haben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bindungswirkung der Rechtsanschauung des VfGH vor.

8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Gemäß § 87 Abs. 2 VfGG sind, wenn der VfGH einer Beschwerde stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VfGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

10 Auf Grundlage der im § 87 Abs. 2 VfGG statuierten Bindungswirkung des genannten aufhebenden Erkenntnisses des VfGH war das BVwG verhalten, im fortgesetzten Verfahren entsprechend der Rechtsanschauung des VfGH vorzugehen. Da § 87 Abs. 2 VfGG kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht einräumt, hat der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen, ob die vom BVwG im fortgesetzten Verfahren erlassene Entscheidung dem gemäß § 87 Abs. 2 VfGG erteilten Auftrag entspricht. Die normative Grundlage für die Überprüfung der angefochtenen Ersatzentscheidung ist somit neben den anzuwendenden Rechtsvorschriften bezogen auf den konkreten Sachverhalt die Rechtsanschauung des aufhebenden Erkenntnisses des VfGH vor dem Hintergrund des Gebotes der Effektivität des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Bei Prüfung der vom Verwaltungsgericht erlassenen Ersatzentscheidung ist auch der Verwaltungsgerichtshof an die Rechtsauffassung des VfGH gebunden (vgl. etwa , mwN).

11 In der vorliegenden Rechtssache hat der VfGH (unter Hinweis auf seine diesbezügliche Rechtsprechung zum Irak) auf die Anforderungen an eine am Maßstab der Art. 2 und 3 EMRK vorzunehmende Beurteilung der Rückkehrsituation in solchen Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert, hingewiesen und die pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage durch das BVwG als unzureichend befunden. Das BVwG habe es insoweit unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der der Mitbeteiligte stamme bzw. die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren solle, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Mitbeteiligten in Beziehung zu setzen (vgl. , Rn. 11 ff). Dieser Rechtsanschauung des VfGH wurde vom BVwG im nunmehr angefochtenen Erkenntnis nicht Rechnung getragen.

12 Dass dem Mitbeteiligten ohne weitere Prüfung, insbesondere ohne die vom VfGH geforderte nähere Auseinandersetzung, subsidiärer Schutz im Sinne des § 8 Asylgesetz 2005 zu gewähren sei, ergibt sich dagegen aus der Rechtsanschauung des VfGH im Erkenntnis vom , E 4103/2020, keineswegs.

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 

Zusatzinformationen


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Normen
VerfGG 1953 §87 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010151.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAF-45821