VwGH 10.08.2022, Ra 2022/01/0016
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | AVG §35 |
RS 1 | Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer "in welcher Weise immer" die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 35, Rz. 2 f, zitierten Nachweise aus der hg. Rechtsprechung). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/01/0271 E VwSlg 18337 A/2012 RS 2 |
Normen | |
RS 2 | Es genügt für die Annahme der für die Verhängung der Mutwillensstrafe nach § 35 AVG erforderlichen Mutwilligkeit und damit einhergehend letztlich für die Unterstellung einer Missbrauchsabsicht in Bezug auf Rechtschutzeinrichtungen nicht, dass der Revisionswerber zwei zeitlich nahe Folgeanträge stellt. Entscheidend wäre vielmehr gewesen, ob der letzte Folgeantrag auch aus der Sicht des Revisionswerbers von vornherein als grund- und aussichtslos hätte erscheinen müssen. Diese Frage lässt sich nicht allein mit der mangelnden Berechtigung des Antrags beantworten, sondern hätte unter Bedachtnahme auf die konkrete Antragsbegründung näher untersucht werden müssen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/20/0042 E RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der M, geboren 1954, vertreten durch Dr. Verena Zörweg, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Str. 4/2, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W195 2249247-1/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache gegen die Antragstellerin gemäß § 35 AVG eine Mutwillensstrafe in der Höhe von EUR 550,- verhängt. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.
2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist. Die Antragstellerin begründet diesen mit ihrer weitgehenden Mittellosigkeit.
3 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht und ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
4 Die belangte Behörde hat sich zu diesem Antrag innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert.
5 Ausgehend davon ist nicht zu erkennen, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, weshalb dem Antrag stattzugeben war.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der M M in S, vertreten durch Dr. Verena Zörweg, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 4/2, als bestellte Verfahrenshelferin, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W195 2249247-1/2E, betreffend Verhängung einer Mutwillensstrafe in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am ihren vierten Antrag auf internationalen Schutz. Die vorherigen drei Anträge auf internationalen Schutz (gestellt in den Jahren 2012, 2013 und 2014) wurden jeweils abgewiesen.
2 Mit Bescheid vom verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen die Revisionswerberin gemäß § 35 AVG eine Mutwillensstrafe in der Höhe von € 550,--.
3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde.
4 Mit gegenständlich angefochtenem Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde ab (Spruchpunkt A) und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).
5 Das BVwG stellte - im Wesentlichen - Folgendes fest:
6 Alle (vier) in Österreich gestellten Anträge der Revisionswerberin auf internationalen Schutz seien erfolglos geblieben. Die Revisionswerberin sei „in den zuletzt geführten Verfahren von der BBU GmbH, vor dem Verwaltungsgerichtshof durch einen Rechtsanwalt“ vertreten gewesen.
7 Den festgestellten Sachverhalt würdigte das BVwG - im Wesentlichen - rechtlich wie folgt:
Es sei davon auszugehen, dass die - durch die BBU GmbH vertretene - Revisionswerberin jedenfalls die erforderliche Aufklärung hinsichtlich der Folgen der gegen sie ergangenen Entscheidungen erhalten habe. Die Revisionswerberin habe - trotz erkennbarer Aussichtslosigkeit - versucht, „durch wiederholtes, jedoch erfolgloses Vorbringen weiterer nicht substantiierter Behauptungen ihren Verbleib im Bundesgebiet zu rechtfertigen.“ Die damit verbundene mutwillige Inanspruchnahme der zuständigen Behörden sei nicht tolerierbar.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit ein Abweichen von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Verhängung einer Mutwillensstrafe nach § 35 AVG geltend macht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Revision sowie der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
10 Vorauszuschicken ist, dass die Revision nicht im Grunde des § 25a Abs. 4 VwGG absolut unzulässig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Verhängung einer Mutwillensstrafe nämlich um keine Angelegenheit des Verwaltungsstrafrechts (vgl. , mwN).
11 Gemäß § 35 AVG kann die Behörde gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, eine Mutwillensstrafe bis € 726,-- verhängen.
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig in diesem Sinn, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer „in welcher Weise immer“ die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Beschluss vom , 98/10/0183, zu § 35 AVG ausgesprochen, dass mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen mit äußerster Vorsicht umzugehen und ein derartiger Vorwurf nur dann am Platz ist, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe komme demnach lediglich im „Ausnahmefall“ in Betracht (vgl. zum Ganzen etwa ; , Ra 2020/20/0042; , Ra 2023/03/0019; jeweils mwN).
13 Eine solche die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigende Konstellation ist hier anhand der Feststellungen des BVwG nicht erkennbar.
14 Das BVwG schließt aus der wiederholten, unsubstantiierten Antragstellung auf internationalen Schutz auf das Wissen um die Unrichtigkeit des vorgeschobenen Fluchtgrundes und ein Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit der Anträge; dies auch insbesondere angesichts des Umstandes, dass die Revisionswerberin in entsprechenden Verfahren durch die BBU GmbH vertreten gewesen und rechtlich beraten und aufgeklärt worden sei. Nähere (konkrete) Feststellungen zu den nach Auffassung des BVwG angeblich unsubstantiierten Anträgen der Revisionswerberin sind dem angefochtenem Erkenntnis nicht zu entnehmen.
15 Für die Annahme der für die Verhängung der Mutwillensstrafe nach § 35 AVG erforderlichen Mutwilligkeit und damit einhergehend letztlich für die Unterstellung einer Missbrauchsabsicht in Bezug auf Rechtsschutzeinrichtungen ist entscheidend, ob der letzte Folgeantrag auch aus der Sicht der Revisionswerberin von vornherein als grund- und aussichtlos hätte erscheinen müssen. Diese Frage lässt sich allerdings nicht allein mit der mangelnden Berechtigung des Antrags beantworten, sondern hätte unter Bedachtnahme auf die konkrete Antragsbegründung - und zweckmäßigerweise nach Befragung der Revisionswerberin - näher untersucht werden müssen (vgl. dazu erneut ; , Ra 2021/19/0297).
16 Da die im angefochten Erkenntnis getroffenen Feststellungen die Verhängung einer Mutwillensstrafe somit nicht tragen, ist dieses mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §35 VwGG §30 Abs2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010016.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-45819