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VwGH 15.03.2021, Ra 2021/20/0037

VwGH 15.03.2021, Ra 2021/20/0037

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3
RS 1
Zur Darlegung der Relevanz eines Verstoßes gegen das Erfordernis der Heranziehung aktueller Länderinformationen genügt es nicht, sich ändernde Verhältnisse zu behaupten und einen Sachverhalt vorzubringen, der bei Berücksichtigung aktuellerer Länderinformationen festgestellt hätte werden können, sondern es ist auch erforderlich, unter Anführung eines Belegs konkret aufzuzeigen, aufgrund welcher vor der Entscheidung verfügbarer (aktuellerer) Berichte es zu geänderten, für den Revisionswerber günstigeren Feststellungen - hier in Bezug auf exzeptionelle Umstände im Sinne von Art. 3 MRK - hätte kommen können (zu mangelhafter Relevanzdarstellung bei unbelegter Behauptung geänderter Länderinformationen vgl. ; , Ra 2016/20/0083; , Ra 2017/20/0166). Mit der bloß abstrakten Erwähnung nicht näher spezifizierter "Informationen des Außenministeriums" wird die Revision diesem Erfordernis nicht gerecht.
Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
RS 2
Ob eine einzelfallbezogene Interessenabwägung, welche zu einem zumindest vertretbaren Ergebnis gelangt ist, in jeder Hinsicht zutrifft, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage dar.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2019/19/0524 B RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des F A in W, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I409 2159701-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Benins, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit dem Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Benin zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom , E 4255/2020-5, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis der Heranziehung aktueller Länderinformationen abgewichen.

9 Dieser Verfahrensmangel sei relevant, weil in den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Quellen „nicht eine einzige Information zu den Auswirkungen der Corona Pandemie enthalten“ sei. Es könne unter Berücksichtigung des Länderinformationsblattes nicht ausgeschlossen werden, dass sich Benin in einem „strengen Lockdown“ befinde, eine Rückkehr dorthin faktisch nicht möglich oder nach einer Rückkehr die Versorgungslage der Bevölkerung derart prekär sei, dass der Revisionswerber in eine aussichtslose Lage im Sinne von Art. 3 EMRK gerate. Hätte das Bundesverwaltungsgericht alle zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten ausgeschöpft und unter anderem „die Informationen des Außenministeriums“ berücksichtigt, hätte es zu einer für den Revisionswerber günstigeren Ansicht gelangen müssen.

10 Werden - wie hier - Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. , mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen. Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, kommt es nicht darauf an, ob infolge von zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gesetzten Maßnahmen sich die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. , mwN).

12 Zur Darlegung der Relevanz eines Verstoßes gegen das Erfordernis der Heranziehung aktueller Länderinformationen genügt es nicht, sich ändernde Verhältnisse zu behaupten und einen Sachverhalt vorzubringen, der bei Berücksichtigung aktuellerer Länderinformationen festgestellt hätte werden können, sondern es ist auch erforderlich, unter Anführung eines Belegs konkret aufzuzeigen, aufgrund welcher vor der Entscheidung verfügbarer (aktuellerer) Berichte es zu geänderten, für den Revisionswerber günstigeren Feststellungen - hier in Bezug auf exzeptionelle Umstände im Sinne von Art. 3 EMRK - hätte kommen können (zu mangelhafter Relevanzdarstellung bei unbelegter Behauptung geänderter Länderinformationen vgl. ; , Ra 2016/20/0083; , Ra 2017/20/0166).

13 Mit der bloß abstrakten Erwähnung nicht näher spezifizierter „Informationen des Außenministeriums“ wird die Revision diesem Erfordernis nicht gerecht.

14 Wenn die Revision ein Vorbringen zur Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erstattet, ist festzuhalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative gestützt hat, sondern seiner Entscheidung die Rückkehr des Revisionswerbers in dessen Herkunftsregion zugrunde gelegt hat. Sohin ist diesem Vorbringen der Boden entzogen, weil es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Verneinen einer Verletzung des Art. 3 EMRK in der Herkunftsregion nicht mehr auf die Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative ankommt (vgl. , mwN).

15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa , mwN).

16 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. , mwN).

17 Es entspricht zwar der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann. Die Revision übersieht jedoch, dass das Bundesverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Erwägungen zum subsidiären Schutz von der Möglichkeit der Schaffung einer solchen ausgegangen ist (vgl. , mwN).

18 Den Umstand der ehrenamtlichen Betätigungen des Revisionswerbers hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Interessenabwägung hinreichend berücksichtigt.

19 Wenn der Revisionswerber auf seinen knapp über fünfjährigen Aufenthalt hinweist und dessen unrechtmäßige Relativierung durch das Bundesverwaltungsgericht rügt, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. , mwN). Entgegen dem Revisionsvorbringen ist das Bundesverwaltungsgericht weder bereits aufgrund der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers von einem „deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen“ an der Aufenthaltsbeendigung ausgegangen, noch hat es dessen illegale Einreise (als solche) herangezogen, um die getätigten Integrationsschritte zu relativieren, sondern erachtete es als wesentlich, dass die Integrationsbemühungen in einem Zeitraum gesetzt worden seien, in dem sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. dazu , mwN).

20 Das Bundesverwaltungsgericht verschaffte sich im Zuge der Durchführung einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und kam anhand der festgestellten Umstände zum Ergebnis, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers darstelle und die öffentlichen Interessen an seiner Ausreise überwögen. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass die Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre oder sich das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte. Ob die einzelfallbezogene Abwägung, welche zu einem zumindest vertretbaren Ergebnis gelangt ist, in jeder Hinsicht zutrifft, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage dar (vgl. ).

21 Insofern die Revision rügt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers iSd. Art. 8 EMRK getroffenen Feststellungen unvollständig und in Bezug auf die Deutschkenntnisse des Revisionswerbers aktenwidrig seien sowie in der Folge auch nicht sämtliche Aspekte bei der Interessenabwägung gewürdigt worden seien, fehlt diesem Vorbringen die Relevanz. Auch unter Einbeziehung der abgelegten Deutschprüfung auf dem Niveau A2, der Absolvierung einer Schulausbildung in Österreich, der Teilnahme an einer Vertiefungswoche im Bereich Glasbautechnik und des Freundeskreises des Revisionswerbers in Österreich vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts im Ergebnis unzutreffend wäre (vgl. -0118).

22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am

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Normen
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200037.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAF-45808