VwGH 25.05.2022, Ra 2021/19/0484
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | BVwG-EVV 2014 §1 Abs1 VwGG §26 Abs3 VwGG §34 Abs1 VwGG §75 Abs2 |
RS 1 | Nach § 1 Abs. 1 letzter Satz BVwG-EVV 2014 ist E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinn dieser Verordnung; ein mittels E-Mail eingebrachter Schriftsatz vermag keine Rechtswirkungen zu entfalten (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/21/0155 B RS 1 |
Normen | |
RS 2 | Dass es für die zulässige Form der Einbringung einer Revision an den VwGH auf Rechtsvorschriften ankommt, und aus der Angabe einer (allgemeinen) E-Mailadresse im "Impressum" der Webseite eines Gerichtes nicht auf E-Mail als zulässige Form der Einbringung von Schriftsätzen geschlossen werden kann, bedarf keiner näheren Begründung. Die BVwG-EVV 2014 sieht seit ihrem Inkrafttreten am unverändert vor, dass E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinne dieser Verordnung ist, worauf auch vom VwGH bereits mehrfach und schon vor längerer Zeit hingewiesen wurde (vgl. etwa ; , Ra 2017/21/0155; , Ra 2019/19/0014). Wenn im Wiedereinsetzungsantrag schließlich vorgebracht wird, die Einlaufstelle des BVwG habe "den Eingang bestätigt", wird damit schon deswegen kein die Wiedereinsetzung begründendes Ereignis dargelegt, weil lediglich vorgebracht wird, die besagte Einlaufstelle habe bestätigt, die per E-Mail übermittelte Eingabe erhalten zu haben. Dass die Einlaufstelle die rechtswirksame Einbringung einer Revision bestätigt habe, wird hingegen nicht behauptet. Da das den antragstellenden Revisionswerbern anzulastende Verschulden ihres Parteienvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über den Antrag 1. des I G, 2. der S G, 3. des A G, und 4. der V G, alle vertreten durch Mag. Detlev Baumgarten, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Grinzinger Allee 8, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , 1. W215 1254743-2/27E, 2. W215 1268140-2/27E, 3. W215 1268142-2/27E und 4. W215 2244158-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, und in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeverfahren den Erst- bis Drittrevisionswerbern den Status der subsidiär Schutzberechtigen von Amts wegen ab, entzog ihre Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte, erteilte ihnen keine Aufenthaltsberechtigungen aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Ebenfalls mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG im Beschwerdeverfahren den Antrag der Viertrevisionswerberin auf internationalen Schutz ab, erteilte ihr keine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils unzulässig sei.
2 Mit Beschluss vom bewilligte der Verwaltungsgerichtshof die Verfahrenshilfe für die außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis und gewährte u.a. die Beigebung eines Rechtsanwaltes.
3 Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien wurde der einschreitende Rechtsanwalt zum Verfahrenshelfer bestellt. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsanwalt nach dem vorliegenden Zustellnachweis am zugestellt.
4 Am brachten die Revisionswerber, vertreten durch den als Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt, beim BVwG per E-Mail eine (außerordentliche) Revision gegen das genannte Erkenntnis des BVwG ein.
5 Am wurde die gegenständliche Revision beim BVwG durch einen Boten eingebracht, welches die Revision dem Verwaltungsgerichtshof vorlegte.
6 Auf Vorhalt durch den Verwaltungsgerichtshof, dass die Revision nach der Aktenlage verspätet sei, brachte der Rechtsanwalt für die Revisionswerber mit Schriftsatz vom eine Stellungnahme, verbunden mit dem gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ein.
7 Begründend wurde vorgebracht, die Revision sei am per E-Mail an die E-Mailadresse „einlaufstelle@bvwg.gv.at“ übermittelt worden. Die Einlaufstelle des BVwG habe sich am beim einschreitenden Rechtsanwalt gemeldet und „den Eingang bestätigt“, weswegen die Revision vor dem und somit rechtzeitig eingebracht worden sei. Auf der Webseite des BVwG werde die genannte E-Mailadresse angeführt, also „geradezu explizit als Möglichkeit der Einbringung, mag diese auch gegen die BVwG-EVV verstoßen, angeführt“. Dazu wurde der Screenshot der Registerkarte „Impressum“ der Webseite des BVwG übermittelt, auf welcher neben der Adresse und der Telefonnummer dieses Gerichtes die Angabe „E-Mail: einlaufstelle@bvwg.gv.at“ enthalten ist. Die Einbringung per Boten sei bloß „auf weiteren Wunsch der Einlaufstelle des BVwG“ erfolgt, damit ein vollständiges Exemplar für die Übermittlung an den Verwaltungsgerichtshof vorliege. Die vom BVwG bestätigte Eingabe per E-Mail könne daher „höchstens als Formgebrechen“ betrachtet werden, welches durch die Übermittlung per Boten beseitigt worden sei.
8 Zum Wiedereinsetzungsantrag wurde ausgeführt, die „täuschende Angabe mit einer E-Mailadresse als Einlaufstelle“ und „die Bestätigung durch die Einlaufstelle des BVwG am nächsten Tag“ habe den Eindruck einer ordnungsgemäß eingebrachten Eingabe vermittelt. Hätte der einschreitende Rechtsanwalt daran Zweifel gehabt, wäre unverzüglich am und nicht erst „am “ ein Bote gesendet worden. Diese Umstände seien geeignet, ein unabwendbares, unvorhergesehenes Ereignis darzustellen, das einen Wiedereinsetzungsgrund verwirkliche.
Zur Rechtzeitigkeit der Revision
9 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes sechs Wochen. Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie gemäß § 26 Abs. 3 VwGG die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen.
10 Dem einschreitenden Rechtsanwalt wurde der Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien über die Bestellung zum Verfahrenshelfer durch Hinterlegung am zugestellt. Ausgehend davon hatte die Frist zur Einbringung der Revision mit Ablauf des geendet.
11 Die am per E-Mail an das BVwG übermittelte Revision war unwirksam. Nach § 1 Abs. 1 letzter Satz BVwG-elektronischer-Verkehr-Verordnung - BVwG-EVV ist E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinn dieser Verordnung; ein mittels E-Mail eingebrachter Schriftsatz vermag keine Rechtswirkungen zu entfalten (vgl. , mwN).
12 Entsprechend dem Vorlagebericht und dem Einlaufstempel des BVwG am Deckblatt der Revision langte die durch einen Boten eingebrachte Revision am beim BVwG ein. Von diesem Zeitpunkt ging der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem Verspätungsvorhalt aus. Die Revisionswerber haben diese Annahme in ihrem Schriftsatz vom nicht explizit bestritten, jedoch ausgeführt, dass sie, wenn sie von der unwirksamen Einbringung per E-Mail ausgegangen wären, „nicht erst am “ einen Boten gesendet hätten. Angesichts des Akteninhaltes geht der Verwaltungsgerichtshof jedoch davon aus, dass die per Boten übermittelte Revision erst am beim BVwG einlangte.
13 Die Revision war daher wegen Versäumung der sechswöchigen Frist gemäß § 26 Abs. 1 VwGG verspätet und gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Zum Wiedereinsetzungsantrag
14 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht.
15 Im Wiedereinsetzungsantrag ist konkret jenes unvorhergesehene und unabwendbare Ereignis zu bezeichnen, das den Wiedereinsetzungswerber an der Einhaltung der Frist gehindert hat (vgl. etwa , mwN).
16 Im vorliegenden Fall ist das „Ereignis“, welches den für die Revisionswerber einschreitenden Rechtsanwalt nach dem Antragsvorbringen an der Einhaltung der Revisionsfrist gehindert hat, ein Irrtum über die Zulässigkeit der Einbringung einer außerordentlichen Revision beim BVwG mit E-Mail.
17 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung kann auch mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. , mwN).
18 Der Begriff des minderen Grads des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. , mwN).
19 Ein Verschulden des Parteienvertreters trifft die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. , mwN).
20 Ein bloßer minderer Grad des Versehens wird im vorliegenden Fall nicht dargelegt:
21 Dass es für die zulässige Form der Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof auf Rechtsvorschriften ankommt, und aus der Angabe einer (allgemeinen) E-Mailadresse im „Impressum“ der Webseite eines Gerichtes nicht auf E-Mail als zulässige Form der Einbringung von Schriftsätzen geschlossen werden kann, bedarf keiner näheren Begründung.
22 Die BVwG-EVV sieht seit ihrem Inkrafttreten am unverändert vor, dass E-Mail keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinne dieser Verordnung ist, worauf auch vom Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach und schon vor längerer Zeit hingewiesen wurde (vgl. etwa ; , Ra 2017/21/0155; , Ra 2019/19/0014).
23 Wenn im Wiedereinsetzungsantrag schließlich vorgebracht wird, die Einlaufstelle des BVwG habe „den Eingang bestätigt“, wird damit schon deswegen kein die Wiedereinsetzung begründendes Ereignis dargelegt, weil lediglich vorgebracht wird, die besagte Einlaufstelle habe bestätigt, die per E-Mail übermittelte Eingabe erhalten zu haben. Dass die Einlaufstelle die rechtswirksame Einbringung einer Revision bestätigt habe, wird hingegen nicht behauptet.
24 Da das den antragstellenden Revisionswerbern anzulastende Verschulden ihres Parteienvertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190484.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-45807