VwGH 14.06.2021, Ra 2021/19/0064
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Zum Vorliegen des Befangenheitsgrundes nach § 7 Abs 1 Z 3 AVG genügen Umstände, die die volle Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen lassen können und die eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Befangenheit begründen können. Es genügt somit, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln. Im Anwendungsbereich des Art 6 MRK ist die Befangenheit eines Mitglieds eines unabhängigen Tribunals dann anzunehmen, wenn diesem auch nur der äußere Anschein der Unparteilichkeit mangelt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2014/03/0057 E RS 4 |
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RS 2 | Die Befangenheit von Mitgliedern der VwG ist nach § 7 AVG zu beurteilen, der infolge § 17 VwGVG 2014 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist. Nach dem klaren Wortlaut des § 6 VwGVG 2014 haben sich die dort genannten Organe - darunter auch die Mitglieder des VwG - unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes „wegen Befangenheit“ von Amts wegen zu enthalten, wenn ein Befangenheitsgrund nach § 7 Abs. 1 AVG vorliegt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/19/0676 E RS 1 |
Normen | AVG §7 Abs1 AVG §7 Abs1 Z3 MRK Art6 VwGG §42 Abs2 Z3 litb VwGG §42 Abs2 Z3 litc VwGVG 2014 §17 VwGVG 2014 §6 12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 |
RS 3 | Der VwGH hat in den Fällen, in denen wegen der Mitwirkung eines Mitglieds eines Tribunals, bei welchem bereits auf Grund des äußeren Anscheins Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Tribunals gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 AVG vor dem Hintergrund des Art. 6 MRK entstanden sind, einen Verfahrensmangel erblickt, der gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG zur Aufhebung einer derart erlassenen Entscheidung führt. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergibt sich auch aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) das Recht auf ein faires Verfahren und ein unparteiisches Gericht; inhaltlich entsprechen insofern die Garantien des Art. 47 GRC jenen des Art. 6 MRK (vgl. VwGH Ra 2014/03/0057, mwN). Dabei muss nicht geprüft werden, ob die Befangenheit für das Ergebnis des Verfahrens von Relevanz gewesen wäre (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/19/0676 E RS 2 |
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RS 4 | Die Äußerung der Richterin "wenn man entgegen der hg. Ansicht von der Glaubwürdigkeit Ihrer Angaben ausginge" kann nicht anders verstanden werden, als dass die erkennende Richterin nach dem ersten Teil der Befragung des Revisionswerbers von dessen Unglaubwürdigkeit ausging. Zu diesem Zeitpunkt war die Befragung des Revisionswerbers noch nicht abgeschlossen. Es folgten weitere Fragen zu den Fluchtgründen des Revisionswerbers durch die erkennende Richterin, den Rechtsvertreter des Revisionswerbers und den Vertreter der belangten Behörde. Die erkennende Richterin brachte durch die zitierte Äußerung jedoch bereits davor zum Ausdruck, sich eine Meinung zu der für die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zentralen Frage, ob die Angaben des Revisionswerbers glaubwürdig seien, gebildet zu haben, ohne klarzustellen, ob dies vorbehaltlich weiterer Ergebnisse der zu diesem Zeitpunkt noch andauernden kontradiktorischen Beweisaufnahme zu verstehen sei. Diese Äußerungen waren geeignet, begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit und damit der Unbefangenheit der Richterin des VwG zu erwecken und die Glaubwürdigkeit der in freier Überzeugung vorzunehmenden Würdigung aller Beweise in Frage zu stellen. Die Richterin hat damit den Anschein ihrer Befangenheit erweckt. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des D, geboren 1991, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L506 2168824-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - im Beschwerdeverfahren - den Antrag des aus Pakistan stammenden Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist. Darin wird geltend gemacht, dem Revisionswerber würde durch den vorzeitigen Vollzug des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts ein unverhältnismäßiger Nachteil drohen.
3 Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG hat die Revision keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich zu diesem Antrag innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert.
5 Ausgehend davon ist nicht zu erkennen, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, weshalb dem Antrag stattzugeben war.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy, Dr. Faber, Dr. Chvosta und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des D M, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L506 2168824-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, die Taliban hätten ihn aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Sein Vater, der es selbst abgelehnt habe, Mitglied der Taliban zu werden, sei im Jahr 2013 getötet worden.
2 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, der Revisionswerber habe eine Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft machen können. Selbst bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens stehe dem aus Doaba in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa stammenden Revisionswerber alternativ eine innerstaatliche Fluchtalternative in einer Großstadt in einem anderen Teil des Herkunftsstaates offen. Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe ihm keine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Es liege auch keine außergewöhnliche Integration des Revisionswerbers in Österreich vor, die einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen könnte.
5 Mit Beschluss vom , E 4520/2020-5, wies der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 Die gegen das Erkenntnis des BVwG erhobene Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem die Befangenheit der erkennenden Richterin geltend. Die verfahrensführende Richterin habe schon inmitten der mündlichen Verhandlung geäußert, dass von einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen sei und dass der Revisionswerber durch eine Aufenthaltnahme in einer anderen großen Stadt der von ihm behaupteten Verfolgung entgehen könne, wenn man entgegen der Ansicht des BVwG von der Glaubwürdigkeit seiner Angaben ausgehe. Damit habe die Richterin den Eindruck erweckt, dass sie sich bereits vor Ende der Befragung des Revisionswerbers und vor dem Schluss des Beweisverfahrens ein Urteil über die Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers gebildet habe. Bei unvoreingenommener Beurteilung hätte das BVwG angesichts der vorgelegten Beweise ohne weiteres zu einem anderen Ergebnis, nämlich der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens, gelangen können.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht das Wesen der Befangenheit grundsätzlich in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive (vgl. , mwN). Die Befangenheit von Mitgliedern der Verwaltungsgerichte ist nach § 7 AVG zu beurteilen, der infolge § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall bezieht sich der Revisionswerber erkennbar auf den Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Z 3 AVG. Demnach haben sich Mitglieder des Verwaltungsgerichts nach den §§ 6 und 17 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 Z 3 AVG als befangen zu erklären und ihres Amtes zu enthalten, wenn (sonstige) wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. , mwN). Im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK ist die Befangenheit eines Mitglieds eines unabhängigen Tribunals dann anzunehmen, wenn diesem auch nur der äußere Anschein der Unparteilichkeit mangelt (vgl. , mwN).
10 Nach § 6 VwGVG haben sich die dort genannten Organe - darunter auch die Mitglieder des Verwaltungsgerichtes - unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes „wegen Befangenheit“ von Amts wegen zu enthalten, wenn ein Befangenheitsgrund nach § 7 Abs. 1 AVG vorliegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in den Fällen, in denen wegen der Mitwirkung eines Mitglieds eines Tribunals, bei welchem bereits auf Grund des äußeren Anscheins Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Tribunals gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 AVG vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK entstanden sind, einen Verfahrensmangel erblickt, der gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG zur Aufhebung einer derart erlassenen Entscheidung führt. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergibt sich auch aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) das Recht auf ein faires Verfahren und ein unparteiisches Gericht; inhaltlich entsprechen insofern die Garantien des Art. 47 GRC jenen des Art. 6 EMRK (vgl. nochmals VwGH Ra 2014/03/0057, mwN). Dabei muss nicht geprüft werden, ob die Befangenheit für das Ergebnis des Verfahrens von Relevanz gewesen wäre (vgl. erneut VwGH Ra 2018/19/0676, mwN).
11 Der Einwand der Befangenheit des entscheidenden Mitgliedes des Verwaltungsgerichts begründet nur dann die Zulässigkeit der Revision, wenn vor dem Hintergrund des konkret vorgelegenen Sachverhaltes die Teilnahme des Mitgliedes des Verwaltungsgerichts an der Verhandlung und Entscheidung tragende Rechtsgrundsätze des Verfahrensrechtes verletzt hätte bzw. in unvertretbarer Weise erfolgt wäre. Jeder Vorwurf einer Befangenheit hat konkrete Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. , mwN).
12 Im Revisionsfall befragte die erkennende Richterin den Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung zunächst zu seinen im Verfahren bislang getätigten Angaben, zu seiner familiären Situation und zu seinem Reiseweg. Danach stellte die erkennender Richterin Fragen zu den vom Revisionswerber vorgebrachten Fluchtgründen und den vom Revisionswerber vorgelegten Beweismitteln. Der darauffolgende relevante Auszug aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung lautet:
„...IFA
VR [erkennende Richterin]: In Ihren Fall ist von einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Durch eine Aufenthaltnahme in einer anderen großen Stadt, wie zB Islamabad, Rawalpindi oder Multan können Sie der von Ihnen behaupteten Verfolgung durch Privatpersonen entgehen, wenn man entgegen der hg. Ansicht von der Glaubwürdigkeit Ihrer Angaben ausginge.“
13 In weiterer Folge befragte die erkennende Richterin den Revisionswerber zu den in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen. Danach stellte der Rechtsvertreter Fragen an den Revisionswerber. Im Zuge der Befragung durch den Rechtsvertreter stellte auch die erkennende Richterin weitere Fragen an den Revisionswerber, unter anderem in Bezug auf sein Fluchtvorbringen. Nach dem Ende der Befragung durch den Rechtsvertreter stellte der Vertreter der belangten Behörde dem Revisionswerber Fragen zu weiteren Aspekten seines Fluchtvorbringens. Schließlich befragten die erkennende Richterin, der Rechtsvertreter und der Vertreter der belangten Behörde (in dieser Reihenfolge) den Revisionswerber zu seiner Integration.
14 Das BVwG führte in dem angefochtenen Erkenntnis beweiswürdigend aus, der Revisionswerber habe eine individuelle Verfolgung vor der Ausreise bzw. die Gefahr einer solchen für den Fall der Rückkehr aufgrund seines widersprüchlichen, nicht plausiblen und vagen Vorbringens nicht glaubhaft darlegen können. Das BVwG setzte sich dabei auch mit den vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung über Befragen durch den Rechtsvertreter getätigten Angaben auseinander und führte aus, bei der Frage des Rechtsvertreters, ob die Brüder [des Revisionswerbers] diesem an sie gerichtete Drohbriefe verschweigen würden, um dem Revisionswerber keine Sorgen zu bereiten, würde es sich um eine Suggestivfrage und um ein lediglich auf Spekulationen beruhendes Nachfragen handeln, um den Revisionswerber zu weiteren Angaben zu veranlassen. Dieses Nachfragen des Rechtsvertreters, welches auch in anderen Bereichen des Vorbringens festzustellen gewesen sei, sei nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Revisionswerbers zu erhöhen. Es könne daraus vielmehr geschlossen werden, dass der Revisionswerber durch seinen Rechtsvertreter zu einem bestimmten Vorbringen angeleitet werden solle.
15 Die Äußerung der Richterin „wenn man entgegen der hg. Ansicht von der Glaubwürdigkeit Ihrer Angaben ausginge“ kann nicht anders verstanden werden, als dass die erkennende Richterin nach dem ersten Teil der Befragung des Revisionswerbers von dessen Unglaubwürdigkeit ausging. Zu diesem Zeitpunkt war die Befragung des Revisionswerbers noch nicht abgeschlossen. Es folgten weitere Fragen zu den Fluchtgründen des Revisionswerbers durch die erkennende Richterin, den Rechtsvertreter des Revisionswerbers und den Vertreter der belangten Behörde. Die erkennende Richterin brachte durch die zitierte Äußerung jedoch bereits davor zum Ausdruck, sich eine Meinung zu der für die Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zentralen Frage, ob die Angaben des Revisionswerbers glaubwürdig seien, gebildet zu haben, ohne klarzustellen, ob dies vorbehaltlich weiterer Ergebnisse der zu diesem Zeitpunkt noch andauernden kontradiktorischen Beweisaufnahme zu verstehen sei.
16 Sonstige Hinweise darauf, dass die erkennende Richterin bereit war, diese Meinung nach Maßgabe der weiteren Verfahrensergebnisse zu ändern, sind der Niederschrift der mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen. Diese Äußerungen waren geeignet, begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit und damit der Unbefangenheit der Richterin des Verwaltungsgerichtes zu erwecken und die Glaubwürdigkeit der in freier Überzeugung vorzunehmenden Würdigung aller Beweise in Frage zu stellen. Die Richterin hat damit den Anschein ihrer Befangenheit erweckt.
17 Bekräftigt wird dieser Anschein dadurch, dass das BVwG in der Beweiswürdigung mehrfach den vom Revisionswerber erst auf Befragen durch seinen Rechtsvertreter getätigten Aussagen schon aus diesem Grund die Glaubhaftigkeit absprach. Diese Bewertung der vom Revisionswerber auf Befragen durch seinen Rechtsvertreter und nach Protokollierung einer Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers getätigten Aussagen durch das BVwG verstärkt den Eindruck, dass die erkennende Richterin nicht mehr bereit war, von ihrer in der mündlichen Verhandlung vor Abschluss der Beweisaufnahme geäußerten Meinung über die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers nach Maßgabe der weiteren Verhandlungsergebnisse abzugehen.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, weshalb sich ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen erübrigt. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Norm | VwGG §30 Abs2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190064.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-45802