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VwGH 17.06.2021, Ra 2021/18/0204

VwGH 17.06.2021, Ra 2021/18/0204

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Normen
AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
AVG §46
VwGVG 2014 §17
RS 1
Solange einem Zeugenbeweis die grundsätzliche Eignung, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, nicht abgesprochen werden kann, darf die Aufnahme des beantragten Beweises nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das VwG sei bereits vom Gegenteil der zu beweisenden Tatsache überzeugt. Eine solche Sichtweise stellt nämlich eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar (vgl. etwa , mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des J, geboren 1998, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W225 2174254-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

1 In der gegenständlichen Asylangelegenheit verband der Revisionswerber seine Revision mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und brachte im Wesentlichen vor, ihm würden im Fall des Vollzuges der angefochtenen Entscheidung (Abschiebung) näher genannte unverhältnismäßige Nachteile drohen.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu diesem Antrag innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben.

3 Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

4 Letzteres wird im gegenständlichen Antrag geltend gemacht und kann auf der Grundlage des angefochtenen Erkenntnisses nicht von vornherein als unzutreffend angesehen werden. Da keine zwingenden oder zumindest überwiegenden öffentlichen Interessen zu erkennen sind, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstünden, war dem Antrag stattzugeben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des J A, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W225 2174254-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von
EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am
internationalen Schutz und brachte u.a. vor, in Österreich zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb bei Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung zu befürchten. Er legte dazu im Laufe des Verfahrens einen Taufschein der Pfarrgemeinde A.u.H.B. Melk-Scheibbs vom vor und beantragte im Beschwerdeverfahren die Zeugeneinvernahme eines namentlich genannten Diakons der Kirchengemeinde für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) „trotz der detaillierten ... Angaben des [Revisionswerbers] nicht von [s]einer inneren christlichen Überzeugung ausgehen sollte“.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei zwar „formell zum christlichen Glauben konvertiert“, vor dem erkennenden Gericht sei jedoch nicht hervorgekommen, dass er die Konversion aus innerer Überzeugung vorgenommen habe. Er habe sich zwar mit dem Christentum auseinandergesetzt, zentrale Elemente des Christentums, wie etwa die zehn Gebote oder die Dreifaltigkeit sowie Gebete benennen können. Auch sei glaubhaft, dass er regelmäßig in die Kirche gehe und am Leben der Kirchengemeinde teilnehme. Er vermittle aber nicht den Eindruck, dass bei ihm ein innerer Entschluss entstanden sei, in die Kirche zu gehen oder ein religiös motivierter Reifeprozess stattgefunden habe. In einer Gesamtschau sei festzuhalten, dass die vorgebrachte Konversion nicht von innerer, nachhaltiger Überzeugung getragen scheine und der Revisionswerber bei Rückkehr nach Afghanistan nicht dem christlichen Glauben nachgehen oder diesen nach außen zur Schau tragen würde.

4 Soweit die Einvernahme des namentlich genannten Diakons beantragt worden sei, sei einzuräumen, dass § 18 AsylG 2005 den Asylbehörden und dem Gericht die Verpflichtung auferlege, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben würden, welche zur Begründung des Antrags notwendig seien. Es sei jedoch zu betonen, dass die Befragung von Zeugen nicht in jedem Fall „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 sei. Sie müssten insbesondere dann nicht in Erwägung gezogen werden, wenn, wie im gegenständlichen Fall, die sonst vorhandenen Beweismittel den Sachverhalt als geklärt erkennen ließen oder dieses Beweismittel nach Lage des Falles nicht zweckdienlich sei. Diese Beurteilung obliege dem ermittelnden Gericht (Hinweis auf ). Vor dem Hintergrund der angeführten höchstgerichtlichen Judikatur werde angesichts der obigen beweiswürdigenden Erwägungen zum individuellen Fluchtvorbringen des Revisionswerbers dem Antrag auf Einvernahme des genannten Zeugen nicht gefolgt.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache u.a. geltend macht, das BVwG habe einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Verfahrensfehler zu verantworten, indem es den als Zeugen namhaft gemachten Diakon in unzulässiger antizipativer Beweiswürdigung nicht zur Ernsthaftigkeit der Konversion einvernommen habe.

6 Das BFA erstattete zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

9 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. etwa , mwN).

10 Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber zum Nachweis seiner ernsthaften Konversion zum Christentum u.a. die Einvernahme eines namentlich genannten Zeugen (eines Diakons seiner Kirchengemeinde) beantragt.

11 Diesem Beweisantrag kam das BVwG mit einer nicht tragfähigen Begründung nicht nach: Es stützte sich darauf, dass nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (Hinweis auf ) amtswegige Ermittlungen im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 nicht jedenfalls „erforderlich“ seien, sondern die Erforderlichkeit jeweils einzelfallbezogen zu beurteilen sei. Fallbezogen vertrat das BVwG die Rechtsansicht, dass ihm die Einvernahme des Zeugen angesichts der sonstigen Beweisergebnisse nicht erforderlich erscheine.

12 Bei dieser Beurteilung übersah das BVwG schon grundsätzlich, dass die angesprochene höchstgerichtliche Rechtsprechung die amtswegigen Ermittlungspflichten nach § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 betraf, während dem BVwG im gegenständlichen Fall ein Beweisantrag des Revisionswerbers vorlag. Solange diesem Zeugenbeweis, wie im vorliegenden Fall, die grundsätzliche Eignung, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, nicht abgesprochen werden konnte (wofür fallbezogen keine Hinweise vorliegen), durfte die Aufnahme des beantragten Beweises nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das Verwaltungsgericht sei bereits vom Gegenteil der zu beweisenden Tatsache überzeugt. Eine solche Sichtweise stellt nämlich, wie die Revision zutreffend ausführt, eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar (vgl. etwa , mwN).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180204.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-45799