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VwGH 15.05.2023, Ra 2021/17/0108

VwGH 15.05.2023, Ra 2021/17/0108

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Norm
BAO §236
RS 1
Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (vgl. zusammenfassend mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Stoll, BAO, 2436).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2003/13/0062 E RS 1
Norm
BAO §236
RS 2
Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides ist mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen; das gilt auch für eine potentielle Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Ein Nachsichtsverfahren ersetzt daher weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes (vgl. bis 0081, mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/13/0098 B RS 3 (hier ohne den ersten Satz)
Normen
BAO §236
BAO §236 Unbilligkeit Einhebung §3
RS 3
Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, beispielsweise aufgezählten und hier nicht in Betracht kommenden Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z.B. ; , 2006/15/0337, mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/15/0014 B RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des M R in P, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7104879/2019, betreffend Antrag auf Nachsicht von Glücksspielabgaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich, Dienststelle für Gebühren, Verkehrssteuern und Glücksspiel), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom , in dem er u.a. angegeben hatte, er habe Pokerspiele im Zeitraum 07/2012 bis 07/2013 in Turnierform bzw. in Form von Cashgames veranstaltet, auf „Bewilligung einer Nachsicht in Höhe von € 1.613.371,14“ betreffend fällige Glücksspielabgaben ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass im Revisionsfall weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit vorliege. Im gegenständlichen Fall hätte der Revisionswerber Vorsorge für die Entrichtung der Abgabenschuld treffen müssen, die ihm auch zumutbar gewesen sei.

2 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und stellte den Antrag, seinem Antrag auf Bewilligung der Nachsicht stattzugeben.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht (BFG) - nach Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag - die Beschwerde gemäß § 279 BAO ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das BFG u.a. aus, der Revisionswerber hätte in Ausübung der zumutbaren Sorgfalt Vorsorge für die Abgabenentrichtung treffen müssen. Er hätte „das Kartenpokerturnier“ so organisieren können, dass die Abgaben entrichtet werden hätten können, sodass eine persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht vorliege. Der Einwand, es läge „eine Erdrosselungssteuer“ vor, vermöge insbesondere vor dem Hinweis des Verwaltungsgerichtshofes, dass es Sache des Betreibers des Kartencasinos sei, die Kartenspiel so zu organisieren, dass die Glücksspielabgabe entrichtet werden könne (Verweis auf ), nicht eine sachliche Unbilligkeit zu begründen.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom , E 174/2021-5, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit - auf das Wesentliche zusammengefasst-zunächst vor, dass angefochtene Erkenntnis weiche einerseits von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf ) ab, weil ein „atypische[r] Geschehensablauf“ vorliege, zumal die Glücksspielabgabe höher als die tatsächlichen Einnahmen des Revisionswerbers sei.

7 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

8 Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

9 Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären. Insbesondere kann ein Nachsichtsverfahren auch weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts ersetzen (vgl. VwGH neuerlich , Ra 2022/13/0016, mwN).

10 Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 453/2005 beispielsweise aufgezählten Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. , mwN).

11 Dass der Revisionswerber als Steuerpflichtiger auf eine vom ihm nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, zeigt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf. Ein solches Geschehen ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis.

12 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision weiters - wiederum auf das Wesentliche zusammengefasst - geltend, dass er „diese Abgabenschulden nicht bedienen“ könne, sowie, dass eine „Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld [...] anzunehmen“ sei.

13 Damit wird aber auch keine persönlich Unbilligkeit aufgezeigt. Eine solche ist nach der hg. Rechtsprechung nämlich dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht an der Existenzgefährdung nichts ändern würde (vgl. etwa , mwN).

14 Dass das BFG im angefochtenen Erkenntnis das nach § 236 Abs. 1 BAO eingeräumte Ermessen in unvertretbarer Weise ausgeübt hätte, wird mit den übrigen, diesbezüglich bloß pauschalen und nicht auf den Revisionsfall bezogenen Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision ebenfalls nicht aufgezeigt (vgl. zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen durch den Verwaltungsgerichtshof etwa , mwN).

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BAO §236
BAO §236 Unbilligkeit Einhebung §3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021170108.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAF-45795