VwGH 17.06.2024, Ra 2021/16/0098
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Für die Auslegung der in § 26a Abs. 1 Z 1 GGG verwendeten Begriffe "Stief-, Wahl- oder Pflegekind" und die Frage ob bzw. zu welchem Zeitpunkt diese Eigenschaft endet, kann auf die diesbezügliche Rechtsprechung des OGH zu § 364c ABGB zurückgegriffen werden. Danach endet das Angehörigenverhältnis zwischen Stiefeltern und Stiefkindern mit dem Ende der die Schwägerschaft (die Verbindung zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten, § 40 ABGB) - vermittelnden Ehe (vgl. etwa ; , 5 Ob 143/17s). Dies gilt nach der Rechtsprechung des OGH nicht für Pflegekinder, sodass Stiefkinder trotz Beendigung der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe weiterhin Pflegekinder sein können (vgl. ). |
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RS 2 | Die Pflegeelterneigenschaft nach § 184 ABGB idF KindNamRÄG 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, ist kraft Gesetzes gegeben, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, nämlich die geforderte persönliche, emotionale Beziehung einerseits und die tatsächliche (gänzliche oder teilweise) Besorgung der Pflege und Erziehung andererseits vorliegen. Maßgebend sind die faktischen Verhältnisse (vgl. die in RIS-Justiz RS0127991 wiedergegebene Rechtsprechung des OGH). |
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RS 3 | Für die Zuerkennung einer abgabenrechtlichen Begünstigung sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld maßgeblich. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2003/16/0472 E RS 1 |
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RS 4 | Zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld muss das aufrechte familiäre Verhältnis im Sinne des § 26a Abs. 1 Z 1 GGG vorliegen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Mag. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Finanzamts Österreich (Dienststelle Sonderzuständigkeiten) in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5100781/2020, betreffend Grunderwerbsteuer (mitbeteiligte Partei: T P in N), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Einantwortungsbeschluss vom wurde dem am geborenen Mitbeteiligten der gesamte Nachlass nach LP eingeantwortet.
2 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gegenüber dem Mitbeteiligten hinsichtlich der eingeantworteten Liegenschaften Grunderwerbsteuer iHv 14.580,21 € fest.
3 Der Mitbeteiligte erhob dagegen Beschwerde und brachte vor, hinsichtlich der land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke und der landwirtschaftlich genutzten Gebäudeteile sei der einfache Einheitswert als Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Es handle sich tatsächlich um einen unentgeltlichen Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken im „begünstigten Personenkreis“ des § 26a GGG. Der Mitbeteiligte sei der Stiefsohn des Verstorbenen gewesen. Daran habe sich durch die Scheidung der Mutter des Mitbeteiligten vom Stiefvater im Jahr 2011 nichts geändert. Die Grunderwerbsteuer hätte gemäß § 4 Abs. 2 iVm § 7 Abs. 1 Z 2 lit. d GrEStG ermittelt und festgesetzt werden müssen.
4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde des Mitbeteiligten als unbegründet ab.
5 Der Mitbeteiligte beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass es die Grunderwerbsteuer hinsichtlich der dem Mitbeteiligten eingeantworteten Grundstücke mit 815,28 € festsetzte. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, der Mitbeteiligte sei der Sohn der vom Erblasser im Zeitpunkt seines Ablebens geschiedenen Ehegattin, jedoch nicht der leibliche Sohn des Erblassers. Er habe seit seinem vierten Lebensjahr auf dem Hof des Erblassers gelebt. Die Scheidung habe nichts am Vater-Sohn-Verhältnis des Verstorbenen mit dem Mitbeteiligten geändert.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht aus, bei der Anwendung des § 4 Abs. 2 GrEStG handle es sich um eine Begünstigungsbestimmung für die Übertragung bzw. den Erwerb von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen innerhalb eines bestimmten Personenkreises bzw. für bestimmte Erwerbsarten. Zum Verhältnis der Schwägerschaft, das zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten bestehe, werde von der (jüngeren) Lehre als auch der Rechtsprechung der Standpunkt vertreten, dass dieses mit der Auflösung der sie begründenden Ehe erlösche, sofern das Gesetz nicht anderes anordne. Die Ausnahme des § 364c ABGB von der prinzipiellen Verfügungsfreiheit des Liegenschaftseigentümers diene dazu, die Erhaltung des Familienbesitzes zu ermöglichen. Das Verbot könne grundsätzlich nur zwischen den in § 364c ABGB genannten Familienangehörigen begründet werden. Ähnlich wie § 364c ABGB diene § 4 Abs. 2 Z 2 GrEStG 1987 der Begünstigung der Erhaltung des Familienbesitzes. Damit seien analoge Auslegungskriterien sachgerecht. Zu § 364c ABGB vertrete der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass Stiefkinder, sofern sie nicht vom Begriff des Pflegekinds erfasst seien, mit der Beendigung der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe nicht in den Kreis der dort genannten Personen fielen. Stiefelternteile, also mit einem leiblichen Elternteil (verheiratet oder nicht) in Lebensgemeinschaft lebende Personen würden bei Erfüllung der Voraussetzungen unter den Begriff der Pflegeeltern fallen. Bei Übernahme von Betreuungsleistungen und bei Vorliegen einer dem § 184 ABGB entsprechenden emotionalen Bindung könnten sie als Pflegeeltern gelten.
9 Der Mitbeteiligte habe seit seinem vierten Lebensjahr auf dem Hof des Erblassers gelebt und sei in den Haushalt sowie den Lebensablauf des damaligen Stiefvaters eingegliedert gewesen. Der Umstand, dass es 2011 zur Scheidung zwischen der leiblichen Mutter des Mitbeteiligten und dem Verstorbenen gekommen sei, habe nichts am Vater-Sohn-Verhältnis des Mitbeteiligten mit dem Verstorbenen, die trotz Scheidung der Eltern bis zuletzt den gleichen Nachnamen geführt hätten, geändert. Der Mitbeteiligte sei somit unzweifelhaft Pflegekind des Erblassers und gehöre damit zum begünstigten Personenkreis gemäß § 26a Abs. 1 Z 1 GGG. Die Berechnung der Grunderwerbsteuer habe daher unter Berücksichtigung der Begünstigungsbestimmung des § 4 Abs. 2 GrEStG zu erfolgen.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens (§ 36 VwGG) und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten erwogen hat:
11 In der Amtsrevision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung zur Frage, wie die Begriffe „Stief-, Wahl- und Pflegekind“ in § 26a GGG auszulegen seien bzw. ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt diese Eigenschaft ende. Es würden zwar Urteile des Obersten Gerichtshofes, der im Bereich der zivilrechtlichen Rechtsprechung das Höchstgericht sei, vorliegen, jedoch sei diese Rechtsfrage durch den Verwaltungsgerichtshof bislang nicht beantwortet worden. Es könne nicht gleichsam davon ausgegangen werden, dass durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine von diesem geklärte Rechtsfrage auch für Verwaltungsverfahren, bei denen die höchstgerichtliche Entscheidungskompetenz beim Verwaltungsgerichtshof liege, geklärt sei.
12 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.
13 § 4 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 (GrEStG), BGBl. Nr 309/1987 idF BGBl. I Nr. 163/2015, lautete auszugsweise:
(1) Die Steuer ist zu berechnen vom Wert der Gegenleistung (§ 5), mindestens vom Grundstückswert. [...]
(2) Abweichend von Abs. 1 ist bei den nachstehend angeführten Erwerbsvorgängen betreffend land- und forstwirtschaftliche Grundstücke die Steuer vom Einheitswert (§ 6) zu berechnen:
1. [...]
2. bei Erwerb eines Grundstückes durch Erbanfall, durch Vermächtnis oder in Erfüllung eines Pflichtteilsanspruches, wenn die Leistung an Erfüllungs Statt vor Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens vereinbart wird, durch den in § 26a Abs. 1 Z 1 des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. Nr. 501/1984 in der geltenden Fassung, angeführten Personenkreis;
3. [...]
4. [...]
(3) [...]
14 § 26a des Gerichtsgebührengesetz (GGG), BGBl. Nr. 501/1984 idF BGBl. I Nr. 19/2015, lautete auszugsweise:
„(1) Abweichend von § 26 ist für die Bemessung der Eintragungsgebühr bei den nachstehend angeführten begünstigten Erwerbsvorgängen der dreifache Einheitswert, maximal jedoch 30 % des Werts des einzutragenden Rechts (§ 26 Abs. 1), heranzuziehen:
1. bei Übertragung einer Liegenschaft an den Ehegatten oder eingetragenen Partner während aufrechter Ehe (Partnerschaft) oder im Zusammenhang mit der Auflösung der Ehe (Partnerschaft), an den Lebensgefährten, sofern die Lebensgefährten einen gemeinsamen Hauptwohnsitz haben oder hatten, an den Verwandten oder Verschwägerten in gerader Linie, an ein Stief-, Wahl- oder Pflegekind oder deren Kinder, Ehegatten oder eingetragenen Partner, oder an Geschwister, Nichten der Neffen des Überträgers;
2. [...]
[...]“
15 Nach den Materialien zur Grundbuchsgebührennovelle, BGBl. I Nr. 1/2013, erfasst § 26a Abs. 1 Z 1 GGG Übertragungen von Liegenschaften innerhalb der Familie, wobei sich der erfasste Familienkreis im Wesentlichen mit jenem des § 364c ABGB deckt, der die dingliche Wirkung eines im Grundbuch eingetragenen Veräußerungs- und Belastungsverbots regelt. Eine Erweiterung zu § 364c ABGB erfolgt hinsichtlich Übertragungen an Lebensgefährten sowie an Geschwister, Nichten und Neffen des Überträgers. Die Begünstigung unterliegt keiner weiteren Einschränkung und erfasst sämtliche (entgeltliche und unentgeltliche) Liegenschaftsübertragungen innerhalb des angeführten Personenkreises zur Erhaltung des Familienbesitzes (vgl. EBRV 1984 BlgNR 24. GP 7).
16 Für die Auslegung der in § 26a Abs. 1 Z 1 GGG verwendeten Begriffe „Stief-, Wahl- oder Pflegekind“ und die Frage ob bzw. zu welchem Zeitpunkt diese Eigenschaft endet, kann daher auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 364c ABGB zurückgegriffen werden.
17 Danach endet das Angehörigenverhältnis zwischen Stiefeltern und Stiefkindern mit dem Ende der die Schwägerschaft (die Verbindung zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten, § 40 ABGB) - vermittelnden Ehe (vgl. etwa ; , 5 Ob 143/17s).
18 Dies gilt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht für Pflegekinder, sodass Stiefkinder trotz Beendigung der die Schwägerschaft vermittelnden Ehe weiterhin Pflegekinder sein können (vgl. ).
19 Die Pflegeelterneigenschaft nach § 184 ABGB idF KindNamRÄG 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, ist kraft Gesetzes gegeben, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, nämlich die geforderte persönliche, emotionale Beziehung einerseits und die tatsächliche (gänzliche oder teilweise) Besorgung der Pflege und Erziehung andererseits vorliegen. Maßgebend sind die faktischen Verhältnisse (vgl. die in RIS-Justiz RS0127991 wiedergegebene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes; zur Frage des Eintrittes der Volljährigkeit vgl. Weitzenböck in Schwimann/Kodek5 unter FN 5 zu § 184 ABGB).
20 Für die Zuerkennung einer abgabenrechtlichen Begünstigung sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld maßgeblich (vgl. ).
21 Gemäß § 8 Abs. 4 GrEStG entsteht die Steuerschuld bei Erwerben durch Erbanfall mit Rechtskraft des Beschlusses über die Einantwortung.
22 Zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld muss daher das aufrechte familiäre Verhältnis im Sinne des § 26a Abs. 1 Z 1 GGG vorliegen. Im Revisionsfall waren jedoch ausgehend von den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (§ 41 VwGG), zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses sowohl das Stiefkindverhältnis (aufgrund der geschiedenen Ehe zwischen der leiblichen Mutter des Mitbeteiligten und dem Erblasser) als auch das Pflegekindverhältnis (mangels aufrechten Bestehens der Tatbestandsmerkmale des § 184 ABGB) bereits beendet.
23 Da das Bundesfinanzgericht zu Unrecht vom Vorliegen eines begünstigten Erwerbsvorgangs nach § 26a Abs. 1 Z 1 GGG ausgegangen ist, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | ABGB §184 idF 2013/I/015 ABGB §364c ABGB §40 BAO §4 GGG 1984 §26a Abs1 Z1 GrEStG 1987 §4 Abs2 Z2 GrEStG 1987 §8 Abs4 KindNamRÄG 2013 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021160098.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-45785