VwGH 28.03.2023, Ra 2021/16/0097
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | FinStrG §138 Abs2 lita VStG §44a Z1 |
RS 1 | Gemäß § 138 Abs. 2 lit. a FinStrG, der inhaltlich dem § 44a Z 1 VStG entspricht, hat der Spruch eines nicht auf Einstellung lautenden Erkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu bezeichnen. Das inkriminierte Verhalten ist im Bescheidspruch und nicht nur in der Begründung zu umschreiben (vgl. als Beispiel für viele etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/16/0044, mit Hinweis auf die Anwendbarkeit der hg. Rechtsprechung zu § 44a VStG). Bezieht sich der Schuldspruch auf einen sonstigen Tatbeitrag im Sinne des § 11 letzter Fall FinStrG, so ist im Spruch des Erkenntnisses daher zum Ausdruck zu bringen, worin der Tatbeitrag bestanden hat. (Im vorliegenden Fall wird im Spruch des angefochtenen Bescheides zwar angeführt, wozu der Beschwerdeführer beigetragen habe. Durch welches Verhalten dies geschehen sei, hat die belangte Behörde im Spruch der Entscheidung jedoch unerwähnt gelassen.) |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2005/13/0153 E RS 1 (hier nur die ersten beiden Sätze) |
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RS 2 | Der Abgabenpflichtige beauftragte den Steuerberater im Februar 2015 mit seiner steuerlichen Vertretung, wobei vereinbart wurde, dass der Steuerberater die Jahressteuererklärungen erstellen sollte. Den Steuerberater traf daher kraft freiwilliger Pflichtenübernahme die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten des Abgabenpflichtigen hinsichtlich der Jahressteuererklärung 2015. Dies umfasste zweifellos die Einreichung der Abgabenerklärung für die Einkommensteuer 2015 des Abgabenpflichtigen gemäß §§ 133, 134 BAO. |
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RS 3 | Da bei § 33 Abs. 1 FinStrG das Tatbild nicht mit einem schlichten Unterlassen vertypt und damit als unechtes Unterlassungsdelikt konzipiert ist, setzt die Vollendung der Abgabenhinterziehung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, somit der Abgabenverkürzung, voraus. |
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RS 4 | Zum objektiven Tatbestand eines vorsätzlichen, vollendeten Unterlassungsdelikts gehört die tatsächliche Handlungsmöglichkeit des Täters. Der Täter muss aufgrund der physisch-realen Möglichkeiten in der Lage sein, das gebotene Tun vorzunehmen. Die objektive Handlungsmöglichkeit gehört zum objektiven und subjektiven Tatbestand des Unterlassungsdelikts und ist dann nicht gegeben, wenn dem Unterlassenden die Vornahme der gebotenen Handlung in Ermangelung notwendiger Hilfsmittel, intellektuellen Fähigkeiten oder Erfahrungen unmöglich ist. Der Vorsatz des Unterlassungstäters muss sich auf das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Situation, sowie auf die Möglichkeit einer eigenen erfolgsabwendenden Handlung beziehen und auch die eigene Garantenstellung umfassen (OGH RS 0089546; vgl. etwa ; 12 Os 76/21z, mwN). |
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RS 5 | Im Fall einer Abgabenverkürzung durch Unterlassung unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG sind auch Feststellungen zur realen Handlungsmöglichkeit des Täters, die pflichtgemäße Handlung vorzunehmen, erforderlich. In diesem Fall ist darüber hinaus zu prüfen, ob sich der Vorsatz des Täters auf die Möglichkeit bezogen hat, die Abgabenverkürzung durch Vornahme der pflichtgemäß gebotenen Handlung abzuwenden. |
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RS 6 | Unmittelbarer Täter im Sinn des § 11 erster Fall FinStrG - und daher auch Mittäter - kann nur derjenige sein, den eine abgabenrechtliche Offenlegungspflicht und Wahrheitspflicht trifft. Im Fall der Bevollmächtigung eines steuerlichen Vertreters (§ 83 BAO) durch den Abgabenpflichtigen kommt auch der steuerliche Vertreter als unmittelbarer Täter einer Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG in Betracht (vgl. RIS-Justiz RS 0086880). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision des Mag. A B in W, vertreten durch Mag. Lukas Friedl, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7300063/2020, betreffend Abgabenhinterziehung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Amt für Betrugsbekämpfung, Bereich Finanzstrafsachen), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Schuldspruch, im Ausspruch über die Strafe sowie die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Finanzstrafverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom benachrichtigte die Staatsanwaltschaft Wien das damalige Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg als Finanzstrafbehörde von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Revisionswerber wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung nach § 33 FinStrG. Begründend führte die Staatsanwaltschaft Wien aus, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der eine gerichtliche Strafbarkeit begründende strafbestimmende Wertbetrag von € 100.000 vorsätzlich überschritten worden sei, weshalb das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gemäß § 202 FinStrG einzustellen gewesen sei.
2 Mit Erkenntnis des Spruchsenates beim damaligen Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg als Finanzstrafbehörde vom wurde das gegen den Revisionswerber und gegen Dr. E eingeleitete Finanzstrafverfahren wegen des Vorwurfs, sie hätten grob fahrlässig unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht und zwar dadurch, dass Abgaben die bescheidmäßig festzusetzen seien, zu niedrig festgesetzt worden seien, Abgabenverkürzungen an Einkommensteuer 2014 iHv € 6.988 und an Einkommensteuer 2015 in der Höhe von € 66.210 bewirkt, wobei der Revisionswerber als ehemaliger Steuerberater von Dr. E diesen dazu bestimmt habe, wodurch beide die Finanzvergehen der grob fahrlässigen Abgabenverkürzungen nach § 34 Abs. 1 FinStrG begangen hätten, gemäß § 136 FinStrG eingestellt.
3 Begründend führte der Spruchsenat beim damaligen Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg - soweit hier relevant - aus, Dr. E sei selbständiger Rechtsanwalt und habe Mitte Februar 2015 den Revisionswerber mit seiner steuerlichen Vertretung beauftragt, wobei vereinbart worden sei, dass der Revisionswerber lediglich die Jahressteuererklärungen erstelle. Sowohl die Einkommensteuererklärung für 2014, als auch für 2015 seien nicht fristgerecht abgegeben worden. Für das Jahr 2015 sei die Einkommensteuererklärung längstens bis zum abzugeben gewesen. Der Revisionswerber habe Dr. E demnach aufgefordert, ihm Unterlagen zu übergeben, wobei Dr. E dies ca. eine Woche nach Aufforderung auch getan habe. Betreffend das Jahr 2015 sei ein Erstbescheid am ergangen, der eine Steuerlast von Null aufgewiesen habe. Am habe der Revisionswerber dagegen Beschwerde erhoben, sei im Weiteren aber einem Mängelbehebungsauftrag nicht nachgekommen, sodass die Beschwerde als zurückgenommen gegolten habe. Mit sei amtswegig ein berichtigter Einkommensteuerbescheid 2015 erlassen worden. Durch das Unterlassen der Einbringung der Einkommensteuererklärungen sei ein zeitlicher Abgabenausfall für das Jahr 2015 in der Höhe von € 66.210 entstanden. Es könne nicht festgestellt werden, dass Dr. E die Sorgfalt, zu der er verpflichtet gewesen sei, außer Acht gelassen habe. Er habe sich zeitgerecht darauf verlassen, dass er den Revisionswerber mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung beauftragt habe und habe zu Recht erwartet, dass dieser ihn auffordern werde, die notwendigen Schritte (Übermittlung der Unterlagen) zu setzen.
4 Der Revisionswerber wäre zwar verhalten gewesen, Dr. E zeitgerecht aufzufordern, die entsprechenden Unterlagen zu übermitteln. Dabei müsse man bedenken, dass insofern ein besonderer Fall vorläge, als Dr. E und der Revisionswerber ihre Kanzleien in einem Bürogebäude gehabt hätten und wesentliche Teile der Kommunikation zwischen den beiden am Gang des Gebäudes stattgefunden habe. So sei ein etwas schlampiges Verhältnis entstanden und es sei durchaus nachvollziehbar, dass der Revisionswerber jedenfalls für das Jahr 2015 der Meinung gewesen sei, Dr. E immer wieder zeitgerecht aufgefordert zu haben, Unterlagen vorzulegen, diese aber dann nicht erhalten habe, sodass er eine Steuererklärung nicht habe erstellen können. Tatsächlich habe er auch für das Jahr 2015 fristgerecht nicht alle Unterlagen gehabt. Indem er Dr. E nicht mit entsprechendem Nachdruck (schriftlich oder per E-Mail) fristgerecht aufgefordert habe, die Unterlagen vorzulegen, habe er sorgfaltswidrig gehandelt, aber aufgrund der besonderen Verhältnisse nicht so ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig, dass ihm der Eintritt eines gesetzlichen Tatbildes als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar gewesen sei. Beim Revisionswerber sei der von der Behörde durchzuführende Nachweis eines grob fahrlässigen Verhaltens nicht gelungen, so dass das Verfahren gegen Dr. E eindeutig und gegen den Revisionswerber im Zweifel einzustellen gewesen sei.
5 Der gegen dieses Erkenntnis des Spruchsenates erhobenen Beschwerde der Amtsbeauftragten gab das Bundesfinanzgericht (BFG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Revisionswerbers teilweise statt. Das BFG änderte das angefochtene Erkenntnis des Spruchsenates dahingehend ab, dass der Revisionswerber schuldig sei, vorsätzlich als damaliger Steuerberater von Dr. E diesen durch die nicht fristgerechte Einreichung einer korrekten und vollständigen Einkommensteuererklärung 2015 dazu bestimmt zu haben, dass unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht die Einkommensteuer 2015 von Dr. E in der Höhe von € 66.210, die bescheidmäßig festzusetzen gewesen sei, zu niedrig festgesetzt worden sei, wodurch er das Finanzvergehen der Beteiligung an der Abgabenhinterziehung nach §§ 11, 33 Abs. 1 FinStrG begangen habe.
6 Das BFG verhängte über den Revisionswerber eine Geldstrafe in Höhe von € 25.000, sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 25 Tagen für den Fall der Uneinbringlichkeit, sprach die Geldstrafe und die Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 21 Abs. 3 FinStrG als Zusatzstrafen zu der zuletzt mit Erkenntnis des Spruchsenates vom verhängten Strafe aus, setzte die Kosten des Finanzstrafverfahrens mit € 500 fest, wies die Beschwerde hinsichtlich der Anlastung einer Verkürzung der Einkommensteuer 2014 in der Höhe von € 6.988 im Zweifel als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Begründend führte das BFG - soweit hier relevant - aus, der Einkommensteuerbescheid 2015 vom (Schätzung gemäß § 184 BAO, da keine Erklärung eingereicht worden sei) sei mit Gutschrift gegenüber den Vorauszahlungen von € 30.000 mit Null Euro festgesetzt worden. Mit Zustellung dieses Bescheides sei die Verkürzung bewirkt worden. Die Betriebsprüfung bei Dr. E habe am begonnen. Mit Beschwerdevorentscheidung vom sei die Beschwerde vom ua. gegen den Einkommenssteuerbescheid vom als zurückgenommen erklärt worden, da die Mängel der Beschwerde nicht fristgerecht behoben worden seien. Der Einkommensteuerbescheid 2015 mit einer Nachforderung vom € 96.210 sei am ergangen; mit Zustellung dieses Bescheides sei die Verkürzung bewirkt. Der Tatzeitpunkt für die vollendete Abgabenverkürzung 2015 sei der Tag der Zustellung des Bescheides am .
8 Da eine korrekte und fristgerechte Einreichung der Einkommensteuererklärung 2015 durch den Revisionswerber nicht erfolgt sei, habe dieses Verhalten zu der im Abgabenverfahren festgestellten Verkürzung der Einkommensteuer 2015 in der Höhe von € 66.210 geführt. Die genaue Höhe der Verkürzungsbeträge ergebe sich aus dem Betriebsprüfungsbericht vom . Die objektive Tatseite einer Abgabenhinterziehung des Jahres 2015 gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG sei damit gegeben. Eine Beteiligung an einer Finanzstraftat sei nur bis zu deren Vollendung möglich, dies sei der Zeitpunkt der Zustellung der Schätzbescheide für die Einkommensteuer 2015 gewesen. Das Untätigbleiben des Revisionswerbers gegenüber der Abgabenbehörde aufgrund der einschlägigen Ausbildung als Steuerberater sei ein In-Kauf-Nehmen und ein Sich-Damit-Abfinden, dass es mit dem Schätzbescheid (Einkommensteuer 2015) zu einer unrichtigen Abgabenfestsetzung kommen werde, da die korrekte Steuerbemessungsgrundlage vom Revisionswerber als dafür verantwortlichem steuerlichen Vertreter nicht offengelegt worden sei. Für den Revisionswerber sei das damit verbundene Finanzvergehen der Art nach und in groben Umrissen aufgrund seiner Ausbildung als Steuerberater bekannt gewesen. Dadurch habe der Revisionswerber den abgabenpflichtigen Dr. E zur Abgabenhinterziehung für 2015 bestimmt, sodass die objektive Tatseite einer Bestimmung zur Abgabenhinterziehung gemäß § 11, 33 Abs. 1 FinStrG gegeben sei.
9 Von einem Steuerberater könne man erwarten, wenn er damit rechne, dass Fristen nicht eingehalten werden könnten, entsprechende Anträge zu stellen, um entsprechende Säumnisfolgen abzuwenden. Mit dieser Untätigkeit habe es der Revisionswerber für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dass es zu Verkürzungen komme. Es stehe außer Streit, dass zwischen dem abgabenpflichten Dr. E und dem Revisionswerber als seinem damaligen Steuerberater Kommunikationsschwierigkeiten bestanden hätten und laut dem Revisionswerber die Unterlagen nicht oder sehr schleppend übergeben worden seien. Der Revisionswerber habe - obwohl er gewusst habe, dass die Fristen zur Einreichung der Steuererklärungen schon abgelaufen seien - keine weiteren Verfahrensschritte gegenüber der Abgabenbehörde gesetzt, dass es nicht zur Schätzung komme und er doch noch Zugriff zu den seiner Meinung nach benötigten Unterlagen seines Mandanten zur Erstellung und Einreichung der Steuerklärung erhalte. Zudem habe er seinen Mandanten nicht über den Eintritt der Erklärungsverpflichtung informiert und auf die Folgen bei Nichttätigwerden hingewiesen (Schätzungsverpflichtung der Behörde). Der Revisionswerber habe demnach durch sein Untätigbleiben in der Erklärungslegung zur Einkommensteuer 2015 den Abgabepflichtigen zu einer namhaften Verkürzung bestimmt. Der Revisionswerber habe es hinsichtlich der Einkommensteuer 2015 ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, dass durch die Nichteinreichung der entsprechenden Jahressteuererklärung eine Verkürzung bewirkt werde und er Dr. E dazu bestimmt habe, indem er als dessen steuerlicher Vertreter die Erklärungen nicht nach Abberufung eingereicht habe.
10 Die dagegen erhobene Revision legte das BFG dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor.
11 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit ua. vor, das BFG werfe dem Revisionswerber als Tathandlung die nicht fristgerechte Einreichung einer korrekten Einkommensteuererklärung, sohin eine Unterlassung vor, ohne festzustellen, ob dem Revisionswerber die rechtzeitige Beschaffung der erforderlichen Unterlagen möglich gewesen wäre. Es fehle zudem Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob die objektive und tatsächliche Handlungsmöglichkeit des Unterlassenden zur Erfüllung der gebotenen Handlung (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal einer eine Tathandlung bildenden Unterlassung sei. Es fehle auch Rechtsprechung zur Frage, ob die Unterlassung der Stellung von Fristerstreckungsanträgen eine Tathandlung im Sinne von § 33 Abs. 1 FinStrG darstellen könne.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
13 Die Revision ist aus den genannten Gründen im Ergebnis zulässig und auch begründet.
Zu den maßgeblichen Rechtsvorschriften
14 § 11 Finanzstrafgesetz (FinStrG), BGBl. Nr. 129/1958 idF BGBl. Nr. 335/1975, lautet samt Überschrift:
„Behandlung aller Beteiligten als Täter.
§ 11. Nicht nur der unmittelbare Täter begeht das Finanzvergehen, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, es auszuführen, oder der sonst zu seiner Ausführung beiträgt.“
15 § 33 FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958 idF BGBl. I Nr. 14/2013, lautet auszugsweise samt Überschrift:
„Abgabenhinterziehung.
§ 33. (1) Der Abgabenhinterziehung macht sich schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.
(2) Der Abgabenhinterziehung macht sich weiters schuldig, wer vorsätzlich
a) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1994 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Umsatzsteuer (Vorauszahlungen oder Gutschriften) oder
b) unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des Einkommensteuergesetzes 1988 sowie dazu ergangener Verordnungen entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung von Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen oder Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag
bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß hält.
(3) Eine Abgabenverkürzung nach Abs. 1 oder 2 ist bewirkt,
a) mit Bekanntgabe des Bescheides, mit dem bescheidmäßig festzusetzende Abgaben zu niedrig festgesetzt wurden oder wenn diese infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruches mit dem Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist (Anmeldefrist, Anzeigefrist) nicht festgesetzt werden konnten,
[...]“.
16 Gemäß § 133 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) bestimmen die Abgabenvorschriften, wer zur Einreichung einer Abgabenerklärung verpflichtet ist. Zur Einreichung ist ferner verpflichtet, wer hiezu von der Abgabenbehörde aufgefordert wird. Die Abgabenerklärungen für die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Umsatzsteuer sowie für die Feststellung der Einkünfte (§ 188) sind gemäß § 134 Abs. 1 BAO bis zum Ende des Monats April jeden Folgejahres einzuzahlen. Diese Abgabenerklärungen sind bis Ende des Monats Juni einzureichen, wenn die Übermittlung elektronisch erfolgt. Diese Fristen können vom Bundesminister für Finanzen allgemein erstreckt werden. Die Abgabenbehörde kann gemäß § 134 Abs. 2 BAO im Einzelfall auf begründeten Antrag die in Abgabenvorschriften bestimmte Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung verlängern. Wird einem Antrag auf Verlängerung der Frist zur Einreichung der Abgabenerklärung nicht stattgegeben, so ist für die Einreichung der Abgabenerklärung eine Nachfrist von mindestens einer Woche zu setzen.
17 Gemäß § 138 Abs. 2 lit. a FinStrG hat der Spruch des Erkenntnisses, soweit er nicht auf Einstellung lautet, die Bezeichnung der Tat, die als erwiesen angenommen wird, zu enthalten. Die Begründung hat sich gemäß § 139 erster Satz FinStrG auf alle Teile des Spruches zu erstrecken. Für Entscheidungen des BFG über Beschwerden gelten für den Spruch, die Begründung sowie die Zahlungsaufforderung gemäß § 162 Abs. 3 letzter Satz FinStrG die §§ 138 bis 139 sowie § 140 Abs. 5 FinStrG sinngemäß.
Zur Unterlassungshandlung des Revisionswerbers
18 Gemäß § 138 Abs. 2 lit. a FinStrG, der inhaltlich dem § 44a Z 1 VStG entspricht, hat der Spruch eines nicht auf Einstellung lautenden Erkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu bezeichnen. Das inkriminierte Verhalten ist im Bescheidspruch und nicht nur in der Begründung zu umschreiben (vgl. mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , 89/16/0044, mit Hinweis auf die Anwendbarkeit der hg. Rechtsprechung zu § 44a VStG).
19 Das BFG nimmt im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses als Tathandlung der Abgabenhinterziehung des Revisionswerbers die nicht fristgerechte Einreichung „einer korrekten und vollständigen“ Abgabenerklärung für die Einkommensteuer 2015 des Dr. E entgegen §§ 133, 134 BAO - sohin eine Unterlassung - an.
20 Nach den unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses beauftragte Dr. E den Revisionswerber im Februar 2015 mit seiner steuerlichen Vertretung, wobei vereinbart wurde, dass der Revisionswerber die Jahressteuererklärungen erstellen sollte. Den Revisionswerber traf daher kraft freiwilliger Pflichtenübernahme die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten des Dr. E hinsichtlich der Jahressteuererklärung 2015. Dies umfasste zweifellos die Einreichung der Abgabenerklärung für die Einkommensteuer 2015 des Dr. E gemäß §§ 133, 134 BAO.
21 Da bei § 33 Abs. 1 FinStrG das Tatbild nicht mit einem schlichten Unterlassen vertypt und damit als unechtes Unterlassungsdelikt konzipiert ist (vgl. dazu Lehmkuhl in Höpfel/Ratz [Hrsg] WK2 StGB (2023), § 2 Rz 9 ff; Kotschnigg in Tannert/Kotschnigg, FinStrG, 11 Lfg, Rz 58 zu § 33), setzt die Vollendung der Abgabenhinterziehung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, somit der Abgabenverkürzung, voraus. Mit der schlichten Unterlassung der Einreichung der Abgabenerklärung für die Einkommensteuer 2015 des Dr. E entgegen §§ 133, 134 BAO konnte der Revisionswerber das Tatbild der Abgabenhinterziehung somit nicht erfüllen. Der tatbestandsmäßige Erfolg trat erst mit der Bewirkung der Abgabenverkürzung ein. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist in diesem Zusammenhang die Annahme des BFG, die Abgabenverkürzung sei mit Zustellung des mangels Erklärung erlassenen Schätzbescheides für das Jahr 2015 vollendet gewesen, im Hinblick auf § 33 Abs. 3 lit a zweite Alternative FinStrG nicht zu beanstanden. Nach den - von der Revision nicht bestrittenen Feststellungen - erging im Jahr 2015 ein Bescheid über die Einkommenssteuervorauszahlung 2015, sodass der Annahme der Vollendung des Delikts der Abgabenhinterziehung nach der zweiten Alternative des § 33 Abs. 3 lit a FinStrG die Kenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Anspruches entgegenstand (vgl. etwa ).
22 Ausgehend von der dem Revisionswerber vom BFG angelasteten Unterlassungshandlung wäre zur Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges der Abgabenverkürzung im Ausmaß des den endgültigen Einkommensteuerbescheid 2015 unterschreitenden Betrages der Einkommensteuer 2015 laut Schätzbescheid vom die Einreichung einer „korrekten und vollständigen“ Abgabenerklärung (Jahressteuererklärung) für die Einkommensteuer 2015 durch den Revisionswerber erforderlich gewesen.
Zur tatsächlichen Handlungsmöglichkeit des Revisionswerbers
23 Zum objektiven Tatbestand eines vorsätzlichen, vollendeten Unterlassungsdelikts gehört die tatsächliche Handlungsmöglichkeit des Täters. Der Täter muss aufgrund der physisch-realen Möglichkeiten in der Lage sein, das gebotene Tun vorzunehmen (Lehmkuhl in Höpfel/Ratz [Hrsg] WK2 StGB (2023), § 2 Rz 46; Kert in Leitner/Brandl/Kert [Hrsg], Finanzstrafrecht4, Rz 415). Die objektive Handlungsmöglichkeit gehört zum objektiven und subjektiven Tatbestand des Unterlassungsdelikts und ist dann nicht gegeben, wenn dem Unterlassenden die Vornahme der gebotenen Handlung in Ermangelung notwendiger Hilfsmittel, intellektuellen Fähigkeiten oder Erfahrungen unmöglich ist (Lehmkuhl in Höpfel/Ratz [Hrsg] WK2 StGB (2023), § 2 Rz 47). Der Vorsatz des Unterlassungstäters muss sich auf das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Situation, sowie auf die Möglichkeit einer eigenen erfolgsabwendenden Handlung beziehen und auch die eigene Garantenstellung umfassen (OGH RS 0089546; vgl. etwa ; 12 Os 76/21z, mwN).
24 Im Fall einer Abgabenverkürzung durch Unterlassung unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG sind daher auch Feststellungen zur realen Handlungsmöglichkeit des Täters, die pflichtgemäße Handlung vorzunehmen, erforderlich. In diesem Fall ist darüber hinaus zu prüfen, ob sich der Vorsatz des Täters auf die Möglichkeit bezogen hat, die Abgabenverkürzung durch Vornahme der pflichtgemäß gebotenen Handlung abzuwenden.
25 Das BFG stellt dazu in dem angefochtenen Erkenntnis fest, dem Revisionswerber hätten als Steuerberater von Dr. E über seinen Finanz-Online Zugang jederzeit die Informationen über die aktuellen Umsätze seines Mandanten zur Verfügung gestanden. Daraus sei ersichtlich gewesen, dass sich die Ertragslage gegenüber dem Vorjahr wesentlich erhöht habe und somit eine doch wesentlich höhere Einkommensteuerbelastung als mit den festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen zu erwarten gewesen sei. Das BFG geht jedoch in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses davon aus, dass dem Revisionswerber jedenfalls bis zum Zeitpunkt, in dem die Abgabenerklärung für das Jahr 2015 einzureichen gewesen wäre, somit bis zum , die steuerlichen Unterlagen seines Mandanten Dr. E, die zur Erstellung und Einreichung einer vollständigen und richtigen Einkommensteuererklärung 2015 erforderlich gewesen wären, gerade nicht zur Verfügung standen. Das BFG trifft auch keine Feststellungen dahingehend, dass dem Revisionswerber die zur Einbringung einer „korrekten und vollständigen“ Einkommensteuererklärung 2015 erforderlichen Unterlagen und Informationen des Dr. E bis zum Zeitpunkt der Bewirkung der Abgabenhinterziehung durch Zustellung des Schätzbescheides für das Jahr 2015 zur Verfügung gestanden hätten.
26 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, vermögen die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses die im Spruch dem Revisionswerber vorgeworfene Tathandlung der Unterlassung der Einreichung einer „korrekten und vollständigen“ Einkommensteuererklärung 2015 somit nicht zu tragen, weil der Revisionswerber mangels Vorliegen von vollständigen Unterlagen des Dr. E bis zur Bewirkung der Abgabenhinterziehung nicht in der Lage war, eine „korrekte und vollständige“ Einkommensteuererklärung 2015 für Dr. E einzureichen. Die reale Handlungsmöglichkeit des Täters zur Vornahme der pflichtgemäßen Handlung und Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges war damit nicht gegeben. Folglich enthält das angefochtene Erkenntnis auch keine Feststellungen oder Ausführungen zum Vorsatz des Revisionswerbers auf die Möglichkeit einer eigenen erfolgsabwendenden Handlung. Mangels Feststellungen zur realen Handlungsmöglichkeit des Revisionswerbers trägt auch der vom BFG alternativ herangezogene Vorwurf der Unterlassung der Einbringung von Fristerstreckungsersuchen durch den Revisionswerber nicht die im Spruch dem Revisionswerber angelastete Tathandlung.
Ergebnis
27 Indem das BFG dem Revisionswerber infolge der Verkennung der realen Handlungsmöglichkeit als Tatbestandsmerkmal des vollendeten Unterlassungsdeliktes im Spruch eine Tathandlung in Widerspruch zur Begründung des angefochtenen Erkenntnisses anlastet, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Da das angefochtene Erkenntnis schon aus den genannten Gründen im Schuldspruch, im Ausspruch über die Strafe sowie des damit im untrennbaren Zusammenhang stehenden Ausspruchs über die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Finanzstrafverfahrens gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war, war auf das übrigen Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
28 Im fortgesetzten Verfahren wird das BFG jedoch zu berücksichtigen haben, dass unmittelbarer Täter im Sinn des § 11 erster Fall FinStrG - und daher auch Mittäter - nur derjenige sein kann, den eine abgabenrechtliche Offenlegungspflicht und Wahrheitspflicht trifft. Im Fall der Bevollmächtigung eines steuerlichen Vertreters (§ 83 BAO) durch den Abgabenpflichtigen kommt auch der steuerliche Vertreter als unmittelbarer Täter einer Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG in Betracht (vgl. Lässig in Höpfel/Ratz (Hrsg), WK2 StGB, § 11 FinStrG Rz 3; RIS-Justiz RS 0086880). Nach den unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses beauftragte Dr. E den Revisionswerber im Februar 2015 mit seiner steuerlichen Vertretung, wobei vereinbart wurde, dass der Revisionswerber die Jahressteuererklärungen erstellen sollte. Das BFG wird sich im fortgesetzten Verfahren somit auch mit der Täterschaftsform der dem Revisionswerber angelasteten Abgabenhinterziehung auseinander zu setzen haben.
29 Für das fortgesetzte Verfahren ist das BFG zudem darauf hinzuweisen, dass sich die Begründung eines Straferkenntnisses gemäß § 139 Abs. 1 FinStrG auf alle Teile des Spruches (§ 138) zu erstrecken hat; sie hat in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit anzugeben, welche Tatsachen die Finanzstrafbehörde als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschehen ist, ferner, von welchen Erwägungen sie bei der Würdigung der vorgebrachten Einwendungen und bei der Entscheidung von Rechtsfragen geleitet wurde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2012/08/0024, und vom , 2007/05/0231, beide mwN) erfordert die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. etwa ; vgl. näher das hg. Erkenntniss vom , Ro 2014/03/0076, mwN; zur Begründungspflicht in Finanzstrafverfahren vgl. ).
30 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
31 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild) Spruch Begründung (siehe auch AVG §58 Abs2 und §59 Abs1 Spruch und Begründung) |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021160097.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-45784