VwGH 30.07.2024, Ra 2021/16/0012
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Norm | FamLAG 1967 §6 Abs5 |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH sollte nach der Absicht des Gesetzgebers in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt war, kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen, wobei es nicht auf die Art der Unterbringung ankam (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand (vgl. ; , 2002/15/0181; , 2003/13/0162; , 2001/15/0075). Diese Sichtweise wurde vom VwGH - im Hinblick auf den mit dem Familienbeihilfenrecht verfolgten Zweck (Entlastung des Unterhaltsbelasteten) und den typisierenden Charakter der Regelungen des FamLAG 1967 (vgl. , mwN) - für sämtliche Fallkonstellationen, in denen der typische Lebensunterhalt (ua Unterkunft, Bekleidung, Verpflegung) durch die öffentliche Hand gedeckt wird, vertreten (vgl. ; , Ra 2017/16/0053; sowie , Ra 2014/16/0014, zum Ausschluss der Familienbeihilfe subsidiär Schutzberechtigter, die Leistungen aus der Grundversorgung erhalten; , 2011/16/0173, bei Strafgefangenen; , 2007/13/0120, bei Ableistung des Zivildienstes; , 2004/15/0103, bei Ableistung des Präsenzdienstes). Zur Frage, inwieweit ein Beitrag zu den Unterhaltskosten Auswirkungen auf den Eigenanspruch der Kinder haben kann, hat der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass eine gänzliche Unterhaltstragung durch die öffentliche Hand nicht mehr gegeben ist, wenn das Kind selbst zum eigenen Unterhalt beiträgt (vgl. etwa , mwN, zu einem Kind, das Pflegegeld und eine Waisenpension bezogen hatte). Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass mit der Änderung des § 6 Abs. 5 FamLAG 1967 (mit BGBl. I Nr. 77/2018) eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH beabsichtigt worden wäre. Nicht nur, dass nach den Gesetzesmaterialien (386/A 26. GP 2) lediglich eine "gesetzliche Präzisierung" - und nicht etwa eine Neuregelung - vorgenommen werden sollte, bewegen sich die darin getätigten weiteren Ausführungen auf dem Boden der dargelegten bisherigen Rechtsprechung (vgl. zur Voraussetzung der gänzlichen Kostentragung durch die öffentliche Hand ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2020/16/0048 E RS 1 (hier nur die ersten beiden Sätze) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der R R in L, vertreten durch die VertretungsNetz Erwachsenenvertretung in Linz, diese vertreten durch Mag. Josef Koller, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Herrenstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5101471/2016, betreffend Familienbeihilfe März 2010 bis Februar 2012 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: (nunmehr) Finanzamt Österreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom wies das damalige Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr (nunmehr: Finanzamt Österreich, im Folgenden: Finanzamt) den Eigenantrag der Revisionswerberin auf (erhöhte) Familienbeihilfe für den Zeitraum ab März 2010 ab. Das Finanzamt führte begründend aus, die Revisionswerberin habe trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen (betreffend die Tragung der Lebenshaltungskosten) nicht beigebracht.
2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die Revisionswerberin vor, sie habe von Februar 2010 bis Oktober 2013 im Übergangswohnheim S sowie im Heim B gewohnt und dafür Wohnkosten getragen. Von Oktober 2013 bis März 2015 habe sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in einer Wohnung gewohnt und sei nicht auf Kosten der öffentlichen Hand vollständig versorgt worden. Seit März 2015 sei sie selbst Mieterin einer Wohnung in L und habe dafür den Mietzins zu zahlen. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe lägen somit vor. Der Grad ihrer Behinderung betrage mindestens 50 %. Aufgrund ihrer schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres vorhandenen Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ und einer leichten Intelligenzminderung sei sie voraussichtlich dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab das Finanzamt der Beschwerde teilweise statt und schränkte die Abweisung des gegenständlichen Antrags auf den Zeitraum März 2010 bis Februar 2012 ein. Die dauernd erwerbsunfähige Revisionswerberin habe von März 2010 bis Februar 2012 Sozialhilfe bzw. ein Einkommen nach dem Oö. Chancengleichheitsgesetz (Oö. ChG) bezogen und ausschließlich von diesen Sozialhilfebezügen gelebt. Da die Tragung der Lebenshaltungskosten somit zur Gänze durch die öffentliche Hand erfolgt sei, bestehe für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe. Erst ab März 2012 habe die Revisionswerberin Bezüge von der Gebietskrankenkasse bzw. dem Arbeitsmarktservice (AMS) bezogen.
4 Die Revisionswerberin beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde - wie das Finanzamt im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung - teilweise Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass es die Abweisung des Eigenantrags auf den Zeitraum März 2010 bis Februar 2012 einschränkte. Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht aus, für die am geborene Revisionswerberin sei seit Jahren für die Vertretung vor Gerichten, Behörden, und Sozialversicherungsträgern, die Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten sowie für den Abschluss von Rechtsgeschäften, die über die Geschäfte des täglichen Lebens hinausgingen, ein Sachwalter (Erwachsenenvertreter) bestellt. In der Bescheinigung des Bundessozialamts (Sozialministeriumservice) vom sei der Grad der Behinderung der Revisionswerberin mit 50 % ab festgestellt worden. Aufgrund der Behinderung sei die Revisionswerberin dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Revisionswerberin sei bereits vor dem 18. Lebensjahr eingetreten. Von den Eltern der Revisionswerberin würden ihr keine Unterhaltsleistungen erbracht. Laut Zentralem Melderegister sei die Revisionswerberin im Zeitraum vom bis zum in Unterkünften des Sozialvereins B, danach in privaten Unterkünften gemeldet gewesen. Der Sozialverein B biete wohnungslosen Menschen eine Wohnmöglichkeit sowie Betreuung an. Die Arbeit des Vereins sei geprägt von multidisziplinärer, klientenzentrierter Sozialarbeit in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen. Der Vorstand des Sozialvereins sei mit Vertretern der Stadtpolitik und -verwaltung sowie Fachleuten aus dem Sozialbereich besetzt. In neun verschiedenen Einrichtungen übernehme der Verein operativ Aufgaben der städtischen Sozialverwaltung. Die Finanzierung erfolge wesentlich über das Land Oberösterreich.
7 Die Revisionswerberin sei in den Jahren 2010 bis 2012 keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, habe kein Pflegegeld bezogen und keinerlei Leistungen vom AMS erhalten. Die Revisionswerberin habe eine „Nutzungspauschale“ für die Benützung der vom Sozialverein B zur Verfügung gestellten Wohnmöglichkeit geleistet, die zur Gänze aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung (ein subsidiäres Mindesteinkommen, das dem von der Revisionswerberin angeführten „Einkommen nach dem Oö. ChG“ entspreche) bestritten worden sei. Für den Zeitraum vom bis zum sei eine Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ASVG ausgewiesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände habe die Revisionswerberin damit im Zeitraum von März 2010 bis Februar 2012 ausschließlich Leistungen der Sozialhilfe nach dem Oö. ChG bezogen und damit ihren Lebensunterhalt bestritten.
8 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch nach dem Willen des Gesetzgebers solle jedenfalls kein Beihilfenanspruch bestehen, wenn für den Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand gesorgt werde. Wie bereits das Finanzamt zutreffend in der Beschwerdevorentscheidung festgestellt habe, sei dies im Zeitraum März 2010 bis Februar 2012 der Fall gewesen, so dass für diesen Zeitraum kein Beihilfenanspruch der Revisionswerberin bestehe.
9 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG idF BGBl. Nr. 311/1992 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).
14 § 6 Abs. 2 lit. d FLAG idF BGBl. Nr. 479/1985 (bzw. ab idF BGBl. I Nr. 111/2010) räumt volljährigen Vollwaisen einen Anspruch auf Familienbeihilfe ein, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. (bzw. 25.) Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll nach der Absicht des Gesetzgebers in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand an (vgl. , mwN).
16 Diese Sichtweise wird vom Verwaltungsgerichtshof - im Hinblick auf den mit dem Familienbeihilfenrecht verfolgten Zweck (Entlastung des Unterhaltsbelasteten) und den typisierenden Charakter der Regelungen des FLAG - für sämtliche Fallkonstellationen, in denen der typische Lebensunterhalt (u.a. Unterkunft, Bekleidung, Verpflegung) durch die öffentliche Hand gedeckt wird, vertreten (vgl. nochmals ; sowie , jeweils mwN).
17 Dass das Bundesfinanzgericht - nach dessen unbestrittenen Feststellungen die Revisionswerberin im Zeitraum März 2010 bis Februar 2012 ausschließlich Leistungen der Sozialhilfe nach dem Oö. ChG bezogen und damit ihren Lebensunterhalt bestritten hat - von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
18 Auch aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 96/14/0140, ergibt sich - entgegen dem Revisionsvorbringen - nichts anderes, hat der Verwaltungsgerichtshof doch dort den Anspruch der damaligen Beschwerdeführerin auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG verneint, weil die Kosten ihrer Unterbringung in einer betreuten Wohngemeinschaft zur Gänze aus Mitteln der Sozialhilfe getragen worden waren.
19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | FamLAG 1967 §6 Abs5 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021160012.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-45743