VwGH 29.03.2023, Ra 2021/15/0110
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Durch das Rechtsinstitut der Aussetzung der Einhebung soll sichergestellt werden, dass Rechtsschutzsuchende nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsmittels belastet werden. Es verlangt nämlich das rechtsstaatliche Prinzip, dass der Beschwerde ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz zukommt (vgl. , mit Hinweis auf ). |
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RS 2 | In verfassungskonformer Interpretation ist davon auszugehen, dass § 212a BAO die Aussetzung der Einhebung des Streitgegenstandes des Hauptverfahrens (Beschwerde gegen den Abgabenbescheid) auch für die Zeit ermöglicht, während der in einem Nebenverfahren geprüft wird, ob die Voraussetzungen einer Beschwerde vorliegen. Wird im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen einen Bescheid, der die den Gegenstand des Hauptverfahrens bildende Beschwerde ohne eine meritorische Entscheidung abschließend erledigt, der Antrag auf Aussetzung nach § 212a BAO gestellt, so sind die Voraussetzungen für die Aussetzung unter Mitberücksichtigung der Gegebenheiten des Hauptverfahrens zu prüfen (vgl. ). |
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RS 3 | Aufgabe des BFG im Aussetzungsverfahren ist es, anhand des Beschwerdevorbringens die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu beurteilen und allenfalls dazu erforderliche (ergänzende) Sachverhaltsfeststellungen zu treffen (vgl. ; , 2000/13/0100, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/15/0012 E RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Salzburg-Land in 5026 Salzburg-Aigen, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/6100006/2021, betreffend Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO (mitbeteiligte Partei: F G in H, vertreten durch Dr. Klaus Michael Plätzer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 5), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt 1 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Das Bundesfinanzgericht (BFG) wies mit Beschluss vom einen Vorlageantrag der mitbeteiligten Partei betreffend die Beschwerde gegen Umsatz- (2009 bis 2013) und Einkommensteuerbescheide (2008 bis 2013), die im Anschluss an eine Außenprüfung ergangen waren, als verspätet zurück.
2 Mit Schriftsatz vom beantragte die mitbeteiligte Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Aussetzung der Einhebung jener Abgaben, deren Höhe mittelbar von der Erledigung der dem Antrag auf Wiedereinsetzung zugrundeliegenden Bescheidbeschwerde abhänge.
3 Die Anträge der mitbeteiligten Partei vom wurden mit Bescheid des Finanzamts vom abgewiesen.
4 Am erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung. Mit einem weiteren Schriftsatz vom stellte sie zudem den Antrag, die Einhebung der Umsatz- und Einkommensteuernachforderungen in Höhe von insgesamt 172.971,58 € bis zur Entscheidung über die Beschwerde vom gemäß § 212a BAO auszusetzen. Die Höhe dieser Abgaben hänge mittelbar von der Erledigung der gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung erhobenen Beschwerde ab.
5 Das Finanzamt erließ am eine Beschwerdevorentscheidung, mit der es der Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags keine Folge gab, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte (Schriftsatz vom ).
6 Unter Hinweis auf die Beschwerdevorentscheidung vom brachte die mitbeteiligte Partei mit Schriftsatz vom einen weiteren Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO ein, wobei der auszusetzende Abgabenbetrag diesmal mit 308.575,58 € beziffert wurde.
7 Mit Bescheiden vom wies das Finanzamt die Anträge auf Aussetzung der Einhebung vom und vom , jeweils unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 96/13/0208, als unbegründet ab.
8 Einer gegen die Bescheide vom eingebrachten Beschwerde gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge, weshalb die mitbeteiligte Partei die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte.
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung vom Folge und änderte den Bescheid des Finanzamtes dahingehend ab, dass es die Aussetzung der Einhebung für einen Betrag von 172.971,58 € bewilligte (Spruchpunkt 1). Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung vom erklärte es - mit der Begründung, dass der Antrag zurückgezogen worden sei - für gegenstandslos (Spruchpunkt 2).
10 Strittig sei, ob zwischen der Höhe der über Antrag der mitbeteiligten Partei auszusetzenden Abgaben und der Erledigung der von der mitbeteiligten Partei eingebrachten Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung eine mittelbare Abhängigkeit im Sinne des § 212a BAO gegeben sei oder nicht.
11 Im gegenständlichen Fall seien Aussetzungsanträge im Zusammenhang mit dem Beschwerdeverfahren betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden. Insoweit gehe der Hinweis des Finanzamts auf das Erkenntnis vom ins Leere, in welchem der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich festgehalten habe, dass nicht über einen mit der Beschwerde gegen den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Bescheid verbundenen Antrag auf Aussetzung der Einhebung abgesprochen worden sei. Im angeführten Erkenntnis werde zudem auf Stoll, BAO-Kommentar, 2976, verwiesen, der den Standpunkt vertrete, dass im Zuge der Beschwerde gegen die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages ein Aussetzungsantrag gestellt werden könne. Auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 97/15/0085, sei einschlägig, laut welchem § 212a BAO die Aussetzung der Einhebung des Streitgegenstandes des Hauptverfahrens auch für die Zeit ermögliche, während der in einem Nebenverfahren geprüft werde, ob die Voraussetzungen einer Beschwerde vorlägen.
12 Dass das Wiedereinsetzungsverfahren wenig erfolgversprechend sei, habe das Finanzamt nicht behauptet bzw. werde dazu auf die Feststellungen aus dem Akteninhalt verwiesen. Der Beschwerde komme somit Berechtigung zu.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich außerordentliche Revision des Finanzamts, welches die Entscheidung insoweit anficht, als der Beschwerde bezüglich des Antrages auf Aussetzung der Einhebung vom Folge gegeben und die Aussetzung der Einhebung für den Betrag von 172.971,58 € bewilligt wurde (Spruchpunkt 1). Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, nach Stoll (BAO-Kommentar, 2976) könne mit der Berufung (nunmehr Beschwerde) gegen die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages ein Aussetzungsantrag verbunden werden, wenn das Ziel des Verfahrens eine Minderung von Abgabenforderungen sei. Rechtsprechung zu dieser Rechtsansicht existiere, abgesehen vom obiter dictum im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 96/13/0208, nicht. Auch fehle es an höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage, ob im Falle eines Beschwerdeverfahrens gegen die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages, die Prüfung nach § 212a Abs. 2 lit. a BAO nur auf Ebene des die Wiedereinsetzung betreffenden Verfahrens zu erfolgen habe.
14 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist zulässig und begründet.
17 § 212a BAO lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 212a. (1) Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.
[...]
(2) Die Aussetzung der Einhebung ist nicht zu bewilligen,
a) soweit die Beschwerde nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint, oder
[...]
(5) Die Wirkung einer Aussetzung der Einhebung besteht in einem Zahlungsaufschub. Dieser endet mit Ablauf der Aussetzung oder ihrem Widerruf (§ 294). Der Ablauf der Aussetzung ist anlässlich einer (eines) über die Beschwerde (Abs. 1) ergehenden
a) Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder
b) Erkenntnisses (§ 279) oder
c) anderen das Beschwerdeverfahren abschließenden Erledigung
zu verfügen. Die Verfügung des Ablaufes anlässlich des Ergehens einer Beschwerdevorentscheidung schließt eine neuerliche Antragstellung im Fall der Einbringung eines Vorlageantrages nicht aus.“
18 Durch das Rechtsinstitut der Aussetzung der Einhebung soll sichergestellt werden, dass Rechtsschutzsuchende nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsmittels belastet werden. Es verlangt nämlich das rechtsstaatliche Prinzip, dass der Beschwerde ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz zukommt (vgl. , mit Hinweis auf ).
19 In verfassungskonformer Interpretation ist daher davon auszugehen, dass § 212a BAO die Aussetzung der Einhebung des Streitgegenstandes des Hauptverfahrens (Beschwerde gegen den Abgabenbescheid) auch für die Zeit ermöglicht, während der in einem Nebenverfahren geprüft wird, ob die Voraussetzungen einer Beschwerde vorliegen. Wird im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen einen Bescheid, der die den Gegenstand des Hauptverfahrens bildende Beschwerde ohne eine meritorische Entscheidung abschließend erledigt, der Antrag auf Aussetzung nach § 212a BAO gestellt, so sind die Voraussetzungen für die Aussetzung unter Mitberücksichtigung der Gegebenheiten des Hauptverfahrens zu prüfen (vgl. ein weiteres Mal ).
20 Das BFG sprach im Revisionsfall über einen Aussetzungsantrag ab, der mit der Beschwerde gegen die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages verbunden war. Die mitbeteiligte Partei hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer durch das Verwaltungsgericht beantragt. Die Höhe dieser Abgaben hängt somit „mittelbar“ von der Erledigung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung ab. Daher stößt es auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken, wenn das BFG die Aussetzung der Einhebung für zulässig erachtet hat.
21 Zu beachten ist allerdings, dass die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a Abs. 2 lit. a BAO nicht zu bewilligen ist, soweit die Beschwerde nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint. Wird im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen einen Bescheid, der die den Gegenstand des Hauptverfahrens bildende Beschwerde ohne eine meritorische Entscheidung abschließend erledigt, der Antrag auf Aussetzung nach § 212a BAO gestellt, so sind die Voraussetzungen für die Aussetzung unter Mitberücksichtigung der Gegebenheiten des Hauptverfahrens zu prüfen (vgl. ).
22 Dies hat das BFG versäumt und es unterlassen, anhand des Beschwerdevorbringens - unter Mitberücksichtigung der Gegebenheiten des Hauptverfahrens - die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu beurteilen und allenfalls dazu erforderliche (ergänzende) Sachverhaltsfeststellungen zu treffen (vgl. ; , 2000/13/0100, mwN).
23 Das angefochtene Erkenntnis des BFG war daher in seinem Spruchteil 1, mit dem dem Antrag auf Aussetzung der Einhebung vom stattgegeben und die Aussetzung der Einhebung eines Betrages von 172.971,58 € bewilligt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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Schlagworte | Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021150110.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-45735