VwGH 22.02.2023, Ra 2021/15/0075
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | EStG 1988 §124b Z53 |
RS 1 | Eine "Abfindung" iSd § 124b Z 53 EStG 1988 liegt nur im Falle der endgültigen Abfindung von Pensionsansprüchen (bzw. -anwartschaften) vor (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Vorarlberg in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 54, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/1100240/2018, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 (mitbeteiligte Partei: A H in H, vertreten durch die Geser & Partner Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungs GmbH & Co KG in 6866 Andelsbuch, Hof 320/9), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der am geborene Mitbeteiligte war als Grenzgänger in der Schweiz tätig. Aufgrund einer konzerninternen Umstrukturierung wechselte er im Streitjahr 2016 zu einer österreichischen Konzerngesellschaft und beendete damit seine Grenzgängertätigkeit. Das in der gesetzlichen Altersversorgung BVG (Schweizer Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom ) (2. Säule) angesparte Altersguthaben in Höhe von 208.450,71 € (230.713,65 CHF), das sich aus einem obligatorischen Anteil in Höhe von 95.033,44 € (105.183,20 CHF) und einem überobligatorischen Anteil in Höhe von 113.417,26 € (125.530,45 CHF) zusammensetzte, wurde auf ein Freizügigkeitskonto überwiesen und auf Antrag des Mitbeteiligten noch im Jahr 2016 als Wohnraumvorbezug im Sinne des Art. 30c BVG ausbezahlt.
2 Im Einkommensteuerbescheid 2016 wurde das dem Mitbeteiligten ausbezahlte Vorsorgeguthaben in Höhe von 208.450,71 € erfasst und zur Gänze zum Tarif besteuert.
3 Der Mitbeteiligte brachte gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 Beschwerde ein und führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen, ein Drittel der Pensionsabfindung steuerfrei zu belassen, lägen vor, weil er keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme einer Pensionsabfindung gehabt habe.
4 Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung mit der Begründung, der Vorbezug für Wohneigentum stelle die Ausübung eines schädlichen Wahlrechts dar, weshalb keine begünstigte Pensionsabfindung vorliege. Außerdem hätte das Vorsorgeguthaben bis zur neuerlichen Aufnahme eines Dienstverhältnisses in der Schweiz bzw. bis zum gesetzlichen Rentenantritt in eine Freizügigkeitseinrichtung übertragen und solcherart für die Altersversorgung gesichert werden können.
5 Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge. Es stellte fest, dass der Mitbeteiligte bis in der Schweiz nichtselbständig tätig gewesen sei und seine nichtselbständige Tätigkeit seit diesem Zeitpunkt - aufgrund konzerninterner Umstrukturierungen - beim selben Arbeitgeber im Inland ausübe. Das in der gesetzlichen Altersversorgung BVG (2. Säule) angesparte Altersguthaben in Höhe von 208.450,71 € (230.713,65 CHF), habe er sich noch im Jahr 2016 als Wohnraumvorbezug im Sinne des Art. 30c BVG auszahlen lassen.
7 In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhalts führte das Bundesfinanzgericht nach Wiedergabe der bezughabenden Gesetzesstellen aus, der Verwaltungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom , Ra 2019/15/0047, bezüglich der Frage, ob das von einem ehemaligen Grenzgänger mittels „Wohnraumvorbezug“ zur Auszahlung gebrachte obligatorische Vorsorgekapital als begünstigte Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 behandelt werden dürfe, die Rechtsauffassung vertreten, dass primär zu klären sei, ob der Vorbezug seinem Wesen nach einer endgültigen Abfindung von Pensionsansprüchen (bzw. -anwartschaften) gleichzuhalten sei. Dies sei, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis zum Ausdruck gebracht habe, erforderlich, weil Art. 30d BVG in bestimmten Fällen eine Rückzahlungsverpflichtung des „Vorbezuges“ vorsehe und überdies dem Versicherten nach derselben Bestimmung (grundsätzlich) das Recht eingeräumt sei, den bezogenen Betrag „jederzeit“ zurückzuzahlen. Würden solche Möglichkeiten auch ehemaligen Grenzgängern offenstehen, läge eine „Abfindung“ iSd § 124b Z 53 EStG 1988 schon deshalb nicht vor, weil im Zeitpunkt der Auszahlung nicht feststünde, ob mit der Inanspruchnahme des Vorbezuges ein finales Verlassen des schweizerischen Vorsorgesystems erfolgt sei.
8 Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/1100195/2020, sei die Ansicht vertreten worden, dass auch ehemaligen Grenzgängern das Recht und die Pflicht zur Rückzahlung des „Vorbezuges“ gemäß Art. 30e Abs. 6 BVG iVm Art. 30d Abs. 1 BVG bzw. Art. 30d Abs. 2 und 3 BVG in den dort angeführten Fällen zustehe. Da im Zeitpunkt der Auszahlung nicht festgestanden habe, dass mit der Inanspruchnahme des Vorbezuges ein finales Verlassen des schweizerischen Vorsorgesystems erfolgt sei, liege - so das Bundesfinanzgericht im angeführten Erkenntnis - keine „Abfindung“ iSd § 124b Z 53 EStG 1988 vor.
9 Im Unterschied dazu habe der Verwaltungsgerichtshof im Zurückweisungsbeschluss vom , Ra 2016/15/0025, die Auszahlung des überobligatorischen Vorsorgekapitals bei einer ehemaligen Grenzgängerin als begünstigte Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 angesehen. Verwiesen werde in diesem Zusammenhang auch auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/15/0107, vom , Ro 2019/15/0003, vom , Ra 2019/15/0065, und vom , Ra 2019/15/0064.
10 In Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung komme das Bundesfinanzgericht zum Ergebnis, dass lediglich hinsichtlich des ausbezahlten überobligatorischen Vorsorgekapitals die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002, zur Anwendung komme, während der obligatorische Anteil der ausbezahlten Freizügigkeitsleistung zur Gänze der Tarifsteuer zu unterziehen sei.
11 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil es bei der Beurteilung der Frage, ob das mittels „Wohnraumvorbezug“ zur Auszahlung gebrachte Vorsorgekapital (obligatorischer und überobligatorischer Anteil) wie ein laufender Bezug zur Gänze der Tarifsteuer zu unterziehen sei oder ob die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002, zur Anwendung komme, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gefolgt sei.
12 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision des Finanzamts trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesfinanzgericht weiche von der im angefochtenen Erkenntnis zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, durch die klargestellt sei, dass ein Wohnraumvorbezug - ungeachtet dessen, ob er aus dem obligatorischen oder überobligatorischen Teil des Vorsorgekapitals dotiert werde - keine Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 darstelle.
13 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig und begründet.
16 Mit BGBl. I Nr. 54/2002 wurde in § 124b Z 53 EStG 1988 ein Satz (dritter Satz) angefügt und dadurch normiert, dass Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen ab dem Jahr 2001 zu einem Drittel steuerfrei sind.
17 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP 2) wird hiezu ausgeführt:
„Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik trifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu versteuern.“
18 Zweck dieser Bestimmung ist es also, eine tarifmäßige Besteuerung von Pensionsabfindungen zu vermeiden, wenn keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme dieser Abfindung besteht (vgl. ).
19 Eine „Abfindung“ iSd § 124b Z 53 EStG 1988 liegt nur im Falle der endgültigen Abfindung von Pensionsansprüchen (bzw. -anwartschaften) vor (vgl. ).
20 Im Erkenntnis vom , Ro 2019/15/0003, hat der Verwaltungsgerichtshof zu einem die liechtensteinische Gesetzeslage betreffenden Fall ausgesprochen, entscheidend sei, ob der Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitspolice hätte aufrechterhalten werden können. Dass die spätere Rentenleistung nicht von der Vorsorgeeinrichtung des früheren Arbeitgebers, sondern von einem „privaten Versicherungsunternehmen“ erfolgt, steht der Annahme eines Wahlrechtes nicht entgegen, sofern ein Verbleib innerhalb des ausländischen Vorsorgesystems trotz Beendigung der Auslandstätigkeit möglich war und daraus ein späterer Rentenbezug hätte erfolgen können (zur schweizerischen Rechtslage vgl. ).
21 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, der Mitbeteiligte, der bis zum in der Schweiz nichtselbständig tätig gewesen sei und seine nichtselbständige Tätigkeit seit diesem Zeitpunkt im Inland ausübe, habe sich das in der gesetzlichen Altersversorgung der Schweiz (BVG 2. Säule) angesparte Altersguthaben in Höhe von 208.450,71 € (230.713,65 CHF) im Jahr 2016 als Wohnraumvorbezug im Sinne des Art. 30c BVG auszahlen lassen.
22 Im Rahmen der rechtlichen Würdigung verweist das angefochtene Erkenntnis sodann auf eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichts vom , RV/1100195/2020, in der die Ansicht vertreten werde, dass auch ehemaligen Grenzgängern das Recht und die Pflicht zur Rückzahlung des „Vorbezuges“ gemäß Art. 30e Abs. 6 BVG iVm Art. 30d Abs. 1 BVG bzw. Art. 30d Abs. 2 und 3 BVG in den dort angeführten Fällen zustehe. Da im Zeitpunkt der Auszahlung nicht festgestanden habe, dass mit der Inanspruchnahme des Vorbezuges ein finales Verlassen des schweizerischen Vorsorgesystems erfolgt sei, liege in Bezug auf die Auszahlung des Altersguthabens, soweit es den obligatorischen Anteil betreffe, keine Abfindung iSd des § 124b Z 53 EStG 1988 vor. Für den überobligatorischen Anteil des Altersguthabens stehe dem Mitbeteiligten - so das Bundesfinanzgericht - die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 zu.
23 Eine nachvollziehbare Begründung für die unterschiedliche Behandlung des obligatorischen und überobligatorischen Altersguthabens, wofür sich auch im Zurückweisungsbeschluss vom , Ra 2016/15/0025, keine Anhaltspunkte finden, enthält das angefochtene Erkenntnis nicht.
24 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | EStG 1988 §124b Z53 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021150075.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-45720