VwGH 29.03.2023, Ra 2021/15/0012
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Es ist nicht Aufgabe des Aussetzungsverfahrens gemäß § 212a BAO, die Beschwerdeentscheidung vorweg zu nehmen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde anhand des Beschwerdevorbringens zu beurteilen (vgl. , mwN). |
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RS 2 | Aufgabe des BFG im Aussetzungsverfahren ist es, anhand des Beschwerdevorbringens die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu beurteilen und allenfalls dazu erforderliche (ergänzende) Sachverhaltsfeststellungen zu treffen (vgl. ; , 2000/13/0100, mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/6100601/2018, betreffend Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO (mitbeteiligte Partei: G T in S, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Im Anschluss an eine Außenprüfung schrieb das Finanzamt der X GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer seit die mitbeteiligte Partei war, Kapitalertragsteuer für die Jahre 2006 bis 2009 vor (Bescheide vom ).
2 Einer dagegen erhobenen Beschwerde der X GmbH vom gab das Bundesfinanzgericht (BFG) mit Erkenntnis vom , RV/XYZ, statt. Wie zuvor das Finanzamt ging auch das BFG vom Vorliegen verdeckter Ausschüttungen an die mitbeteiligte Partei aus. Es vertrat aber den Standpunkt, die Kapitalertragsteuer sei der mitbeteiligten Partei vorzuschreiben, weil die X GmbH zum Zeitpunkt der Vorschreibung insolvent gewesen sei.
3 Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt sodann gegenüber der mitbeteiligten Partei die Kapitalertragsteuer für die Jahre 2006 bis 2009 fest. In der (insgesamt 95 Seiten umfassenden) Begründung zu den Bescheiden vom stellte das Finanzamt die als verdeckte Ausschüttung gewerteten Vorgänge (Barzahlung von Rechnungen angeblicher Subunternehmen, von denen keine Leistungen gegenüber der X GmbH erbracht worden seien) im Detail dar und führte u.a. aus, die Verjährungsfrist für hinterzogene Abgaben betrage zehn Jahre (§ 207 Abs. 2 BAO) und beginne mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei (§ 208 Abs. 1 lit. a BAO). Verdeckte Ausschüttungen könnten bis zum Bilanzstichtag korrigiert werden, weshalb die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres beginne, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei. Die gegenständlichen verdeckten Ausschüttungen seien in Form von nicht nachvollziehbaren Zahlungen im Zusammenhang mit Scheinrechnungen erfolgt. Die mitbeteiligte Partei habe als Gesellschafter und Geschäftsführer der X GmbH gewusst, dass die Zahlungen nicht an die in den Scheinrechnungen angeführten Gesellschaften erfolgt seien. Daher sei von hinterzogenen Abgaben auszugehen. Die Verjährungsfrist für das Jahr 2006 ende am und jene für die Jahre 2007, 2008 und 2009 entsprechend später.
4 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen die Kapitalertragsteuerbescheide vom Beschwerde, beantragte die Aussetzung der Einhebung der Kapitalertragsteuer gemäß § 212a BAO und führte zur Begründung aus, sie habe immer bestritten, um die Mangelhaftigkeit der Rechnungen gewusst zu haben. In der Beschwerde der X GmbH sei auch dargelegt worden, dass die vom Finanzamt inkriminierten Rechnungen mit tatsächlich erbrachten Leistungen korrespondierten. Nachdem das Finanzamt der X GmbH durch Erlassung mehrerer Sicherstellungsaufträge jegliche Liquidität entzogen habe, habe die Gesellschaft einen Konkursantrag gestellt. Das sodann eingeleitete Konkursverfahren sei zwischenzeitig beendet worden. Die mitbeteiligte Partei sei in einem Strafverfahren wegen grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen freigesprochen worden, nachdem sich gezeigt habe, dass sie und die X GmbH im Hinblick auf die insbesondere in den Jahren 2007, 2008 und 2009 notwendig gewordenen Fremdleistungen nicht sorgfaltswidrig gehandelt hätten. Die mit den inkriminierten Rechnungen dokumentierten Fremdleistungen seien erbracht worden.
5 Das Finanzamt gab der Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom keine Folge, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte.
6 Mit einem weiteren Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO mit der Begründung ab, dass die Beschwerde wenig erfolgversprechend sei, weil das BFG das Vorliegen verdeckter Ausschüttungen bejaht und die Haftungsbescheide gegenüber der X GmbH nur wegen deren Vermögenslosigkeit aufgehoben habe. Zudem habe die mitbeteiligte Partei, um die der X GmbH vorgeschriebene Kapitalertragsteuer nicht begleichen zu müssen, den Konkurs der Gesellschaft beantragt. Ihr Verhalten sei daher auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet.
7 Die mitbeteiligte Partei erhob auch gegen diesen Abweisungsbescheid Beschwerde und führte zur Begründung aus, von einer wenig erfolgversprechenden Beschwerde könne keine Rede sein, weil sie in der Bescheidbeschwerde die Verjährung der zur Aussetzung beantragten Abgabenansprüche eingewandt habe. Das Nichtvorliegen der Verjährung ergebe sich laut Finanzamt aus der nicht substantiierten Annahme, die mitbeteiligte Partei habe gewusst, dass die als verdeckte Ausschüttung gewerteten Beträge nicht an in Scheinrechnungen ausgewiesene Unternehmen geflossen seien. Es treffe nicht zu, dass das Verhalten der mitbeteiligten Partei auf die Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgaben gerichtet sei. Ein solches Verhalten könne nach der Judikatur nur vorliegen, wenn Vermögen oder Vermögensbestandteile beiseitegeschafft oder an Dritte übertragen worden seien. Das habe die mitbeteiligte Partei nicht getan.
8 Das Finanzamt wies die Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragte.
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde statt. Dies mit der Begründung, dass die Beurteilung der Frage, ob Abgaben hinterzogen seien, eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraussetze. Dabei sei vor allem darauf Bedacht zu nehmen, dass eine Abgabenhinterziehung Vorsatz als Schuldform erfordere und erst als erwiesen gelte, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der Vorsatz feststehe. Dieser Anforderung werde das Finanzamt nicht gerecht, „wenn es lediglich ausführt, dass die wegen Kapitalertragsteuer gegen die GmbH ergangenen Haftungsbescheide nur im Zuge des Ermessens wegen Vermögenslosigkeit derselben aufgehoben wurden und die Kapitalertragsteuer dem Steuerschuldner direkt vorzuschreiben war.“ Bei Festsetzung der Kapitalertragsteuer gegenüber der GmbH komme es auf kein Verschulden an und der Vorwurf, „dass aufgrund des festgestellten Sachverhaltes nur aufgrund des Wissens [der mitbeteiligten Partei] darüber von einer verdeckten Gewinnausschüttung ausgegangen werden konnte, stellt ebenfalls keine konkrete eindeutige Feststellung für eine Abgabenhinterziehung dar“. Ohne konkrete Feststellungen sei die Gleichstellung einer verdeckten Ausschüttung mit einer Abgabenhinterziehung nicht möglich. Die Beschwerde sei daher im Hinblick auf den Einwand der Verjährung iZm hinterzogenen Abgaben nicht als wenig erfolgversprechend anzusehen.
10 Ein auf die Gefährdung der Einbringung gerichtetes Verhalten liege nach ständiger Rechtsprechung und Kommentarmeinung nur vor, wenn Vermögen oder Vermögensbestandteile beiseitegeschafft oder an Dritte übertragen würden. Derartiges sei den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen und werde vom Finanzamt nicht vorgebracht und der Vorwurf, dass es bei mehreren GmbHs der mitbeteiligten Partei wegen Scheinrechnungen zu erheblichen Abgabennachforderungen gekommen sei, gehe ins Leere, weil es sich dabei um andere Steuersubjekte mit eigener Rechtspersönlichkeit handle.
11 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision des Finanzamts bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Beschwerde anhand des Vorbringens in der Beschwerde zu beurteilen sei. Die Ausführungen des Finanzamts zum Vorliegen einer Abgabenhinterziehung stellten nicht bloße Vorwürfe, sondern Sachverhaltsfeststellungen dar und das BFG habe seine Ermittlungspflicht verletzt, indem es nur die Validität der Feststellungen des Finanzamts in Frage gestellt und keine eigenen Feststellungen zur Frage getroffen habe, ob die Beschwerde nach Lage des Falles erfolgversprechend erscheine.
12 Von der mitbeteiligten Partei wurde eine Revisionsbeantwortung erstattet.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig und begründet.
15 § 212a BAO lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 212a. (1) Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. [...]
(2) Die Aussetzung der Einhebung ist nicht zu bewilligen,
a) soweit die Beschwerde nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint, oder [...]“
16 Es ist nicht Aufgabe des Aussetzungsverfahrens gemäß § 212a BAO, die Beschwerdeentscheidung vorweg zu nehmen. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde anhand des Beschwerdevorbringens zu beurteilen (vgl. , mwN).
17 Das BFG gab der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen die Abweisung ihres Antrags auf Aussetzung der Einhebung Folge und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Beschwerde sei erfolgversprechend, weil das Finanzamt keine eindeutigen, ausdrücklichen und nachprüfbaren Feststellungen über das Vorliegen einer Abgabenhinterziehung getroffen habe.
18 Damit hat das BFG verkannt, dass es seine Aufgabe im vorliegenden Verfahren ist, anhand des Beschwerdevorbringens die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu beurteilen und allenfalls dazu erforderliche (ergänzende) Sachverhaltsfeststellungen zu treffen (vgl. ; , 2000/13/0100, mwN).
19 Wie das BFG selbst einräumt, hat das Finanzamt Feststellungen zum Vorliegen von nicht nachvollziehbaren Zahlungsflüssen aufgrund von Scheinrechnungen getroffen, und daraus auf „das Wissen“ des Alleingesellschafters und Geschäftsführers (der mitbeteiligten Partei) um das Vorliegen von Abgabenverkürzungen geschlossen. Aus welchen Gründen das Beschwerdevorbringen geeignet sei, diese Feststellungen in Zweifel zu ziehen, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht schlüssig dargelegt.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021150012.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-45682