VwGH 02.02.2023, Ra 2021/13/0133
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Feststellungen über den Wissensstand der abgabenfestsetzenden Stelle im Zeitpunkt der Erlassung der wiederaufzunehmenden Umsatzsteuerbescheide zu treffen, war Aufgabe des BFG (vgl. ; , 2007/15/0062, mwN). |
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RS 2 | Die Berufungsbehörde hat, sofern die Bescheidausführungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes mangelhaft sind, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 90/16/0003). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2007/15/0062 E RS 5 (hier BFG statt Berufungsbehörde) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Baden Mödling in 2340 Mödling, DI Wilhelm Haßlingerstraße 3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101148/2021, betreffend u.a. Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2012 bis 2016 (mitbeteiligte Partei: V in M, vertreten durch die Auditreu Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1010 Wien, Gonzagagasse 17), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Infolge einer bei dem Mitbeteiligten durchgeführten Außenprüfung erließ das Finanzamt Wiederaufnahmebescheide für die Umsatzsteuer 2012 bis 2016 und neue Umsatzsteuerbescheide für diesen Zeitraum. In der Begründung wurde auf den Betriebsprüfungsbericht verwiesen, in dem festgestellt worden war, dass der Kartenverkauf für Fußballspiele in den Wirtschaftsjahren 2011/12 bis 2015/16 der Umsatzsteuer zu 10 % unterzogen worden sei. Der Eintritt für Sportveranstaltungen habe bis Mai 2016 dem Umsatzsteuersatz von 20 % unterlegen.
2 Das Bundesfinanzgericht gab der dagegen erhobenen Beschwerde Folge und hob die Wiederaufnahmebescheide betreffend Umsatzsteuer 2012 bis 2016 ersatzlos auf. Unter der Überschrift „Beschwerderelevanter Sachverhalt“ führte das Bundesfinanzgericht aus, der konkrete Wiederaufnahmetatbestand, auf den sich das Finanzamt stütze, könne dem Spruch der Bescheide nicht entnommen werden. Auch die direkte Bescheidbegründung nenne den Tatbestand nicht. Die Begründung verweise jedoch auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien. In der Niederschrift über die Schlussbesprechung anlässlich einer durchgeführten Außenprüfung, datiert mit , werde auf die verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens mit keinem Wort eingegangen, ein Wiederaufnahmetatbestand werde dergestalt auch nicht benannt. Dem Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung, datiert mit , könne entnommen werden, dass das Finanzamt von neu hervorgekommenen Tatsachen ausgehe. Als „neu hervorgekommen“ finde sich - begründend für die verfügte Wiederaufnahme - bloß der Umstand angeführt, dass Eintrittsgelder offenbar (nach Beurteilung durch das Finanzamt) einem unzutreffenden Umsatzsteuersatz unterzogen worden wären. Tatsächlich neu hervorgekommene Tatsachen, somit mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende Umstände, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen oder Eigenschaften, würden weder auf den Bescheiden selbst noch in den Urkunden, auf die verwiesen wurde (Prüfungsbericht und Niederschrift zur Schlussbesprechung), angeführt.
3 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, die Bescheide des Finanzamtes, so wie auch die Niederschrift, würden auf die Wiederaufnahmegründe nicht eingehen. Im Prüfungsbericht finde sich diesbezüglich nur ausgeführt, dass im Zuge des Prüfungsverfahrens Buchungsjournale und die zugehörigen Buchungsbelege vorgelegt worden seien und dabei die „Tatsache“ neu hervorgekommen sei, dass die vereinnahmten Eintrittsgelder einem unzutreffenden Umsatzsteuersatz unterzogen worden seien. Von Seiten des Bundesfinanzgerichts werde diesbezüglich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Frage, welcher konkrete Umsatzsteuersatz heranzuziehen sei, bzw. es sich bei der Beurteilung, dass Eintrittsgelder einem unzutreffenden Umsatzsteuersatz unterzogen worden seien, nicht um Tatsachen (und auch nicht um Beweismittel) im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO handle. Tatsachen seien vielmehr ausschließlich die mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängenden Umstände und somit Geschehnisse im Seinsbereich. Mit den im gegenständlichen Fall vom Finanzamt bloß vorgenommenen Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts - es sei die „Tatsache“ neu hervorgekommen, dass die vereinnahmten Eintrittsgelder dem unzutreffenden Umsatzsteuersatz von 10 % unterzogen worden seien - seien jedoch keine (neuen) Tatsachen dargelegt worden. Die vielmehr dargelegte neu gewonnene Erkenntnis zur rechtlichen Beurteilung eines unverändert gebliebenen Sachverhalts stelle keinen Wiederaufnahmegrund dar. Zusammenfassend habe das Finanzamt somit zwar zu erkennen gegeben, dass sie die verfügte Wiederaufnahme auf „neu hervorgekommene Tatsachen“ habe stützen wollen, tatsächlich seien von ihr jedoch keine entsprechenden Tatsachen benannt, sondern bloße Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts getroffen worden.
4 Gegen dieses Erkenntnis - soweit darin über die Wiederaufnahme entschieden wurde - richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Finanzamts, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln beziehe sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Wissensstand (insbesondere aufgrund von Abgabenerklärungen und der Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Gegenständlich habe das Bundesfinanzgericht nicht berücksichtigt, dass dem Finanzamt bis zur Außenprüfung nicht bekannt gewesen sei, dass der Mitbeteiligte neben anderen Umsätzen dem Normalsteuersatz unterliegende Eintrittskartenumsätze erzielt habe. Der darin gelegene, im Prüfungsbericht benannte Sachverhalt der Vereinnahmung von Eintrittsgeldern für Sportveranstaltungen in bestimmter Höhe sei dem Finanzamt jedenfalls nicht so vollständig bekannt gewesen, dass es bereits in diesen Verfahren die richtige rechtliche Beurteilung hätte treffen können.
5 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
8 Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die Sache, über welche das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen. Entscheidend sind also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat (vgl. ).
9 Tatsachen im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente sind keine derartigen Tatsachen (vgl. , mwN).
10 Die Niederschrift, auf die in den Wiederaufnahmebescheiden verwiesen wird, enthält hinsichtlich der Eintrittskartenverkäufe folgende Feststellungen:
„3.) Eintrittskartenumsatz
Es wurde festgestellt, dass der Kartenverkauf in den WJ 2011/12 bis 2015/16 der Umsatzsteuer zu 10 % unterzogen wurde. Der Eintritt für Sportveranstaltungen unterlag bis Mai 2016 dem Umsatzsteuersatz von 20 % (ab Mai 2016 13 %). Das Finanzamt führt die Versteuerung der Eintrittskartenumsätze mit dem korrekten Steuersatz durch.“
11 Im Prüfungsbericht, auf den in den Wiederaufnahmebescheiden verwiesen wird, wird Folgendes ausgeführt:
„Es wurde festgestellt, dass der Eintrittskartenverkauf in den WJ 2011/12 bis 2015/16 der Umsatzsteuer zu 10 % unterzogen wurde. Der Eintritt für Sportveranstaltungen unterlag bis Dezember 2015 dem Umsatzsteuersatz von 20 % (ab Jänner 2016 13 %). [...] Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheiderlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen. Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis. Daher wurde bei der Ermessensübung dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit gegeben.
Neu hervorgekommene Tatsachen:
Im Zuge des Prüfungsverfahrens mit Prüfungsbeginn und Ausdehnung des Prüfungszeitraums am wurden die Buchungsjournale und die zugehörigen Buchhaltungsbelege für den [Fußballklub X] und die umsatzsteuerliche Organgesellschaft [X Sportmanagement GmbH] für die Jahre 2012 bis 2017 vorgelegt. Bei Analyse dieser Unterlagen ist die Tatsache neu hervorgekommen, dass die von der [X Sportmanagement GmbH] vereinnahmten Eintrittsgelder für die Sportveranstaltungen im Zeitraum bis mit dem unzutreffenden Umsatzsteuersatz von 10 % der Umsatzsteuer unterzogen wurden. Gemäß § 10 Abs. 2 UStG in der bis geltenden Fassung, waren Sportveranstaltungen im Gegensatz zu Theater-, Musik- und Gesangsaufführungen nicht vom ermäßigten Steuersatz von 10 % umfasst. Ab wurden die Eintrittsberechtigungen für sportliche Veranstaltungen gem. § 10 Abs. 3 Z. 12 mit einem ermäßigten Steuersatz von 13 % belegt. Ab diesem Zeitpunkt erfolgte die Versteuerung vom Unternehmen korrekt.“
12 Anders als das Bundesfinanzgericht meint, kann im Revisionsfall keine Rede davon sein, dass den vom Finanzamt erlassenen Wiederaufnahmebescheiden jene Sachverhaltselemente, auf die das Finanzamt die Wiederaufnahme gestützt hat, nicht zu entnehmen gewesen wären oder diese keine neu hervorgekommenen Tatsachen enthalten würden. Aus dem Prüfbericht ergibt sich eindeutig, worauf sich das Finanzamt gestützt hat, nämlich, dass aus den Buchhaltungsunterlagen neu hervorgekommen ist, dass die Eintrittskartenumsätze (tatsächlich) mit 10 % Umsatzsteuer versteuert worden waren.
13 Wenn das Bundesfinanzgericht wiederholt ausführt, das Finanzamt habe lediglich einen bekannten Sachverhalt rechtlich anders gewürdigt, legt es aber nicht dar, dass der abgabenfestsetzenden Stelle diese Tatsache, nämlich die vom Mitbeteiligten tatsächlich vorgenommene Besteuerung der Eintrittskartenumsätze mit 10 %, bereits im (im angefochtenen Erkenntnis nicht genannten und auch aus den vorgelegten Verfahrensakten nicht hervorgehenden) Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide in den wiederaufzunehmenden Verfahren (allenfalls - wie in der Revisionsbeantwortung geltend gemacht wird - durch eine vorangegangene Außenprüfung bei der Organgesellschaft des Mitbeteiligten) bekannt gewesen sei. Nur in einem solchen Fall läge eine rechtliche Neubeurteilung eines unverändert gebliebenen Sachverhaltes vor, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellt.
14 Feststellungen über den Wissensstand der abgabenfestsetzenden Stelle im Zeitpunkt der Erlassung der wiederaufzunehmenden Umsatzsteuerbescheide zu treffen, war aber Aufgabe des Bundesfinanzgerichts (vgl. ; , 2007/15/0062, mwN). Das Bundesfinanzgericht hat, sofern die Bescheidausführungen des wiederaufnehmenden Finanzamtes mangelhaft sind, ausgehend von dem genannten Wiederaufnahmegrund, diesen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls erforderliche Ergänzungen vorzunehmen (vgl. ; , 90/16/0003).
15 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich sohin insoweit als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG im angefochtenen Umfang aufzuheben war.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021130133.L00 |
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Fundstelle(n):
BAAAF-45655