VwGH 27.03.2024, Ra 2021/13/0092
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Norm | BAO §303 Abs1 litb |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" bezieht sich damit auf den Wissensstand (insbesondere auf Grund der Abgabenerklärungen und der Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Entscheidend ist, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0045). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/15/0106 E RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des G in M, vertreten durch die Müller & Schellmann Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1010 Wien, Wollzeile 18/10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7101732/2014, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , betreffend Wiederaufnahme (Einkommen- und Umsatzsteuer 2002), sowie Einkommen- und Umsatzsteuer 2002 bis 2005, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2002 sowie gegen die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2005 Folge und hob diese Bescheide ersatzlos auf. Die Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid 2002 wies das Bundesfinanzgericht als unzulässig geworden zurück. Die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2002 wies das Bundesfinanzgericht als unbegründet ab und gab der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 teilweise Folge, indem es die Einkommensteuer - mit einem (erheblich) geringeren Betrag - neu festsetzte. Es sprach weiters aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Das Bundesfinanzgericht führte nach ausführlicher Wiedergabe des Verfahrensgangs im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit einer anderen Person einen Internethandel mit Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln betrieben. Die Handelstätigkeit sei über die vom Revisionswerber im Jahr 2000 auf der Isle of Man gegründete SL Ltd., die kein steuerliches Zurechnungssubjekt darstelle, abgewickelt worden. Die aus dieser Handelstätigkeit resultierenden Einkünfte seien dem Revisionswerber zugeflossen.
3 Die SL Ltd. sei gegründet worden, um den gesetzlichen Verboten und Beschränkungen im Versandhandel - im Zusammenhang mit den vom Revisionswerber vertriebenen Produkten - in Österreich zu entgehen. Vor Gründung der SL Ltd. habe der Revisionswerber den Handel mit diesen Produkten über die (österreichische) SL GmbH - die im Jahr 2000 liquidiert worden sei - betrieben. Die Handelstätigkeit sei in der Folge fließend auf die SL Ltd. übergegangen. Die Vorgangsweise betreffend Überleitung der Handelstätigkeit auf die SL Ltd. sei - im Hinblick auf eine Steuerfreiheit in Österreich - vorab mit einem Bediensteten des (damals) zuständigen Finanzamtes besprochen worden. Das Personal der SL Ltd. sei in keiner Weise in die Betriebsführung der Gesellschaft eingebunden gewesen, habe lediglich untergeordnete Tätigkeiten ausgeübt und habe als Treuhänder für den Revisionswerber - und seine Geschäftspartnerin - fungiert.
4 Ende des Jahres 2006 habe das (damals) zuständige Finanzamt eine Anzeige nach § 82 Abs. 2 FinStrG wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG eingebracht und zugleich einen Prüfungs- und Nachschauauftrag betreffend u.a. Einkommen- und Umsatzsteuer für die Jahre 2000 bis 2005 erlassen. In der Folge habe die Steuerfahndung in den Jahren 2007 bis 2012 - zumindest jährlich, teilweise mehrmals im Jahr - Zwischenberichte an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom sei der Revisionswerber - ebenso seine Geschäftspartnerin - wegen mangelnden Verschuldens vom Vorwurf der Abgabenhinterziehung freigesprochen worden.
5 Die (Erst-)Bescheide betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer für das Jahr 2002 seien im Jahr 2006 erlassen worden. Nach Abschluss der Außenprüfung seien diese Verfahren im Jahr 2012 wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen worden.
6 Die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2002 sei zu Recht erfolgt, weil erst aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung und Ergebnisse der Außenprüfung neu hervorgekommen sei, dass der Revisionswerber - die ihm aus der Handelstätigkeit der SL Ltd. zuzurechnenden - Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt habe. Dies sei im Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides im Jahr 2006 der Abgabenbehörde nicht bekannt gewesen. Der Abgabenanspruch betreffend das Jahr 2002 sei auch nicht verjährt. Da der Revisionswerber bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen nicht mitgewirkt habe und auch keine Aufzeichnungen (Buchhaltung oder Einnahmen-Ausgabenrechnung) vorhanden seien, seien die Einkünfte - unter Heranziehung der im gegen den Revisionswerber geführten Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse (etwa eines vom Landesgericht in Auftrag gegebenen Gutachtens aus dem Bereich des Rechnungswesens) - zu schätzen. Dabei sei - abweichend von der Berechnung der Abgabenbehörde - der im Strafverfahren angenommene strafbestimmende Wertbetrag als tarifarische Einkommensteuer anzusetzen, aus dem die zugrundeliegenden Einkünfte errechnet werden könnten.
7 Die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2002 sei hingegen zu Unrecht erfolgt, weil die betreffenden Umsätze - aus der Handelstätigkeit - nicht dem Revisionswerber, sondern der SL Ltd. zuzurechnen seien. Auch wenn das Personal dieser Gesellschaft als Treuhänder für den Revisionswerber und für seine Geschäftspartnerin tätig gewesen sei, sei dieses als Unternehmer iSd § 2 UStG 1994 anzusehen. Nach außen sei nicht der Revisionswerber, sondern nur das Personal der SL Ltd. aufgetreten, womit die von dieser Gesellschaft erbrachten Lieferungen nicht dem Revisionswerber zuzurechnen seien.
8 Hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuer für die Jahre 2003 bis 2005 nahm das Bundesfinanzgericht Verjährung an. Die erste Amtshandlung, die seitens des Finanzamtes gegenüber dem Revisionswerber hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuer für diese Jahre gesetzt worden sei, sei die Erlassung der (Erst-)Bescheide am gewesen. Da die fünfjährige Verjährungsfrist hinsichtlich dieser Jahre zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen sei (etwa hinsichtlich des „jüngsten“ Jahres 2005 bereits mit Ablauf des Jahres 2010), sei eine Festsetzung nicht mehr zulässig. Die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO komme nicht zur Anwendung, weil es sich nicht um hinterzogene Abgaben gemäß § 33 FinStrG handle, was das Bundesfinanzgericht - unter Verneinung einer Bindung an das freisprechende Urteil im Finanzstrafverfahren des Landesgerichtes Wiener Neustadt - aufgrund des fehlenden Verschuldens des Revisionswerbers annahm.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision ausschließlich vor, die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens für das Jahr 2002 sei unzulässig gewesen, weil der Revisionswerber selbst bei seiner Einvernahme im Jahr 2001 umfangreiche Angaben gemacht habe. Aufgrund dieser Angaben und der Ermittlungen der Steuerfahndung sei der Abgabenbehörde der Sachverhalt bzw. seien die Tatsachen bekannt gewesen. Dieser Sachverhalt sei in der Art gewertet worden, dass keine weitere Prüfung zu erfolgen habe.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO) nur aus der Sicht der jeweiligen Verfahren derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln bezieht sich damit auf den Wissensstand (auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Entscheidend ist, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (vgl. , mwN).
15 Abgesehen davon, dass der Revisionswerber im Zulässigkeitsvorbringen lediglich pauschal behauptet, er habe „umfangreiche Angaben“ gemacht, diese aber - ebenso wenig wie den „Ermittlungsstand“ bei der Steuerfahndung - nicht näher konkretisiert, ist im vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar, weshalb im Jahr 2001 gemachte Angaben von Relevanz für das Veranlagungsjahr 2002 sein sollten.
16 Dass der abgabenfestsetzenden Stelle - entgegen den Ausführungen des Bundesfinanzgerichtes - der für die Festsetzung der Einkommen- und Umsatzsteuer 2002 relevante Sachverhalt bereits vor Erlassung der Erstbescheide (jeweils am ) aufgrund sonstiger Umstände bekannt gewesen wäre, behauptet der Revisionswerber nicht.
17 Die Revision enthält kein Zulässigkeitsvorbringen hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuer 2002 bis 2005, weshalb sie insoweit schon deshalb zurückzuweisen war.
18 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
19 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | BAO §303 Abs1 litb |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021130092.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-45632