VwGH 09.01.2024, Ra 2021/13/0091
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat oder ob ein Wiedereinsetzungsgrund ausreichend bescheinigt ist, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes; eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt worden wäre (vgl. etwa , sowie , Ro 2016/16/0007). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/16/0167 B RS 1 |
Norm | |
RS 2 | Die Büroorganisation einer (Kapital-)Gesellschaft muss dem Mindesterfordernis einer sorgfältigen Organisation entsprechen (vgl. auch , mwN, zur Büroorganisation von Gebietskörperschaften). Dazu gehört insbesondere die Vormerkung von Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen, dass Unzulänglichkeiten zufolge menschlichen Versagens voraussichtlich auszuschließen sind (vgl. , mwN). Liegen Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung dieses Zieles nicht gewährleistet ist, ist das Kontrollsystem in diesem Sinne unzureichend, kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden (vgl. , mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der E GmbH & Co KG in W, vertreten durch die Weinrauch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stubenring 16/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , LVwG 40.26-596/2021-9, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem Steiermärkischen Kanalabgabengesetz 1955, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz - mit dem der Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist in einer Angelegenheit nach dem Steiermärkischen Kanalabgabengesetz 1955 abgewiesen wurde - als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Das Landesverwaltungsgericht führte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, der Revisionswerberin sei mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom ein einmaliger Kanalisationsbeitrag in Höhe von 219.406,67 € vorgeschrieben worden. Dieser Bescheid sei am durch eine bevollmächtigte Person übernommen und damit zugestellt worden. Der Geschäftsführer der Revisionswerberin, Mag. B (im Folgenden: B) - der als langjährig im Unternehmen tätiger Jurist (u.a. als Leiter der Rechtsabteilung) hauptverantwortlich für behördliche und gerichtliche Fristen gewesen sei - habe den Bescheid am entgegengenommen. Er habe die Frist für die Beschwerde anstelle mit mit handschriftlich auf dem Bescheid vermerkt und in den elektronischen Kalender eingetragen.
3 Das bei der Revisionswerberin eingerichtete Kontrollsystem habe vorgesehen, dass B oder seine Mitarbeiterin Mag. PH (im Folgenden: PH) - die ebenfalls eine Juristin sei - behördliche Dokumente aus dem Postfach für die Rechtsabteilung entgegennehmen, sichten und das Ende allfälliger Fristen handschriftlich samt einer Paraphe vermerken. Fristen seien allerdings nicht täglich „hereingekommen“. In der Folge sollten entsprechende Besprechungen und Abstimmungen untereinander stattfinden und im Anschluss die Fristen in einen elektronischen Kalender eingetragen sowie im Regelfall von PH nochmals kontrolliert werden. Eingetragene Fristen sollten laufend überwacht und vor Ablauf entsprechend bearbeitet werden. Dieses Kontroll- und Fristenwahrungssystem sei im Regelfall in persönlicher Anwesenheit beider genannten Personen - B und PH - wahrgenommen worden. Für den urlaubs- oder krankheitsbedingten Entfall einer dieser beiden Schlüsselpersonen sei die Vertretung durch eine weitere Mitarbeiterin, Frau P (im Folgenden: P), vorgesehen. Das Programm, in dem die jeweilige Frist elektronisch eingetragen sei, habe an alle drei Personen eine Erinnerung vor Fristablauf versendet, woraufhin der Akt zwecks Absprache hervorgeholt werde. Im Fall der Abwesenheit von B oder von PH sollten sowohl vor als auch nach dem Urlaub Aktenbesprechungen und -übergaben stattfinden. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub sollten stichprobenartige Terminkontrollen durchgeführt werden.
4 Am - jenem Tag, an dem B den Bescheid vom erhalten und die Frist vermerkt sowie elektronisch eingetragen habe - habe PH, die Teilzeitkraft gewesen sei, ihren freien Tag gehabt. Es habe somit keine Absprache und keine Fristenkontrolle gegeben. Auch P sei an jenem Tag auf Urlaub gewesen. Nach der Rückkehr von PH am nächsten Tag habe eine Teambesprechung stattgefunden und PH habe stichprobenartig die Frist angesehen und deren Eintragung im elektronischen Kalender überprüft. Dabei sei ihr nicht aufgefallen, dass das Fristende mit dem falschen Monat datiert gewesen sei. Die Unrichtigkeit der eingetragenen Frist sei erst durch das Einlangen einer Mahnung der Abgabenbehörde am bemerkt worden, woraufhin der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht worden sei.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Landesverwaltungsgericht - nach umfangreicher Wiedergabe der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - im Wesentlichen aus, B habe als Geschäftsführer der Revisionswerberin und für behördliche und gerichtliche Fristen Verantwortlicher die Frist falsch berechnet, auf dem Bescheid vermerkt und in den elektronischen Kalender eingetragen. Das von der Revisionswerberin eingerichtete Kontrollsystem habe aufgrund der Abwesenheit von PH nicht gegriffen, ebenso wenig wie das eingerichtete Ersatzsystem aufgrund der Abwesenheit von P. In der am Tag nach Eintragung der Frist abgehaltenen Besprechung habe sich PH die Frist „stichprobenartig“ angesehen, wobei ihr die Unrichtigkeit nicht aufgefallen sei. In Anbetracht der beträchtlichen Höhe der vorgeschriebenen Abgabe wäre eine erhöhte Sorgfaltspflicht erforderlich gewesen, zumal beide hauptverantwortliche Personen Juristen - damit rechtskundig - seien und an rechtskundige Personen ein strengerer Maßstab anzulegen sei. Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis liege nicht vor, zumal es sich bei der Eintragung von Fristen und deren Berechnung um typische vorhersehbare Fehlerquellen handeln würde. Es liege in Anbetracht der erhöhten Sorgfaltspflicht bei der Wahrnehmung von Fristen auch kein minderer Grad des Versehens, sondern ein die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden der Revisionswerberin vor.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen vor, die angefochtene Entscheidung weiche von der - zudem in dieser Hinsicht ergänzungsbedürftigen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil ein einmaliges, entschuldbares Fehlverhalten vorliege. Es sei ein fehlerfreies und funktionierendes Kontrollsystem eingerichtet worden und auch hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Frist sei eine Überwachung und Kontrolle durchgeführt worden. Es liege lediglich ein minderes Verschulden vor. Die Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes seien unvollständig und mangelhaft, weil die Aussagen von B, wonach es noch nie zu einer Fristversäumnis gekommen sei, übergangen worden seien.
11 Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargetan.
12 Die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat oder ob ein Wiedereinsetzungsgrund ausreichend bescheinigt ist, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes und stellt daher regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. , Ra 2017/16/0167, mwN).
13 Die Büroorganisation einer (Kapital-)Gesellschaft muss dem Mindesterfordernis einer sorgfältigen Organisation entsprechen (vgl. auch , mwN, zur Büroorganisation von Gebietskörperschaften). Dazu gehört insbesondere die Vormerkung von Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen, dass Unzulänglichkeiten zufolge menschlichen Versagens voraussichtlich auszuschließen sind (vgl. , mwN). Liegen Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung dieses Zieles nicht gewährleistet ist, ist das Kontrollsystem in diesem Sinne unzureichend, kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden (vgl. , mwN).
14 Nach den - unbestrittenen - Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes sei der Organisationsablauf bei der Revisionswerberin im Hinblick auf die Fristeneinhaltung und -kontrolle grundsätzlich so ausgestaltet gewesen, dass die Wahrung des vier-Augen-Prinzips gewährleistet gewesen sei. Dabei sei vorgesehen gewesen, dass nach Entgegennahme der entsprechenden Dokumente und handschriftlicher Anmerkung des Fristenendes durch eine der beiden „Schlüsselpersonen“ - den Geschäftsführer B oder seine Mitarbeiterin PH - eine Besprechung bzw. Abstimmung mit der jeweils anderen Person stattzufinden gehabt habe. Erst anschließend sei die elektronische Erfassung der jeweiligen Frist und eine nachfolgende Kontrolle durch die andere Person vorgesehen gewesen. Im Fall der Abwesenheit einer der beiden „Schlüsselpersonen“ habe eine andere Mitarbeiterin die Rolle der fehlenden Person eingenommen, die nach ihrer Rückkehr stichprobenartige Terminkontrollen durchzuführen gehabt habe.
15 Am Tag der Entgegennahme des Bescheides des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom durch B waren unstrittig sowohl PH als auch ihre Vertretung, die Mitarbeiterin P, abwesend. Entgegen dem vorgesehenen Organisationsablauf - in dem für den Fall der Abwesenheit beider Personen PH und P keine Regelung getroffen wird und der insoweit bereits aus diesem Grund als mangelhaft anzusehen ist - und somit in Missachtung des (selbst auferlegten) einzuhaltenden vier-Augen-Prinzips hat B allerdings die Frist alleine ermittelt, handschriftlich angemerkt und elektronisch erfasst. Angesichts der Nichteinhaltung des Organisationsablaufs wäre - wie das Landesverwaltungsgericht zutreffend ausführt - bei der am Folgetag erfolgten, lediglich „stichprobenartigen“ Kontrolle der Frist durch PH eine erhöhte Sorgfalt notwendig gewesen.
16 Vor diesem Hintergrund trifft die Beurteilung des Landesverwaltungsgerichtes, wonach ein die Wiedereinsetzung ausschließendes, den minderen Grad des Versehens überschreitendes Verschulden vorliege, auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Bedenken.
17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021130091.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-45631