VwGH 06.05.2022, Ra 2021/13/0086
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Haushaltsaufwendungen oder Aufwendungen für die Lebensführung sind grundsätzlich nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar. Lediglich unvermeidbare Mehraufwendungen, die dem Abgabepflichtigen dadurch erwachsen, dass er am Beschäftigungsort wohnen muss und ihm die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort ebenso wenig zugemutet werden kann wie die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz, werden als beruflich bzw. betrieblich bedingte Mehraufwendungen bei jener Einkunftsart abzuziehen sein, bei der sie erwachsen sind. Die Obergrenze der abziehbaren Wohnungskosten ist mit der Höhe der Aufwendungen für eine zweckentsprechende Wohnung am Beschäftigungsort zu ziehen. In diesem Sinne unterliegen die tatsächlich angefallenen Wohnungskosten einer Angemessenheitsprüfung (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2016/15/0080 E RS 1 |
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RS 2 | Das Finanzamt ist gemäß § 265 Abs. 5 BAO Partei im Verfahren vor den VwG. Gemäß § 115 Abs. 2 BAO ist den Parteien Parteiengehör zu gewähren. Die Parteien sind von den Ergebnissen des Beweisverfahrens in Kenntnis zu setzen und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. ). |
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RS 3 | Das Parteiengehör (§ 115 Abs. 2 BAO) gehört zu den fundamentalen Grundsätzen des Rechtsstaates (vgl. , mwN). Gemäß § 183 Abs. 4 BAO ist den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Das BFG war gemäß § 269 Abs. 1 BAO verpflichtet, zu den Erhebungsergebnissen der Abgabepflichtigen (und dem Finanzamt) Gehör einzuräumen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/13/0064 E RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Wien 2/20/21/22 in Wien, Dr. Adolf Schärf-Platz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100987/2017, betreffend Einkommensteuer 2012 (mitbeteiligte Partei: Ing. S in B [Deutschland], vertreten durch die Ernst & Young Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1220 Wien, Wagramerstraße 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte wurde von seinem österreichischen Arbeitgeber unter anderem im Jahr 2012 befristet nach Kanada entsendet. Er begründete dort einen Wohnsitz zur Dienstverrichtung. Das Finanzamt qualifizierte den Mitbeteiligten für steuerliche Zwecke als in Österreich ansässig und unterwarf ihn mit seinem Welteinkommen der Einkommensteuer. Dagegen wendete sich die Beschwerde des Mitbeteiligten.
2 Das Bundesfinanzgericht beurteilte den Mitbeteiligten ebenfalls als in Österreich steuerlich ansässig. Es berücksichtigte aber erstmalig Kosten für die doppelte Haushaltsführung und traf dazu folgende Feststellung: „Für die Wohnung in Wien sind im Jahr 2012 Kosten iHv € 22.813,67 angefallen.“
3 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 seien Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Dazu zählten auch Kosten für die doppelte Haushaltsführung. Die Begründung eines eigenen Haushaltes am Beschäftigungsort bei gleichzeitiger Beibehaltung des Familienwohnsitzes (doppelte Haushaltsführung) sei beruflich veranlasst, wenn der Familienwohnsitz vom Beschäftigungsort des Steuerpflichtigen so weit entfernt sei, dass ihm eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden könne und entweder die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes nicht privat veranlasst sei oder die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort nicht zugemutet werden könne. Im vorliegenden Fall lägen diese Voraussetzungen vor, sodass die Kosten iHv 22.813,67 € als Werbungskosten bei der Einkünfteermittlung Berücksichtigung fänden.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesfinanzgericht habe unrichtigerweise die Kosten für die Wohnung des Familienwohnsitzes als Werbungskosten berücksichtigt, die aber dem Abzugsverbot des § 20 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 unterlägen. Weiters wird vorgebracht, dem Finanzamt sei seitens des Bundesfinanzgerichts nicht mitgeteilt worden, dass Kosten für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten im Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden seien. Die Kosten seien weder in der Einkommensteuererklärung noch in den Rechtsmittelschriftsätzen beantragt worden. Das Bundesfinanzgericht habe das Parteiengehör des Finanzamtes verletzt. Es habe keine Sachverhaltsfeststellungen hinsichtlich der Angemessenheit der berücksichtigten Kosten getroffen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes käme die Anerkennung der Kosten nur für zweckentsprechende Wohnungen in Betracht. Es sei eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen. Das Bundesfinanzgericht habe eine Auseinandersetzung mit der Angemessenheit der Beträge nicht vorgenommen. Es liege ein Begründungsmangel vor.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. In diesem erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung, in der sie vorbringt, die Feststellung des Bundesfinanzgerichts betreffend die Kosten für die Wohnung in Wien sei aktenwidrig. Tatsächlich handle es sich dabei um die Kosten für die Wohnung in Kanada, wie sie dem Bundesfinanzgericht seitens des Mitbeteiligten übermittelt worden seien.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
8 Gemäß § 20 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Dasselbe gilt nach § 20 Abs. 1 Z 2 lit. a EStG 1988 für Aufwendungen und Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.
9 Haushaltsaufwendungen oder Aufwendungen für die Lebensführung sind demnach grundsätzlich nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar. Lediglich unvermeidbare Mehraufwendungen, die dem Abgabepflichtigen dadurch erwachsen, dass er am Beschäftigungsort wohnen muss und ihm die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort ebenso wenig zugemutet werden kann wie die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz, werden als beruflich bzw. betrieblich bedingte Mehraufwendungen bei jener Einkunftsart abzuziehen sein, bei der sie erwachsen sind. Die Obergrenze der abziehbaren Wohnungskosten ist mit der Höhe der Aufwendungen für eine zweckentsprechende Wohnung am Beschäftigungsort zu ziehen. In diesem Sinne unterliegen die tatsächlich angefallenen Wohnungskosten einer Angemessenheitsprüfung (vgl. , mwN).
10 Im Akt des Bundesfinanzgerichts liegt eine offenbar vom Mitbeteiligten an das Bundesfinanzgericht übermittelte „Beilage zur Arbeitnehmerveranlagung 2012“ ein, in der Kosten für doppelte Haushaltsführung für eine Wohnung in Kanada in Höhe von € 22.813,67 angeführt werden. Dazu finden sich auch Erläuterungen des Mitbeteiligten, wonach die Kosten für doppelte Haushaltsführung bis zu 2.200 € im Monat absetzbar seien.
11 Die Feststellung des Bundesfinanzgerichts, dass diese Kosten die Wohnung in Wien betreffen, ist demnach aktenwidrig. Da nach den Ausführungen des Bundesfinanzgerichts die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Kosten für doppelte Haushaltsführung grundsätzlich vorliegen, was insoweit auch von der Revision nicht in Frage gestellt wurde, sind die Kosten für die Wohnung in Kanada dem Grunde nach abzugsfähig.
12 Im Recht ist die Revision allerdings mit dem Vorbringen, dass dem Finanzamt kein Parteiengehör gewährt wurde und das Bundesfinanzgericht keine Feststellungen zur Angemessenheit der Wohnkosten getroffen hat.
13 Das Finanzamt ist gemäß § 265 Abs. 5 BAO Partei im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Gemäß § 115 Abs. 2 BAO ist den Parteien Parteiengehör zu gewähren. Die Parteien sind von den Ergebnissen des Beweisverfahrens in Kenntnis zu setzen und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. ).
14 Das Parteiengehör (§ 115 Abs. 2 BAO) gehört zu den fundamentalen Grundsätzen des Rechtsstaates (vgl. , mwN). Gemäß § 183 Abs. 4 BAO ist den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Das Bundesfinanzgericht ist gemäß § 269 Abs. 1 BAO verpflichtet, zu den Erhebungsergebnissen dem Beschwerdeführer (und dem Finanzamt) Gehör einzuräumen (vgl. ; , Ra 2020/13/0105). Dies hat das Bundesfinanzgericht in Ansehung des Finanzamtes unterlassen.
15 Das Bundesfinanzgericht hat - wie das Finanzamt zutreffend aufzeigt und im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht mangels Einräumung von Parteiengehör vom Finanzamt nicht geltend gemacht werden konnte - keine Feststellungen zur Angemessenheit der Kosten für die doppelte Haushaltsführung getroffen bzw. sich damit nicht auseinandergesetzt. Die Angaben des Mitbeteiligten, dass jedenfalls bis zu 2.200 € pro Monat anzuerkennen seien, entspricht nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Es ist vielmehr zur prüfen, wie hoch die Kosten für eine zweckentsprechende Wohnung am Beschäftigungsort, gegebenenfalls im Einzugsgebiet des Beschäftigungsortes, sind und dahingehend eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen (vgl. abermals ).
16 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130086.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-45627