VwGH 28.06.2023, Ra 2021/13/0037
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | VwGG §42 Abs3 |
RS 1 | Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG wirkt die Aufhebung eines Erkenntnisses des VwG durch den VwGH auf den Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Erkenntnisses zurück (ex tunc-Wirkung). Diese ex tunc-Wirkung bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen der Erlassung des Erkenntnisses und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkenntnis von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und faktischen (Vollzugs)Akten, die während der Geltung des dann aufgehobenen Erkenntnisses auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde. Solche Rechtsakte erweisen sich als rechtswidrig und gelten infolge der Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH mit diesem dann als beseitigt, wenn sie mit dem aufgehobenen Erkenntnis des VwG in einem unlösbaren rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl. , mwN). |
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RS 2 | Eine Säumnisbeschwerde ist dann als gegenstandslos zu erklären, wenn dem Begehren der Säumnisbeschwerde Rechnung getragen wurde, indem die Abgabenbehörde, deren Säumnis bekämpft wurde, ihren Bescheid erlassen hat. Ist der Bescheid der Abgabenbehörde nach Erheben der Säumnisbeschwerde wirksam erlassen worden, so ist dem Rechtschutzbedürfnis des Säumnisbeschwerdeführers damit Rechnung getragen; die von ihm mit Säumnisbeschwerde begehrte Entscheidung über seinen Antrag liegt vor. Die Rechtmäßigkeit eines solcherart wirksam erlassenen Bescheides ist dabei nicht zu prüfen. Deshalb hängt der Beschluss des VwG, womit eine nach § 284 f BAO erhobene Säumnisbeschwerde als gegenstandslos erklärt wird, etwa nicht davon ab, ob die in § 284 Abs. 2 BAO genannte Frist wirksam und rechtmäßig verlängert wurde oder ob der Bescheid der Abgabenbehörde innerhalb der Frist des § 284 Abs. 2 BAO ergangen ist und die Abgabenbehörde zur Erlassung des Bescheides noch zuständig war (vgl. zu alldem ). |
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RS 3 | Ein von der Abgabebehörde erlassener Bescheid führt zur Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens, auch wenn die Abgabenbehörde für deren Erlassung durch den Übergang der Zuständigkeit auf das BFG nicht zuständig war. Was für Bescheide gilt, die zwischen Erhebung der Säumnisbeschwerde und Erlassung des Erkenntnisses des BFG sowie nach Aufhebung eines Erkenntnisses des BFG durch den VwGH erlassen werden, muss vor dem Hintergrund des Zwecks des Säumnisbeschwerdeverfahrens auch für jene Bescheide gelten, die nach Erhebung einer Revision an den VwGH bis zu dessen Entscheidung erlassen wurden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der J GesnbR in G, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Nikolaus, Steuerberater in 1130 Wien, St. Veit-Gasse 8, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RS/7100074/2020, betreffend Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin reichte am ihre Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2015 und am ihre Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2016 ein.
2 Am erhob die Revisionswerberin hinsichtlich der Umsatzsteuererklärungen 2015 und 2016 eine Säumnisbeschwerde an das Bundesfinanzgericht wegen Verletzung der Entscheidungspflicht. Die Bescheide seien als „Nullbescheide“ zu erlassen, weil die Umsätze nach Ansicht des Finanzamtes dem Gesellschafter der Revisionswerberin, JS, zuzurechnen seien.
3 Das Bundesfinanzgericht trug gemäß § 284 Abs. 2 BAO mit Beschluss vom dem Finanzamt auf, bis spätestens die Umsatzsteuerbescheide für das Jahr 2015 und 2016 zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.
4 Das Finanzamt brachte mit Schreiben vom mit näherer Begründung vor, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht des Finanzamtes bestehe und die Umsatzsteuerbescheide nicht innerhalb der vom Bundesfinanzgericht gesetzten dreimonatigen Frist ergehen könnten.
5 Das Bundesfinanzgericht wies die Säumnisbeschwerde ab, weil die Verspätung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Finanzamtes zurückzuführen sei. Dagegen wurde am Revision erhoben.
6 Mit erließ das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2015 und 2016, die von der Revisionswerberin bekämpft wurden.
7 Mit Erkenntnis vom , Ra 2018/13/0087, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.
8 Im fortgesetzten Verfahren erklärte das Bundesfinanzgericht die Säumnisbeschwerde als gegenstandslos und stellte das Verfahren ein. Begründend führte es aus, das Finanzamt habe zwischenzeitlich den begehrten Bescheid nachgeholt; dem Rechtschutzbedürfnis der Säumnisbeschwerdeführerin sei damit Rechnung getragen worden.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob im Falle der Aufhebung eines eine Säumnisbeschwerde abweisenden Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts durch den Verwaltungsgerichtshof ein von der belangten Behörde erlassener Bescheid, der die Säumnis materiell beseitige, als in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem die Säumnisbeschwerde abweisenden Erkenntnis stehend qualifiziert werde, wenn diese Bescheiderlassung nach Erlassung des die Säumnisbeschwerde abweisenden Erkenntnisses erfolgt sei.
10 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wirkt gemäß § 42 Abs. 3 VwGG die Aufhebung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts durch den Verwaltungsgerichtshof auf den Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Erkenntnisses zurück (ex tunc-Wirkung). Diese ex tunc-Wirkung bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen der Erlassung des Erkenntnisses und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkenntnis von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und faktischen (Vollzugs)Akten, die während der Geltung des dann aufgehobenen Erkenntnisses auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde. Solche Rechtsakte erweisen sich als rechtswidrig und gelten infolge der Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes mit diesem dann als beseitigt, wenn sie mit dem aufgehobenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes in einem unlösbaren rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl. , mwN).
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 284 BAO ist eine Säumnisbeschwerde dann als gegenstandslos zu erklären, wenn dem Begehren der Säumnisbeschwerde Rechnung getragen wurde, indem die Abgabenbehörde, deren Säumnis bekämpft wurde, ihren Bescheid erlassen hat. Ist der Bescheid der Abgabenbehörde nach Erheben der Säumnisbeschwerde wirksam erlassen worden, so ist dem Rechtschutzbedürfnis des Säumnisbeschwerdeführers damit Rechnung getragen; die von ihm mit Säumnisbeschwerde begehrte Entscheidung über seinen Antrag liegt vor. Die Rechtmäßigkeit eines solcherart wirksam erlassenen Bescheides ist dabei nicht zu prüfen. Deshalb hängt der Beschluss des Verwaltungsgerichtes, womit eine nach § 284 f BAO erhobene Säumnisbeschwerde als gegenstandslos erklärt wird, etwa nicht davon ab, ob die in § 284 Abs. 2 BAO genannte Frist wirksam und rechtmäßig verlängert wurde oder ob der Bescheid der Abgabenbehörde innerhalb der Frist des § 284 Abs. 2 BAO ergangen ist und die Abgabenbehörde zur Erlassung des Bescheides noch zuständig war (vgl. zu alldem ).
15 Ein von der Abgabebehörde erlassener Bescheid führt somit zur Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens, auch wenn die Abgabenbehörde für deren Erlassung durch den Übergang der Zuständigkeit auf das Bundesfinanzgericht nicht zuständig war.
16 Was für Bescheide gilt, die zwischen Erhebung der Säumnisbeschwerde und Erlassung des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts sowie nach Aufhebung eines Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts durch den Verwaltungsgerichtshof erlassen werden, muss vor dem Hintergrund des Zwecks des Säumnisbeschwerdeverfahrens auch für jene Bescheide gelten, die nach Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof bis zu dessen Entscheidung erlassen wurden.
17 Die Erlassung des Abgabenbescheides ist nicht (nur) auf Basis des abweisenden Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts erfolgt, weil auch ohne diese Abweisung von der Abgabenbehörde - solange das Bundesfinanzgericht aufgrund des Zuständigkeitsübergangs nicht selbst in der Sache entschieden hat - jederzeit trotz Unzuständigkeit ein Bescheid hätte erlassen werden können, der zur Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens geführt hätte, weshalb vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Säumnisbeschwerdeverfahrens kein unlösbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen aufgehobenem Erkenntnis und zwischenzeitig erlassenem Bescheid besteht.
18 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021130037.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAF-45608