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VwGH 11.08.2023, Ra 2021/13/0025

VwGH 11.08.2023, Ra 2021/13/0025

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
BAO §292 Abs1 Z1
BAO §292 Abs2
RS 1
Einem Verfahrenshilfewerber kann ab Beginn des Verfahrens die Bildung von Rücklagen zur Deckung der (voraussichtlich) anfallenden Verfahrenskosten zugemutet werden (vgl. ).
Normen
AbgÄG 2016
BAO §292 Abs1 Z1
BAO §292 Abs2
VwRallg
RS 2
Verfahrenshilfe ist insoweit zu bewilligen, als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten (§ 292 Abs. 1 Z 1 BAO). Der notwendige Unterhalt wird in einer Weise ermittelt, dass er - auch unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles (etwa Gesundheitszustand des Antragstellers) - eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (vgl. dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum AbgÄG 2016, 1352 BlgNR 25. GP 18). Jene Kosten, die zur Deckung der Bedürfnisse des Antragstellers erforderlich sind, sind daher vom "notwendigen Unterhalt" umfasst, also aus dem insoweit ermittelten Betrag zu bestreiten und nicht zusätzlich zu berücksichtigen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des H in N, vertreten durch Dr. Wolfgang Halm, Wirtschaftstreuhänder und Steuerberater, Wirtschaftsprüfer in 1090 Wien, Berggasse 10/14, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , VH/7100015/2020, betreffend Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO in einem Beschwerdeverfahren hinsichtlich Haftung nach § 9 BAO, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wurde der Revisionswerber gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO als ehemaliger Geschäftsführer der A GmbH für deren aushaftenden Abgaben zur Haftung herangezogen.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber einen Vorlageantrag stellte. Nach Vorlage der Beschwerde wurde der Revisionswerber vom Bundesfinanzgericht aufgefordert, einen Gleichbehandlungsnachweis vorzulegen.

3 Der Revisionswerber brachte am einen Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO beim Bundesfinanzgericht ein und führte aus, beim gegenständlichen Rechtsmittelverfahren handle es sich um schwierige Fragen der Quotenberechnung in Bezug auf ein liquidiertes Unternehmen, sodass er fachlich nicht in der Lage sei, die Anfragen des Bundesfinanzgerichtes selbständig zu beantworten. Weiters gab er an, dass er infolge der Covid-19 Maßnahmen keinerlei Geschäftsführerbezüge beziehen könne und nur mehr seine Alterspension in Höhe von lediglich ca. 2.200 € netto die einzige Einkunftsquelle sei. Er verfüge auch über kein Vermögen.

4 Das Bundesfinanzgericht erteilte dem Revisionswerber zwei Mängelbehebungsaufträge, welchen er entsprach.

5 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Das Bundesfinanzgericht bejahte einleitend, dass beim im Beschwerdefall durch den Revisionswerber zu erbringenden Nachweis, keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt zu haben, die gemäß § 292 Abs. 1 BAO für die Bewilligung von Verfahrenshilfe vorausgesetzten besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art vorliegen würden. Die Rechtsverfolgung könne auch nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos bezeichnet werden.

7 Zur Frage, ob der Revisionswerber außerstande sei, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts zu bestreiten, führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, als notwendiger Unterhalt iSd § 292 Abs. 1 Z 1 BAO sei ein zwischen dem „notdürftigen“ und dem „standesgemäßen“ Unterhalt liegender anzusehen.

8 Das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Revisionswerbers in Höhe von 2.669,52 € gehe sowohl über den geforderten „notwendigen“ Unterhalt als auch über den „standesgemäßen“ Unterhalt hinaus.

9 Dem Revisionswerber stünde damit ein monatlicher Betrag in Höhe der Differenz zwischen seinen durchschnittlichen monatlichen Pensionseinkünften in Höhe von 2.669,52 € und dem notwendigen Unterhalt für die Tragung der Verfahrenskosten zur Verfügung.

10 Die vom Revisionswerber angegebenen monatlichen Lebenshaltungskosten von 1.137 € könnten inklusive der Krankheitskosten von 100 € nicht berücksichtigt werden, weil diese bereits aus dem notwendigen Unterhalt zu bestreiten seien.

11 Sofern er aushaftende Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von 15.000 € gegenüber seiner Schwester und voraussichtliche Honorarverbindlichkeiten für seine steuerliche Vertretung von 12.960 € geltend mache, werde darauf verwiesen, dass hinsichtlich der Darlehensschuld seiner Schwester gegenüber jegliche weiteren Angaben fehlen würden und auch nicht sicher sei, ob diese überhaupt bestehen.

12 Auch wenn aus dem monatlich dem Revisionswerber zur Verfügung stehenden Betrag und mangels vorhandenem Vermögen keine Einmalzahlung geleistet werden könne, sei es dem Revisionswerber seit Beginn des Verfahrens über die Haftung nach § 9 BAO - somit seit mehr als zwei Jahren - möglich gewesen, monatlich diesen Betrag anzusparen. Mit dem seit Beginn des Verfahrens anzusparenden Betrag hätten beide Verbindlichkeiten bereits fast vollständig getilgt werden können. Ebenso stehe es dem Revisionswerber frei, für aushaftende Verbindlichkeiten eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen.

13 Überdies habe der Revisionswerber im Jahr 2020 Überweisungen von 3.000 € und 2.700 € an die S GmbH getätigt, ohne dass aus dem geführten Verrechnungskonto eine Verbindlichkeit des Revisionswerbers gegenüber dieser Gesellschaft ersichtlich sei.

14 Weiters stünden die aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen im Veranstaltungsbereich ausbleibenden Geschäftsführerbezüge dem Revisionswerber bei Aufhebung der Beschränkungen wieder zur Verfügung.

15 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob Ersparnisse während eines laufenden Rechtsmittelverfahrens anzulegen seien.

16 Weiters habe das Bundesfinanzgericht die monatlichen Fixkosten von 1.000 € nicht berücksichtigt, ebenso wie die bisher geleisteten Zahlungen an den steuerlichen Vertreter. Das Bundesfinanzgericht lasse offen, wie hoch die konkreten Ansparungsmöglichkeiten tatsächlich gewesen wären. Zur Frage, ob das Bundesfinanzgericht bei seiner Begründung hinsichtlich der Ansparungsmöglichkeiten nicht auch im Wege der Sachverhaltsermittlung zu klären habe, ob und welche Zahlungen bisher an den ausgewiesenen Vertreter bzw. an die Schwester des Revisionswerbers geleistet worden seien, fehle es ebenfalls an Rechtsprechung durch den Verwaltungsgerichtshof.

17 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

18 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

20 Zum Zulässigkeitsvorbringen, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob Ersparnisse während eines laufenden Verfahrens anzulegen seien, ist zu bemerken, dass der Verwaltungsgerichtshof mit dem - nach Erhebung der vorliegenden Revision - erlassenen Erkenntnis vom , Ra 2019/13/0107 (mit Hinweis auf M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, § 63 ZPO Rz 1), ausgesprochen hat, dass einem Verfahrenshilfewerber ab Beginn des Verfahrens die Bildung von Rücklagen zur Deckung der (voraussichtlich) anfallenden Verfahrenskosten zugemutet werden kann. Dass das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Beschluss von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre, ist nicht erkennbar.

21 Das Bundesfinanzgericht hat sich - anders als der Revisionswerber vermeint - auch mit der Frage auseinandergesetzt, welche Ersparnisse der Revisionswerber seit Beginn des Haftungsverfahrens hätte erzielen können. Das dazu erstmalig in der Revision erstattete Vorbringen, es seien bereits Kosten für die Vertretung im laufenden Haftungsverfahren angefallen und diese Kosten seien bei der Berechnung des möglichen Ansparbetrages zu berücksichtigen (siehe dazu erneut , wonach schon angefallene Kosten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Partei und damit auch ihre Fähigkeit zur Tragung der „Kosten der Führung des Verfahrens“ beeinträchtigen können), verstößt gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aus § 41 erster Satz VwGG abzuleitende Neuerungsverbot und ist schon aus diesem Grund nicht geeignet, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

22 Soweit sich der Revisionswerber gegen die fehlende Berücksichtigung seiner monatlichen Fixkosten von ca. 1.000 € wendet, ist zu erwidern, dass Verfahrenshilfe insoweit zu bewilligen ist, als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten (§ 292 Abs. 1 Z 1 BAO). Der notwendige Unterhalt wird in einer Weise ermittelt, dass er - auch unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles (etwa Gesundheitszustand des Antragstellers; vgl. M. Bydlinski, aaO, Rz 2) - eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (vgl. dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2016, 1352 BlgNR 25. GP 18). Die vom Revisionswerber angesprochenen Fixkosten (z.B. Miete) sind aber gerade jene Kosten, die zur Deckung der Bedürfnisse des Antragstellers erforderlich sind. Diese sind daher vom „notwendigen Unterhalt“ umfasst, also - wie vom Bundesfinanzgericht zutreffend ausgeführt - aus dem insoweit ermittelten Betrag zu bestreiten und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Dass die Höhe des notwendigen Unterhalts - auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (hier etwa Krankheitskosten von 100 €) - unzutreffend ermittelt worden wäre, wird im Zulässigkeitsvorbringen nicht behauptet.

23 Wenn die Revision mit dem sonstigen Zulässigkeitsvorbringen schließlich verschiedene Verfahrensmängel - wie etwa Ermittlungs-, Begründungs- und Feststellungsmängel - geltend macht, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. , mwN).

24 Eine die Zulässigkeit der Revision begründende Mangelhaftigkeit der Darlegungen des Bundesfinanzgerichts zur Nichtgefährdung des notwendigen Unterhaltes bei selbständiger Kostentragung kann die Revision mit ihrem unsubstantiierten Vorbringen nicht aufzeigen.

25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 

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Normen
AbgÄG 2016
BAO §292 Abs1 Z1
BAO §292 Abs2
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021130025.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-45602