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VwGH 17.01.2023, Ra 2021/13/0014

VwGH 17.01.2023, Ra 2021/13/0014

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
BAO §184
BAO §184 Abs2
RS 1
Die Befugnis (Verpflichtung) zur Schätzung beruht allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln; insbesondere setzt die Schätzungsberechtigung kein Verschulden der Partei am Fehlen von Aufzeichnungen voraus. Eine Schätzung ist damit nicht nur in den Fällen des § 184 Abs. 2 BAO möglich.
Normen
BAO §274 Abs1 Z1
VwRallg
RS 2
Ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Rahmen eines BAO-Verfahrens setzt einen rechtzeitigen Antrag des Beschwerdeführers voraus (vgl. auch ; , Ra 2021/13/0137).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2022/13/0042 B RS 1
Normen
BAO §274 Abs1 Z2
VwRallg
RS 3
Auf eine mündliche Verhandlung, wenn es der Einzelrichter für erforderlich hält (§ 274 Abs. 1 Z 2 BAO), besteht kein Rechtsanspruch (vgl. ua, ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2019/16/0090 B RS 2
Normen
BAO §166
BAO §269 Abs2
RS 4
Der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt im Abgabenverfahren nicht (vgl. ). Vielmehr kommt im Abgabenverfahren nach § 166 BAO alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach der Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist (vgl. auch § 269 Abs. 2 BAO).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2014/15/0031 B RS 3 (hier nur der erste Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der V GmbH in W, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Dominikanerbastei 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7102684/2019, betreffend Haftung für Lohnsteuer, Festsetzung Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2015 und 2016, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist eine 100%ige Tochter der X-Ltd mit Sitz in Großbritannien. Der Konzern bietet am Markt günstige Tarife für Telefonie bzw. Internet ins Ausland an, schließt dafür Verträge mit nationalen Telekommunikationsunternehmen ab und kauft bei diesen internationale Telefonminuten zu. Diese Tarife werden über Internet oder über Gutscheine bzw. Simkarten angeboten. Die Revisionswerberin erzielt Einnahmen aus dem Verkauf dieser Gutscheine und Simkarten und betreibt Marketingmaßnahmen für diese Produkte.

2 Im Zuge einer Prüfung lohnabhängiger Abgaben für die Jahre 2014 bis 2016 stellte die Prüferin fest, dass die Revisionswerberin 25 nicht angemeldete Dienstnehmer beschäftigt und für diese keine Lohnabgaben abgeführt habe. Daraufhin zog das Finanzamt auf Basis einer Schätzung die Revisionswerberin zur Haftung für Lohnsteuer 2015 und 2016 heran und setzte den Dienstgeberbeitrag und einen Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für diese Jahre fest.

3 Nach Beschwerdevorentscheidungen und Vorlageantrag gab das Bundesfinanzgericht der dagegen erhobenen Beschwerde teilweise Folge, hob den Haftungsbescheid für Lohnsteuer 2016 ersatzlos auf und änderte die übrigen Bescheide ab. Es stellte fest, dass die Revisionswerberin neben einem „virtuellen“ Büro im Revisionszeitraum über einen Lagerraum in Wien verfügt habe; dort seien Werbematerialien, wie Flyer, Simkarten, etc. aufbewahrt worden. Acht Mitarbeiter seien angemeldet gewesen und für diese die Abgaben ordnungsgemäß entrichtet worden. Neben den angemeldeten Mitarbeitern seien für die Revisionswerberin 25 nicht angemeldete Personen tätig gewesen. Das Bundesfinanzgericht führte weiters aus, dass ein Zeuge niederschriftlich unter anderem angegeben habe, er sei von der Revisionswerberin als Event- und Promotionsmitarbeiter angestellt worden. Ihm seien Personen zugeteilt worden, die teilweise keinen Aufenthaltstitel gehabt hätten, Asylwerber gewesen seien und keine Arbeitsgenehmigung gehabt hätten. Die Bezeichnung der Tätigkeit und die Umschreibung der Aufgaben des Zeugen legten den Schluss nahe, dass dieser in einer „leitenden“ Position tätig gewesen sei. Zwei weitere angemeldete Mitarbeiter der Revisionswerberin hätten zu Protokoll gegeben, dass alleine in Wien fünf bis sechs Personen mit der Verteilung von Werbematerial beschäftigt gewesen seien. Dass die Revisionswerberin jedoch nicht ausschließlich in Wien aktiv gewesen sei, gehe schon aus dem Bericht der Prüferin hervor und werde auch durch die Aussage des Zeugen bestätigt. Dieser Feststellung sei weder in der Beschwerde noch im Vorlageantrag widersprochen worden. Der Geschäftsführer der Revisionswerberin habe ausgeführt, es seien mittlerweile sämtliche Mitarbeiter unter anderem wegen der Akquise weiterer Personen gekündigt worden. Diese Aussage bestätige die Zeugenaussage, dass weitere, nicht gemeldete Mitarbeiter für die Revisionswerberin tätig gewesen seien. Dass diese Mitarbeiter von den sie akquirierenden Dienstnehmern entlohnt worden seien, sei weder glaubwürdig noch entspreche eine solche Vorgangsweise der Lebenserfahrung. Hinsichtlich der Anzahl der nicht gemeldeten Dienstnehmer habe sich die Prüferin auf die Angaben des Zeugen gestützt, der eine Liste mit den Namen dieser Dienstnehmer auf seinem Handy gespeichert gehabt habe. Diese Liste habe nach der glaubwürdigen Aussage der Prüferin 25 Personen umfasst, weshalb es nachvollziehbar erscheine, dass die Prüferin die Lohnabgaben für 25 nicht gemeldete Personen der Revisionswerberin vorgeschrieben habe.

4 Im gegenständlichen Fall sei aufgrund der im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung durchgeführten Zeugenbefragungen hervorgekommen, dass die Revisionswerberin über die gemeldeten Mitarbeiter hinaus Dienstnehmer für die Verteilung von Werbemitteln beschäftigt habe. Diesbezüglich seien jedoch keine Unterlagen vorgelegt und keine Angaben gemacht worden. Aus diesem Grund sei die Abgabenbehörde verpflichtet gewesen, die Besteuerungsgrundlagen für die Ermittlung der Lohnabgaben im Schätzungsweg zu ermitteln.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, gemäß § 184 Abs. 2 BAO könne eine Schätzung dann erfolgen, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermöge oder weitere Auskünfte verweigere. Die Revisionswerberin habe sich nicht geweigert, Unterlagen über die Entlohnung von Mitarbeitern herauszugeben; es sei ihr faktisch unmöglich gewesen, da diese Personen keine Mitarbeiter gewesen seien. Die Anwendung des § 184 Abs. 2 BAO sei daher unzulässig. Es gehe um den Beweis von negativen Tatsachen. Zudem hätte das Bundesfinanzgericht eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Es hätte sich vom Zeugen, auf dessen Aussage das Gericht seine Beweiswürdigung gestützt habe, ein eigenes Bild machen müssen.

6 Das Finanzamt hat nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Gemäß Abs. 2 ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen wesentlich sind.

11 Die Befugnis (Verpflichtung) zur Schätzung beruht allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln; insbesondere setzt die Schätzungsberechtigung kein Verschulden der Partei am Fehlen von Aufzeichnungen voraus (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 184 Rz 6). Im Gegensatz zur Ansicht in der Revision ist eine Schätzung damit nicht nur in den Fällen des § 184 Abs. 2 BAO möglich.

12 Das Bundesfinanzgericht hat festgestellt, dass die Revisionswerberin 25 Mitarbeiter beschäftigt und nicht angemeldet hat. Es hat sich dabei unter anderem auf Zeugenaussagen gestützt. Wenn die Revision im Wesentlichen nur vorbringt, sie könne keine Unterlagen vorlegen, weil die Mitarbeiter nicht von der Revisionswerberin beschäftigt worden seien, wendet sie sich somit gegen den festgestellten Sachverhalt, ohne die zugrundeliegende Beweiswürdigung zu bekämpfen. Mit dem unsubstantiierten Revisionsvorbringen wird nicht aufgezeigt, dass die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet ist.

13 Die Revisionswerberin hat keine Unterlagen betreffend die - vom Bundesfinanzgericht festgestellten - 25 Mitarbeiter vorgelegt, weshalb die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermittelt werden konnten. Eine Schätzung der Bemessungsgrundlagen gemäß § 184 BAO ist daher zu Recht erfolgt.

14 Wenn die Revision vorbringt, das Bundesfinanzgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, ist darauf zu verweisen, dass ein entsprechender Antrag im Sinne des § 274 Abs. 1 BAO von der Revisionswerberin weder in der Beschwerde noch im Vorlageantrag gestellt wurde. Ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Rahmen eines BAO-Verfahrens setzt einen rechtzeitigen Antrag des Beschwerdeführers voraus (vgl. , mwN). Auf eine mündliche Verhandlung, wenn es der Einzelrichter für erforderlich hält (§ 274 Abs. 1 Z 2 BAO), besteht kein Rechtsanspruch (vgl. , mwN).

15 Soweit die Revision moniert, das Bundesfinanzgericht hätte sich einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen machen müssen, übersieht sie, dass im Abgabenverfahren der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht gilt (vgl. , mwN).

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

18 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BAO §166
BAO §184
BAO §184 Abs2
BAO §269 Abs2
BAO §274 Abs1 Z1
BAO §274 Abs1 Z2
VwRallg
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021130014.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-45600