VwGH 15.06.2022, Ra 2021/11/0041
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Schon aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich, dass § 29 Abs. 3 LSD-BG 2016 keinen Strafaufhebungs- oder -ausschließungsgrund im Sinne des § 45 Abs. 1 Z 2 VStG normiert. Denn sowohl Abs. 2 als auch Abs. 3 des § 29 LSD-BG 2016 setzen voraus, dass der in dessen Abs. 1 umschriebene Straftatbestand nach der objektiven und subjektiven Tatseite erfüllt ist. Kommt es zu einer Nachzahlung unter den Anforderungen des Abs. 2, entfällt die Strafbarkeit. Kommt es zu einer Nachzahlung unter den Anforderungen des Abs. 3, bleibt zwar die Strafbarkeit bestehen, es ist jedoch von der Verhängung einer Strafe abzusehen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum LSDB, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-302266/20/GS/CJ, betreffend Übertretungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Wels; mitbeteiligte Partei: I M in W (Deutschland), vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Neubaugasse 24), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Mitbeteiligte als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der S GmbH mit Sitz in Deutschland der Unterentlohnung betreffend fünf näher genannte Arbeitnehmer im Zeitraum von 5. April bis schuldig erkannt und über ihn gemäß § 29 LSD-BG eine Geldstrafe bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.
2 1.2. Der gegen dieses Straferkenntnis vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (in der Folge: Verwaltungsgericht) im ersten Rechtsgang mit Erkenntnis vom Folge und hob das genannte Straferkenntnis auf.
3 1.3. Der Verwaltungsgerichtshof gab der gegen diese „Aufhebung“ des Straferkenntnisses erhobenen außerordentlichen Revision der Wiener Gebietskrankenkasse mit Erkenntnis vom , Ra 2019/11/0199, statt und hob das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
4 2.1. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde im zweiten Rechtsgang erneut Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.
5 In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht zunächst fest, aus den vorliegenden Arbeitszeitaufzeichnungen und der bei der von der Revisionswerberin durchgeführten Kontrolle erstellten Niederschrift ergebe sich, dass die im Straferkenntnis genannten Arbeitnehmer im Zeitraum vom 5. April bis vier Tage auf einer näher bezeichneten Baustelle in Oberösterreich tätig gewesen seien. Die Arbeitnehmer seien von der S GmbH, die ihren Sitz in Deutschland habe, nach Österreich entsandt worden. Für die genannten Arbeitnehmer sei der Kollektivvertrag für Baugewerbe(-industrie)Arbeiter samt Lohnordnung anzuwenden. Alle Arbeitnehmer seien in die Lohngruppe III „angelernter Bauarbeiter“ d) einzustufen. Aus der vorliegenden Gehaltsliste und den Arbeitszeitaufzeichnungen resultiere, dass es hinsichtlich fünf der genannten Arbeitnehmer zu einer Unterentlohnung in Höhe von 5% gekommen sei. In der Strafanzeige sei ausgeführt worden, dass die Wiener Gebietskrankenkasse als Kompetenzzentrum LSDB die S GmbH mit Schreiben aufgefordert habe, den fünf genannten Arbeitnehmern die offenen Entgeltbeträge gemäß § 13 Abs. 6 LSD-BG nachzuzahlen, weil eine geringe Unterschreitung des zustehenden Mindestentgelts für April 2018 festgestellt worden sei. Die S GmbH sei der Aufforderung zur Nachzahlung jedoch nicht nachgekommen.
6 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, im gegenständlichen Fall liege eine Unterentlohnung von fünf Dienstnehmern für jeweils vier Tage im April 2018 in der Höhe von 5% vor. Im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei gegenständlich von einer geringen Unterentlohnung über einen kurzen Zeitraum auszugehen. Gemäß § 29 Abs. 3 LSD-BG habe auch die Bezirksverwaltungsbehörde als zuständige Strafbehörde im Falle einer geringen Unterschreitung oder einer leichten Fahrlässigkeit des Beschuldigten eine Frist zur Nachzahlung des vorenthaltenen Mindestentgelts festzusetzen. Trotz festgestellter geringer Unterentlohnung habe die belangte Behörde die mitbeteiligte Partei nicht nochmals zur Nachzahlung des vorenthaltenen Mindestentgelts innerhalb einer festzusetzenden Frist aufgefordert. Die durch die belangte Behörde erfolgte Bestrafung der mitbeteiligten Partei sei somit rechtswidrig. Gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG habe die Behörde insbesondere dann von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen. Mangels aufgezeigter Rechtswidrigkeit des der mitbeteiligten Partei zur Last gelegten Verhaltens sei der Beschwerde Folge zu geben und das Strafverfahren spruchgemäß einzustellen gewesen.
7 3. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vorbringt, die Einstellung des Strafverfahrens infolge Unterlassung der Aufforderung zur Nachzahlung durch die belangte Behörde entbehre der gesetzlichen Grundlage bzw. finde in § 45 Abs. 1 Z 2 VStG keine Deckung. Der Verfahrensmangel bilde nämlich keinen Strafaufhebungs- oder -ausschließungsgrund. Vielmehr hätte das Verwaltungsgericht das Strafverfahren gemäß § 38 VwGVG dadurch zu ergänzen gehabt, selbst eine solche Aufforderung gemäß § 29 Abs. 3 LSD-BG an die mitbeteiligte Partei zu richten. Im Falle einer Aufforderung hätte es in weiterer Folge außerdem eine andere Entscheidung getroffen, nämlich entweder bei Nachzahlung von der Verhängung einer Strafe gemäß § 29 Abs. 3 LSD-BG abgesehen oder bei Nichtzahlung eine Verhängung einer Strafe gemäß § 29 Abs. 1 LSD-BG veranlasst. In keinem Fall wäre das Verfahren eingestellt, sondern jedenfalls ein Schuldspruch verhängt worden.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren durchgeführt, in dem die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung nicht erstattete.
9 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
11 Gemäß § 38 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Bescheidbeschwerden in Verwaltungsstrafsachen insbesondere jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Fallgegenständlich ging das Verwaltungsgericht selbst davon aus, dass die belangte Behörde die mitbeteiligte Partei gemäß § 29 Abs. 3 LSD-BG schriftlich zur Nachzahlung des vorenthaltenen Mindestentgelts innerhalb einer festzusetzenden Frist aufzufordern gehabt hätte.
12 Gemäß § 29 Abs. 1 LSD-BG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer als Arbeitgeber einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm oder ihnen zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten.
13 Wie § 29 Abs. 2 LSD-BG normiert, ist die Strafbarkeit nach Abs. 1 nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber vor einer Erhebung der zuständigen Einrichtung nach den §§ 12, 14 und 15 die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem Arbeitnehmer nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgelt nachweislich leistet.
14 Erfolgt eine Nachzahlung nicht bereits vor der in Abs. 2 bezeichneten Erhebung, hat die Behörde, mithin das Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren, gemäß § 29 Abs. 3 LSD-BG von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn sie bzw. es feststellt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem Arbeitnehmer nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgericht festzusetzenden Frist nachweislich leistet, und die Unterschreitung des nach Abs. 1 maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist oder das Verschulden des Arbeitgebers oder des zur Vertretung nach außen Berufenen (§ 9 Abs. 1 VStG) oder des verantwortlichen Beauftragten (§ 9 Abs. 2 oder 3 VStG) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt.
15 Fallgegenständlich stellte das Verwaltungsgericht fest, dass es hinsichtlich fünf Arbeitnehmer der S GmbH über einen Zeitraum von vier Arbeitstagen zu einer Unterentlohnung in Höhe von 5% gekommen sei, und ging unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon aus, dass es sich dabei lediglich um eine geringe Unterentlohnung über einen kurzen Zeitraum handle (woraus es ersichtlich schloss, dass die belangte Behörde zur nochmaligen Aufforderung zur Nachzahlung verpflichtet gewesen wäre). Das Verwaltungsgericht ging in der Folge jedoch nicht nach dem gemäß § 38 VwGVG von ihm im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwendenden § 29 Abs. 3 LSD-BG vor, sondern „schloss“ von der seitens der belangten Behörde unterlassenen Nachzahlungsaufforderung in nicht nachvollziehbarer Weise auf mangelnde Rechtswidrigkeit der der mitbeteiligten Partei zur Last gelegten, im Beschwerdeverfahren festgestellten Unterentlohnung und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Dabei übersah es, dass die Verwirklichung des Tatbestandes des § 29 Abs. 1 LSD-BG, d.h. der Umstand, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat, Voraussetzung für ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 LSD-BG ist, sodass der erste Einstellungsgrund des § 45 Abs. 1 Z 2 VStG nicht erfüllt war.
16 Andererseits ergibt sich schon aus dem Regelungszusammenhang, dass § 29 Abs. 3 LSD-BG keinen Strafaufhebungs- oder -ausschließungsgrund im Sinne des § 45 Abs. 1 Z 2 VStG normiert. Denn sowohl Abs. 2 als auch Abs. 3 des § 29 LSD-BG setzen voraus, dass der in dessen Abs. 1 umschriebene Straftatbestand nach der objektiven und subjektiven Tatseite erfüllt ist. Kommt es zu einer Nachzahlung unter den Anforderungen des Abs. 2, entfällt die Strafbarkeit. Kommt es zu einer Nachzahlung unter den Anforderungen des Abs. 3, bleibt zwar die Strafbarkeit bestehen, es ist jedoch von der Verhängung einer Strafe abzusehen.
17 Die vom Verwaltungsgericht vorliegend ausgesprochene Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens entbehrt folglich der gesetzlichen Grundlage.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Abweisung des Antrags der Revisionswerberin auf Aufwandersatz beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG (vgl. z.B. ).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110041.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-45580