VwGH 13.06.2023, Ra 2021/10/0162
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AVG §58 Abs2 AVG §60 AVG §8 B-VG Art135 Abs4 B-VG Art139 B-VG Art89 Abs1 EURallg FischotterV NÖ 2019 FischotterV NÖ 2019 §1 Abs1 NatSchG NÖ 2000 §18 NatSchG NÖ 2000 §18 Abs4 NatSchG NÖ 2000 §20 Abs6 UVPG 2000 §19 Abs7 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGVG 2014 §17 VwRallg 31992L0043 FFH-RL AnhIV 31992L0043 FFH-RL Art12 31992L0043 FFH-RL Art16 Abs1 |
RS 1 | Bei der Species des Fischotters (Lutra lutra) handelt es sich um eine in Anhang IV der FFH-RL angeführte "streng zu schützende" Tierart von gemeinschaftlichem Interesse. Für eine derartige Tierart sieht Art. 12 FFH-RL ein von den Mitgliedstaaten einzuführendes - näher bestimmtes - "strenges Schutzsystem" vor, von dem die Mitgliedstaaten nur unter den Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL "abweichen" dürfen. Die in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL formulierten Voraussetzungen finden sich im Wesentlichen in der Verordnungsermächtigung des § 20 Abs. 6 NÖ NatSchG 2000 wieder, welche der in Rede stehenden NÖ Fischotter-Verordnung zugrunde liegt; nur unter diesen Voraussetzungen "kann" die Landesregierung nach dieser Bestimmung "Ausnahmen von den Verboten nach § 18 Abs. 4 [NÖ NatSchG 2000] für einzelne Tier- und Pflanzenarten zulassen". Dem entsprechend stützt sich die belangte Behörde (NÖ Landesregierung) in der Promulgationsklausel der gegenständlichen Verordnung (ausdrücklich) auf § 20 Abs. 6 NÖ NatSchG 2000. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es nicht zweifelhaft, dass die NÖ Fischotter-Verordnung in Umsetzung des Unionsumweltrechtes, nämlich des Unions-Artenschutzrechtes nach den genannten Bestimmungen der FFH-RL, ergangen ist. Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag haben zwei anerkannte Umweltorganisationen gemäß § 19 Abs. 7 UVPG 2000, eine Beeinträchtigung von Unionsumweltrecht durch die gegenständliche NÖ Fischotter-Verordnung behauptet und dazu (umfangreich) inhaltliches Vorbringen erstattet. Dieser Antrag zielt auf die inhaltliche Überprüfung der geltenden Verordnung anhand der Vorgaben des Unionsumweltrechtes, namentlich der FFH-RL, durch die belangte Behörde ab; diese, die NÖ Landesregierung, ist zufolge der Verordnungsermächtigung des § 20 Abs. 6 NÖ NatSchG 2000 zur jederzeitigen Abänderung oder Aufhebung der NÖ Fischotter-Verordnung befugt. (Für das VwG hingegen gilt Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 1 B-VG.) Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht - richtig erkennend, dass Sache des von ihm zu erledigenden Beschwerdeverfahrens ausschließlich die Überprüfung der bereits von der belangten Behörde ausgesprochenen Zurückweisung des Antrages war - diese Zurückweisung durch Abweisung der Beschwerde der Umweltorganisationen; zur Begründung berief sich das VwG auf die Kompetenz des VfGH gemäß Art. 139 B-VG zur Prüfung von Verordnungen auf deren Gesetzmäßigkeit. Diese Begründung greift allerdings insofern zu kurz, als der VfGH in seiner (bisherigen) Rechtsprechung anerkannten Umweltorganisationen keine Parteistellung im Verfahren nach Art. 139 B-VG und damit keine Antragslegitimation zuerkennt (vgl. , sowie , V 87/2014). |
Normen | B-VG Art18 Abs1 B-VG Art18 Abs2 EURallg IG-L 1997 §10 IG-L 1997 §9a NatSchG NÖ 2000 §18 Abs4 NatSchG NÖ 2000 §20 Abs6 UVPG 2000 §19 Abs7 VwGG §42 Abs2 Z1 VwRallg 12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 31992L0043 FFH-RL AnhIV 31992L0043 FFH-RL Art12 31992L0043 FFH-RL Art16 Abs1 32005D0370 AarhusKonvention Art6 62018CJ0179 Rohart VORAB |
RS 2 | Einer anerkannten Umweltorganisation steht aufgrund Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus iVm Art. 47 GRC, soweit der Schutz von Normen des Unionsumweltrechtes auf dem Spiel steht, grundsätzlich ein Recht auf Teilnahme (bereits) am behördlichen Verfahren zu (vgl. ; , 0082; ). Mit Blick auf einen Antrag einer anerkannten Umweltorganisation auf Erlassung einer Verordnung nach dem IG-L 1997, ungeachtet des Umstandes, dass das IG-L 1997 selbst keine Rechtsgrundlage für einen derartigen Antrag enthält, ist deren Legitimation zur Stellung eines solchen Antrages zum Zweck der Geltendmachung einer (vorgebrachten) Beeinträchtigung von umweltbezogenen Normen des Unionsrechtes zu bejahen (vgl. ; = VwSlg. 19.135 A; , 0021). Trotz des Rechtstypenzwangs in der österreichischen Rechtsordnung können Konstellationen auftreten, in denen die Verwaltung unter bestimmten (unionsrechtlichen) Voraussetzungen zur Erlassung einer Verordnung verpflichtet ist. In solchen Fällen wird ein Antragsrecht von Parteien bejaht. Hervorzuheben ist der Umstand, dass Maßnahmen auf der Grundlage von Luftqualitätsplänen nach der österreichischen Rechtsordnung (dem IG-L 1997) in Form einer Verordnung ergehen und grundsätzlich weder ein Antragsrecht noch ein einheitliches Verfahrensrecht hinsichtlich einer Verordnungserlassung besteht, keine Rechtfertigung für die Versagung eines unionsrechtlich gebotenen Anspruchs bildet. Vielmehr sind die österreichischen Behörden und Gerichte gefordert, für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu sorgen. Die Zurückweisung eines solchen Antrags mangels Antragsrechts auf Erlassung einer Verordnung stellt hingegen die Verweigerung der Sachentscheidung und somit eine Rechtsverletzung dar; der Gerichtshof stellte auch bereits klar, dass der Umstand, dass eine Verordnung bereits existiert, für sich allein keinen Grund darstellt, der einer Zulässigkeit eines Antrages auf inhaltliche Überprüfung der Verordnung entgegenstünde (vgl. ; = VwSlg. 19.135 A; vgl. ). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/10/0163
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Stoisser, über die Revision 1. des A U und 2. des U W, beide in Wien, beide vertreten durch Mag.a Dr.in Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-730/001-2020, betreffend Zurückweisung eines Antrages i.A. des NÖ Naturschutzgesetzes 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1.1. Mit (bei der belangten Behörde am eingelangtem) Schreiben vom beantragten die revisionswerbenden Parteien, zwei anerkannte Umweltorganisationen gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000, die NÖ Landesregierung (die belangte Behörde) möge ihre Verordnung vom , LGBl. Nr. 98/2019 (NÖ Fischotter-Verordnung), „auf ihre Vereinbarkeit mit Art 16 FFH-RL überprüfen“ und die Verordnung „aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit Art 16 FFH-RL ersatzlos aufheben“, in eventu mittels Bescheides über Zulässigkeit und Begründetheit des vorliegenden Antrages absprechen.
2 In der ausführlichen Begründung ihres Antrages brachten die revisionswerbenden Parteien im Kern vor, die angesprochene Verordnung betreffe eine streng geschützte Art (Fischotter; Lutra lutra) (u.a.) nach Anhang IV der FFH-RL; mit der Verordnung werde das Ausnahmeregime des Art. 16 FFH-RL umgesetzt, dessen Vorgaben würden jedoch nicht eingehalten.
3 Auch wenn das NÖ Naturschutzgesetz 2000 - NÖ NSchG 2000 keine Möglichkeit vorsehe, Verordnungen anzufechten, müsse es Umweltorganisationen möglich sein, dagegen einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, würde doch die gegenteilige Rechtsansicht den Mitgliedstaaten ermöglichen, nach Art. 16 FFH-RL gewährte Ausnahmen „durch die Wahl der Rechtsform komplett der Nachkontrolle zu entziehen“.
4 Der vorliegende Antrag werde daher unter Berufung auf die unionsrechtskonforme Auslegung nationalen Verfahrensrechts in Verbindung mit der Aarhus-Konvention, der GRC und der FFH-RL gestellt; in diesem Zusammenhang beriefen sich die revisionswerbenden Parteien ausdrücklich auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/07/0074 (betreffend die Zulässigkeit eines Antrages einer anerkannten Umweltorganisation auf Erlassung einer Verordnung nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft - IG-L). Danach dürfe Umweltorganisationen nicht die Möglichkeit genommen werden, die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen.
5 Daran schlossen die revisionswerbenden Parteien ein umfangreiches Vorbringen dazu an, weshalb sich die gegenständliche Verordnung nicht mit Art. 16 FFH-RL vereinbaren lasse.
6 Mit Schreiben vom erstatteten die revisionswerbenden Parteien weiteres (Rechts-)Vorbringen zu ihrem Antrag.
7 1.2. Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den „Antrag vom iVm mit dem Schreiben vom “ mangels Zuständigkeit zurück, dies mit der Begründung, dass gemäß Art. 139 B-VG die alleinige Zuständigkeit zur Prüfung von Verordnungen beim Verfassungsgerichtshof liege; der Landesregierung - somit der belangten Behörde - sei es daher „verwehrt, das Antragsbegehren inhaltlich zu beurteilen“.
8 1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien ab, wobei es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuließ.
9 Zur Begründung stützte sich auch das Verwaltungsgericht zusammengefasst auf das „Prüfungsmonopol des Verfassungsgerichtshofes für die Rechtmäßigkeit von Verordnungen“ gemäß Art. 139 B-VG; die belangte Behörde habe daher zu Recht ihre Zuständigkeit verneint.
10 1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
11 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 2. Für den vorliegenden Revisionsfall sind folgende Bestimmungen in den Blick zu nehmen:
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie):
„Artenschutz
Artikel 12
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:
a) alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;
b) jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten;
c) jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;
d) jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.
(2) Für diese Arten verbieten die Mitgliedstaaten Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren; vor Beginn der Anwendbarkeit dieser Richtlinie rechtmäßig entnommene Exemplare sind hiervon ausgenommen.
(3) Die Verbote nach Absatz 1 Buchstaben a) und b) sowie nach Absatz 2 gelten für alle Lebensstadien der Tiere im Sinne dieses Artikels.
(4) [...]
[...]
Artikel 16
(1) Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, daß die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:
a) zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;
b) zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;
c) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;
d) zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffuellung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;
e) um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben.
[...]
ANHANG IV
STRENG ZU SCHÜTZENDE TIER- UND PFLANZENARTEN VON GEMEINSCHAFTLICHEM INTERESSE
[...]
a) TIERE
[...]
Lutra lutra“
NÖ Naturschutzgesetz 2000 - NÖ NSchG 2000, LGBl. 5500-0 idF LGBl. Nr. 39/2021:
„§ 18
Artenschutz
(1) Die Vorschriften zum Artenschutz dienen dem Schutz und der Pflege der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt. [...]
(2) Wildwachsende Pflanzen oder freilebende Tiere, die nicht Wild im Sinne des NÖ Jagdgesetzes 1974, LGBl. 6500, sind, deren Bestandsschutz oder Bestandspflege
1. wegen ihrer Seltenheit oder der Bedrohung ihres Bestandes,
2. aus wissenschaftlichen oder landeskundlichen Gründen,
3. wegen ihres Nutzens oder ihrer Bedeutung für den Naturhaushalt oder
4. zur Erhaltung von Vielfalt oder Eigenart von Natur und Landschaft
erforderlich ist, sind durch Verordnung der Landesregierung gänzlich oder, wenn es für die Erhaltung der Art ausreicht, teil- oder zeitweise unter Schutz zu stellen. In der Verordnung können die Tier- und Pflanzenarten, deren Vorkommen im Landesgebiet vom Aussterben bedroht ist, bestimmt werden.
(3) [...]
(4) Es ist für die nach den Abs. 2 und 3 besonders geschützten Arten verboten:
1. Pflanzen oder Teile davon auszugraben oder von ihrem Standort zu entfernen, zu beschädigen oder zu vernichten, in frischem oder getrocknetem Zustand zu erwerben, zu verwahren, weiterzugeben, zu befördern oder feilzubieten. Dieser Schutz bezieht sich auf sämtliche ober- und unterirdische Pflanzenteile;
2. Tiere zu verfolgen, absichtlich zu beunruhigen, zu fangen, zu halten, zu verletzen oder zu töten, im lebenden oder toten Zustand zu erwerben, zu verwahren, weiterzugeben, zu befördern oder feilzubieten;
3. Eier, Larven, Puppen oder Nester dieser Tiere oder ihre Nist-, Brut-, Laich- oder Zufluchtstätten zu beschädigen, zu zerstören oder wegzunehmen sowie
4. Störungen an den Lebens-, Brut- und Wohnstätten der vom Aussterben bedrohten und in der Verordnung aufgeführten Arten, insbesondere durch Fotografieren oder Filmen, zu verursachen.
[...]
§ 20
Ausnahmebewilligungen
[...]
(4) Durch Bescheid kann die Landesregierung Ausnahmen von den Vorschriften nach § 18 gestatten, sofern es keine anderweitige zufrieden stellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmegenehmigung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen. [...]
(5) [...]
(6) Die Landesregierung kann mit Verordnung Ausnahmen von den Verboten nach § 18 Abs. 4 für einzelne Tier- und Pflanzenarten zulassen, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, wenn einer der folgenden Gründe vorliegt:
1. im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit, insbesondere bei Gefahr für Leib und Leben, oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;
2. zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;
3. zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;
4. zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;
5. um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten, spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten zu erlauben.
[...]
§ 27b
Beteiligung von Umweltorganisationen
(1) Umweltorganisationen, die gemäß § 19 Abs. 7 des UVP-G 2000, BGBl. Nr. 697/1993, zur Ausübung von Parteienrechten in Niederösterreich befugt sind, sind an Verfahren gemäß § 10 Abs. 1 und 2 zu beteiligen.
[...]
§ 27c
Nachprüfende Kontrolle durch Umweltorganisationen
(1) Umweltorganisationen im Sinne des § 27b Abs. 1 steht das Recht zu, gegen Bescheide gemäß § 20 Abs. 4, sofern geschützte Tier- und Pflanzenarten, die in
- Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder
- Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie aufgelistet oder in
- Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutz-Richtlinie genannt sind,
betroffen sind, Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht zu erheben.
[...]
§ 37
Umgesetzte EG-Richtlinien
(1) Durch dieses Gesetz werden folgende Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft umgesetzt:
1. Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. Nr. L 206 vom , S. 7;
[...]“
NÖ Artenschutzverordnung, LGBl. 5500/2-0:
„Die NÖ Landesregierung hat am aufgrund des § 18 Abs. 2 und 3 des NÖ Naturschutzgesetzes 2000, LGBl. 5500-3, verordnet:
[...]
§ 3
Gänzlich geschützte Tierarten
Gänzlich geschützt sind die in Anlage 2 angeführten freilebenden Tierarten.
[...]
Anlage 2
[...]
Gänzlich geschützte freilebende Tierarten
[...]
Weiters alle nicht angeführten Tierarten des Anhangs IV lit. a der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, sofern sie nicht dem NÖ Jagdgesetz 1974, LGBl. 6500, unterliegen.“
NÖ Fischotter-Verordnung, LGBl. Nr. 98/2019:
„Die NÖ Landesregierung hat am aufgrund des § 20 Abs. 6 des NÖ Naturschutzgesetzes 2000, LGBl. 5500 in der Fassung LGBl. Nr. 26/2019, verordnet:
§ 1
Geltungsbereich und Ziel
(1) Die Verordnung gilt für die besonders geschützte Art Fischotter (Lutra lutra) in der kontinentalen biogeografischen Region. Diese wird durch die in Anlage 1 genannten Gemeinden begrenzt und in Anlage 2 dargestellt.
(2) Die Verordnung gilt an Teichanlagen, die der Zucht und Produktion von Speisefischen oder Setzlingen dienen, in einem Bereich von 50 Metern vom jeweiligen Gewässerrand.
(3) Die Verordnung gilt nicht
1. in Naturschutzgebieten,
2. in den Nationalparken Donau-Auen und Thayatal sowie
3. in den Europaschutzgebieten, in denen der Fischotter als Schutzgegenstand genannt ist.
(4) Ziel dieser Verordnung ist die Abwendung von Gefährdungen des öffentlichen Interesses an der Teichwirtschaft durch Maßnahmen zur Reduktion von Ausfraß an den von der Verordnung umfassten Teichanlagen.
§ 2
Eingriffsmöglichkeiten, Eingriffsberechtigte
(1) Die Maßnahmen nach Abs. 2 sind nur an jenen Teichanlagen erlaubt, an denen Zäunungen nicht ausreichend zielführend umsetzbar sind.
(2) An den von der Verordnung umfassten Teichanlagen dürfen, bezogen auf das Bundesland Niederösterreich, insgesamt höchstens 50 Fischotter pro Kalenderjahr entnommen werden. [...]
(3) Gemäß den folgenden Bestimmungen dürfen
1. Fischotter ganzjährig mittels Fallen gefangen und anschließend getötet werden. Weibliche Tiere sind, außer unter den in Z 2 genannten Umständen, unverzüglich und unversehrt freizulassen.
2. Fischotter, sofern es sich nicht um Nachwuchs führende Weibchen handelt, in der Zeit von 1. November bis 28. Februar jeden Jahres unmittelbar, d.h. durch Direktschuss mittels Langwaffe, getötet werden.
[...]
§ 3
Fallenfang
[...]
§ 4
Unmittelbare Tötung
[...]“
13 3. Zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision bringen die revisionswerbenden Parteien (unter anderem) vor, das Verwaltungsgericht sei von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es ihnen als eingetragenen Umweltorganisationen ein Antrags- und Überprüfungsrecht mit Blick auf eine Verordnung, mit der unionsrechtliches Umweltrecht umgesetzt werde, versage (Hinweis u.a. auf das erwähnte Erkenntnis Ra 2015/07/0074 sowie auf ).
14 Nach dieser Rechtsprechung komme den revisionswerbenden Parteien das Recht zu, durch die Behörde vorgenommene Handlungen und begangene Unterlassungen - soweit diese gegen umweltbezogene Bestimmungen (des Unionsrechtes) verstießen - anzufechten.
15 4. Mit Blick auf dieses Vorbringen ist die Revision zulässig. Sie erweist sich auch als berechtigt.
16 4.1. Auszugehen ist davon, dass es sich bei der hier interessierenden Species des Fischotters (Lutra lutra) um eine in Anhang IV der FFH-RL angeführte „streng zu schützende“ Tierart von gemeinschaftlichem Interesse handelt. Für eine derartige Tierart sieht Art. 12 FFH-RL ein von den Mitgliedstaaten einzuführendes - näher bestimmtes - „strenges Schutzsystem“ vor, von dem die Mitgliedstaaten nur unter den Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL „abweichen“ dürfen.
17 Die in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL formulierten Voraussetzungen finden sich im Wesentlichen in der Verordnungsermächtigung des § 20 Abs. 6 NÖ NSchG 2000 wieder, welche der in Rede stehenden NÖ Fischotter-Verordnung zugrunde liegt; nur unter diesen Voraussetzungen „kann“ die Landesregierung nach dieser Bestimmung „Ausnahmen von den Verboten nach § 18 Abs. 4 [NÖ NSchG 2000] für einzelne Tier- und Pflanzenarten zulassen“.
18 Dem entsprechend stützt sich die belangte Behörde (NÖ Landesregierung) in der Promulgationsklausel der gegenständlichen Verordnung (ausdrücklich) auf § 20 Abs. 6 NÖ NSchG 2000.
19 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es nicht zweifelhaft, dass die NÖ Fischotter-Verordnung in Umsetzung des Unionsumweltrechtes, nämlich des Unions-Artenschutzrechtes nach den genannten Bestimmungen der FFH-RL, ergangen ist.
20 4.2. Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag vom haben die revisionswerbenden Parteien, zwei anerkannte Umweltorganisationen gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000, eine Beeinträchtigung von Unionsumweltrecht durch die gegenständliche NÖ Fischotter-Verordnung behauptet und dazu (umfangreich) inhaltliches Vorbringen erstattet. Dieser Antrag zielt auf die inhaltliche Überprüfung der geltenden Verordnung anhand der Vorgaben des Unionsumweltrechtes, namentlich der FFH-RL, durch die belangte Behörde ab; diese, die NÖ Landesregierung, ist zufolge der Verordnungsermächtigung des § 20 Abs. 6 NÖ NSchG 2000 zur jederzeitigen Abänderung oder Aufhebung der NÖ Fischotter-Verordnung befugt. (Für das Verwaltungsgericht hingegen gilt Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 1 B-VG.)
21 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht - richtig erkennend, dass Sache des von ihm zu erledigenden Beschwerdeverfahrens ausschließlich die Überprüfung der bereits von der belangten Behörde ausgesprochenen Zurückweisung des Antrages war - diese Zurückweisung durch Abweisung der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien bestätigt; zur Begründung berief sich das Verwaltungsgericht auf die Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 139 B-VG zur Prüfung von Verordnungen auf deren Gesetzmäßigkeit.
22 Diese Begründung greift allerdings insofern zu kurz, als der Verfassungsgerichtshof in seiner (bisherigen) Rechtsprechung anerkannten Umweltorganisationen keine Parteistellung im Verfahren nach Art. 139 B-VG und damit keine Antragslegitimation zuerkennt (vgl. , sowie , V 87/2014; kritisch dazu etwa T.Weber in Ennöckl/Niederhuber, Umweltrecht. Jahrbuch 2017, 300 ff).
23 4.3. Angesichts dessen ist die - auf Judikatur des EuGH gestützte - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in den Blick zu nehmen, der zufolge einer anerkannten Umweltorganisation - wie den hier revisionswerbenden Parteien - aufgrund Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus iVm Art. 47 GRC, soweit der Schutz von Normen des Unionsumweltrechtes auf dem Spiel steht, grundsätzlich ein Recht auf Teilnahme (bereits) am behördlichen Verfahren zusteht (vgl. etwa das bereits von den revisionswerbenden Parteien zitierte Erkenntnis Ro 2018/10/0010, sowie , 0082, jeweils mwN; weiters etwa ).
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber hinaus mit Blick auf einen Antrag einer anerkannten Umweltorganisation auf Erlassung (u.a.) einer Verordnung nach dem IG-L deren Legitimation zur Stellung eines solchen Antrages ungeachtet des Umstandes, dass das IG-L selbst keine Rechtsgrundlage für einen derartigen Antrag enthielt, zum Zweck der Geltendmachung einer (vorgebrachten) Beeinträchtigung von umweltbezogenen Normen des Unionsrechtes bejaht (vgl. das von den revisionswerbenden Parteien ins Treffen geführte Erkenntnis Ra 2015/07/0074, mwH, etwa auf = VwSlg. 19.135 A, sowie , 0021).
25 In diesem Zusammenhang wurde auch (unter Anführung von Beispielen) dargelegt, dass trotz des Rechtstypenzwangs in der österreichischen Rechtsordnung Konstellationen auftreten können, in denen die Verwaltung unter bestimmten (unionsrechtlichen) Voraussetzungen zur Erlassung einer Verordnung verpflichtet ist, und dass in solchen Fällen ein Antragsrecht von Parteien bejaht wird. Der Verwaltungsgerichtshof hob hervor, dass der Umstand, dass Maßnahmen auf der Grundlage von Luftqualitätsplänen nach der österreichischen Rechtsordnung (dem IG-L) in Form einer Verordnung ergehen und grundsätzlich weder ein Antragsrecht noch ein einheitliches Verfahrensrecht hinsichtlich einer Verordnungserlassung besteht, keine Rechtfertigung für die Versagung eines unionsrechtlich gebotenen Anspruchs bildet. Vielmehr sind die österreichischen Behörden und Gerichte gefordert, für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu sorgen. Die Zurückweisung eines solchen Antrags mangels Antragsrechts auf Erlassung einer Verordnung stellt hingegen die Verweigerung der Sachentscheidung und somit eine Rechtsverletzung dar (vgl. wiederum VwSlg. 19.135 A sowie Ra 2015/07/0074); der Gerichtshof stellte auch bereits klar, dass der Umstand, dass eine Verordnung bereits existiert, für sich allein keinen Grund darstellt, der einer Zulässigkeit eines Antrages auf inhaltliche Überprüfung der Verordnung entgegenstünde (vgl. etwa Ra 2015/07/0074 [Rz 55], mH auf VwSlg. 19.135 A [Punkt 6.2.]; vgl. in diesem Zusammenhang auch , in Bezug auf Anträge auf Änderung einer bereits bestehenden Verordnung).
26 5. Nach dem Gesagten erweist sich die mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages als inhaltlich rechtswidrig, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
27 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AVG §58 Abs2 AVG §60 AVG §8 B-VG Art135 Abs4 B-VG Art139 B-VG Art18 Abs1 B-VG Art18 Abs2 B-VG Art89 Abs1 EURallg FischotterV NÖ 2019 FischotterV NÖ 2019 §1 Abs1 IG-L 1997 §10 IG-L 1997 §9a NatSchG NÖ 2000 §18 NatSchG NÖ 2000 §18 Abs4 NatSchG NÖ 2000 §20 Abs6 UVPG 2000 §19 Abs7 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGVG 2014 §17 VwRallg 12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 31992L0043 FFH-RL AnhIV 31992L0043 FFH-RL Art12 31992L0043 FFH-RL Art16 Abs1 32005D0370 AarhusKonvention Art6 62018CJ0179 Rohart VORAB |
Schlagworte | Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021100162.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-45577