VwGH 20.12.2022, Ra 2021/08/0127
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Der Entgeltbegriff des § 5 Abs. 2 ASVG ist im Sinn des § 49 ASVG zu verstehen. Als Entgelt ist daher der Betrag anzusehen, auf den ein Anspruch bestand (Anspruchslohn), oder ein allenfalls tatsächlich geleistetes höheres Arbeitsentgelt. Grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind im Sinn von § 49 Abs. 2 iVm. § 44 Abs. 1 ASVG Sonderzahlungen (vgl. , mwN). |
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RS 2 | Vor dem StruktAnpG 1996, BGBl. Nr. 201/1996, waren Urlaubsentschädigungen ("Urlaubsabfindungen") nach § 49 Abs. 3 Z 7 ASVG nicht als Entgelt anzusehen und blieben somit beitragsfrei. Mit der genannten Novelle wurden sie aus § 49 Abs. 3 Z 7 ASVG herausgenommen und gleichzeitig § 11 Abs. 2 ASVG dahingehend ergänzt, dass seitdem der Bezug einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) die Dauer der Pflichtversicherung verlängert. Urlaubsersatzleistungen fallen daher seitdem unter den Entgeltbegriff des § 49 ASVG (vgl. ). |
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RS 3 | Die Pflichtversicherung besteht nach § 11 Abs. 2 ASVG für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt weiter. Die Bestimmung trifft somit eine Regelung über die Lagerung der Versicherungspflicht (vgl. ). Die Pflichtversicherung wird um den Zeitraum des Urlaubsanspruchs verlängert, der nach § 10 UrlaubsG 1976 durch die Urlaubsersatzleistung abgegolten wird. Die Urlaubsersatzleistung wird - unbeschadet dessen, dass es sich um einen vermögensrechtlichen Entgeltanspruch handelt - insoweit sozialversicherungsrechtlich einer Konsumation des offenen Urlaubs nach Ende des Dienstverhältnisses gleichgesetzt, was ihre fiktive Aufteilung über den ganzen Zeitraum des offenen Urlaubsanspruchs und damit auch eine dementsprechende Verlängerung der Pflichtversicherung rechtfertigt (vgl. , mwN). |
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RS 4 | Die Urlaubsersatzleistung ist in den jeweiligen Kalendermonaten - den Beitragszeiträumen nach § 44 Abs. 2 ASVG -, denen sie nach § 11 Abs. 2 ASVG zuzuordnen ist, für die Beitragsgrundlage zu berücksichtigen. Wird in einem solchen Monat auch noch laufendes Entgelt aus einem oder mehreren Dienstverhältnissen bezogen, setzt sich die Gesamthöhe des Entgelts im Sinn des § 49 ASVG somit neben dem laufenden Entgelt für diesen Monat und allenfalls einer diesem Beitragszeitraum zuzuordnenden Kündigungsentschädigung auch aus der diesem Monat entsprechend der Anordnung des § 11 Abs. 2 ASVG zuzurechnenden Urlaubsersatzleistung zusammen. In Hinblick auf den Gleichklang des Entgeltbegriffes nach § 5 Abs. 2 ASVG mit dem nach § 49 ASVG ist diese sich unter Berücksichtigung einer Urlaubsersatzleistung ergebende Beitragsgrundlage auch der Beurteilung zugrunde zu legen, ob die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird. |
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RS 5 | Nach den Gesetzesmaterialien zum StruktAnpG 1996 sollten Urlaubsentschädigungen als "beitragspflichtiges Entgelt behandelt werden" (ErlRV 72 BlgNR 20. GP 253). Dass dies für die Beurteilung des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze nicht gelten sollte, ist den Erläuterungen zur Regierungsvorlage nicht zu entnehmen. Mit der Novelle wurde vielmehr erreicht, dass beitragsrechtlich die Leistung einer Ersatzleistung für den bei Beendigung des Dienstverhältnisses noch offenen Urlaub weitgehend gleichbehandelt wird wie die Konsumation des Urlaubs am Ende des Dienstverhältnisses (etwa während einer Kündigungsfrist). Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu sehen, dass die Berücksichtigung der Urlaubsersatzleistung für die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG unsachlich wäre. |
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RS 6 | Nach § 1 Abs. 4 DLSG 2006 sind neben Sonderzahlungen auch Urlaubsersatzleistungen für die Entgeltgrenze - die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach dem ASVG - nicht zu berücksichtigen. Damit in Zusammenhalt steht, dass nach § 2 Abs. 3 DLSG 2006 das Entgelt neben dem entsprechend der jeweiligen Arbeitszeit gebührenden Stundenlohn auch eine Abgeltung für nicht verbrauchten Urlaub nach § 10 UrlaubsG 1976 und die aliquoten Sonderzahlungen zu enthalten hat. Entgegen dem sonst nach § 7 UrlaubsG 1976 bestehenden Verbot, Urlaub in Geld abzulösen, ist im DLSG 2006 somit die Abgeltung des Urlaubsanspruches durch das Arbeitsentgelt vorgesehen. Es liegt somit hinsichtlich der Urlaubsersatzleistung eine Sonderregelung vor (vgl. idS ), die die dem DLSG 2006 unterliegenden Arbeitsverhältnisse, bei denen aufgrund ihrer Kürze die Konsumation von Urlaub nicht vorgesehen ist, von anderen Dienstverhältnissen unterscheidet. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 42/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W178 2223543-1/5E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: E K in W),
1. zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Antrag der Österreichischen Gesundheitskasse auf Kostenersatz wird abgewiesen.
2. den Beschluss gefasst:
Der Antrag des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Im August 2017 legte der Mitbeteiligte der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), deren Rechtsnachfolgerin die revisionswerbende Österreichische Gesundheitskasse ist, Einkommensnachweise über zwei Beschäftigungen im Juli 2017 bei der G GmbH und der HF GmbH vor. Danach war er bei der G GmbH bis zum beschäftigt und bezog im Juli 2017 aus diesem Dienstverhältnis ein laufendes Entgelt von € 127,43. Aufgrund eines daran anschließenden Beschäftigungsverhältnisses bei der HF GmbH bezog er für 11. bis ein laufendes Entgelt von € 297,99. Nach einer unter einem vom Mitbeteiligten vorgelegten Lohn- und Gehaltsabrechnung wurden ihm von der G GmbH - neben dem laufenden Entgelt - im Juli 2017 weiters eine Urlaubsersatzleistung von € 345,53 sowie Sonderzahlungen ausbezahlt.
2 Mit Bescheid vom stellte die WGKK fest, der Mitbeteiligte sei von 1. bis aufgrund seiner beiden geringfügigen Beschäftigungen bei der G GmbH und der HF GmbH der Voll- (Kranken-, Unfall- und Pensions-)versicherung nach § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG iVm. §§ 471f ff ASVG unterlegen (Spruchpunkt I.). Weiters schrieb die WGKK dem Mitbeteiligten die Leistung eines Pauschalbetrages nach § 53a Abs. 3 ASVG zur Zahlung vor (Spruchpunkt II.).
3 Begründend führte die WGKK aus, unter Berücksichtigung der Lohn- und Gehaltsabrechnung der G GmbH ergebe sich bei Zusammenrechnung des laufenden Entgelts von € 127,43 und der Urlaubsersatzleistung von € 345,53, dass dem Mitbeteiligten von der G GmbH ein Arbeitsentgelt in der Höhe von insgesamt € 472,96 ausbezahlt worden sei. Gemeinsam mit dem laufenden Entgelt der HF GmbH von € 297,99 betrage die Beitragsgrundlage des Mitbeteiligten im Juli 2017 somit € 770,95. Damit sei die - im Jahr 2017 geltende - Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG von € 425,70 überschritten worden.
4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und stellte fest, dass der Mitbeteiligte von 1. bis nicht der Vollversicherungspflicht gemäß §§ 471f ff ASVG iVm. § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG unterlegen sei. Den Spruchpunkt II. des Bescheides der WGKK vom hob das Bundesverwaltungsgericht ersatzlos auf. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe im Juli 2017 laufendes Entgelt von der G GmbH von € 127,43 und von der HF GmbH von € 297,99, somit insgesamt € 425,25, bezogen. Damit sei die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG von damals € 425,70 nicht überschritten worden. Eine Pflichtversicherung in der Vollversicherung sei daher nicht eingetreten. Die von der G GmbH bezogene Urlaubsersatzleistung von € 345,53 sei entgegen der Annahme der WGKK nicht zu berücksichtigen. Seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. I Nr. 201/1996, sei gemäß § 11 Abs. 2 ASVG die Urlaubsersatzleistung zwar als beitragspflichtiges Entgelt anzusehen. Die Absicht des Gesetzgebers sei es dabei gewesen, eine Verbreiterung der Beitragsgrundlage und die Einbeziehung aller Erwerbseinkommen in die Sozialversicherung zu bewirken. Aus den Gesetzesmaterialien lasse sich jedoch nicht ableiten, dass mit dieser Novelle eine Auswirkung auf die Beurteilung der Geringfügigkeitsgrenze beabsichtigt worden wäre. Es sei nicht davon auszugehen, dass intendiert gewesen wäre, das Vorliegen eines geringfügigen Dienstverhältnisses vom „zufälligen Umstand“, welcher Urlaubsanspruch zum Ende des Dienstverhältnisses noch nicht verbraucht sei, abhängig zu machen. Eine andere Auslegung wäre somit als unsachlich anzusehen. Da somit keine Vollversicherung des Mitbeteiligten bestanden habe, habe auch die Vorschreibung eines Pauschalbetrages nach § 53a Abs. 3 ASVG die Grundlage verloren.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision der Österreichischen Gesundheitskasse. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof einen als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz eingebracht, in dem er der Ansicht der Österreichischen Gesundheitskasse beitrat und beantragte, der Revision stattzugeben.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Urlaubsersatzleistung nicht für die Beurteilung des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze zu berücksichtigen sei, und verweist dazu darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen nicht auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen könne.
9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
10 Nach § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG sind (ua.) Dienstnehmer von der Vollversicherung ausgenommen, wenn das ihnen aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Kalendermonat gebührende Entgelt den Betrag gemäß Abs. 2 leg. cit. nicht übersteigt (geringfügig beschäftigte Personen). Zeitraumbezogen gilt nach der für das Bestehen der Pflichtversicherung im Juli 2017 maßgeblichen Fassung gemäß § 5 Abs. 2 ASVG in Verbindung mit den gemäß § 108 Abs. 1 iVm. Abs. 6 ASVG durch BGBl. II Nr. 391/2016 kundgemachten festen Beträgen ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als € 425,70 gebührt.
11 Nach § 11 Abs. 2 ASVG besteht die Pflichtversicherung weiter für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) sowie für die Zeit des Bezuges einer Kündigungsentschädigung. Die zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses fällig werdende pauschalierte Kündigungsentschädigung ist auf den entsprechenden Zeitraum der Kündigungsfrist umzulegen. Gebühren sowohl eine Kündigungsentschädigung als auch eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung), so ist zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitraumes zunächst die Kündigungsentschädigung heranzuziehen und im Anschluss daran die Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung).
12 Gemäß § 44a Abs. 3 ASVG (in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 138/1998) sind, wenn der Versicherte für das geringfügige Beschäftigungsverhältnis bis zum 30. Juni des Kalenderjahres, das dem Jahr der Beitragsgrundlagenbildung gemäß den Abs. 1 und 2 folgt, die tatsächlichen allgemeinen monatlichen Beitragsgrundlagen (Entgelt im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG) für die einzelnen Kalendermonate nachweist, diese Beitragsgrundlagen für die Feststellung der Vollversicherungspflicht und für die Bemessung der Beiträge maßgeblich.
13 Nach dem Abschnitt Ib des neunten Teils des ASVG gelten Sonderbestimmungen (ua.) für Dienstnehmer, wenn deren monatliche allgemeine Beitragsgrundlagen aus zwei oder mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nach diesem Bundesgesetz oder dem Dienstleistungsscheckgesetz den im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Betrag übersteigen bzw. voraussichtlich übersteigen werden (§ 471f ASVG). Für diese beginnt nach § 471h Abs. 1 ASVG die Pflichtversicherung in dem Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, und zwar rückwirkend mit jenem Tag, an dem in diesem Kalendermonat erstmalig eine geringfügige Beschäftigung nach diesem Bundesgesetz oder dem Dienstleistungsscheckgesetz aufgenommen worden ist. Die Pflichtversicherung endet für sie nach § 471h Abs. 2 ASVG mit dem Ablauf des Kalendermonates, in dem die Voraussetzungen hiefür wegfallen.
14 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass der Entgeltbegriff des § 5 Abs. 2 ASVG im Sinn des § 49 ASVG zu verstehen ist. Als Entgelt ist daher der Betrag anzusehen, auf den ein Anspruch bestand (Anspruchslohn), oder ein allenfalls tatsächlich geleistetes höheres Arbeitsentgelt. Grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind im Sinn von § 49 Abs. 2 iVm. § 44 Abs. 1 ASVG Sonderzahlungen (vgl. , mwN).
15 Vor dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, waren Urlaubsentschädigungen („Urlaubsabfindungen“) nach § 49 Abs. 3 Z 7 ASVG nicht als Entgelt anzusehen und blieben somit beitragsfrei. Mit der genannten Novelle wurden sie aus § 49 Abs. 3 Z 7 ASVG herausgenommen und gleichzeitig § 11 Abs. 2 ASVG dahingehend ergänzt, dass seitdem der Bezug einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) die Dauer der Pflichtversicherung verlängert. Urlaubsersatzleistungen fallen daher seitdem unter den Entgeltbegriff des § 49 ASVG (vgl. ; Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 49 ASVG, Rz 139).
16 Die Pflichtversicherung besteht nach § 11 Abs. 2 ASVG für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt weiter. Die Bestimmung trifft somit eine Regelung über die Lagerung der Versicherungspflicht (vgl. nochmals VwGH 98/08/0397). Die Pflichtversicherung wird um den Zeitraum des Urlaubsanspruchs verlängert, der nach § 10 Urlaubsgesetz durch die Urlaubsersatzleistung abgegolten wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Urlaubsersatzleistung - unbeschadet dessen, dass es sich um einen vermögensrechtlichen Entgeltanspruch handelt - insoweit sozialversicherungsrechtlich einer Konsumation des offenen Urlaubs nach Ende des Dienstverhältnisses gleichgesetzt wird, was ihre fiktive Aufteilung über den ganzen Zeitraum des offenen Urlaubsanspruchs und damit auch eine dementsprechende Verlängerung der Pflichtversicherung rechtfertigt (vgl. , mwN).
17 Die Urlaubsersatzleistung ist daher in den jeweiligen Kalendermonaten - den Beitragszeiträumen nach § 44 Abs. 2 ASVG -, denen sie nach § 11 Abs. 2 ASVG zuzuordnen ist, für die Beitragsgrundlage zu berücksichtigen. Wird in einem solchen Monat auch noch laufendes Entgelt aus einem oder mehreren Dienstverhältnissen bezogen, setzt sich die Gesamthöhe des Entgelts im Sinn des § 49 ASVG somit neben dem laufenden Entgelt für diesen Monat und allenfalls einer diesem Beitragszeitraum zuzuordnenden Kündigungsentschädigung auch aus der diesem Monat entsprechend der Anordnung des § 11 Abs. 2 ASVG zuzurechnenden Urlaubsersatzleistung zusammen.
18 In Hinblick auf den dargestellten Gleichklang des Entgeltbegriffes nach § 5 Abs. 2 ASVG mit dem nach § 49 ASVG ist diese sich unter Berücksichtigung einer Urlaubsersatzleistung ergebende Beitragsgrundlage auch der Beurteilung zugrunde zu legen, ob die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird. Entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts steht dieses Ergebnis nicht mit den Zielsetzungen des Strukturanpassungsgesetzes 1996 im Widerspruch. Nach den Gesetzesmaterialien zu dieser Novelle sollten Urlaubsentschädigungen als „beitragspflichtiges Entgelt behandelt werden“ (ErlRV 72 BlgNR 20. GP 253). Dass dies für die Beurteilung des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze nicht gelten sollte, ist den Erläuterungen zur Regierungsvorlage nicht zu entnehmen. Mit der Novelle wurde vielmehr erreicht, dass beitragsrechtlich die Leistung einer Ersatzleistung für den bei Beendigung des Dienstverhältnisses noch offenen Urlaub weitgehend gleichbehandelt wird wie die Konsumation des Urlaubs am Ende des Dienstverhältnisses (etwa während einer Kündigungsfrist). Vor diesem Hintergrund ist - anders als vom Bundesverwaltungsgericht angenommen - auch nicht zu sehen, dass die Berücksichtigung der Urlaubsersatzleistung für die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG unsachlich wäre.
19 Ausgehend davon wäre die Urlaubsersatzleistung, die der Mitbeteiligte von der G GmbH bezogen hat, nach Maßgabe der oben dargestellten Grundsätze aber für die Beurteilung zu berücksichtigen gewesen, ob die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG - allenfalls bereits allein durch die Beschäftigung bei der G GmbH bzw. aufgrund mehrerer geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse - im Juli 2017 überschritten wurde. Zu welchem Teil die Urlaubsersatzleistung diesem Monat zuzurechnen ist, ist im Sinn des § 11 Abs. 2 ASVG davon abhängig, welcher Urlaubsanspruch damit abgegolten wurde.
20 Hingewiesen sei darauf, dass § 1 Abs. 4 Dienstleistungsscheckgesetz (DLSG) für die dem DLSG unterliegenden Arbeitsverhältnisse (vgl. § 1 Abs. 1 DLSG) eine abweichende Regelung enthält. Nach dieser Bestimmung sind neben Sonderzahlungen auch Urlaubsersatzleistungen für die Entgeltgrenze - die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach dem ASVG - nicht zu berücksichtigen. Damit in Zusammenhalt steht, dass nach § 2 Abs. 3 DLSG das Entgelt neben dem entsprechend der jeweiligen Arbeitszeit gebührenden Stundenlohn auch eine Abgeltung für nicht verbrauchten Urlaub nach § 10 Urlaubsgesetz und die aliquoten Sonderzahlungen zu enthalten hat. Entgegen dem sonst nach § 7 Urlaubsgesetz bestehenden Verbot, Urlaub in Geld abzulösen, ist im DLSG somit die Abgeltung des Urlaubsanspruches durch das Arbeitsentgelt vorgesehen. Es liegt somit hinsichtlich der Urlaubsersatzleistung eine Sonderregelung vor (vgl. idS ), die die dem DLSG unterliegenden Arbeitsverhältnisse, bei denen aufgrund ihrer Kürze die Konsumation von Urlaub nicht vorgesehen ist, von anderen Dienstverhältnissen unterscheidet.
21 Im vorliegenden Fall ist aber ausgeschlossen, dass die vom Mitbeteiligten im Juli 2017 bei der G GmbH und der HF GmbH ausgeübten Beschäftigungen dem DLSG unterlegen wären, es sich somit im Sinn von § 1 Abs. 1 DLSG um mit Dienstleistungsscheck entlohnte, auf längstens einen Monat befristete Erbringungen von einfachen haushaltstypischen Dienstleistungen in Privathaushalten gehandelt hätte. Tätigkeiten in einem Privathaushalt wurden nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts und dem Akteninhalt nämlich nicht verrichtet.
22 Da das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Ansicht, Urlaubsersatzleistungen seien hinsichtlich der Beurteilung der Geringfügigkeit eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 5 Abs. 2 ASVG nicht zu berücksichtigen, somit die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
23 Die Österreichische Gesundheitskasse hat gemäß § 47 Abs. 4 VwGG im Fall einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz. Ein solcher kommt aber auch deswegen nicht in Betracht, weil die Österreichische Gesundheitskasse selbst Rechtsträgerin im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG ist. Der diesbezügliche Antrag war daher abzuweisen (vgl. , mwN).
24 Soweit der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in seinem als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz selbst den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses stellt, ist festzuhalten, dass dieser Antrag der Sache nach als Revision zu verstehen ist. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass derartige Anträge, soweit die Revisionsfrist abgelaufen ist, als verspätet zurückzuweisen sind (vgl. idS etwa ; , Ro 2022/03/0016; , Ra 2017/08/0124; jeweils mwN).
25 Im vorliegenden Fall wurde das angefochtene Erkenntnis dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vom Bundesverwaltungsgericht am zugestellt. Der genannte als Revisionsbeantwortung bezeichnete Schriftsatz wurde dem Verwaltungsgerichtshof im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs am übermittelt. Die sechswöchige Revisionsfrist war daher bereits bei Einlangen beim Verwaltungsgerichtshof abgelaufen, sodass der darin gestellte - der Sache nach als Revision anzusehende - Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.
Wien, am
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Normen | ASVG §11 Abs2 ASVG §44 ASVG §44 Abs1 ASVG §44 Abs2 ASVG §49 ASVG §49 Abs2 ASVG §49 Abs3 Z7 ASVG §5 Abs2 DLSG 2006 §1 Abs1 DLSG 2006 §1 Abs4 DLSG 2006 §2 Abs3 StruktAnpG 1996 UrlaubsG 1976 §10 UrlaubsG 1976 §7 VwRallg |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080127.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-45551