VwGH 23.09.2021, Ra 2021/08/0119
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §30 Abs2 |
RS 1 | Nichtstattgebung - Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG - Im Fall der Auferlegung von Geldleistungen ist es notwendig, die im Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen Einkünfte sowie Vermögensverhältnisse (unter Einschluss der Schulden nach Art und Ausmaß) konkret - tunlichst ziffernmäßig - anzugeben; weiters sind Angaben dazu erforderlich, welcher Vermögensschaden durch welche Maßnahme droht und inwiefern dieser Schaden im Hinblick auf die sonstigen Vermögensumstände der beschwerdeführenden Partei unverhältnismäßig ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. AW 2010/08/0003). |
Normen | AlVG 1977 §1 Abs1 lita ASVG §4 Abs1 Z1 ASVG §58 AVG §38 AVG §58 Abs2 AVG §60 AVG §68 Abs1 VwGG §42 Abs2 Z3 litb VwGG §42 Abs2 Z3 litc VwGVG 2014 §29 Abs1 VwRallg |
RS 1 | Das Bestehen der Pflichtversicherung ist im Beitragsverfahren eine Vorfrage. Wurde die Pflichtversicherung rechtskräftig festgestellt, so ist das BVwG daran gebunden. Es muss daher im Verfahren über die Beitragspflicht zum Bestehen und zur Dauer der Pflichtversicherung keine eigenen Ermittlungen durchführen. Das enthebt aber nicht von der Verpflichtung, den Umfang der Beitragspflicht nachvollziehbar zu begründen. Es ist zwar in Fällen, in denen die rechnerische Richtigkeit der Beiträge im Beschwerdeverfahren nicht in Frage gestellt wurde, nicht ausgeschlossen, auf die dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Berechnungen zu verweisen. Ein Minimalerfordernis für die Begründung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses, mit dem eine Beitragspflicht auferlegt wird, ist aber die nachvollziehbare Angabe des Zeitraums, auf den sich diese Pflicht bezieht. Stimmt der Zeitraum - ohne, dass dies erläutert wird - nicht mit demjenigen überein, für den die Pflichtversicherung festgestellt wurde und auf dem die Berechnungen des Versicherungsträgers beruhen, so liegt darin ein wesentlicher Begründungsmangel, weil die Richtigkeit der Beitragsvorschreibung sich insoweit einer Überprüfung entzieht. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der S GmbH, vertreten durch Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Marktplatz 9, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I413 2174506-1/16E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Gebietskrankenkasse), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
1 Um die vom Gesetzgeber bei einer Entscheidung über die aufschiebende Wirkung geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 10.381/A) erforderlich, dass der Antragsteller konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt. Im Fall der Auferlegung von Geldleistungen ist es notwendig, die im Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen Einkünfte sowie Vermögensverhältnisse (unter Einschluss der Schulden nach Art und Ausmaß) konkret - tunlichst ziffernmäßig - anzugeben; weiters sind Angaben dazu erforderlich, welcher Vermögensschaden durch welche Maßnahme droht und inwiefern dieser Schaden im Hinblick auf die sonstigen Vermögensumstände der beschwerdeführenden Partei unverhältnismäßig ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. AW 2010/08/0003).
2 Im vorliegenden Antrag wird demgegenüber nur vorgebracht, dass sich die Höhe der nachverrechneten Beiträge auf „mehrere tausend Euro“ belaufe und mit der unverzüglichen Anweisung an die Österreichische Gesundheitskasse „jedenfalls ein zu erwartender unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG verbunden“ wäre, weil „mit einer sofortigen Zahlung erhebliche wirtschaftliche Nachteile verbunden wären“. Damit ist die antragstellende Partei der sie treffenden Konkretisierungspflicht nicht nachgekommen.
3 Der Antrag war daher abzuweisen.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der S GmbH in D, vertreten durch die Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Marktplatz 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I413 2174506-1/16E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Gebietskrankenkasse, nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom verpflichtete die Vorarlberger Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK) die revisionswerbende Partei als Dienstgeberin zur Entrichtung von Beiträgen und Umlagen in der Höhe von € 51.659,41 sowie Verzugszinsen in Höhe von € 16.960,50. Begründend verwies die GKK zunächst auf ihre Bescheide vom 28. und , mit denen die Pflichtversicherung von zehn Dienstnehmern der revisionswerbenden Partei in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG sowie in der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG festgestellt worden war. Weiters verwies sie auf den Prüfbericht vom und die Beitragsabrechnung vom , die laut Spruch - ebenso wie die Bescheide betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung - einen „integrierten Bestandteil dieses Bescheides“ bilden sollten.
2 Die von der revisionswerbenden Partei gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht - teilweise abweichend von den von ihm bereits zuvor mit Erkenntnissen vom 20., 26. und 28. Juli sowie vom 2. und bestätigten Bescheiden betreffend Feststellung der Pflichtversicherung - die Versicherungszeiten der einzelnen Dienstnehmer und sodann den Gesamtbetrag der zu entrichtenden Beiträge und Verzugszinsen fest, die sich - so die Erklärung in der Beweiswürdigung - aus den unbestrittenen Berechnungen im Rahmen der GPLA ergeben hätten. Hinsichtlich der Versicherungspflicht der Dienstnehmer verwies das Bundesverwaltungsgericht auf deren bindende Feststellung mit den genannten Vorerkenntnissen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
4 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zunächst gegen die Annahme, dass die Entscheidungen betreffend die Pflichtversicherung der Dienstnehmer im Beitragsverfahren Bindungswirkung entfalten könnten, obwohl diese Entscheidungen beim Verwaltungsgerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof bekämpft worden seien. Dieses Vorbringen geht schon deswegen ins Leere, weil die Revisionen gegen die Erkenntnisse betreffend Feststellung der Pflichtversicherung mittlerweile zurückgewiesen worden sind (vgl. VwGH je vom , Ra 2021/08/0096 bis 0097; Ra 2021/08/0098 bis 0099; Ra 2021/08/0100 bis 0101; Ra 2021/08/0102 bis 0103; Ra 2021/08/0104 bis 0105; Ra 2021/08/0106 bis 0107; Ra 2021/08/0108 bis 0109; Ra 2021/08/0110 bis 0111; Ra 2021/08/0112 bis 0113; sowie bis 0116) und die Behandlung der parallel an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden abgelehnt worden ist (vgl. VfGH je vom , E 3287/2021; E 3288/2021; E 3289/2021; E 3290/2021; E 3291/2021; E 3388/2021; E 3418/2021; E 3419/2021; sowie VfGH je vom , E 3439/2021; E 3492/2021).
5 Soweit die Revision jedoch geltend macht, dass hinsichtlich einzelner Dienstnehmer die Zeiten der Pflichtversicherung im angefochtenen Erkenntnis abweichend von den Ergebnissen des Verfahrens betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung angegeben worden seien, erweist sie sich als zulässig und berechtigt.
6 Das Bestehen der Pflichtversicherung ist im Beitragsverfahren eine Vorfrage. Wurde die Pflichtversicherung - wie im vorliegenden Fall - rechtskräftig festgestellt, so ist das Bundesverwaltungsgericht daran gebunden. Es muss daher im Verfahren über die Beitragspflicht zum Bestehen und zur Dauer der Pflichtversicherung keine eigenen Ermittlungen durchführen. Das enthebt aber nicht von der Verpflichtung, den Umfang der Beitragspflicht nachvollziehbar zu begründen. Es ist zwar in Fällen, in denen die rechnerische Richtigkeit der Beiträge im Beschwerdeverfahren nicht in Frage gestellt wurde, nicht ausgeschlossen, auf die dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Berechnungen zu verweisen. Ein Minimalerfordernis für die Begründung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses, mit dem eine Beitragspflicht auferlegt wird, ist aber die nachvollziehbare Angabe des Zeitraums, auf den sich diese Pflicht bezieht. Stimmt der Zeitraum - ohne, dass dies erläutert wird - nicht mit demjenigen überein, für den die Pflichtversicherung festgestellt wurde und auf dem die Berechnungen des Versicherungsträgers beruhen, so liegt darin ein wesentlicher Begründungsmangel, weil die Richtigkeit der Beitragsvorschreibung sich insoweit einer Überprüfung entzieht.
7 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
8 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft einerseits die in den Pauchalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthaltene Umsatzsteuer und andererseits die Eingabengebühr, die im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG nicht zu entrichten war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | VwGG §30 Abs2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021080119.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAF-45548