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VwGH 14.05.2024, Ra 2021/08/0091

VwGH 14.05.2024, Ra 2021/08/0091

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4
UGB §116 Abs1
UGB §164
RS 1
Ob einem Kommanditisten mehr Geschäftsführungsbefugnisse eingeräumt wurden, als ihm nach § 164 HGB (jetzt UGB) zustehen, richtet sich danach, ob sich seine Mitwirkungsrechte auch auf die Angelegenheiten des gewöhnlichen Betriebes der Gesellschaft erstrecken, ihm also nicht nur das Widerspruchsrecht nach § 164 erster Satz zweiter Halbsatz HGB (jetzt UGB) in Verbindung mit § 116 Abs. 1 HGB (jetzt UGB) zusteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/08/0041).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2012/08/0235 E RS 1 (hier ohne den letzten Teilsatz)
Normen
GewO 1994 §39 Abs2
GewO 1994 §94 Z26
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4
UGB §164
RS 2
Die Beantwortung der Frage, ob sich eine Kommanditistin in einer für § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG relevanten Weise "aktiv" im Unternehmen betätigt, kann in rechtlicher Hinsicht nur vom Umfang ihrer Geschäftsführungsbefugnisse abhängen. Aus einer (Eintragung einer) Stellung als gewerberechtliche Geschäftsführerin folgt keineswegs zwingend, dass Geschäftsführungsbefugnisse vorliegen, die zu einer Pflichtversicherung einer Kommanditistin nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG führen: Gemäß § 39 Abs. 2 GewO 1994 muss im Hinblick auf ein Gewerbe, für das (wie für das Gastgewerbe gemäß § 94 Z 26 GewO 1994) die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, der zu bestellende gewerberechtliche Geschäftsführer einer juristischen Person (1.) dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder (2.) ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Nach Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, Kommentar Gewerbeordnung4, § 39, Rz 24, kommt im Fall der Ausübung eines solchen Gewerbes durch eine GmbH & Co KG als gewerberechtliche/r Geschäftsführer/in einerseits ein/e unternehmensrechtliche/r Geschäftsführer/in der Komplementär-GmbH, andererseits aber auch ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer (bzw. eine solche Arbeitnehmerin) in Frage.
Normen
GewO 1994 §39 Abs4
GewO 1994 §9
RS 3
Die Eigenschaft als gewerberechtliche Geschäftsführerin endet schon mit dem tatsächlichen Ausscheiden aus der ihr zugrunde liegenden Funktion und nicht erst mit der Anzeige an die Behörde oder gar mit der Löschung der Eintragung aus dem Gewerbeinformationssystem Austria (vgl. etwa ).
Normen
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4
UGB §164
RS 4
Gesellschaftsrechtliche Geschäftsführungsbefugnisse könnten der Kommanditistin in Hinblick auf das Fehlen einer Formpflicht für den Gesellschaftsvertrag auch mündlich bzw. konkludent eingeräumt worden sein (vgl. näher , mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision der E S in S, vertreten durch Dr. Alexander Bosio, Rechtsanwalt in 5700 Zell am See, Strubergasse 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L511 2188606-1/6E, betreffend Pflichtversicherung nach dem GSVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA; nunmehr: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen) sprach mit Bescheid vom aus, die Revisionswerberin sei im Zeitraum von bis gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG der Pflichtversicherung in der Pensions- und Krankenversicherung unterlegen.

2 In der Begründung führte die SVA aus, die Revisionswerberin habe seit eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach dem GSVG bezogen. Im September 2016 sei der SVA der Einkommensteuerbescheid der Revisionswerberin für das Jahr 2014 im Wege des Datenaustausches übermittelt worden. Aus diesem hätten sich Einkünfte der Revisionswerberin aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 9.084,35 ergeben. Die Revisionswerberin halte 50 % der Gesellschaftsanteile der A-Hotel GmbH, sei weiters Kommanditistin der A-Hotel GmbH & Co KG und stelle dieser Gesellschaft Sonderbetriebsvermögen zur Verfügung, wodurch sie für „Firmenverbindlichkeiten“ hafte. „Diese Tätigkeit“ habe dazu geführt, dass die SVA - gestützt auf die Annahme einer „neuerlichen Pflichtversicherung nach dem GSVG“ - mit Bescheid vom den Wegfall der vorzeitigen Alterspension für den Zeitraum bis samt Verpflichtung zur Rückzahlung des entstandenen Überbezuges in Höhe von € 26.239,86 ausgesprochen habe. Dagegen habe die Revisionswerberin Klage beim Landesgericht Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht erhoben. Dieses Gericht habe das Verfahren über die Klage der Revisionswerberin mit Beschluss vom bis zur rechtskräftigen Klärung der Vorfrage des Vorliegens einer Pflichtversicherung nach dem GSVG unterbrochen.

3 Mittlerweile sei der SVA auch der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 übermittelt worden, aus dem sich gleichartige Einkünfte der Revisionswerberin aus Gewerbebetrieb auch für dieses Kalenderjahr ergäben. Zumal die Revisionswerberin somit in beiden in Rede stehenden Kalenderjahren Kommanditistin der A-Hotel GmbH & Co KG gewesen sei, sie dieser Gesellschaft Sonderbetriebsvermögen zur Verfügung gestellt habe und „aufgrund dieses Vermögens auch für Firmenverbindlichkeiten“ hafte, sei jedenfalls von einer Mittätigkeit und somit von einer versicherungspflichtigen selbständigen Erwerbstätigkeit der Revisionswerberin auszugehen.

4 Die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

6 Die Revisionswerberin sei mit 5 % als (beschränkt haftende) Kommanditistin an der A-Hotel GmbH & Co KG beteiligt, die ein Hotel in H betreibe. Weiterer Kommanditist sei - ebenfalls mit einer 5 %-Beteiligung - der Ehemann der Revisionswerberin. Dieser sei seit gewerberechtlicher Geschäftsführer für die Gewerbeberechtigung „Gästewagen-Gewerbe (Beförderung mit Personenkraftfahrzeugen), beschränkt auf die Verwendung von 2 PKW“ der A-Hotel GmbH & Co KG.

7 Unbeschränkt haftende Komplementärin der A-Hotel GmbH & Co KG mit einem Gesellschafteranteil von 90 % sei die A-Hotel GmbH. Die Revisionswerberin und ihr Ehemann seien jeweils zu 50 % Gesellschafterin bzw. Gesellschafter der A-Hotel GmbH. Bis seien die Revisionswerberin und ihr Ehemann jeweils selbständig vertretende handelsrechtliche Geschäftsführerin bzw. handelsrechtlicher Geschäftsführer gewesen. Im hier relevanten Zeitraum von bis sei der Ehemann der Revisionswerberin alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer der A-Hotel GmbH gewesen. Die A-Hotel GmbH sei ausschließlich „Arbeitsgesellschafterin“ der A-Hotel GmbH & Co KG und weder an deren Vermögen, noch an deren Gewinn oder Verlust beteiligt gewesen.

8 Von bis sei die Revisionswerberin alleinige gewerberechtliche Geschäftsführerin der A-Hotel GmbH & Co KG für die Gewerbeberechtigungen „Gastgewerbe Betriebsart Hotel gemäß § 189 Abs. 1 Z 1 bis 4 GewO 1973“ und „Hotelwagengewerbe beschränkt auf die Verwendung eines PKW bis zu 9 Sitzplätzen“ gewesen.

9 Die Revisionswerberin und ihr Ehemann hätten der A-Hotel GmbH & Co KG im Eigentum der Ehepartner verbleibendes Sonderbetriebsvermögen in Form von Liegenschaften und Bauten im Wert von € 5.555.780,61 zur Verfügung gestellt. Die dem Sonderbetriebsvermögen gegenüberstehenden Verbindlichkeiten in der Höhe von € 7.016.445,89 seien ebenfalls im Vermögen der Revisionswerberin und ihres Ehemannes verblieben. Eine über den Haftungsbetrag hinausgehende (unbeschränkte oder erweiterte) Haftung der Kommanditisten ergebe sich aus dem Gesellschaftsvertrag nicht.

10 Zur Geschäftsführung und Vertretung der A-Hotel GmbH & Co KG sei die A-Hotel GmbH als Komplementärin berechtigt und verpflichtet gewesen. Ihr alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer sei im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum der Ehemann der Revisionswerberin gewesen.

11 Beschlüsse der A-Hotel GmbH & Co KG hätten jedenfalls bis 2013 eine Drei-Viertel-Mehrheit bzw. in einigen Angelegenheiten Einstimmigkeit in der Gesellschafterversammlung erfordert. Beschlüsse der A-Hotel GmbH (der Komplementärin) hätten jedenfalls bis 2013 eine einfache Mehrheit, in einigen Angelegenheiten eine Drei-Viertel-Mehrheit (ohne Gewichtung der Stimmen) erfordert. Mit Generalversammlungsbeschluss und Gesellschafterbeschluss jeweils vom seien mündlich bereits im Jahr 2013 getroffene Ergänzungsvereinbarungen zu den Gesellschaftsverträgen schriftlich festgehalten worden. Demnach würden seit 2013 Beschlüsse in beiden Gesellschaften nunmehr mit einfacher Mehrheit gefasst, bei Stimmengleichheit entscheide die Stimme des Ehemannes der Revisionswerberin bzw. dessen Rechtsnachfolgers.

12 Den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheiden für 2014 bzw. für 2015 zufolge habe die Revisionswerberin im jeweiligen Kalenderjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 9.084,35 bzw. € 30.813,59 erzielt. Diese Einkünfte hätten aus der Beteiligung der Revisionswerberin an der A-Hotel GmbH & Co KG als Kommanditistin gestammt.

13 In der Beweiswürdigung hielt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere fest, der Umstand, dass die Revisionswerberin im relevanten Zeitraum gewerberechtliche Geschäftsführerin betreffend das Gast- und Hotelgewerbe der A-Hotel GmbH & Co KG gewesen sei, ergebe sich aus einem Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria (GISA).

14 In der rechtlichen Würdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, anders als die SVA im Bescheid vom gehe es nicht davon aus, dass die Revisionswerberin bereits deshalb, weil sie der A-Hotel GmbH & Co KG als deren Kommanditistin Sonderbetriebsvermögen zur Verfügung gestellt habe, während des in Rede stehenden Zeitraumes der Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterlegen sei. Aus einer näher bezeichneten Erklärung der Revisionswerberin und aus dem Gesellschaftsvertrag ergebe sich eindeutig, dass keine über den Haftungsbetrag hinausgehende (unbeschränkte oder erweiterte) Haftung der Kommanditistin gegolten habe. Aus der vertraglichen Zurverfügungstellung von Sonderbetriebsvermögen könnten grundsätzlich keine über die in den §§ 161 ff UGB geregelten Befugnisse eines Kommanditisten hinausgehenden Einflussmöglichkeiten auf den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb abgeleitet werden, was jedoch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Voraussetzung für die Annahme einer Pflichtversicherung eines Kommanditisten bzw. einer Kommanditistin gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG wäre.

15 Allerdings sei die Revisionswerberin vom Jahr 2006 bis zum Jahr 2018 und somit auch im gesamten hier relevanten Zeitraum von bis alleinige gewerberechtliche Geschäftsführerin betreffend die Gewerbeberechtigung „Gastgewerbe Betriebsart Hotel Berechtigung gemäß § 189 Abs. 1 Z 1 bis 4 GewO 1973“ der A-Hotel GmbH & Co KG gewesen. Dabei handle es sich gemäß § 94 Z 26 GewO 1994 um ein reglementiertes Gewerbe, für das ein Befähigungsnachweis erforderlich sei. § 39 Abs. 2 GewO 1994 verlange von der gewerberechtlichen Geschäftsführerin, sich im Betrieb „entsprechend zu betätigen“. Dass die Revisionswerberin etwa nur zum Schein gewerberechtliche Geschäftsführerin gewesen wäre oder sie von der A-Hotel GmbH & Co KG widerrechtlich von dieser Tätigkeit befreit worden wäre, sei nicht behauptet worden und ergebe sich auch nicht aus den vorgelegten Unterlagen. Somit ergebe sich bereits aus der Stellung der Revisionswerberin als gewerberechtliche Geschäftsführerin der A-Hotel GmbH & Co KG eine aktive Mittätigkeit der Revisionswerberin in Angelegenheiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes dieser Gesellschaft. Diese Tätigkeit sei somit dem Grunde nach der Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterlegen. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 9.084,35 im Jahr 2014 bzw. in der Höhe von € 30.813,59 im Jahr 2015 hätten die für das jeweilige Jahr maßgeblichen Versicherungsgrenzen von € 4.743,72 bzw. € 4.871,76 überschritten. Es sei auch keine Pflichtversicherung nach einem anderen Bundesgesetz vorgelegen. Die SVA habe die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG im Zeitraum von bis somit im Ergebnis zu Recht festgestellt.

16 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

17 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung insbesondere vor, das Bundesverwaltungsgericht habe das Vorliegen einer Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG ausschließlich daraus abgeleitet, dass die Revisionswerberin im in Rede stehenden Zeitraum als gewerberechtliche Geschäftsführerin im GISA eingetragen gewesen sei, woraus es auf eine aktive Mittätigkeit der Revisionswerberin in Angelegenheiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes der A-Hotel GmbH & Co KG geschlossen habe, ohne zu ermitteln, ob eine solche Mittätigkeit wirklich vorgelegen sei. Die Eintragung der Revisionswerberin als gewerberechtliche Geschäftsführerin und die Frage einer daraus abzuleitenden Mittätigkeit sei im gesamten behördlichen Verfahren nicht erörtert worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe im angefochtenen Erkenntnis seine diesbezüglichen Feststellungen getroffen, ohne der Revisionswerberin Parteiengehör einzuräumen. Wäre der Revisionswerberin die Eintragung als gewerberechtliche Geschäftsführerin im GISA vorgehalten und ihr eine Äußerungsmöglichkeit gegeben worden, hätte sie vorgebracht, dass sie für den in Rede stehenden Zeitraum zu Unrecht als gewerberechtliche Geschäftsführerin eingetragen gewesen sei. Mit der Abberufung als unternehmensrechtliche Geschäftsführerin der A-Hotel GmbH sei die gewerberechtliche Geschäftsführung „automatisch beendet“ worden, es sei „keinesfalls in irgendeiner Form eine Mittätigkeit“ vorgelegen und auch nicht vereinbart gewesen. Mit der Nichteinräumung des Parteiengehörs habe das Bundesverwaltungsgericht gegen das Überraschungsverbot im Sinne näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen. Außerdem fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob von einer (behauptetermaßen zu Unrecht eingetragenen) gewerberechtlichen Geschäftsführung auf eine aktive Mittätigkeit und damit in weiterer Folge auf eine Pflichtversicherung einer Kommanditistin nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG geschlossen werden könne.

18 Die Revision ist aus den geltend gemachten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

19 Wie der Verwaltungsgerichtshof - im Einklang mit den Gesetzesmaterialien (vgl. die ErlRV 1235 BlgNR 20. GP, 20 f) - in ständiger Rechtsprechung vertritt, sollen Kommanditisten nach Maßgabe einer „aktiven Betätigung“ im Unternehmen, die auf Einkünfte gerichtet ist, pflichtversichert sein, nicht jedoch Kommanditisten, die nur „ihr Kapital arbeiten lassen“, das heißt, sich im Wesentlichen auf die gesetzliche Stellung eines Kommanditisten beschränken. Die Beantwortung der Frage, ob sich ein Kommanditist in einer für § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG relevanten Weise „aktiv“ im Unternehmen betätigt, kann in rechtlicher Hinsicht nur vom Umfang seiner Geschäftsführungsbefugnisse abhängen. Kommanditisten, die nur „ihr Kapital arbeiten lassen“ und daher nicht nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG pflichtversichert sein sollen, sind jedenfalls jene, deren Rechtsstellung über die gesetzlich vorgesehenen Mitwirkungsrechte an der Geschäftsführung nicht hinausgeht. Nach § 164 UGB sind die Kommanditisten von der Führung der Geschäfte der Gesellschaft ausgeschlossen und können einer Handlung der unbeschränkt haftenden Gesellschafter nicht widersprechen, es sei denn, die Handlung geht über den gewöhnlichen Betrieb des Unternehmens hinaus. Die Beantwortung der Frage, ob einem Kommanditisten mehr Geschäftsführungsbefugnisse eingeräumt wurden, als ihm nach der dispositiven Regelung des § 164 UGB zustehen, richtet sich also danach, ob sich seine Mitwirkungsrechte auch auf die Angelegenheiten des gewöhnlichen Betriebs der Gesellschaft erstrecken (vgl. , mwN).

20 Das Bundesverwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die - im Sinne der dargestellten Rechtsprechung eine Voraussetzung für eine Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG bildende - „aktive Betätigung“ der Revisionswerberin im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der A-Hotel GmbH & Co KG, an der sie als Kommanditistin beteiligt war, bloß deshalb angenommen, weil sie während des in Rede stehenden Zeitraumes gewerberechtliche Geschäftsführerin des von der genannten Gesellschaft ausgeübten Gast-(bzw. Hotel-)gewerbes gewesen sei, was aus einer entsprechenden Eintragung im Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) hervorgehe.

21 Nach der oben referierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann allerdings die Beantwortung der Frage, ob sich eine Kommanditistin in einer für § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG relevanten Weise „aktiv“ im Unternehmen betätigt, in rechtlicher Hinsicht nur vom Umfang ihrer Geschäftsführungsbefugnisse abhängen. Aus einer (Eintragung einer) Stellung als gewerberechtliche Geschäftsführerin folgt jedoch keineswegs zwingend, dass Geschäftsführungsbefugnisse vorliegen, die zu einer Pflichtversicherung einer Kommanditistin nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG führen:

22 Gemäß § 39 Abs. 2 GewO 1994 muss im Hinblick auf ein Gewerbe, für das (wie vorliegend für das Gastgewerbe gemäß § 94 Z 26 GewO 1994) die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, der zu bestellende gewerberechtliche Geschäftsführer einer juristischen Person (1.) dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder (2.) ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Nach Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, Kommentar Gewerbeordnung4, § 39, Rz 24, kommt im - hier vorliegenden - Fall der Ausübung eines solchen Gewerbes durch eine GmbH & Co KG als gewerberechtliche/r Geschäftsführer/in einerseits ein/e unternehmensrechtliche/r Geschäftsführer/in der Komplementär-GmbH, andererseits aber auch ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, voll versicherungspflichtiger Arbeitnehmer (bzw. eine solche Arbeitnehmerin) in Frage.

23 Zumal im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren nie die Rede davon war, dass die Revisionswerberin jemals in einem Dienstverhältnis zur A-Hotel GmbH & Co KG gestanden wäre (was im Übrigen allenfalls eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 ASVG und nicht nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG auslösen hätte können), dürfte die Eintragung der Revisionswerberin als gewerberechtliche Geschäftsführerin des von der A-Hotel GmbH & Co KG ausgeübten Gastgewerbes auf ihrer (früheren) Stellung als unternehmensrechtliche Geschäftsführerin der A-Hotel GmbH (der Komplementär-GmbH) beruht haben. Nach den Sachverhaltsfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichts war allerdings im gesamten Zeitraum, für den die Pflichtversicherung der Revisionswerberin gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG festgestellt wurde, bereits der Ehemann der Revisionswerberin alleiniger unternehmensrechtlicher Geschäftsführer der A-Hotel GmbH; die Organfunktion der Revisionswerberin als unternehmensrechtliche Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH bestand nur bis . Wie die Revision zutreffend vorbringt, endet die Eigenschaft als gewerberechtliche Geschäftsführerin schon mit dem tatsächlichen Ausscheiden aus der ihr zugrunde liegenden Funktion und nicht erst mit der Anzeige an die Behörde oder gar mit der Löschung der Eintragung aus dem GISA (vgl. etwa , und insgesamt Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, Kommentar Gewerbeordnung4, § 39, Rz 42). Demnach war also schon die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Revisionswerberin die Stellung einer gewerberechtlichen Geschäftsführerin zukam, nicht gerechtfertigt. Entscheidend für das Vorliegen einer Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG ist jedoch letztlich nicht die Frage, ob ihr die gewerberechtliche Geschäftsführung zukam, sondern der Umfang ihrer gesellschaftsrechtlichen Geschäftsführungsbefugnisse.

24 Derartige Geschäftsführungsbefugnisse könnten der Revisionswerberin in Hinblick auf das Fehlen einer Formpflicht für den Gesellschaftsvertrag auch mündlich bzw. konkludent eingeräumt worden sein (vgl. näher , mwN). Indem das Bundesverwaltungsgericht jedoch aus der bloßen Eintragung der Revisionswerberin als gewerberechtliche Geschäftsführerin des von der A-Hotel GmbH & Co KG ausgeübten Gastgewerbes im Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) auf eine „aktive Mittätigkeit“ der Revisionswerberin in den Angelegenheiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes dieser Gesellschaft, an der sie als Kommanditistin beteiligt war, und in weiterer Folge auf ihre Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG geschlossen hat, hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage verkannt.

25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Umsatzsteuer, die in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist, den „Erhöhungsbetrag (ERV)“, für dessen gesonderte Geltendmachung die genannten Rechtsvorschriften keine Grundlage bieten (vgl. , mwN), und die Eingabengebühr, die im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 12 SVSG nicht zu entrichten war.

Wien, am

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GewO 1994 §39 Abs2
GewO 1994 §39 Abs4
GewO 1994 §9
GewO 1994 §94 Z26
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4
UGB §116 Abs1
UGB §164
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021080091.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-45546