Suchen Hilfe
VwGH 30.08.2022, Ra 2021/08/0013

VwGH 30.08.2022, Ra 2021/08/0013

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AlVG 1977 §36a Abs2
AlVG 1977 §36a Abs3 Z2
EStG 1988 §36
SozRÄG 2013
VwRallg
RS 1
Mit dem SozRÄG 2013, BGBl. I Nr. 67, entfernte der Gesetzgeber (unter anderem) den Verweis auf § 36 EStG 1988 aus den Hinzurechnungsregelungen des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG 1977 (diese Änderung ist in Kraft seit ; vgl § 79 Abs. 131 AlVG 1977). Aus den Erläuterungen (RV 2150 BlgNR 24. GP, 15-16) geht eindeutig hervor, dass die Streichung des Verweises auf § 36 EStG 1988 aus den Hinzurechnungsbestimmungen des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG 1977 nicht etwa nur deshalb erfolgte, weil die Hinzurechnungsanordnung hinsichtlich des § 36 EStG 1988 keinen Anwendungsbereich mehr hatte (dass sohin die Novellierung nicht bloß der legistischen Bereinigung dienen sollte), sondern dass die Gesetzesnovellierung in diesem Punkt eine Besserstellung der Betroffenen bezweckte, die von der Absicht getragen war, dass eine "steuerliche Begünstigung" auch im Arbeitslosenrecht Niederschlag finden sollte, und diese nicht dadurch "konterkartiert" werden sollte, dass betroffene Personen "weniger Leistung nach dem AlVG" erhalten. Dieses Ziel blieb mit der tatsächlich erfolgten Änderung des Gesetzeswortlautes an sich jedoch verfehlt. Denn nach dem novellierten Wortlaut blieb auch nach der Beseitigung des Verweises ("36") aus der Hinzurechnungsbestimmung der Wortlaut der Definition des "Einkommen[s] im Sinne dieses Bundesgesetzes" (§ 36a Abs. 2 AlVG 1977) unverändert, aus dem sich unter Berücksichtigung der Systematik des EStG 1988 weiterhin die Inklusion (auch) von Sanierungsgewinnen in den arbeitslosenversicherungsrechtlichen Einkommensbegriff ergibt. Dieser Wortlaut erweist sich in diesem Punkt freilich unter Berücksichtigung der durch das SozRÄG 2013 getroffenen Gesetzesnovellierung und der ausweislich der Materialien dadurch zum Ausdruck gebrachten (wenn auch im Normtext nicht hinreichend umgesetzten) Regelungsabsicht seit In-Kraft-Treten dieser Novellierung () als überschießend und ist daher in diesem Umfang (teleologisch) zu reduzieren. Zu beachten ist aber, dass die mit dem SozRÄG 2013 intendierte Änderung beim arbeitslosenversicherungsrechtlich heranzuziehenden Einkommen nur einkommensteuerrechtlich begünstigte Sanierungsgewinne im Sinne von § 36 EStG 1988 betraf. Der durch die Novelle gestrichene Verweis ("36") erfasste nämlich nicht Sanierungsgewinne im wirtschaftlichen Sinn schlechthin, also nicht alle Buchgewinne, die durch Schulderlässe zustande gekommen sind, sondern nur Sanierungsgewinne im Sinne des § 36 EStG 1988. Auch die Gesetzmaterialien zeigen, dass der Gesetzgeber nur die "steuerliche Begünstigung bei Insolvenzverfahren" vor Augen hatte; sohin jene Begünstigung, die das EStG 1988 in seinem § 36 regelt.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Arbeitsmarktservice Krems in 3500 Krems an der Donau, Südtiroler Platz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W266 2152738-1/20E, betreffend Widerruf und Rückforderung der Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: S P, vertreten durch Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Julius Raab Promenade 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom widerrief das Arbeitsmarktservice Krems (AMS) den Bezug der Notstandshilfe durch die Mitbeteiligte für den Zeitraum vom bis und verpflichtete diese zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen. Das AMS stützte diesen Bescheid darauf, dass das anzurechnende Einkommen des Ehemanns der Mitbeteiligten im Jahr 2014 laut Einkommensteuerbescheid trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenzen den Anspruch der Mitbeteiligten auf Notstandshilfe überstiegen habe.

2 In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde machte die Mitbeteiligte geltend, dass es zwar richtig sei, dass ihr Ehemann im Jahr 2014 laut Einkommensteuerbescheid Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von € 65.549,81 erzielt habe, dies jedoch nichts an dem Umstand ändere, dass nur durch die Notstandshilfe die grundlegenden Bedürfnisse der Mitbeteiligten und ihrer Familie befriedigt werden hätten können. Es habe sich somit genau jenes Lebensrisiko verwirklicht, zu dessen Linderung die Notstandshilfe eingeführt worden sei. Wie aus einem im Akt einliegenden Schreiben der Steuerberaterin des Ehemanns der Mitbeteiligten hervorgehe, ergebe sich das im Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Einkommen größtenteils aus einem Schuldenerlass zur Vermeidung eines Konkurses, welcher zu versteuern gewesen sei. In Wahrheit habe er im Jahr 2014 „einen hohen Verlust hinnehmen müssen“. Die Mitbeteiligte verkenne nicht, dass es die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als gesetzwidrig ansehe, wenn bei der Beurteilung des anzurechnenden Einkommens (im Interesse der Verwaltungsvereinfachung) der Einkommensteuerbescheid herangezogen werde. Im vorliegenden Fall sei aber ein ins Gewicht fallender Ermittlungsaufwand nicht zu erblicken, weil das AMS aufgrund des bereits vorgelegten Schreibens der Steuerberaterin des Ehemanns der Mitbeteiligten samt Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für 2014 keinerlei zusätzliche Ermittlungen zur Notlage der Beschwerdeführerin anstellen hätte müssen. Aus diesen Unterlagen könne „selbst ein völlig ungebildeter Laie erkennen“, dass die Rückforderung der Notstandshilfe gegen „jedes Rechtsempfinden“ verstoße.

3 Mit dem - nach Erlassung einer abweislichen Beschwerdevorentscheidung durch das AMS und Einbringung eines Vorlageantrages durch die Mitbeteiligte ergangenen - angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und behob die Beschwerdevorentscheidung ersatzlos. In seiner Begründung führte es aus, dass sich aus dem Einkommensteuerbescheid des Ehemanns der Mitbeteiligten und der diesem Bescheid zugrunde liegenden Einnahmen-Ausgaben-Rechnung ergebe, dass der Ehemann der Mitbeteiligten im Jahr 2014 „Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 65.549,81“ erzielt habe. Aus den Vorjahren sei ein steuerlich berücksichtigter Verlustabzug von € 38.562,57 entstanden. Zur Berechnung der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte sei jedoch ein Schuldnachlass in Höhe von € 109.214,82 als Einkommen herangezogen worden. Der Verfassungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom , E 818/2016, ausgesprochen, dass § 36a AlVG bei Berücksichtigung der wirtschaftlichen Notlage „im Lichte des § 33 Abs. 3 AlVG“ auszulegen sei. Die Befriedigung notwendiger Lebensbedürfnisse werde dadurch nicht erleichtert, dass einer arbeitslosen Person „Einkünfte“ in Form eines Sanierungsgewinns „zugeflossen“ seien, weil ein Sanierungsgewinn ein reiner Buchgewinn sei, der dadurch entstehe, dass jene Schulden der arbeitslosen Person durch teilweisen Schulderlass in einem Insolvenzverfahren vermindert würden, die in einem vorangegangenen Besteuerungszeitraum bereits steuerlich betriebsausgabenwirksam geworden seien. In einem Fall, in dem die im Kalenderjahr des Bezuges von Notstandshilfe zugeflossenen Einkünfte einer arbeitslosen Person ausschließlich in einem Sanierungsgewinn bestünden, könne daher - so das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes - von einer Verbesserung oder gar Beseitigung der wirtschaftlichen Notlage im Ausmaß dieser Einkünfte nicht die Rede sein. Im vorliegenden Beschwerdefall würde sich nach Herausrechnung des Schuldnachlasses „kein anrechenbares Einkommen“ des Ehemannes der Mitbeteiligten ergeben, weil nach der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung „Einnahmen 2014 ohne Schuldnachlass“ in Höhe von € 328.362,98 und Ausgaben in Höhe von € 368.127,99 zu veranschlagen gewesen seien, woraus sich ein Verlust ergeben habe.

4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des AMS. Als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG macht das AMS geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Der Verwaltungsgerichtshof habe (auch im Zusammenhang mit „Sanierungsgewinnen“) ausgesprochen, dass bei der Beurteilung des Einkommens nach § 36a AlVG von einer Bindung an den Spruch des Einkommensteuerbescheides auszugehen sei (Hinweise auf , und , 2008/08/0022). Das Bundesverwaltungsgericht sei von dieser Rechtsprechung abgewichen, weil es zur Berechnung des Einkommens auch die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung herangezogen habe. In den Revisionsgründen bringt das AMS vor, dass der dem Ehemann der Mitbeteiligten gewährte „Schuldennachlass“ in Höhe von € 109.214,82 im Rahmen der Steuererklärung „nicht entsprechend geltend gemacht“ worden sei. Hätte das Verwaltungsgericht „unter Einhaltung der ständigen Judikatur“ den rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid „als solchen“ zugrunde gelegt, hätte es den angefochtenen Bescheid zu bestätigen gehabt.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten und Durchführung eines Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8 Die Bestimmung des § 36a AlVG, in der die Vorgangsweise „[b]ei der Feststellung des Einkommens“ (unter anderem) „für die Anrechnung auf die Notstandshilfe“ näher geregelt ist, wurde durch das Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, eingeführt. Bereits in seiner durch dieses Gesetz erlassenen (am in Kraft getretenen - vgl. § 79 Abs. 19 AlVG) Stammfassung sah § 36a AlVG eine Modalität vor, wonach das „Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes“ (sohin des AlVG) ausgehend vom „Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988), BGBl. Nr. 400, in der jeweils geltenden Fassung“ in der Weise zu ermitteln ist, dass zum einkommensteuerrechtlich definierten „Einkommen“ (gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988) unter anderem „Hinzurechnungen gemäß [§ 36a] Abs. 3“ addiert werden und von diesem Einkommen bestimmte näher normierte „Einkommensteile ... außer Betracht“ bleiben.

9 Hinzuzurechnen war nach der damaligen Fassung des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG (unter anderem) der „Betrag nach ... § 36“ (EStG 1988), soweit er (gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988) nicht „bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen“ wurde.

10 Nach den damals geltenden Bestimmungen des EStG 1988 regelte dessen § 36 den „Sanierungsgewinn“. Diese Bestimmung lautete in der bei In-Kraft-Treten des daran anknüpfenden § 36 Abs. 3 Z 2 AlVG geltenden (Stamm-)Fassung des EStG 1988, BGBl. Nr. 400, wie folgt:

„Sanierungsgewinn

§ 36. Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) und außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34 und 35) jene Einkommensteile auszuscheiden, die durch Vermehrungen des Betriebsvermögens infolge eines gänzlichen oder teilweisen Erlasses von Schulden zum Zwecke der Sanierung entstanden sind.“

11 Das „Einkommen“ regelte § 2 Abs. 2 EStG 1988 in der Stammfassung wie folgt:

„(2) Einkommen ist der Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Abs. 3 aufgezählten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18), außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34 und 35) und Sanierungsgewinne (§ 36) sowie der Freibeträge nach den §§ 104 und 105.“

12 Mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201 (kundgemacht am ), wurde § 36 EStG 1988 aufgehoben. Gleichzeitig wurde in § 2 Abs. 2 EStG 1988 die Wortfolge „und Sanierungsgewinne (§ 36)“ entfernt, wodurch die bis dahin aufgrund des Abzugs des Sanierungsgewinns vom einkommensteuerrechtlichen „Einkommen“ bestehende Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne beseitigt wurde (zur Entwicklung der Rechtslage bezüglich der Steuerpflicht für Sanierungsgewinne gemäß der durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 entstandenen Rechtslage vgl. Doralt/Heinrich EStG15 § 36 Tz 9 ff).

13 § 2 Abs. 2 EStG 1988 lautete in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996 wie folgt:

„(2) Einkommen ist der Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Abs. 3 aufgezählten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) und außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34 und 35) sowie der Freibeträge nach den §§ 104 und 105. Verluste aus Betrieben, deren Unternehmensschwerpunkt(e) im Verwalten unkörperlicher Wirtschaftsgüter oder in der gewerblichen Vermietung von Wirtschaftsgütern gelegen ist, sind weder ausgleichsfähig noch gemäß § 18 Abs. 6 und 7 vortragsfähig. Solche Verluste sind mit Gewinnen (Gewinnanteilen) aus diesem Betrieb frühestmöglich zu verrechnen.“

14 Seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 hat somit ein „Sanierungsgewinn“ einkommensteuerrechtlich bei Ermittlung des Einkommens nicht mehr außer Betracht zu bleiben (wird also nicht mehr „bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen“), sondern ist Bestandteil der das Einkommen bildenden Einkünfte: Mit dem Entfall des § 36 EStG 1988 (in der Stammfassung) durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, mit Wirkung ab der Veranlagung für das Jahr 1998, sind daher Sanierungsgewinne wie laufende Gewinne zu behandeln und dem Tarif zu unterwerfen (vgl. , mwN).

15 Im Bereich des Arbeitslosenversicherungsrechts hat dadurch die Hinzurechnungsanordnung des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG insofern, als sie auch eine Hinzurechnung von „Beträgen nach § 36 EStG 1988“ vorsah, ihren Anwendungsbereich verloren.

16 Zu dieser Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof in einem das anzurechnende Einkommen nach dem AlVG betreffenden Beschwerdefall in Erwiderung auf ein Vorbringen, wonach eine Hinzurechnung der „Rechengröße“ Verlustabzug einerseits und die Nichtberücksichtigung der „Rechengröße“ Sanierungsgewinne andererseits „eine unsachgemäße Berechnung des Jahreseinkommens“ wäre, ausgeführt (), dass „Sanierungsgewinne seit dem Veranlagungsjahr 1998 durch die Aufhebung des § 36 EStG 1988 mit der Novelle BGBl. Nr. 201/1996 steuerlich nicht mehr besonders zu behandeln sind“ und festgehalten, dass „[a]bgesehen davon ... auch diese Beträge nach § 36a Abs. 3 Z. 2 AlVG dem Einkommen nach § 2 Abs. 2 EStG 1988 hinzuzurechnen gewesen“ wären (Hervorhebung nicht im Original; - in dieser Formulierung kommt zum Ausdruck, dass seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 eine Hinzurechnung des Sanierungsgewinns nicht mehr in Betracht kommt, zumal dieser seither nicht mehr vom Einkommen abgezogen wird).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis zudem seine Rechtsprechung bekräftigt, wonach das AMS in diesem Zusammenhang „an den Spruch des Einkommensteuerbescheides gebunden ist“, was „der Erleichterung des praktischen Vollzuges des AlVG in Bezug auf die dort geregelten Geldleistungen“ diene (VwGH aaO, mwN).

18 Im Hinblick auf das Argument, dass bestimmte Einkommensbestandteile „reine Buchgewinne“ seien oder es sich dabei „um fiktives Einkommen“ aus einem im Zuge eines Zwangsausgleiches durchgeführten „Schuldenerlass“ handle, hat der Gerichtshof im Besonderen weiters festgehalten, dass „in Anbetracht der Bindung an den Spruch der Einkommensteuerbescheide“ auch ein reiner Buchgewinn „als Einkommen zur Anrechnung herangezogen werden“ und das Ergebnis der Veranlagung zur Einkommensteuer „als Gradmesser“ dafür dienen könne, „dass die Notstandshilfe beziehende Arbeitslose über eine höhere Wirtschaftskraft verfügt als eine Person ohne anzurechnendes Einkommen“ (vgl. , mwN). Der Umstand, dass in Einzelfällen, „insbesondere beim Zusammentreffen von Sanierungsgewinnen mit akkumulierten Verlustvorträgen“ der Gesichtspunkt „tatsächlicher Verfügbarkeit von Barmitteln“ in den Hintergrund trete, vermöge „weder die Sachlichkeit der Regelung an sich in Zweifel zu ziehen, noch einen Vollzugsfehler der belangten Behörde zu begründen“ (, mit Hinweis auf ).

19 Die mit dem Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71, bewirkte Wiedereinführung einer den „Sanierungsgewinn“ betreffenden Regelung in § 36 EStG 1988 änderte an der Eigenschaft von Sanierungsgewinnen als Bestandteil des Einkommens gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988 nichts; vielmehr kommt dieser Bestimmung nunmehr, und zwar - wenn auch in wechselnder Ausgestaltung - bis heute, die Bedeutung einer Steuerbegünstigungsregelung für die davon erfassten Einkommensbestandteile zu („Steuerermäßigung für Sanierungsgewinne“ bzw. den „aus einem Schulderlass resultierenden Gewinn“; vgl. zu dieser Entwicklung Doralt/Heinrich EStG15 Tz 10-14).

20 Die Anordnung des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG, wonach dem „Einkommen die Beträge“ (unter anderem) gemäß § 36 EStG 1988 „hinzuzurechnen“ sind, „soweit sie bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen wurden“, blieb zunächst legistisch unverändert, dies ungeachtet der mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 entstandenen Rechtslage, nach der die aus Schuldnachlässen erzielten Einkünfte als Einkommen zu erfassen sind, wodurch die Hinzurechnungsregelung des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG - wie bereits dargestellt - nicht mehr zum Tragen kommen konnte.

21 Mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 2013 - SRÄG 2013, BGBl. I Nr. 67, entfernte der Gesetzgeber (unter anderem) den Verweis auf § 36 EStG 1988 aus den Hinzurechnungsregelungen des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG (diese Änderung ist in Kraft seit ; vgl § 79 Abs. 131 AlVG).

22 Zu den vom Gesetzgeber dabei verfolgten Intentionen führen die parlamentarischen Materialien Folgendes aus (RV 2150 BlgNR 24. GP, 15-16 Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Zu Z 8 (§ 36a Abs. 3 AlVG):

Die bestehenden Hinzurechnungsbeträge sollen im Sinne des Regierungsprogrammes ‚Entlastung der BürgerInnen in Verwaltungsverfahren‘ vereinfacht werden; dies soll durch den Entfall jener Hinzurechnungsbeträge erfolgen, die in der Praxis kaum jemals zur Anwendung gelangen, mit dem Arbeitslosengeld als existenzsichernde Leistung nicht in Konkurrenz treten oder von anderen Behörden im Fall eines Zusammentreffens von Leistungen ohnedies angerechnet werden.

Darunter fallen die Bezüge und Beihilfen zur Förderung der Kunst, der Wissenschaft und Forschung, Beihilfen nach dem Schülerbeihilfengesetz und nach dem Studienförderungsgesetz. Mangels Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt steht Personen, die derartige Leistungen erhalten, in der Regel keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu, weshalb auch eine Einkommensanrechnung entfallen kann. Sofern aber der Besuch derartiger Kurse im Auftrag des AMS erfolgt, können arbeitslose Personen bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen ohnedies eine Leistung nach dem AlVG erhalten. In Folge verringern sich die Beihilfen nach dem Schülerbeihilfengesetz und nach dem Studienförderungsgesetz, sodass eine Doppelförderung bzw. die Kumulation von Beihilfen ausgeschlossen ist.

Die Übertragung stiller Reserven und damit die Verteilung der Steuerlast auf (auch) nachfolgende Jahre enthält kein Missbrauchspotential, da es dafür auch Neuanschaffungen (und damit Investitionen) bedarf. Die steuerliche Begünstigung bei Insolvenzverfahren stellt einen Beitrag des Bundes (Steuererleichterung) zum Gelingen eines Insolvenzverfahrens dar. Dies sollte durch die Arbeitslosenversicherung nicht konterkariert werden, indem betroffene Personen in Folge der Hinzurechnung keine bzw. weniger Leistung nach dem AlVG erhalten. Weitere Hinzurechnungsbeträge sind Anpassungen an geänderte Bestimmungen im EStG 1988.

Die im § 3 Abs. 1 Z 32 EStG 1988 angeführten steuerfreien Bezüge, die einem unbeschränkt steuerpflichtigen österreichischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament oder seinen Hinterbliebenen gebühren (nach Artikel 9 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments) sollen als Hinzurechnungsbetrag in den Katalog des § 36a Abs. 3 AlVG aufgenommen werden. Artikel 9 regelt den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung der Abgeordneten, den Anspruch auf ein Übergangsgeld nach deren Ausscheiden sowie die Versorgung von Hinterbliebenen der Abgeordneten. Derartige Bezüge sind im Bereich der Arbeitslosenversicherung als Einkommen hinzuzurechnen, um sonst mögliche Doppelabsicherungen auszuschließen.“

23 Aus diesen Erläuterungen geht eindeutig hervor, dass die Streichung des Verweises auf § 36 EStG 1988 aus den Hinzurechnungsbestimmungen des § 36a Abs. 3 Z 2 AlVG nicht etwa nur deshalb erfolgte, weil die Hinzurechnungsanordnung hinsichtlich des § 36 EStG 1988 - wie oben dargestellt - keinen Anwendungsbereich mehr hatte (dass sohin die Novellierung nicht bloß der legistischen Bereinigung dienen sollte), sondern dass die Gesetzesnovellierung in diesem Punkt eine Besserstellung der Betroffenen bezweckte, die von der Absicht getragen war, dass eine „steuerliche Begünstigung“ auch im Arbeitslosenrecht Niederschlag finden sollte, und diese nicht dadurch „konterkartiert“ werden sollte, dass betroffene Personen „weniger Leistung nach dem AlVG“ erhalten.

24 Dieses Ziel blieb mit der tatsächlich erfolgten Änderung des Gesetzeswortlautes an sich jedoch verfehlt. Denn nach dem novellierten Wortlaut blieb auch nach der Beseitigung des Verweises („36“) aus der Hinzurechnungsbestimmung der Wortlaut der Definition des „Einkommen[s] im Sinne dieses Bundesgesetzes“ (§ 36a Abs. 2 AlVG) unverändert, aus dem sich unter Berücksichtigung der dargestellten Systematik des EStG 1988 weiterhin die Inklusion (auch) von Sanierungsgewinnen in den arbeitslosenversicherungsrechtlichen Einkommensbegriff ergibt. Dieser Wortlaut erweist sich in diesem Punkt freilich unter Berücksichtigung der durch das SRÄG 2013 getroffenen Gesetzesnovellierung und der ausweislich der Materialien dadurch zum Ausdruck gebrachten (wenn auch im Normtext nicht hinreichend umgesetzten) Regelungsabsicht seit In-Kraft-Treten dieser Novellierung () als überschießend und ist daher in diesem Umfang (teleologisch) zu reduzieren.

25 Zu beachten ist aber, dass die mit dem SRÄG 2013 intendierte Änderung beim arbeitslosenversicherungsrechtlich heranzuziehenden Einkommen nur einkommensteuerrechtlich begünstigte Sanierungsgewinne im Sinne von § 36 EStG 1988 betraf. Der durch die Novelle gestrichene Verweis („36“) erfasste nämlich nicht Sanierungsgewinne im wirtschaftlichen Sinn schlechthin, also nicht alle Buchgewinne, die durch Schulderlässe zustande gekommen sind, sondern nur Sanierungsgewinne im Sinne des § 36 EStG 1988. Auch die zitierten Gesetzmaterialien zeigen, dass der Gesetzgeber nur die „steuerliche Begünstigung bei Insolvenzverfahren“ vor Augen hatte; sohin jene Begünstigung, die das EStG 1988 in seinem § 36 regelt. Das vom Bundesverwaltungsgericht zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , E 818/2016, bezog sich ebenfalls auf einen Sanierungsgewinn im Sinne des § 36 EStG. Da das Bundesverwaltungsgericht eine Herausrechnung von Sanierungsgewinnen schlechthin vornahm, ohne zu untersuchen, ob es sich dabei um Sanierungsgewinne im Sinne des § 36 EStG 1988 gehandelt hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts.

26 Das Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AlVG 1977 §36a Abs2
AlVG 1977 §36a Abs3 Z2
EStG 1988 §36
SozRÄG 2013
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080013.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
MAAAF-45527