VwGH 25.10.2022, Ra 2021/08/0005
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | ASVG §68 Abs1 VwRallg |
RS 1 | Die Kenntnis des Beitragspflichtigen von der Einleitung des Verfahrens (hier: über das Bestehen der Pflichtversicherung) ist eine Voraussetzung für den Eintritt der damit verbundenen Hemmung des Ablaufs der Feststellungsverjährungsfrist nach § 68 Abs. 1 letzter Satz ASVG. |
Normen | ASVG §68 Abs1 VwRallg |
RS 2 | Die bloße Tatsache, dass Ermittlungsschritte im Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht des Dienstnehmers zunächst von der Wiener Gebietskrankenkasse gesetzt worden sind, die den Erhebungsakt sodann an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse weitergeleitet hat, steht dem Eintritt der Hemmung der Verjährung nicht entgegen (vgl. die im Zusammenhang mit der Unterbrechung der Verjährung getroffenen Ausführungen im Erkenntnis ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schramel, über die Revision der P GmbH in W, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W209 2224303-1/15E, betreffend Verpflichtung zur Zahlung eines Nachverrechnungsbetrags samt Zinsen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom verpflichtete die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, im Folgenden: belangte Behörde) die Revisionswerberin zur Zahlung eines Nachverrechnungsbetrages in Höhe von € 23.695,13 zuzüglich der hierauf entfallenden Verzugszinsen in Höhe von € 13.913,20, sohin von insgesamt € 37.608,33, betreffend die Beschäftigung des Dienstnehmers R.
2 Zur Begründung wurde im Bescheid ausgeführt, dass die Revisionswerberin das Gewerbe „Fotografen“ betreibe und ein auf die Akquisition von Fototerminvereinbarungen mit Kindergärten und Schulen ausgerichtetes Unternehmen sei. Der Dienstnehmer R habe 2012 bei der Wiener Gebietskrankenkasse mündlich die Erlassung eines versicherungsrechtlichen Bescheides betreffend seine Tätigkeit für die Revisionswerberin beantragt. Der betreffende Akt sei von der Wiener Gebietskrankenkasse zuständigkeitshalber der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse übermittelt worden. Mit versicherungsrechtlichem Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom (bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung vom ) sei festgestellt worden, dass der Dienstnehmer R aufgrund seiner Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter für die Revisionswerberin in der Zeit von bis der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.
3 Im Rahmen des festgestellten Dienstverhältnisses sei der Kollektivvertrag für Gewerbeangestellte, Verwendungsgruppe II, anzuwenden. Die Beitragsnachverrechnung basiere auf dem kollektivvertraglichen Anspruchslohn.
4 Mit dem nunmehr von der Revisionswerberin angefochtenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid vom gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück.
5 Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses habe die Wiener Gebietskrankenkasse am nach einer Vorsprache des R betreffend seine von bis dauernde Beschäftigung unter Hinweis darauf, dass aufgrund der Tätigkeitsbeschreibung von einem Dienstverhältnis iSd. § 4 Abs. 2 ASVG auszugehen sei, ihre Abteilung Beitragsprüfung mit der Überprüfung der Pflichtversicherung des R beauftragt.
6 Mit Erhebungsbericht vom sei aufgrund des Umstands, dass R seine (Außendienst-)Tätigkeit von seinem Wohnort in Niederösterreich aus ausgeübt habe, der Erhebungsakt zuständigkeitshalber an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse zur weiteren Überprüfung der Pflichtversicherung übermittelt worden. Diese habe den (die Versicherungspflicht feststellenden) Bescheid vom erlassen, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom bestätigt worden sei; eine dagegen erhobene außerordentliche Revision habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2018/08/0217, zurückgewiesen.
7 Am habe die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse der Revisionswerberin eine Mahnung betreffend offene Beiträge in Höhe von € 37.608,33 (samt Verzugszinsen) übermittelt. Die Mahnung sei am bei der Revisionswerberin eingelangt. Diese habe mit Schreiben vom die Erlassung eines Bescheides begehrt. Daraufhin sei der Bescheid vom ergangen.
8 In ihrer gegen den Bescheid vom (betreffend Feststellung der Pflichtversicherung) erhobenen Beschwerde habe die Revisionswerberin zum Beweis dafür, dass das konkrete Einkommen bzw. der konkrete Arbeitsaufwand ausschließlich der Disposition des in die Pflichtversicherung einbezogenen Dienstnehmers R unterlegen sei, ein Auszahlungsjournal betreffend die Jahre 2010 bis 2012 vorgelegt, demzufolge diesem im Jahr 2010 € 27.819,89 und im Jahr 2011/12 € 32.022,04 ausbezahlt worden seien.
9 Die im angefochtenen Beschluss zugrunde gelegte Annahme, dass die belangte Behörde die erforderlichen Ermittlungen in einem solchen Umfang unterlassen habe, dass eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG gerechtfertigt sei, begründete das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:
10 Die belangte Behörde habe die Verpflichtung zur Zahlung eines Nachverrechnungsbetrags auf den bei einer Vollzeitbeschäftigung gebührenden kollektivvertraglichen Anspruchslohn des in die Pflichtversicherung einbezogenen Dienstnehmers R gestützt. Wie sich jedoch aus dem im Verfahren über das Bestehen der Pflichtversicherung vorgelegten Auszahlungsjournal und Kontoauszügen ergebe, sei das tatsächlich geleistete Entgelt im gesamten Prüfzeitraum durchwegs höher als der Anspruchslohn gewesen. Zur Feststellung des tatsächlich zur Auszahlung gelangten Entgelts habe die belangte Behörde Ermittlungen jedoch unterlassen. Sie habe auch keine Feststellungen zu der - bloß vermuteten - Vollzeitbeschäftigung des Dienstnehmers R getroffen, was sich aber in jenen Beitragszeiträumen als erforderlich erweisen könnte, in denen ein geringeres Entgelt als der bei einer Vollzeitbeschäftigung gebührende kollektivvertragliche Anspruchslohn ausbezahlt worden sei.
11 Das Bundesverwaltungsgericht vertrat ferner die Ansicht, dass die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben werde, wie hoch das dem Dienstnehmer R geleistete Entgelt tatsächlich gewesen sei, wobei sie zu berücksichtigen haben werde, dass auch der als Umsatzsteuer geleistete Betrag beitragspflichtiges Entgelt sei, weil Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht der Umsatzbesteuerung unterlägen (Hinweis auf , 0216; , 2013/08/0241). Darüber hinaus werde sie in jenen Beitragszeiträumen, in denen das tatsächlich ausbezahlte Entgelt den bei angenommener Vollzeitbeschäftigung gebührenden Anspruchslohn unterschritten habe, auch Feststellungen zum tatsächlichen Beschäftigungsausmaß zu treffen haben, um beurteilen zu können, ob das geleistete Entgelt den Anspruchslohn überstiegen habe.
12 Dem in der Beschwerde geäußerten Einwand, die belangte Behörde sei bei der Berechnung der Verzugszinsen von einem zu hohen Zinssatz ausgegangen, sei entgegenzuhalten, dass § 59 Abs. 1 ASVG vorsehe, dass für rückständige Beiträge aus Zeiträumen, die vor dem Zeitpunkt einer Änderung des Zinssatzes lägen, die Verzugszinsen - soweit sie zu dem Zeitpunkt nicht bereits vorgeschrieben seien - mit dem jeweils (zuletzt) geänderten Hundertsatz zu berechnen seien. Vorliegend seien die Verzugszinsen für die aus dem Prüfungszeitraum rückständigen Beiträge erstmals (mittels Mahnung vom ) im Februar 2019 vorgeschrieben worden, sodass für die erstmalige Verzinsung der für das Kalenderjahr 2019 geltende Zinssatz von 3,88 % anzuwenden sei (Hinweis auf ).
13 Dass die Beitragsnachverrechnung für die strittigen Zeiträume nicht verjährt sei, begründete das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:
14 Dem Vorbringen, wonach das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen binnen drei Jahren ab dem Tag der Fälligkeit der Beträge verjähre, die belangte Behörde aber erst mit Bescheid vom bzw. mit Beschwerdevorentscheidung vom festgestellt habe, dass der Dienstnehmer R in der Zeit von bis der Vollversicherung unterliege, und zu diesem Zeitpunkt selbst die jüngste Beitragsforderung bereits verjährt gewesen sei, sei einerseits entgegenzuhalten, dass sich die dreijährige Verjährungsfrist in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Dienstgeber oder Meldepflichtige gemäß § 36 ASVG keine Meldung nach § 33 ASVG erstattet habe, auf fünf Jahre verlängere und dementsprechend vorliegend von einer fünfjährigen Verjährungsfrist, beginnend mit dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge, auszugehen sei (Hinweis auf ).
15 Andererseits sei auf § 68 Abs. 1 ASVG zu verweisen, gemäß dessen vorletztem Satz die Verjährung des Feststellungsrechts durch jede zum Zweck der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen werde, in dem der Zahlungspflichtige hiervon in Kenntnis gesetzt werde. Keine verjährungsunterbrechende Maßnahme zum Zweck der Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen sei die Einleitung und Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung der Pflichtversicherung (Hinweis auf VwGH 85/08/0116, VwSlg 12.010 A). Gemäß dem durch die 49. ASVG-Novelle, BGBl. 1990/294, angefügten letzten Satz des § 68 Abs. 1 ASVG sei aber die Verjährung gehemmt, solange ein Verfahren in Verwaltungssachen bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts über das Bestehen der Pflichtversicherung oder die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen anhängig sei. Nach Abschluss eines solchen Verfahrens laufe daher die Feststellungsverjährungsfrist nur mit ihrer restlichen Dauer weiter (Hinweise u.a. auf Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 68 ASVG Rz 11).
16 Dementsprechend habe die am mit der Beauftragung der Abteilung Beitragsprüfung erfolgte Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Pflichtversicherung zwar nicht zur Unterbrechung der Verjährung geführt. Es sei damit aber die Verjährung bis zum (endgültigen) Abschluss des Verfahrens mit der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes an die belangte Behörde am gehemmt gewesen.
17 Soweit die Revisionswerberin die (örtliche) Unzuständigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse ins Treffen geführt und daraus die Unmöglichkeit der Setzung verjährungsunterbrechender (bzw. verjährungshemmender) Maßnahmen abgeleitet habe, sei auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2008/08/0038, zu verweisen, in dem dieser unter Hinweis auf die in § 321 ASVG vorgesehene gegenseitige Verwaltungshilfe der Versicherungsträger festgehalten habe, dass allein durch den Umstand, dass eine andere Gebietskrankenkasse die Erhebungen durchgeführt und die Beitragsprüfungen vorgenommen habe als jene, die zur Bescheiderlassung zuständig gewesen sei, keine Feststellungsverjährung eintrete. Dies müsse auch hinsichtlich der Setzung verjährungshemmender Maßnahmen durch die örtlich unzuständige Gebietskrankenkasse gelten.
18 Abgesehen davon sei im vorliegenden Fall gar nicht von der Unzuständigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse zur Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Pflichtversicherung auszugehen gewesen, weil sich die Zuständigkeit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse erst im Zuge des weiteren Ermittlungsverfahrens ergeben habe, als sich herausgestellt habe, dass der in die Pflichtversicherung einbezogene Dienstnehmer von seinem Wohnsitz in Niederösterreich aus für die Revisionswerberin tätig geworden sei.
19 Ausgehend von der Fälligkeit der ältesten Beitragsschuld am sei somit zum Zeitpunkt des Endes der Hemmung der Verjährung am (gemeint wohl: 2018) noch eine „Restlaufzeit“ von rund (zu ergänzen wohl: einem Jahr und) vier Monaten verblieben, innerhalb derer die Revisionswerberin über eine zum Zweck der Feststellung getroffene Maßnahme in Kenntnis gesetzt habe werden können, die die Unterbrechung der Verjährung bewirkt hätte. Dies sei mit der Übermittlung der mit datieren Mahnung der Fall gewesen, von der die Revisionswerberin ihren eigenen Angaben nach am Kenntnis erlangt habe.
20 Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
21 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen hat:
22 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
23 Ihre Zulässigkeit begründet die Revision (unter Anführung von Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) unter anderem mit einem Widerspruch des angefochtenen Beschlusses zu der zur Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre nach § 68 Abs. 1 ASVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und zum anderen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung, wonach Unterbrechungshandlungen nur dann zur Unterbrechung der Verjährung führen könnten, wenn sie dem Beitragspflichtigen zur Kenntnis gelangt seien (was dem Revisionsvorbringen zufolge auch für verjährungshemmende Handlungen gelte).
24 Bereits aus diesem Grund erweist sich die Revision als zulässig und ihr Vorbringen im Ergebnis als berechtigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Eintritt der Verjährung im angefochtenen Beschluss aus zwei Gründen verneint:
25 Zum einen verlängere sich die (grundsätzlich dreijährige) Frist nach dem dritten Satz des § 68 Abs. 1 ASVG „in Fällen wie dem vorliegenden“, in denen der Dienstgeber oder Meldepflichtige gemäß § 36 ASVG keine Meldung nach § 33 ASVG erstattet habe, auf fünf Jahre. Dazu, warum auch die zweite Voraussetzung des § 68 Abs. 1 ASVG dritter Satz im vorliegenden Fall erfüllt gewesen sei, wonach der Meldepflichtige die unterbliebenen Meldungen „bei gehöriger Sorgfalt als notwendig oder unrichtig hätte erkennen müssen“ (dies wird in der Revision unter Anführung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestritten), führt der angefochtene Beschluss jedoch nichts aus. Indem das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde damit ohne ausreichende Begründung (endgültig) die Auffassung überbunden hat, dass sich die Verjährungsfrist im vorliegenden Fall auf fünf Jahre verlängert habe, belastete es den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit.
26 Selbst im Fall der Richtigkeit der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich die Verjährungsfrist nach dem dritten Satz des § 68 Abs. 1 ASVG verlängert habe, vermag die durch den angefochtenen Beschluss überbundene Auffassung zur Verjährungsfrage einer rechtlichen Prüfung nicht standzuhalten. Das Bundesverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass „die am mit der Beauftragung der Abteilung Beitragsprüfung erfolgte Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Pflichtversicherung“ betreffend den Dienstnehmer R „die Verjährung bis zum (endgültigen) Abschluss des Verfahrens mit der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes an die NÖGKK am gehemmt“ habe. Ausgehend davon sei im Hinblick auf die „Fälligkeit der ältesten Beitragsschuld am ... zum Zeitpunkt des Endes der Hemmung der Verjährung“ am (gemeint wohl: 2018) noch eine „Restlaufzeit“ von rund vier Monaten (gemeint wohl: einem Jahr und vier Monaten) verblieben, innerhalb derer die Revisionswerberin „über eine zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in Kenntnis gesetzt werden konnte, um die Unterbrechung der Verjährung zu bewirken“. Dies sei mit der Übermittlung der mit datierten Mahnung geschehen, die der Revisionswerberin am zur Kenntnis gelangt sei.
27 Dazu führt die Revisionswerberin aus, dass im angefochtenen Beschluss nicht festgestellt worden sei, dass sie bereits im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens über die Feststellung der Versicherungspflicht des Dienstnehmers R von diesem Verfahren Kenntnis gehabt habe. Vielmehr sei ihre Kenntnis von diesem Verfahren nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses erst mit der Zustellung des Bescheides vom gegeben gewesen.
28 Die Rechtmäßigkeit der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Verjährung während des Zeitraumes von und gehemmt gewesen sei, ist daher (abgesehen von der bereits angesprochenen Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist) davon abhängig, ob der Eintritt der Hemmungswirkung nach § 68 Abs. 1 letzter Satz ASVG voraussetzt, dass der Beitragsschuldner von der als hemmend in Betracht kommenden Tatsache der Anhängigkeit eines Verfahrens (hier: über das Bestehen der Pflichtversicherung) Kenntnis erlangt hat.
29 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dieser Frage bislang nicht explizit Stellung genommen. In seiner Rechtsprechung ging er jedoch davon aus, dass der Beitragspflichtige, dem gegenüber der Ablauf der Verjährungsfrist während der Dauer eines anhängigen Verfahrens (zB betreffend die Versicherungspflicht) gehemmt wird, ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, dass dieses Verfahren in angemessener Zeit geführt wird (vgl. [= VwSlg. 18.751 A/2013]). Im zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof darauf verwiesen, dass er zwar mit Blick auf die verjährungsunterbrechende Wirkung eines Streits über die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen ausgesprochen habe, dass diese davon abhänge, dass der Streit in konkreten und „in angemessener Zeit gesetzten“ Verfahrensschritten dokumentiert werde. Demgegenüber sei, „sobald aber ein Verwaltungsverfahren betreffend die strittigen Beiträge oder die Pflichtversicherung anhängig“ sei, die Verjährung „jedenfalls“ gehemmt (mit anderen Worten also: es komme in diesem Fall auf eine Prüfung, ob die Verfahrensschritte „in angemessener Zeit gesetzter Schritte“ gesetzt wurden, nicht an). Dieses Auslegungsergebnis sei deswegen gegenüber dem Beitragsschuldner „nicht unbillig“, weil diesem „in einem Verwaltungsverfahren ... Säumnisrechtsbehelfe“ zur Verfügung stünden.
30 Diese Annahme der zitierten Entscheidung wäre ohne Kenntnis des Beitragsschuldners von der Einleitung eines solchen Verfahrens unberechtigt. Die Kenntnis des Beitragspflichtigen von der Einleitung des betreffenden Verfahrens ist sohin eine Voraussetzung für den Eintritt der damit verbundenen Hemmung des Ablaufs der Feststellungsverjährungsfrist.
31 Dazu, ob die Revisionswerberin bereits vor der Zustellung des Bescheids vom (über die Feststellung der Versicherungspflicht für den Dienstnehmer R) von diesem Verfahren Kenntnis hatte, hat das Bundesverwaltungsgericht, ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsauffassung, keine Feststellungen getroffen. Auf Basis des festgestellten Sachverhalts entsprach die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Hemmung der Verjährung bereits „am mit der Beauftragung der Abteilung Beitragsprüfung“ eingetreten sei, nicht dem Gesetz. Erst gerechnet ab dem Zeitpunkt, in dem eine solche Kenntnis festgestellt werden kann, wird das Bundesverwaltungsgericht den Eintritt der Hemmung der Verjährung annehmen dürfen.
32 Sollte im fortgesetzten Verfahren festgestellt werden, dass die Revisionswerberin von den durch die Wiener Gebietskrankenkasse gesetzten Schritten Kenntnis erlangt hat, ist dazu vorweg festzuhalten, dass das Revisionsvorbringen, wonach diese Schritte wegen örtlicher Unzuständigkeit der Wiener Gebietskrankenkasse keine Hemmung der Verjährung bewirken konnten, nicht zutrifft. Die bloße Tatsache, dass Ermittlungsschritte im Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht des Dienstnehmers R zunächst von der Wiener Gebietskrankenkasse (durch Beauftragung ihrer Abteilung Beitragsprüfung am ) gesetzt worden seien, die den Erhebungsakt sodann (mit Schreiben vom ) an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse weitergeleitet habe, steht dem Eintritt der Hemmung der Verjährung nicht entgegen (vgl. die im Zusammenhang mit der Unterbrechung der Verjährung getroffenen Ausführungen im Erkenntnis ).
33 Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
34 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Ersatz einer Eingabengebühr kommt im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG nicht in Betracht.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | ASVG §68 Abs1 VwRallg |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080005.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
IAAAF-45524