VwGH 30.07.2021, Ra 2021/06/0089
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Der Betriebsinhaber muss, um eine taugliche Einwendung in Hinblick auf die heranrückende Wohnbebauung zu erheben, vorbringen, welche zulässigen Emissionen von seinem Gewerbebetrieb ausgehen und durch die heranrückende Verbauung unzulässig werden könnten (vgl. etwa , Ra 2016/05/0107, Rn. 18, mit Verweis auf ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der H GmbH & Co KG, vertreten durch Dr. Mag. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG-2018/38/1822-25, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde S; weitere Partei: Tiroler Landesregierung; mitbeteiligte Partei: G GmbH, vertreten durch Dwyer - Embacher - Lechner, Rechtsanwälte in 6370 Kitzbühel, St. Johanner Straße 49a/15), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde unter anderem der Revisionswerberin gegen einen Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde S vom , mit dem der G GmbH eine Baubewilligung für den Neubau einer Wohnanlage mit 67 Wohneinheiten, Geschäften, Büros, Praxis und Tiefgarage auf einem näher bezeichneten Grundstück in S erteilt worden war, als unbegründet abgewiesen.
2 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist.
3 Der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht sowie der mitbeteiligten Partei wurden die Revision sowie der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zugestellt und mit verfahrensleitender Anordnung vom eine Möglichkeit zur Stellungnahme binnen näher bezeichneter Frist eingeräumt.
4 Mit Schriftsatz vom teilte der Bürgermeisters der Marktgemeinde S mit, dass aus seiner Sicht keine zwingenden öffentlichen Interessen dem Aufschub des Vollzuges des angefochtenen Erkenntnisses entgegenstünden.
5 Eine Stellungnahme der mitbeteiligten Partei zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung langte nicht ein. Da somit keine Interessen geltend gemacht wurden, die durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung berührt würden, bedarf dieser Beschluss gemäß § 30 Abs. 2 VwGG keiner weiteren Begründung.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Beschluss
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache der F GmbH & Co KG in S, vertreten durch Dr. Michael Sallinger, LL.M. und Dr. Christoph Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG-2018/38/1822-25, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde Sankt Johann in Tirol; weitere Partei: Tiroler Landesregierung; mitbeteiligte Partei: R GmbH in V, vertreten durch die Dwyer-Embacher-Lechner Rechtsanwälte GesbR in 6370 Kitzbühel, St. Johanner Straße 49a/15), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 und der Marktgemeinde Sankt Johann in Tirol Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) die Beschwerde u.a. der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Johann in Tirol (Behörde) vom , mit welchem der Mitbeteiligten die Baubewilligung für den „Neubau einer Wohnanlage für 67 Wohneinheiten, Geschäften, Büros, Praxis und Tiefgarage“ auf einem näher bezeichneten Grundstück in der KG S. erteilt worden war, als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
Begründend führte das LVwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - zum von der Revisionswerberin gerügten Widerspruch des Bauvorhabens zur bestehenden Flächenwidmung aus, das gegenständliche Bauvorhaben sei nicht als Einkaufszentrum iSd § 8 Tiroler Raumordnungsgesetz 2016 (TROG 2016) zu qualifizieren, weil gemäß dessen Abs. 2 lit. c Flächen, die der ärztlichen Berufsausübung dienten, nicht als Kundenflächen zu werten seien; unter Berücksichtigung dessen lägen im vorliegenden Fall nur Kundenflächen im Ausmaß von 634,75 m2 und somit weniger als die für einen Betriebstyp A zulässigen 800 m2 vor. Zudem hätten Nachbarn gemäß § 33 Abs. 3 lit. a Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018) ein Mitspracherecht hinsichtlich der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes nur, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden sei. Dem schalltechnischen Gutachten vom zufolge bewegten sich die Immissionen im Rahmen der für die vorliegend relevante Widmungskategorie Kerngebiet zulässigen Werte. Laut umweltmedizinischem Gutachten [vom ] werde es durch den geplanten Neubau keine gesundheitsgefährdenden Schallimmissionen und keine erhebliche Belastung geben. Die Einwendung betreffend einen Widerspruch des Bauvorhabens zur bestehenden Flächenwidmung sei daher zurückzuweisen gewesen.
Zur heranrückenden Wohnbebauung gemäß § 33 Abs. 5 TBO 2018 verwies das LVwG auf die hg. Rechtsprechung, wonach in den Einwendungen vorgebracht werden müsse, welche zulässigen Immissionen [gemeint wohl: Emissionen] von dem Betrieb ausgingen und durch die heranrückende Verbauung unzulässig würden (Hinweis auf ; , 2008/05/0143); es müsse somit die Verletzung eines bestimmten Rechtes gerügt werden (Hinweis auf ). Ein derart konkretes Vorbringen habe die Revisionswerberin nicht erstattet; sie habe auf Aufforderung der Behörde vom auch keine Unterlagen über genehmigte Emissionsquellen (z.B. Lüftungen) vorgelegt. Es sei nicht Aufgabe der Behörde, zu prüfen, welche rechtmäßigen Emissionen eventuell gefährdet werden könnten. Hinsichtlich der heranrückenden Wohnbebauung sei die Revisionswerberin daher präkludiert.
Für das gegenständliche Baugrundstück liege zwar eine Baubewilligung aus dem Jahr 2015 für die Errichtung einer Seniorenresidenz vor und es sei diesbezüglich im April 2019 auch eine Meldung betreffend den Baubeginn bei der Behörde eingelangt; die Freimachung des Bauplatzes sei jedoch eine Vorbereitungshandlung und diene nicht der Herstellung der baulichen Anlage (Hinweis auf ). Darüber hinaus sei auf die „ursprüngliche“ Baubewilligung verzichtet worden.
5 In der Zulässigkeitsbegründung bringt die Revisionswerberin neuerlich vor, das Bauvorhaben stelle ein Einkaufszentrum dar und stehe daher nicht in Einklang mit dem Flächenwidmungsplan. Auch wenn die Frage der Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungsplan kein subjektiv-öffentliches Recht sei, werde „durch die widmungswidrige Errichtung eines Einkaufszentrums [...] jedoch eine erhebliche Veränderung des Charakters des Gebietes durch die Überschreitung der Immissionen sowie eine wesentliche Beeinträchtigung der Wohnqualität impliziert“; mit der „Umschlagshäufigkeit der Stellplätze/Kundenströme“ seien höhere Immissionen verbunden.
Dazu ist folgendes auszuführen:
Selbst wenn man das Vorbringen des Widerspruches zum Flächenwidmungsplan auch als auf den Immissionsschutz bezogen beurteilen wollte, setzte sich das LVwG ohnehin auch inhaltlich damit auseinander und kam - auf Basis von Sachverständigengutachten - zu dem Ergebnis, dass die Immissionen im Rahmen der für die vorliegend relevante Widmungskategorie Kerngebiet zulässigen Werte lägen und durch den geplanten Neubau keine gesundheitsgefährdenden Schallimmissionen und keine erheblichen Belastungen verursacht würden. Dem tritt die Revisionswerberin nicht entgegen.
6 In der Zulässigkeitsbegründung wird zusammengefasst weiter vorgebracht, das LVwG hätte das Bauansuchen abweisen müssen, weil die Bauarbeiten für die Errichtung einer Seniorenresidenz, die mit Bescheid vom genehmigt worden war, mit Schreiben der Mitbeteiligten vom angezeigt worden seien, und mit Bescheid vom die Fortsetzung dieser Arbeiten untersagt worden sei; durch den letztgenannten Bescheid habe die Behörde verbindlich festgestellt, dass die Baubewilligung aus dem Jahr 2015 konsumiert worden sei; eine freie Dispositionsbefugnis des Bauwerbers bestehe lediglich bis zum Beginn der Bauführung (unter Hinweis auf ; , 0716/73).
Zunächst ist nicht erkennbar, auf welches subjektiv-öffentliche Recht gemäß § 33 Abs. 3 TBO 2018 die Revisionswerberin dieses Vorbringen stützt. Im Übrigen unterscheiden sich die in den beiden zitierten Erkenntnissen behandelten Rechtsfragen wesentlich von den vorliegend zu beurteilenden. In einem Fall () ging die Behörde zu Unrecht von einer Klaglosstellung des Bauwerbers aufgrund eines späteren Bauantrages für denselben Bauplatz aus; im anderen Fall () äußerte sich der VwGH zu der Frage, ob das Ansuchen um Erteilung der definitiven Baubewilligung für ein bereits provisorisch bewilligtes Bauvorhaben ein neues Bauansuchen darstellt und welche Rechtslage dabei anzuwenden ist. Keinem dieser beiden Erkenntnisse lässt sich entnehmen, dass eine „freie Dispositionsbefugnis“ des Bauwerbers nur bis zum Beginn der Bauausführung bestünde. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ist daher im Zusammenhang mit dem genannten Zulässigkeitsvorbringen nicht erkennbar.
7 Die Revisionswerberin wendet sich auch gegen die Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis, dass die Einwendungen betreffend die heranrückende Wohnbebauung nicht ausreichend konkret ausgeführt worden seien, und verweist dazu zusammengefasst auf Ausführungen im schalltechnischen Gutachten, wonach eine Projektmappe eines Planungsbüros mit den gewerberechtlichen Bescheiden und weiteren Unterlagen (u.a. „Angaben von genehmigten Immissionsquellen“) das Unternehmen betreffend vorlägen.
Nach der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa , Ra 2016/05/0107, Rn. 18, mit Verweis auf ) muss der Betriebsinhaber, um eine taugliche Einwendung in Hinblick auf die heranrückende Wohnbebauung zu erheben, vorbringen, welche zulässigen Emissionen von seinem Gewerbebetrieb ausgehen und durch die heranrückende Verbauung unzulässig werden könnten. Selbst wenn - was aus den vorgelegten Verfahrensakten nicht hervorgeht - die Revisionswerberin Unterlagen über die zulässigen Emissionen übermittelt haben sollte, wurde damit nicht vorgebracht, welche konkreten Emissionen aus Sicht des Betriebsinhabers durch die heranrückende Verbauung unzulässig werden könnten. Die im Einzelfall erfolgte Beurteilung des LVwG, wonach das Vorbringen der Revisionswerberin zur heranrückenden Wohnbebauung nicht als Einwendung im Rechtssinn verstanden werden könne, ist jedenfalls nicht als unvertretbar zu beurteilen (vgl. , Rn. 10, mwN).
8 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
9 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | VwGG §30 Abs2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021060089.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
QAAAF-45504