VwGH 22.08.2022, Ra 2021/06/0006
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | BauRallg VwGG §42 Abs3 |
RS 1 | Ein Um- oder Zubau eines Gebäudes setzt ein bestehendes konsentiertes Gebäude voraus (vgl. , mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides (nunmehr: des Erkenntnisses des VwG) und seiner Aufhebung durch den VwGH im Nachhinein so zu betrachten, als ob der aufgehobene Bescheid (das angefochtene Erkenntnis) von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die Rückwirkung der Aufhebung der Baubewilligung durch den VwGH (§ 42 Abs. 3 VwGG) hat zur Folge, dass dem die Änderung bewilligenden Bescheid bzw. Erkenntnis nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen wird (vgl. grundlegend ; , 94/06/0101, jeweils mwN). Dies gilt auch für den Fall, dass das Verfahren betreffend die Erteilung der Stammbewilligung weiterhin anhängig und eine Entscheidung in der Sache möglich ist (vgl. etwa ). |
Normen | |
RS 2 | Dem Nachbarn stehen auch Parteienrechte zu, die sich allgemein aus dem AVG ergeben, wie z.B. das Recht auf Beachtung der entschiedenen Sache und das Recht auf Beachtung der Rechtsanschauung des VfGH und des VwGH. Als ein solches weiteres Parteienrecht des Nachbarn in einem Baubewilligungsverfahren ist die Frage anzuerkennen, ob eine Baubewilligung, die die Grundlage für eine beantragte Änderungsbewilligung ist, überhaupt noch aufrecht ist (vgl. , mwN). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/06/0007
Ra 2021/06/0008
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter und Richerinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache 1. des Dr. J B, 2. des Dr. G B, MSc, und 3. der B T, alle in V, alle vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG-2020/36/1311-21, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. R N in Z, vertreten durch Dr. Nikola Tröthan, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 29/4.OG; 2. I G und 3. Dr. J G, beide in V; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde Völs; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde V. vom wurde den Revisionswerbern die Baubewilligung für den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit drei Wohneinheiten und einer Tiefgarage auf einer näher bezeichneten Liegenschaft (im Folgenden: Bauvorhaben) unter Vorschreibung von Auflagen und Bedingungen erteilt.
2 Der Verwaltungsgerichtshof hob mit dem Erkenntis vom , Ra 2017/06/0234, das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom , mit dem die Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den oben genannten Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde V. abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hob das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde V. vom , mit dem die Baubewilligung für die von den Revisionswerbern beantragten Änderungen des Bauvorhabens erteilt worden war, auf. Gleichzeitig sprach es aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte es - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, dass aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom im Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlich bekämpften Änderungsbewilligung eine rechtskräftige Baubewilligung für das der Änderung zu Grunde liegende Bauvorhaben vorgelegen sei. Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses trete die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des aufgehobenen Erkenntnisses befunden habe. Ein Zu- oder Umbau oder eine Änderung einer baulichen Anlage könne nur dann bewilligt werden, wenn für die der Änderung zu Grunde liegende bauliche Anlage von einem bestehenden Konsens auszugehen sei bzw. dafür eine rechtskräftige Baubewilligung vorliege. Im gegenständlichen Fall sei der bekämpfte Bescheid durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2017/06/0234, rechtswidrig geworden.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, die Rechtsfrage erheblicher Bedeutung sei, ob, wenn der Erstbescheid, der den Neubau betreffe, nachträglich vom Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werde, dies auf den Änderungsbescheid durchschlage, wenn und solange eine Entscheidung in der Hauptsache noch möglich sei. Es sei in der Zwischenzeit der „tragende Baubescheid“ wieder erlassen worden und dieser sei nun wieder Teil des rechtlichen Bestandes. Daraus folge nun aber weiter, dass auch der abzuleitende und abgeleitete Bescheid niemals hätte behoben werden brauchen. Weiters stelle sich die weit über die Sache hinausgehende Frage, ob das Verwaltungsgericht mangels einer gesetzlichen Zuständigkeit zu einer solchen Erledigung überhaupt zuständig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht dürfe aus dem Anlass einer Nachbarbeschwerde einen Bescheid nur dann beheben, wenn eine Zuständigkeit dazu/dafür gegeben sei.
9 Ein Um- oder Zubau eines Gebäudes setzt ein bestehendes konsentiertes Gebäude voraus (vgl. , mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides (nunmehr: des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts) und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im Nachhinein so zu betrachten, als ob der aufgehobene Bescheid (das angefochtene Erkenntnis) von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die Rückwirkung der Aufhebung der Baubewilligung durch den Verwaltungsgerichtshof (§ 42 Abs. 3 VwGG) hat zur Folge, dass dem die Änderung bewilligenden Bescheid bzw. Erkenntnis nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen wird (vgl. grundlegend ; , 94/06/0101, jeweils mwN). Dies gilt auch für den Fall, dass das Verfahren betreffend die Erteilung der Stammbewilligung weiterhin anhängig und eine Entscheidung in der Sache möglich ist (vgl. etwa ). Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, dass im vorliegenden Fall das Hauptverfahren noch nicht abgeschlossen worden sei und eine Entscheidung in der Hauptsache noch möglich wäre, wird kein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von den oben dargestellten Grundsätzen und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgezeigt.
10 Der Einwand der Revisionswerber, dass der „Baubescheid“ (gemeint: das Erkenntnis des VwG, mit dem die Beschwerde der Mitbeteiligten gegen die erteilte Baubewilligung abgewiesen wurde) wieder erlassen worden sei und somit der abzuleitende Bescheid niemals hätte behoben werden brauchen, geht schon deshalb ins Leere, weil das von den Revisionswerbern ins Treffen geführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts zeitlich nach der hier angefochtenen Entscheidung ergangen ist und das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung im Revisionsfall die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat (vgl. etwa und 0166, mwN).
11 Soweit sich das Zulässigkeitsvorbringen gegen die mangelnde Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts wendet, weil kein Nachbarrecht bestehe, ist darauf hinzuweisen, dass dem Nachbarn auch Parteienrechte zustehen, die sich allgemein aus dem AVG ergeben, wie z.B. das Recht auf Beachtung der entschiedenen Sache und das Recht auf Beachtung der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes. Als ein solches weiteres Parteienrecht des Nachbarn in einem Baubewilligungsverfahren ist die Frage anzuerkennen, ob eine Baubewilligung, die die Grundlage für eine beantragte Änderungsbewilligung ist, überhaupt noch aufrecht ist (vgl. , mwN).
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Baubewilligung BauRallg6 Baurecht Nachbar Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021060006.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-45494