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VwGH 11.07.2022, Ra 2021/04/0192

VwGH 11.07.2022, Ra 2021/04/0192

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
§ 79 Abs. 1 GewO 1994 sieht die "Anpassung" eines rechtskräftigen Genehmigungsbescheides vor (vgl. Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO4 [2020] § 79 Rz. 1). Voraussetzung für ein solches "Nachjustieren" nach dieser Bestimmung ist der Umstand, dass sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, dass die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind (vgl. Stolzlechner/Wendl/Bergthaler, Die gewerbliche Betriebsanlage4 [2016] Rz. 362).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/04/0193 B RS 1
Normen
RS 2
Der Tatbestand des § 81 Abs. 2 Z 9 GewO 1994 ist dann als erfüllt anzusehen, wenn im konkreten Fall feststeht, dass sich das Emissionsverhalten durch die Änderung der Anlage nicht nachteilig ändert, und damit sichergestellt ist, dass die Schutzgüter des § 74 Abs. 2 GewO 1994 durch die Anlagenänderung nicht schlechter gestellt werden (Hinweis E vom , 2008/04/0164). Als Vergleichsmaßstab ist dabei auf den durch die erteilten Genehmigungen bestehenden Konsens und nicht auf (davon allenfalls abweichende) tatsächliche Gegebenheiten abzustellen (Hinweis E vom , 2010/04/0116).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2017/04/0082 E RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy, als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Ing. H S in K, vertreten durch Mag. Karl Heinz Fauland, Rechtsanwalt in 8430 Leibnitz, Kadagasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 43.19-243/2021-9, betreffend gewerberechtliches Betriebsanlagenverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Leibnitz, mitbeteiligte Partei: K GmbH in K), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz (belangte Behörde) vom  wurde für die von der mitbeteiligten Partei betriebene Schlossereibetriebsanlage in der Gemeinde K gemäß § 79 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) als zusätzliche Auflage vorgeschrieben, dass die nordseitig gelegene Fluchttüre der Betriebsanlage außer bei Betreten und Verlassen des Gebäudes in der Zeit von 19.00 Uhr bis 06.00 Uhr geschlossen zu halten sei.

2 2. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde mit dem Vorbringen, dass der mitbeteiligten Partei die vorgeschriebene Auflage lediglich für die Zeit von 19.00 Uhr bis 06.00 Uhr erteilt worden sei und nicht generell, also ohne zeitliche Beschränkung während der genehmigten Betriebszeiten. Darüber hinaus sei sein weiterer Antrag, der mitbeteiligten Partei als zusätzliche Auflage vorzuschreiben, auch die nach Norden ausgerichteten Dachlukenfenster des Shedd-Daches der Betriebshalle während des Anlagenbetriebes ständig geschlossen zu halten, abgewiesen worden.

3 3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 3.2. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe mit Eingabe vom die Vorschreibung zusätzlicher Auflagen angeregt. Er habe geltend gemacht, dass sich seit der lärmtechnischen Beurteilung im Bewilligungsverfahren die Verhältnisse geändert hätten, weil sowohl durch die geöffnete Fluchttüre als auch durch die Dachluke der Betriebsanlage ein unzumutbarer Lärmausstoß wahrzunehmen sei.

5 Im Zuge des Beschwerdeverfahrens habe die mitbeteiligte Partei mit Eingabe vom angegeben, die besagte Fluchttüre sei mit einem Türschließer ausgestattet worden, sodass ein unbeabsichtigtes längeres Offenhalten der Türe auch untertags in der Zeit von 06.00 Uhr bis 19.00 Uhr unterbunden werde. Da die Antriebe der Dachluken elektrisch abgeschlossen seien und somit das Öffnen der Dachluken nicht mehr möglich sei, blieben die Dachluken der Betriebshalle ständig geschlossen.

6 Mit Bescheid vom habe die belangte Behörde zudem die Anzeige der mitbeteiligten Partei betreffend die Änderung der Betriebsanlage durch Schalldämmung der Fluchttüre, Aufstellung einer Panelwand, Verdunkelung der ersten beiden Fensterflächen des Shedd-Daches gemäß § 81 Abs. 2 Z 7 GewO 1994 zur Kenntnis genommen.

7 Bei der Eingabe des Mitbeteiligten vom handle es sich - so das Verwaltungsgericht - um eine jedenfalls emissionsneutrale Änderung im Sinn des § 81 Abs. 2 Z 9 GewO 1994, die keiner Anzeige bedürfe. Auf die Anzeigepflicht für diese Änderungen sei aus Gründen der Entlastung der Wirtschaft und der Behörden verzichtet worden.

8 Es sei davon auszugehen, dass der Anregung des Revisionswerbers durch die mitbeteiligte Partei entsprochen worden sei und daher der Revisionswerber nicht weiter beschwert sei. Das Beschwerdevorbringen erweise sich somit als nicht mehr zutreffend.

9 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

10 5. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 6. Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen, weil es ohne Beweisverfahren einfach das Vorbringen der mitbeteiligten Partei als erwiesen angenommen habe. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass die nordseitige Fluchttüre über einen Türschließer verfüge, wodurch ein unbeabsichtigtes längeres Offenhalten der Türe auch in der Zeit von 06.00 Uhr bis 19.00 Uhr unterbunden werde. Ebenso habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Antriebe der Dachluken elektrisch abgeschlossen worden seien und daher ein Öffnen der Dachluken nicht mehr möglich sei.

14 Das Verwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen, die entsprechenden Beweise aufzunehmen; dies auch in Hinblick auf die Stellungnahme des Revisionswerbers, wonach es sich bei den genannten Maßnahmen um bloße Absichtserklärungen der mitbeteiligten Partei handle. Tatsächlich seien die Maßnahmen von der mitbeteiligten Partei nicht umgesetzt, sondern von ihr bloß in Aussicht gestellt worden.

15 Die gegenständliche Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bedeute eine schwerwiegende Gefährdung der Rechtssicherheit. Wenn eine Tatsachenannahme des Gerichts nicht auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens zurückzuführen sei, sondern ausschließlich auf die unrichtigen Angaben von Parteien oder Beteiligten des Verfahrens, dann liege darin eine erhebliche Verletzung einer Rechtsvorschrift des Verfahrensrechts, die der Wahrung der Rechtssicherheit diene. Die Wahrung der Rechtssicherheit bedeute wiederum eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, für deren Überprüfung die Revision zugelassen werde.

16 7. § 79 Abs. 1 GewO 1994 sieht die „Anpassung“ eines rechtskräftigen Genehmigungsbescheides vor. Voraussetzung für ein solches „Nachjustieren“ nach dieser Bestimmung ist der Umstand, dass sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, dass die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind (vgl. , mwN).

17 Im vorliegenden Fall hat die mitbeteiligte Partei Änderungen der genehmigten Betriebsanlage gemäß § 81 Abs. 2 Z 7 und Z 9 GewO 1994 vorgenommen.

18 Nach § 81 Abs. 2 Z 9 GewO 1994 ist die Genehmigungspflicht der Änderung einer genehmigten Betriebsanlage jedenfalls dann nicht gegeben (und besteht auch keine Anzeigepflicht gegenüber der Behörde), wenn das Emissionsverhalten der Anlage nicht nachteilig beeinflusst wird.

Der Tatbestand des § 81 Abs. 2 Z 9 GewO 1994 ist daher dann als erfüllt anzusehen, wenn im konkreten Fall feststeht, dass sich das Emissionsverhalten durch die Änderung der Anlage nicht nachteilig ändert, und damit sichergestellt ist, dass die Schutzgüter des § 74 Abs. 2 GewO 1994 durch die Anlagenänderung nicht schlechter gestellt werden. Als Vergleichsmaßstab ist dabei auf den durch die erteilten Genehmigungen bestehenden Konsens und nicht auf (davon allenfalls abweichende) tatsächliche Gegebenheiten abzustellen (vgl. , mwN).

19 Gemäß § 81 Abs. 2 Z 7 GewO 1994 besteht keine Genehmigungspflicht für Änderungen einer genehmigten Betriebsanlage, wenn diese das Emissionsverhalten der Anlage zu den Nachbarn nicht nachteilig beeinflussen und wenn diese auf Grund der besonderen Situation des Einzelfalles erwarten lassen, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden Auflagen Gefährdungen des Lebens oder der Gesundheit von Personen vermieden und Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 3 bis 5 GewO 1994 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Änderungen gemäß § 81 Abs. 2 Z 7 GewO 1994 sind der zur Genehmigung der Anlage zuständigen Behörde vorher anzuzeigen (vgl. § 81 Abs. 3 GewO 1994).

20 Die Revision übersieht im vorliegenden Fall, dass durch die gegenständlich erfolgten Änderungen (siehe die Darstellung in Rn. 5 bis 7) ein neuer - verbindlicher und für die Beurteilung der Voraussetzungen gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 maßgeblicher - Genehmigungskonsens vorliegt. Damit ist dem Vorbringen der Revision, es läge ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor, weil das Verwaltungsgericht seine Tatsachenannahmen lediglich auf die (unrichtigen) Angaben der mitbeteiligten Partei gestützt und kein weiteres „Beweisverfahren“ geführt hätte, der Boden entzogen.

21 Soweit die Revision mit ihrem Vorbringen Verfahrensmängel ins Treffen führt, ist zudem darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa , mwN).

22 Die in der vorliegenden Revision nicht weiter substantiierte Behauptung von Verfahrensmängeln reicht somit nicht aus, um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

23 8. In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021040192.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAF-45471