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VwGH 19.02.2021, Ra 2021/03/0020

VwGH 19.02.2021, Ra 2021/03/0020

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Norm
EGVG Art3 Abs1 Z4
RS 1
Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung bereits ausgeführt, dass unter dem "Verbreiten" nationalsozialistischen Gedankengutes im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z 4 EGVG (nunmehr gleichlautend: Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG) jede Handlung zu verstehen ist, mit welcher derartiges Gedankengut einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird (vgl. ). Wenn das VwG diese letztgenannte Voraussetzung durch ein Posting in einer Facebook-Gruppe als erfüllt ansah, kann dies nicht als fehlerhaft erkannt werden (vgl. zum "größeren Personenkreis" RIS-Justiz RS0091902 mit Hinweis auf WK-StGB2, § 69 StGB, Rn. 2, oder Koukal in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4, § 1 Rn. 10: Ausgeschlossen ist damit jede Form der Individualkommunikation; die Verbreitung muss aber nicht an die Allgemeinheit gerichtet sein").
Normen
EGVG Art3 Abs1 Z4
VerbotsG 1947 §3g
RS 2
Die Tatbestände des VerbotsG 1947 einerseits und der Verwaltungsstraftatbestand nach Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG andererseits verfolgen unterschiedliche Regelungszwecke. Die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG ist daher auch nach der Verfahrenseinstellung im Strafverfahren nach dem VerbotsG 1947 möglich (vgl. mit Hinweis auf ).
Norm
EGVG Art3 Abs1 Z4
RS 3
Art. 3 Abs. 1 Z 4 EGVG soll eine verwaltungsstrafrechtliche Handhabe gegen das Übel der Verharmlosung nationalsozialistischen Gedankengutes bieten, die das VerbotsG 1947 nicht erfasst. Ihr Zweck ist es, ärgerniserregenden Unfug hintanzuhalten (vgl. , mit Bezugnahme auf VfSlg. 12.002/1989).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des J S in M, vertreten durch Mag. Stefan Makas, LL.M., Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 2/10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-031/005/9527/2019-8, betreffend eine Übertretung des EGVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erkannte das Verwaltungsgericht Wien den Revisionswerber - in Bestätigung eines entsprechenden Straferkenntnisses der Landespolizeidirektion Wien vom  - einer Übertretung des Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG schuldig und verhängte über ihn eine Geldstrafe von € 60,--. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

2 Dem Revisionswerber wurde nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Last gelegt, am in der Facebook-Gruppe „F“ durch das Posten einer Fotomontage eines Lichtbildes des nationalsozialistischen Reichspropagandaministers Joseph Goebbels mit erhobenem Zeigefinger und mit dem Gesicht eines damaligen Studierendenvertreters der „A“ sowie der Aufschrift „Wollt Ihr die kleine Studienplanreform? Oder wollt Ihr die Totale“, somit durch eine offensichtliche Anspielung auf die sogenannte Sportpalastrede Goebbels („Wollt Ihr den totalen Krieg“), nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne des Verbotsgesetzes, StGBl. Nr. 13/1945 idF des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 25/1947, verbreitet zu haben.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, der Revisionswerber habe nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet, indem er für seine politischen Zwecke (Kritik an der Studienreform) in einer mindestens 10 Personen umfassenden Facebook-Gruppe ein bearbeitetes Bild gepostet habe, das Kriegsverbrechen und Völkermord, welche nicht zuletzt in der Sportpalastrede des führenden Nationalsozialisten und Kriegsverbrechers Joseph Goebbels propagandistisch aufbereitet worden sei, verharmlost habe.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom , E 586/2020-13, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 586/2020-15, zur Entscheidung abtrat.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit geltend gemacht, die Staatsanwaltschaft Wien habe das gegen den Revisionswerber geführte Strafverfahren nach § 3g Verbotsgesetz eingestellt. Das Verwaltungsgericht habe sich mit der zutreffenden Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft Wien und der dort angeführten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach der Tatbestand der nationalsozialistischen Wiederbetätigung im Sinne des § 3g Verbotsgesetz nicht gegeben sei, nicht auseinandergesetzt. Wäre dies geschehen, so hätte das Verwaltungsgericht zu der Überzeugung gelangen müssen, dass schon die äußere Tatseite des Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG nicht erfüllt gewesen sei. Auch fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis zwischen Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG und der Meinungsäußerungsfreiheit, fallbezogen im Kontext der politischen Satire in einer „geheimen und geschlossenen Gruppe“, und zur Frage, ob die Verbreitung im Sinne der zitierten Norm eine Wahrnehmbarkeit für die Öffentlichkeit voraussetze. Das gegenständliche Posting sei nicht öffentlich gewesen und durch ihn auch nicht öffentlich gemacht worden. Daher fehle es am Tatbestandsmerkmal der „Verbreitung“. Außerdem verstoße die gegenständliche Bestrafung gegen das Doppelbestrafungsverbot, weil die Staatsanwaltschaft Wien das parallel geführte Strafverfahren eingestellt habe. Schließlich habe das Verwaltungsgericht den Sachverhalt auch krass fehlbeurteilt. Die Schlussfolgerungen des Gerichts, wonach der Revisionswerber mit dem Posting den Nationalsozialismus und dessen menschenrechtswidrige Gewaltmaßnahmen gravierend und einseitig verharmlost habe, seien schlicht denkunmöglich.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargelegt:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits ausgeführt, dass unter dem „Verbreiten“ nationalsozialistischen Gedankengutes im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z 4 EGVG (nunmehr gleichlautend: Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG) jede Handlung zu verstehen ist, mit welcher derartiges Gedankengut einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird (vgl. ). Wenn das Verwaltungsgericht diese letztgenannte Voraussetzung im gegenständlichen Fall als erfüllt ansah, kann dies - auch im Lichte der Revisionsausführungen - nicht als fehlerhaft erkannt werden (vgl. zum „größeren Personenkreis“ RIS-Justiz RS0091902 mit Hinweis auf WK-StGB2, § 69 StGB, Rn. 2, oder Koukal in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4, § 1 Rn. 10: Ausgeschlossen ist damit jede Form der Individualkommunikation; die Verbreitung muss aber nicht an die Allgemeinheit gerichtet sein“).

8 In der höchstgerichtlichen Judikatur wurde außerdem schon klargestellt, dass die Tatbestände des Verbotsgesetzes einerseits und der in Rede stehende Verwaltungsstraftatbestand andererseits unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen. Die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Art. III Abs. 1 Z 4 EGVG ist daher auch nach der Verfahrenseinstellung im Strafverfahren nach dem Verbotsgesetz möglich (vgl.  mit Hinweis auf ).

9 Zur Auslegung des in Rede stehenden Verwaltungsstraftatbestandes ist ebenfalls auf die bereits vorhandene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Norm eine verwaltungsstrafrechtliche Handhabe gegen das Übel der Verharmlosung nationalsozialistischen Gedankengutes bieten soll, die das Verbotsgesetz nicht erfasst. Ihr Zweck sei es, ärgerniserregenden Unfug hintanzuhalten (vgl. , mit Bezugnahme auf VfSlg. 12.002/1989).

10 Ausgehend davon ist nicht zu erkennen, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts im gegenständlichen Fall von diesen Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen und - wie die Revision behauptet - krass fehlerhaft gewesen wäre.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
EGVG Art3 Abs1 Z4
VerbotsG 1947 §3g
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030020.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-45439