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VwGH 15.06.2023, Ra 2021/02/0218

VwGH 15.06.2023, Ra 2021/02/0218

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §62 Abs4
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §38
RS 1
Aus § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG folgt, dass das Verwaltungsgericht ua. die Berichtigung von Schreib- und Rechenfehlern oder anderen offenbar auf einem Versehen beruhenden Unrichtigkeiten in Erkenntnissen oder Beschlüssen jederzeit von Amts wegen vornehmen kann (vgl. etwa ). Eine derartige Berichtigung bewirkt, dass das berichtigte Erkenntnis oder der berichtigte Beschluss rückwirkend auf den Zeitpunkt seiner Erlassung geändert wird.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/16/0056 E RS 1
Normen
AVG §62 Abs4
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
RS 2
Eine Berichtigung gemäß § 62 Abs. 4 AVG ist auch nach Erhebung einer Revision an den VwGH zulässig (vgl. ). Der Berichtigungsbeschluss bildet mit der berichtigten Entscheidung eine Einheit, die als solche vom VwGH seinem Verfahren zu Grunde zu legen ist (vgl. ; , Ra 2016/01/0110).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2019/09/0038 B RS 3 (hier nur der erste Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der R AG in W, vertreten durch 1. Dr. Bettina Hörtner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Wollzeile 19/15, und 2. die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W172 2195157-1/73E, betreffend Berichtigung iA Übertretungen des FM-GwG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzmarktaufsichtsbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird im angefochtenen Umfang, sohin hinsichtlich seines Spruchpunktes A) zweite Berichtigung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom , W172 2195157-1/61E, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom sprach die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) aus, die revisionswerbende Partei habe es als juristische Person gemäß § 35 FM-GwG zu verantworten, näher genannte Verstöße ab bis zu bestimmten Zeitpunkten begangen zu haben. Die Verantwortlichkeit der revisionswerbenden Partei ergebe sich daraus, dass die zur Vertretung nach außen berufenen Mitglieder des Vorstandes der revisionswerbenden Partei (Hinweis auf eine Beilage) „selbst gegen die angeführten Verpflichtungen verstoßen beziehungsweise durch mangelnde Überwachung oder Kontrolle die Begehung der angeführten Verstöße durch eine für die (revisionswerbende Partei) tätige Person ermöglicht“ hätten. Sie hätten dadurch § 6 Abs. 1 Z 2 oder Z 7 FM-GwG oder § 40 Abs. 2a Z 1 BWG jeweils in Verbindung mit § 35 Abs. 3 erster oder zweiter Strafsatz FM-GwG iVm § 34 Abs. 1 Z 2 FM-GwG oder § 34 Abs. 2 FM-GwG (schwerwiegender Verstoß) verletzt. Deswegen wurde über die revisionswerbende Partei gemäß § 35 Abs. 3 zweiter Strafsatz FM-GwG iVm § 34 Abs. 2 FM-GwG (schwerwiegender Verstoß) iVm § 22 Abs. 8 FMABG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 2.748.000,-- verhängt.

2 Die dagegen von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde wies das das Bundesverwaltungsgericht mit Erkennntnis vom als unbegründet mit „Maßgaben“ dahin ab, dass im Spruch diverse Wortfolgen zu entfallen hätten bzw. einzufügen wären und am Ende des Ausspruchs über die Schuld eine Passage zu ergänzen wäre. Zudem habe die revisionswerbende Partei gemäß § 52 Abs. 2 VwGVG einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von 20%, somit EUR 549.600,-- zu leisten. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

3 Mit Erkenntnis vom , Ro 2019/02/0011, hob der Verwaltungsgerichtshof das im Beschwerdeverfahren ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom im ersten Rechtsgang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil die - in Übernahme des Spruchs des Straferkenntnisses der FMA vom  - vorliegende Umschreibung der Tathandlung als Erfüllung des Tatbestandes des § 35 Abs. 1 FM-GwG „beziehungsweise“ jenes des Abs. 2 leg. cit. einen unzulässigen Alternativvorwurf enthält und demnach nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 44a VStG und den Erfordernissen des § 44a Z 1 VStG entspreche, der eine entsprechende Eindeutigkeit und Genauigkeit der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat fordere.

4 Im fortgesetzten Verfahren wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Partei mit Erkenntnis vom , W172 2195157-1/61E, ebenfalls als unbegründet mit „Maßgaben“ dahin ab, dass im Spruch diverse Wortfolgen und Passagen zu entfallen hätten bzw. einzufügen wären. Unter anderem wurde folgende Passage betreffend die Zurechnung der Verantwortlichkeit der revisionswerbenden Partei eingefügt:

„Die in den Tatzeiträumen bis (I.1.), bis  (I.2.), bis (I.4.), bis  (I.6.) und bis (I.7) zur Vertretung nach außen berufenen Mitglieder des Vorstandes der [revisionswerbenden Partei] (siehe Beilage 0) haben selbst gegen die angeführten Verpflichtungen verstoßen.

Die in den Tatzeiträumen bis (II.1.), bis  (II.2.), bis (II.4) und bis  (II.5.) zur Vertretung nach außen berufenen Mitglieder des Vorstandes der [revisionswerbenden Partei] (siehe Beilage 0) haben selbst gegen die angeführten Verpflichtungen verstoßen beziehungsweise durch mangelnde Überwachung oder Kontrolle die Begehung der angeführten Verstöße durch eine für die [revisionswerbenden Partei] tätige Person ermöglicht.“

5 Weiters setzte es die Strafe auf € 824.400,-- herab und präzisierte die Strafnorm. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die revisionswerbende Partei gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe. Den Beitrag zu den Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens setzte das Bundesverwaltungsgericht in Höhe von 10%, somit EUR 82.440,-- fest. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die FMA (protokolliert zu hg. Ro 2021/02/0010) und die revisionswerbende Partei (protokolliert zu hg. Ro 2021/02/0009) jeweils Revision.

7 Mit Beschluss vom berichtigte das Bundesverwaltungsgericht das Erkennntnis vom unter anderem dahingehend, dass der letzte Absatz der oben zitierten Passage zu lauten habe:

„Die in den Tatzeiträumen bis (II.1.), bis  (II.2.), bis (II.4) und bis  (II.5.) zur Vertretung nach außen berufenen Mitglieder des Vorstandes der [revisionswerbenden Partei] (siehe Beilage 0) haben durch mangelnde Überwachung oder Kontrolle die Begehung der angeführten Verstöße durch eine für die [revisionswerbenden Partei] tätige Person ermöglicht.“

8 Weiters sprach es aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das gegenständlichen Revisionsverfahren relevant - aus, es liege eine offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit vor. Sowohl in den einleitenden Ausführungen, als auch in der rechtlichen Würdigung, so auch dann begünstigend für die revisionswerbende Partei in der Strafbemessung, sei von der Unzulässigkeit der Erhebung eines Alternativvorwurfs auch betreffend die unter „II.“ des bekämpften behördlichen Straferkenntnisses angeführten Spruchpunkte ausgegangen worden. Der Umstand, dass ein Versehen vorliege, gelte umso mehr, als die Formulierung in Bezug auf die unter „I.“ des bekämpften behördlichen Straferkenntnisses dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2019/02/0011, gefolgt sei. Dieses enthalte keinen unzulässigen Alternativvorwurf. Diese Rechtsfrage sei ein wesentlicher Gegenstand des zweiten Verfahrensganges gewesen. Das Versehen sei offenkundig, weil allen Parteien aus der Begründung der ergangenen Entscheidung hätte klar gewesen sein müssen, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung die Unzulässigkeit der Erhebung eines Alternativvorwurfs zugrunde gelegt habe. Die Berichtigung sei in der Weise vorzunehmen, dass der Spruch auch die tatsächlich der Entscheidung zugrunde gelegte und in der Begründung dargelegte Rechtsanschauung wiedergebe.

10 Gegen diesen Beschluss richtet sich vorliegende außerordentliche Revision, die ausdrücklich ausschließlich die eingangs zitierte Berichtigung bekämpft.

11 Die FMA erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der die kostenpflichtige Zurück-, bzw. Abweisung der Revision beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision erweist sich bereits im Hinblick auf die Zulässigkeitsbegründung, wonach das Bundesverwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Grenzen einer Berichtigung gemäß § 62 Abs. 4 AVG abgewichen sei, als zulässig. Sie ist auch begründet.

13 Gemäß § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG kann das Verwaltungsgericht Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in seinen Entscheidungen jederzeit von Amts wegen berichtigen.

14 Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreichend ist, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides hätten erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Bei der Beurteilung einer Unrichtigkeit als offenkundig im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG kommt es letztlich auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (z.B. Begründung) bzw. auf den Akteninhalt an. Eine Berichtigung im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG ist überall dort ausgeschlossen, wo sie eine nachträgliche Änderung des Spruchinhaltes des berichtigten Bescheides oder die Sanierung eines unterlaufenen Begründungsmangels bewirkt; insbesondere bietet die genannte Bestimmung keine Handhabe für eine inhaltlich berichtigende oder erklärende Auslegung des Spruchs eines Bescheides (vgl. etwa ; ; jeweils mwN).

15 Eine derartige Berichtigung bewirkt, dass das berichtigte Erkenntnis oder der berichtigte Beschluss rückwirkend auf den Zeitpunkt seiner Erlassung geändert wird. Eine Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG ist auch nach Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig (vgl. ; ; jeweils mwN).

Der Begründung des Erkenntnisses ist zwar zu entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht in Umsetzung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes den unzulässigen Alternativvorwurf beseitigen wollte (siehe dazu die Ausführungen im Erkenntnis S 117 ff). Allerdings geht aus der Begründung nicht zweifelsfrei hervor, ob das Bundesverwaltungsgericht erachtet, dass die der revisionswerbenden Partei zuzurechnende Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Nichtaktualisierung von Dokumenten, Daten und Informationen von Hochrisikokunden (siehe Spruchpunkt II. des behördlichen Straferkenntnisses; „Anlasstat“) direkt von der Führungsperson („Führungskräftetat“) als Erfüllung des Tatbestandes des § 35 Abs. 1 FM-GwG begangen worden sei oder durch eine Missachtung an sich tauglicher Vorkehrungen zur Verhinderung der verletzten Sorgfaltspflicht durch einen Mitarbeiter und mangelnder Überwachung oder Kontrolle der Führungsperson („Mitarbeitertat“), sohin jene Voraussetzungen der Erfüllung des Tatbestandes des § 35 Abs. 2 FM-GwG als gegeben erachtet.

Das Bundesverwaltungsgericht verweist in seiner Begründung auf Seite 196 des Erkenntnisses darauf, dass es die Ansicht der FMA im behördlichen Straferkenntnis teile, wonach der objektive Tatbestand dadurch erfüllt sei, dass die revisionswerbende Partei die jährliche Aktualisierung der Dokumente nicht sichergestellt habe und führt dazu im Weiteren lediglich pauschal aus, dass dies durch die mangelnde Überwachung und Kontrolle durch die Vorstandsmitglieder der revisionswerbenden Partei ermöglicht worden sei, ohne dies jedoch in weiterer Folge zu konkretisieren. Im behördlichen Straferkenntnis findet sich aber gerade keine Festlegung auf einen der beiden Zurechnungstatbestände. In der gesamten Begründung wird vom Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit Spruchpunkt II. des behördlichen Erkenntnisses nicht ausdrücklich auf die Bestimmung des § 35 Abs. 2 FM-GwG Bezug genommen und diese angeführt.

16 Auch in den Erwägungen zur Strafbemessung finden sich nur pauschal gehaltene Ausführungen, wonach „als erschwerend zu werten ist, dass die festgestellten Pflichtverletzungen auf Unzulänglichkeiten in den internen Regelungen der [BF] zurückgehen“ (vgl. S 210 f), ohne diese in weiterer Folge - insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorwurf der fehlenden Aktualisierung - weiter zu konkretisieren.

17 Damit ist aber entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht zweifelsfrei der Entscheidungswille erkennbar, die Zurechnung auf § 35 Abs. 2 FM-GwG stützen zu wollen.

18 Die nachträgliche Änderung des Spruchinhaltes findet sohin in § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG keine Deckung.

19 Der angefochtene Beschluss war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzordnung 2014.

Wien, am

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Normen
AVG §62 Abs4
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §38
Schlagworte
Allgemein
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021020218.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAF-45433