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VwGH 27.04.2023, Ra 2021/02/0180

VwGH 27.04.2023, Ra 2021/02/0180

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
FM-GwG 2017 §35 Abs1
FM-GwG 2017 §35 Abs2
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
RS 1
Bei § 35 Abs. 1 und Abs. 2 FM-GwG 2017 handelt es sich um unterschiedliche Tatbestände: Während die gemäß Abs. 1 der juristischen Person zuzurechnende Pflichtverletzung direkt von der Führungsperson begangen wird, sieht Abs. 2 vor, dass die Pflichtverletzung durch einen Mitarbeiter begangen wird, was erst dann der juristischen Person zurechenbar ist, wenn eine Führungsperson die Pflichtverletzung durch mangelnde Überwachung oder Kontrolle ermöglicht hat. Eine Tatanlastung, die sich nicht darauf festlegt, ob die Erfüllung des Tatbestandes des § 35 Abs. 1 FM-GwG 2017 oder jenes des Abs. 2 legcit. angenommen wird, enthält einen unzulässigen Alternativvorwurf und ist daher rechtswidrig (vgl. ). Die Korrektur eines unzulässigen Alternativvorwurfs rechtfertigt für sich allein noch keine Herabsetzung der Strafe.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2022/02/0017 E RS 10 (hier ohne den letzten Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Bundesverwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der W SE in W, vertreten durch Dr. Bettina Hörtner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Wollzeile 19/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W276 2234389-1/8E, betreffend Übertretung des FM-GwG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzmarktaufsichtsbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom sprach die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) aus, die revisionswerbende Partei habe es als juristische Person zu verantworten, einen näher umschriebenen Verstoß nach dem Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG) begangen zu haben. Im Wesentlichen wurde ihr vorgeworfen, es im Zeitraum bis zumindest unterlassen zu haben, gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 iVm § 9 Abs. 1 FM-GwG die Identität des wirtschaftlichen Eigentümers ihrer in der Risikoklasse „Hohes Risiko plus“ geführten Kundin E. Limited mit Sitz in Zypern festzustellen und angemessene Maßnahmen zur Überprüfung der Identität zu ergreifen, sodass sie habe überzeugt sein können, zu wissen, wer der wirtschaftliche Eigentümer sei.

2 Die Verantwortlichkeit der revisionswerbenden Partei ergebe sich daraus, dass der im Tatzeitraum zur Vertretung nach außen berufene Vorstand und zuständiges Mitglied des Leitungsorgans gemäß § 23 Abs. 4 FM-GwG MMag. Dr. A. „selbst gegen die angeführten Verpflichtungen verstoßen und durch die mangelnde Überwachung oder Kontrolle die Begehung der angeführten Verstöße durch eine für die [revisionswerbende Partei] tätige Person ermöglicht“ hätte.

3 Die revisionswerbende Partei hätte dadurch § 6 Abs. 1 Z 2 FM-GwG iVm § 9 Abs. 1 FM-GwG iVm mit § 35 Abs. 3 zweiter Strafsatz FM-GwG iVm § 34 Abs. 2 FM-GwG verletzt. Deswegen wurde über die revisionswerbende Partei eine Geldstrafe von € 154.000,-- gemäß § 35 Abs. 3 zweiter Strafsatz FM-GwG iVm § 34 Abs. 2 FM-GwG verhängt. Weiters wurde der revisionswerbenden Partei gemäß § 64 VStG ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

4 Das Bundesverwaltungsgericht wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass die Strafnorm laute „§ 6 Abs. 1 Z 2 FM-GwG, BGBl. I 118/2016 iVm § 9 Abs. 1 FM-GwG, BGBl. I 118/2016 iVm § 35 Abs. 3, zweiter Strafsatz FM-GwG, BGBl. I 118/2016 iVm § 34 Abs. 2 FM-GwG, BGBl. I 118/2016“, (Spruchpunkt II). Weiters verpflichtete es die revisionswerbende Partei zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 52 Abs. 2 VwGVG in Höhe von € 30.800,-- (Spruchpunkt III.) und sprach aus, dass der Beitrag zu den Kosten des Verfahrens bei der belangten Behörde € 15.400,-- betrage (Spruchpunkt IV.). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

5 Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen zur Struktur der revisionswerbenden Partei, zu ihrer Gebarung und ihren Dienstleistungen. Die revisionswerbende Partei sei vom bis durch MMag. Dr. A., jeweils gemeinsam mit einem weiteren Vorstandsmitglied oder einem Gesamtprokuristen, vertreten worden. Mag. B. sei vom bis als Geldwäschebeauftragte der revisionswerbenden Partei bestellt gewesen. MMag. Dr. A. sei während des Tatzeitraumes als verantwortlicher Beauftragter gemäß § 9 Abs. 2 VStG unter anderem für die Einhaltung der „geldwäscherechtlichen“ Bestimmungen bestellt gewesen. Weiters traf das Bundesverwaltungsgericht nähere Feststellungen zur Vorgangsweise der revisionswerbenden Partei betreffend die Feststellung und Überprüfung der wirtschaftlichen Eigentümer von Kunden. Ab Februar 2017 sei bei der revisionswerbenden Partei die Arbeitsrichtlinie zur Verhinderung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung angewendet worden, wobei dieses Handbuch als verbindliche Anweisung für die jeweils betroffenen Bereiche und Mitarbeiter gegolten habe. Es sei halbjährlich zu einer Auswertung jener Kunden gekommen, deren Sitz sich in einer Offshore-Destination befunden habe. Die Kundenakten seien mittels Stichproben auf die Vollständigkeit der Dokumentation und des Zahlungsverhaltens überprüft worden. Es habe auch eine zweiwöchige mündliche Berichterstattung der Geldwäschebeauftragten mit MMag. Dr. A. und ein einmonatlicher Jour Fixe im Rahmen der Vorstandssitzung gegeben. Die interne Revision habe eine jährliche Überprüfung der Geldwäschevorschriften mit schriftlicher Berichterstattung an den Gesamtvorstand und eine Maßnahmennachverfolgung aus allfälligen offenen Revisionspunkten mit quartalsweiser Wiedervorlage vorgenommen. Es habe in den Aufgabenbeschreibungen der jeweils zuständigen Mitarbeiter auch den entsprechenden Hinweis auf die Einhaltung der Arbeitsrichtlinien gegeben.

6 Mit Stichtag sei die Übernahme eines Teils des Bankbetriebes der X Bank AG erfolgt, darunter auch die Geschäftsbeziehung zur E. Limited, welche in der Risikoklasse „Hohes Risiko Plus“ geführt worden sei. Im Zeitraum Dezember 2015 bis Mitte 2017 sei es bei der genannten Gesellschaft zu mehrfachen Änderungen in der Eigentums- und Kontrollstruktur gekommen. Der revisionswerbenden Partei seien bereits aufgrund der am durchgeführten Client Risk Review Informationen vorgelegen, aus der sich näher dargestellte Hinweise auf Änderungen bei den wirtschaftlichen Eigentümern der Mehrheitsgesellschafterin der E. Limited ergeben hätten. Im Juli 2017 habe die bei der revisionswerbenden Partei für die E. Limited zuständige Kundenbetreuerin telefonisch von einem möglichen Wechsel des wirtschaftlichen Eigentümers bzw. in der Eigentums- und Kontrollstruktur bei der E. Limited erfahren. Daraufhin seien per E-Mail mehrfach die erforderlichen schriftlichen Nachweise eingefordert worden. Frühestens zum sei der revisionswerbenden Partei ein dies bestätigendes Certificate of Incumbency vom vorgelegen.

7 Nach seiner Beweiswürdigung führte das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht - soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung - zusammengefasst aus, dass die revisionswerbende Partei zwar über ein Überwachungs- und Kontrollsystem verfügt habe, um die sich aus § 6 Abs. 1 Z 2 FM-GwG ergebende Verpflichtung zu erfüllen, den wirtschaftlichen Eigentümer der E. Limited festzustellen und beweiskräftige Dokumente darüber einzuholen. Allerdings sei dieses von MMag. Dr. A. implementierte System nicht engmaschig genug gewesen. Insbesondere sei keine ausreichende Überwachung von Hochrisikokunden gegeben gewesen, um eine längerfristige Unkenntnis des wirtschaftlichen Eigentümers hintanzuhalten. Die vorgegebenen Prüfungsschritte hätten sich auf eine halbjährliche Auswertung der Kundenunterlagen mittels Stichproben, konkret auf die Vollständigkeit der Dokumentation und des Zahlungsverhaltens, beschränkt. Gerade bei Hochrisikokunden sei diese stichprobenartige Überprüfung jedoch nicht ausreichend, um dem erhöhten Risiko der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung angemessen zu begegnen. Eine genauere Kontrolle sei nicht nur geboten, sondern auch faktisch einfach möglich gewesen, zumal die mit „Hochrisiko Plus“ eingestuften Kundenbeziehungen, die von der X Bank AG übernommen worden seien, nur einen sehr geringen Teil ausgemacht hätten. Darüber hinaus müsse ein Kontrollsystem so ausgestaltet sein, dass bei zweifelhaften Ergebnissen einer „tourlichen“ Überprüfung von Hochrisikokunden unverzüglich die zur Klärung erforderlichen Schritte gesetzt würden und dieser Handlungsauftrag auch entsprechend kontrolliert und überwacht werde. Ein in dieser Weise ausreichendes Kontrollsystem sei bei der revisionswerbenden Partei aber nicht eingerichtet gewesen. Im Weiteren kam das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung zum Ergebnis, MMag. Dr. A. treffe als zuständiger und verantwortlicher Vorstand der revisionswerbenden Partei ein subjektives Verschulden. Dieser hätte die Möglichkeit gehabt, das gesetzlich geforderte Verhalten selbst zu setzen oder entsprechend zu überwachen und zu kontrollieren, dass die für die juristische Person tätigen Personen dies tun. Welche der Alternativen die Führungspersonen wählten, obliege diesen. Im konkreten Fall sei beides nicht bzw. nicht im ausreichenden Umfang geschehen. Die der juristischen Person zuzurechnende Unterlassung sei daher im Ergebnis sowohl direkt durch die im Spruch genannte Führungsperson als auch durch die sonstigen für die juristische Person tätigen Personen, die auf Grund unzureichender Überwachung und Kontrolle die gebotenen Handlungen unterlassen hätten, erfolgt. Beide Zurechnungsvarianten des § 35 FM-GwG seien kumulativ verwirklicht.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

9 Die FMA hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil aus dem Spruch nicht ersichtlich sei, ob die festgelegte Geldstrafe auf einer Zurechnung der Strafbarkeit der revisionswerbenden Partei nach § 35 Abs. 1 oder Abs. 2 FM-GwG gründe. Die Zurechnungsnorm des § 35 FM-GwG lege den Personenkreis der sogenannten Zurechnungspersonen fest, wobei zwischen „Führungskräftetaten“ (Abs. 1 Z 1 bis 3) und sogenannten „Mitarbeitertaten“ (Abs. 2) zu unterscheiden sei. Eine Vermischung der beiden Tatbestände sei keinesfalls geboten.

12 Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig. Sie ist auch begründet.

13 § 35 Abs. 1 und Abs. 2 Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG), BGBl. I Nr. 118/2016, lauten:

„(1) Die FMA kann Geldstrafen gegen juristische Personen verhängen, wenn eine Pflichtverletzung gemäß § 34 Abs. 1 bis 3 zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde, die allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und die auf Grund einer der folgenden Befugnisse eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person innehat:

1. Befugnis zur Vertretung der juristischen Person,

2. Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person

zu treffen oder

3. Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.

(2) Juristische Personen können wegen Pflichtverletzungen gemäß § 34 Abs. 1 bis 3 auch dann verantwortlich gemacht werden, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine in Abs. 1 genannte Person die Begehung einer in § 34 Abs. 1 bis 3 genannten Pflichtverletzungen zugunsten der juristischen Person durch eine für sie tätige Person ermöglicht hat.“

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass es sich bei § 35 Abs. 1 und Abs. 2 FM-GwG um unterschiedliche Tatbestände handelt: Während die gemäß Abs. 1 der juristischen Person zuzurechnende Pflichtverletzung direkt von der Führungsperson begangen wird, sieht Abs. 2 vor, dass die Pflichtverletzung durch einen Mitarbeiter begangen wird, was erst dann der juristischen Person zurechenbar ist, wenn eine Führungsperson die Pflichtverletzung durch mangelnde Überwachung oder Kontrolle ermöglicht hat (vgl. grundlegend ; dem folgend ; , Ro 2022/02/0017).

15 Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts resultierte die zur Last gelegte Sorgfaltspflichtsverletzung („Anlasstat“) aus untauglichen Vorkehrungen zur Verhinderung derartiger Sorgfaltsverstöße und war nicht Folge der Missachtung an sich tauglicher Sicherheitsvorkehrungen durch Mitarbeiter der revisionswerbenden Partei. Mit dem vom Verwaltungsgericht übernommenen Spruch des bekämpften Straferkenntnisses wurde die Strafbarkeit der revisionswerbenden Partei als juristische Person jedoch sowohl auf § 35 Abs. 1 als auch auf 2 FM-GwG gestützt, weshalb dieser einen rechtswidrigen Vorwurf enthält.

16 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
FM-GwG 2017 §35 Abs1
FM-GwG 2017 §35 Abs2
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021020180.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
FAAAF-45431