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VwGH 22.06.2022, Ra 2021/02/0075

VwGH 22.06.2022, Ra 2021/02/0075

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §58 Abs2
AVG §60
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §38
RS 1
Die bloße (teilweise) Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen, die nur ein Beweismittel darstellen, vermag die Feststellung des für die Entscheidung relevanten Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht zu ersetzen.
Normen
AVG §37
AVG §45 Abs3
AVG §52
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §38
RS 2
Für das Gutachten eines Sachverständigen erweist es sich zur Wahrung des Parteiengehörs seitens einer Verwaltungsbehörde zumindest als notwendig, den Schriftsatz samt Gutachten mit einem Hinweis darauf zu übermitteln, dass der zu erlassende Bescheid auf dieses Gutachten gestützt werde, um den Parteien die Möglichkeit zu bieten, dem Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten. Ein solcher Mangel wird nicht dadurch saniert, dass die Partei (zufällig) im Rahmen einer Akteneinsicht Kenntnis von diesen Beweismitteln erlangt (vgl. , VwSlg. 16.603 A).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2017/03/0069 E RS 12 (hier ohne den letzten Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-1857/001-2020, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach dem KFG (mitbeteiligte Partei: L, vertreten durch Mag. Dagmar Hoppstädter, Rechtsanwältin in 4616 Weißkirchen an der Traun, Birkenstraße 23), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde (nunmehrige Amtsrevisionswerberin) vom wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe als zur Vertretung gemäß § 9 Abs. 1 VStG nach außen berufenes Organ einer näher angeführten Gesellschaft zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Zulassungsbesitzerin eines näher bezeichneten Fahrzeuges nicht dafür Sorge getragen habe, dass der Zustand des Anhängers den Vorschriften des KFG entspreche. Es sei festgestellt worden, dass der Spritzschutz auf allen drei Achsen fehle, wodurch ein schwerer Mangel vorgelegen sei, der für die Zulassungsbesitzerin erkennbar gewesen sei. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 103 Abs. 1 Z 1 KFG iVm § 4 Abs. 2 KFG iVm § 4a Abs. 2 KDV verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben wurde.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einholung von Stellungnahmen eines kraftfahrzeugtechnischen Amtssachverständigen vom sowie vom  - das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG ersatzlos auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

4 Nach Wiedergabe des Verfahrensganges hielt das Verwaltungsgericht fest, dass Anhänger der Klasse O4 nach § 4a Abs. 2 KDV einen Spritzschutz zur Einhaltung der Richtlinie 91/226/EWG in der aktuellen Fassung der Richtlinie 2010/19/EG haben müssten. Diese Vorgaben würden sich aus der Rahmen-Richtlinie 2007/46/EG ableiten, nach welcher der gegenständliche Anhänger bauartgenehmigt worden sei. Diese Richtlinie sehe eine Ausnahme nur für geländegängige Fahrzeuge vor, worunter ein Anhänger nicht falle. Demnach wäre grundsätzlich für den Anhänger anstelle des geforderten Spritzschutzsystems eine Ausnahmegenehmigung (in Österreich) einzuholen.

5 Anschließend gab das Verwaltungsgericht einen Ausschnitt aus der zweiten Stellungnahme des Amtssachverständigen wieder, wonach dieser ausgeführt habe, die Bauartgenehmigung des Anhängers mit einer bestimmten Typengenehmigungsbezeichnung vom Ministerium eingeholt zu haben und wäre mit dieser Genehmigung bestätigt worden, dass alle Varianten des Anhängers mit einem ausreichenden Spritzschutzsystem ausgerüstet gewesen wären. Aufgrund dieser Stellungnahme stehe fest, dass keine Verwaltungsübertretung, wie im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen, verwirklicht worden sei. Die Einräumung des Parteiengehörs dazu sei daher nicht mehr erforderlich gewesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Erkenntnissen abgewichen. Damit erweist sich die Revision als zulässig; sie ist auch begründet:

8 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. , mwN), jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung.

9 Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. , mwN) erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.

10 Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. , mwN) führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. zu alledem , mwN).

11 Den dargestellten Anforderungen an die Begründung wird das angefochtene Erkenntnis, nicht gerecht:

12 Das angefochtene Erkenntnis lässt nicht erkennen, von welchem Sachverhalt das Verwaltungsgericht ausgeht, weil es - mit Ausnahme der Feststellung zur Bauartgenehmigung des gegenständlichen Anhängers - keine im Indikativ gehaltenen Feststellungen enthält. Nach bloßer Wiedergabe von Ausschnitten der zweiten Stellungnahme des Amtssachverständigen - d.h. insbesondere ohne weitere Feststellungen zu treffen - folgert das Verwaltungsgericht rechtlich, dass keine Verwaltungsübertretung verwirklicht worden sei, weshalb das Straferkenntnis ersatzlos aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei. Die bloße (teilweise) Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen, die nur ein Beweismittel darstellen, vermag jedoch die Feststellung des für die Entscheidung relevanten Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund entzieht sich das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts schon mangels näherer Sachverhaltsfeststellungen einer näheren Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit.

13 Darüber hinaus ist gemäß § 45 Abs. 3 AVG, der nach § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG auch in Verwaltungsstrafverfahren vor Verwaltungsgerichten anzuwenden ist, den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Für das Gutachten eines Sachverständigen erweist es sich zur Wahrung des Parteiengehörs zumindest als notwendig, den Schriftsatz samt Gutachten mit einem Hinweis darauf zu übermitteln, dass die zu erlassende Entscheidung auf dieses Gutachten gestützt werde, um den Parteien die Möglichkeit zu bieten, dem Gutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegen zu treten (siehe insofern vergleichbar , mwN). Gemäß § 18 VwGVG ist Partei (des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) auch die belangte Behörde. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist damit zumindest ein Zweiparteienverfahren, in dem der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde, die den angefochtenen Bescheid bzw. das angefochtene Straferkenntnis erlassen hat, die gleichen Parteirechte (unter anderem Recht auf Akteneinsicht, Parteiengehör, Ladung zur Verhandlung, Fragerecht an die Parteien, Zeugen und Sachverständigen, Zustellung der Entscheidung) wie dem Beschwerdeführer zukommen (vgl. in diesem Sinn , mwN).

Folglich hat das Verwaltungsgericht die von ihm eingeholten Stellungnahmen des Amtssachverständigen neben dem Mitbeteiligten auch der belangten Behörde zur Äußerung zustellen, was im vorliegenden Fall nicht erfolgt ist.

14 Schließlich wird nicht nachvollziehbar ausgeführt, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht von der Bauartgenehmigung auf den tatsächlichen Zustand des in Rede stehenden Anhängers schloss.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am

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Normen
AVG §37
AVG §45 Abs3
AVG §52
AVG §58 Abs2
AVG §60
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §38
Schlagworte
Allgemein Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Gutachten Parteiengehör Parteiengehör Parteiengehör Sachverständigengutachten
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020075.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAF-45422