VwGH 11.03.2021, Ra 2020/18/0520
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/01/0480 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A F, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W257 2188270-1/45E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Laufe des Verfahrens unter anderem damit begründete, zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb in Afghanistan Verfolgung zu befürchten.
2 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend stellte das BVwG fest, der Revisionswerber sei als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung aufgewachsen. In Österreich engagiere er sich in der evangelischen Kirche und helfe dort ehrenamtlich mit. Er sei jedoch nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und würde im Falle einer Rückkehr den hier begonnenen Weg des Christentums nicht fortsetzen, weil er die inneren Werte nicht vollends aufgenommen habe. Ihm drohe deshalb keine Verfolgung.
5 In der Beweiswürdigung führte das BVwG - auszugsweise - Folgendes aus:
„Der [Revisionswerber] ist im moslemischen Glauben ca 25 Jahre lang aufgewachsen. Eine andere Religion kannte er nicht. Seine Weltanschauung war bis zum 25igsten Lebensjahr islamisch geprägt. Erst in Österreich wurde er auf das Christentum aufmerksam. Das Gericht geht davon aus, dass eine kindliche und jugendliche Prägung für den späteren Lebensverlauf und die Ideologie entscheidend ist. Hier fällt bei ihm zuerst einmal auf, dass er nicht besonders religiös aufgewachsen ist. Eine innere Auseinandersetzung mit dem Glauben oder religiösen Werten nahm er nicht vor bzw. lebte diese nicht. Wenn nun dieser innere Diskurs - gerade als Jugendlicher - fehlt, ist es nur schwer nachvollziehbar, dass er mit diesem inneren Diskurs erst hier in Österreich anfängt. Dies wird noch dadurch erschwert, indem er erst mit 22 Jahren mit dem Christentum in Kontakt trat. Es fehlt die klare Darlegung, dass er einen innere durch den Glauben begleitenden Auseinandersetzung vor dem Grenzübertritt nach Österreich geführt hat. Dabei spielt weniger die Religionsrichtung eine Rolle als die Entwicklung der geistig-seelischen Reife. Erst dieser Diskurs ermöglicht einen Menschen zu dem eingeschlagenen bzw angeborenen (islamischen) Lebensbild eine kritische Haltung zu entwickeln um später davon durch einen inneren Prozess davon abfallen zu können. Das Gericht geht davon aus, dass ein durch christliche Werte geprägtes Lebensbild nicht alleine durch das Beantworten von Wissensfragen über die (hier: evangelische) Kirche überzeugend dargelegt werden kann. Erst die klare intrinsische Motivation und die anschließende Änderung der Persönlichkeit bewirken, dass er diese nicht mehr ablegen könne und ihm in Afghanistan dazu zwingen würde, seine christliche Persönlichkeit zu verleugnen. Er ist allerdings erst mit 22 Jahren mit den Christen in Berührung gekommen. Die letzten 4 Jahre verbrachte er als ‚Christ‘, wobei er zudem noch durch den Wohnortwechsel die Europäische Kultur kennen lernte, wobei eine Trennung beider Aspekte für sich schon sehr schwer ist.
... Das Gericht geht davon aus, dass man nur von etwas Abfallen kann, was man vorher auch besitzt. Wenn ein Ungläubiger bzw jemand, der nicht aktiv gläubig war, vorbringt vom Glauben abgefallen zu sein, kann dies nur sein, wenn er vorher auch aktiv gläubig war. Ein Wechsel der Religionen ist zwar amtlich möglich, dies bewirkt aber noch keine Änderung in der Persönlichkeit.
... Gerade hier ist es für das erkennende Gericht wichtig, diesen Anfangszweifel, durch eine klare Darlegung des [Revisionswerbers], dass er den christlichen Glauben nunmehr vollends angenommen hat, auszuräumen. Dabei genügt es allerdings nicht, dass der [Revisionswerber] in die christliche Gemeinschaft durch eine Taufe aufgenommen wurde und er Wissensfragen beantworten kann, sondern muss es für das Gericht darlegen, dass er eine innere Einstellung angenommen hat, die es ihm unmöglich macht, in Afghanistan - im Falle einer Rückführung - zu leugnen.
Aber genau diesen Aspekt konnte der [Revisionswerber] nicht darlegen.“
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dg. Beschluss vom , E 2511/2020-7, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.
7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit und in der Sache (unter anderem) geltend gemacht, das BVwG sei bei der Beurteilung der Konversion des Revisionswerbers von der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Es habe in seiner Beweiswürdigung persönliche Ansichten und Wertehaltungen wiedergegeben, denen kein Begründungswert zukomme. Bei seinen beweiswürdigenden Überlegungen klammere das BVwG überdies mehrere wichtige Sachverhaltselemente aus, die die Glaubhaftigkeit der Konversion des Revisionswerbers untermauerten und zwingend zu beachten gewesen wären: So habe sich das BVwG mit den Angaben einer namentlich genannten Zeugin (Mitglied der Kirchengemeinde) nicht auseinandergesetzt, die mit näherer Begründung dargelegt habe, dass der Revisionswerber innerlich vom Glauben überzeugt sei, regelmäßig die Kirche besuche und die Bibel studiere. Es habe auch nicht beachtet, dass im Zuge des Verfahrens auch - näher präzisierte - missionarische Tätigkeiten des Revisionswerbers zum Vorschein gekommen seien. Damit lasse das BVwG für den Revisionswerber sprechende Umstände grundlos unberücksichtigt.
8 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vorliegen, wenn anzunehmen wäre, dass der konvertierte Asylwerber nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen werden.
12 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. etwa , mwN).
13 Im vorliegenden Fall hat das BVwG festgestellt, dass der Revisionswerber in den letzten vier Jahren in Österreich in einer evangelischen Kirchengemeinde engagiert gewesen sei und diese Zeit, wie es das Verwaltungsgericht ausdrückt, als „Christ“ verbracht habe. Nähere Feststellungen über seine - aktenkundige - Taufe im Jahr 2018 traf das BVwG zwar nicht, zog diese aber auch nicht in Zweifel. Entscheidend erschien dem BVwG, dass die Konversion nicht ernsthaft erfolgt sei, weshalb das Verwaltungsgericht davon ausging, dass der Revisionswerber bei Rückkehr nach Afghanistan den Glauben nicht mehr ausüben und ihm deshalb keine Verfolgung drohen werde.
14 Zu Recht wendet die Revision dagegen ein, dass das BVwG bei dieser Beurteilung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. So wurde vom Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigen muss (vgl. etwa , mwN). Schon diesem Erfordernis hat das BVwG nicht entsprochen, indem es sich mit der in der Revision angesprochenen Zeugenaussage eines Mitglieds der evangelischen Kirchengemeinde, in welcher der Revisionswerber engagiert ist, überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, obwohl diese Zeugin nähere Angaben über die religiösen Aktivitäten und religiösen Einstellungen des Revisionswerbers gemacht hatte.
15 Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung Erfahrungssätze anwendet, ohne deren unterstellte generelle Geltung näher zu begründen. So hält es dem Revisionswerber beispielsweise entgegen, dass eine kindliche und jugendliche Prägung für den späteren Lebensverlauf und die Ideologie entscheidend sei und deshalb schwer nachvollziehbar sei, dass er mit dem inneren Diskurs zum Glauben erst in Österreich angefangen habe. Zutreffend führt die Revision aus, dass dem Revisionswerber damit von vornherein abgesprochen wird, auch als Erwachsener einen (ernsthaften) Glaubenswechsel vornehmen zu können; ein Erfahrungssatz, der nicht ohne Weiteres nachvollzogen werden kann. Auch die Erwägung des BVwG, man könne nur von etwas abfallen, was man vorher besessen habe, weshalb jemand, der zuvor nicht aktiv gläubig gewesen sei (gemeint offenbar der Revisionswerber), nicht vom Glauben abgefallen sein könne, ist eine rein semantische Argumentation ohne jeglichen Begründungswert für die fallbezogen entscheidungsrelevanten Fragen, nämlich, ob der Revisionswerber wegen eines Glaubenswechsels asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wenn das BVwG gestützt auf seine kritikwürdigen Ausführungen von einem „Anfangszweifel“ spricht, den der Revisionswerber im Zuge des Beweisverfahrens ausräumen müsse.
16 Die Beweiswürdigung des BVwG hält somit einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof an dessen Prüfmaßstab nicht Stand. Da nicht auszuschließen ist, dass das BVwG bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, ist der Verfahrensmangel auch wesentlich.
17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180520.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-45389