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VwGH 07.07.2021, Ra 2020/17/0078

VwGH 07.07.2021, Ra 2020/17/0078

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
§ 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen.
Normen
MRK Art6
VwGVG 2014 §48 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
RS 2
Die Partei hat trotz gehöriger Ladung und ohne Geltendmachung eines Grundes, der es für das Verwaltungsgericht erforderlich gemacht hätte, die von ihr beantragte mündliche Verhandlung zu vertagen, diese unbesucht gelassen und damit die ihr eingeräumte Möglichkeit zur mündlichen Erörterung der Rechtssache nicht wahrgenommen. Mit diesem Verhalten hat die Partei zu erkennen gegeben, dass sie von dem von einem Verhandlungsantrag umfassten Begehren, die Argumente zur Verteidigung gegen den erhobenen strafrechtlichen Vorwurf mündlich vorzutragen und die Erhebungsergebnisse mündlich zu erörtern, Abstand nimmt, womit sie in konkludenter Weise auf die Verlesung der Verfahrensakten oder Aktenstücke im Sinne des § 48 Abs. 1 VwGVG verzichtet hat. Wenn daher die Verlesung von Verfahrensakten in der Verhandlung unterblieben ist, so ist nicht zu erkennen, dass die Partei dadurch unzulässigerweise in der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte unter dem Blickwinkel des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) beeinträchtigt worden wäre.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der A GmbH, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10 (4. OG), gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-413371/10/Sch/HUE, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom wurde gegenüber der revisionswerbenden Partei die Beschlagnahme von fünfzehn näher bezeichneten Glücksspielgeräten gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a GlücksspielgesetzGSpG verfügt.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde.

3 Nach den Akten des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich (Verwaltungsgericht) hat der Rechtsvertreter der revisionswerbenden Partei in der Beschwerde (vgl. darin S 2) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Vernehmung aller bei der Amtshandlung anwesenden Kontrollorgane zum Beweis dafür, dass „mit den betroffenen Geräten keine verbotenen Ausspielungen veranstaltet“ worden seien und „kein begründeter Verdacht“ vorliege, beantragt sowie weiters die Unionsrechtswidrigkeit des GSpG (mit Beweisanboten dazu) behauptet. Zu der am durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde (u.a.) die revisionswerbende Partei „c/o“ deren Rechtsvertreters geladen. Dieser hat per E-Mail vom , 17:20 Uhr, an das Verwaltungsgericht erklärt, dass er am drei weitere Verhandlungen verrichten müsse und sein Fernbleiben entschuldige. Ein Vertagungsantrag wurde darin von ihm nicht gestellt. Zur Verhandlung ist für die revisionswerbende Partei niemand erschienen.

4 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wurde die Beschwerde mit einer für das Revisionsverfahren nicht maßgeblichen Korrektur des Spruches abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei (Spruchpunkt II.).

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert - vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 1.1. Zur Zulässigkeit der Revision bringt die revisionswerbende Partei zunächst vor, es liege ein Verstoß gegen die ständige Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur dynamischen Kohärenzprüfung vor. Das Verwaltungsgericht habe im Hinblick auf die amtswegige Beurteilung der Unionsrechtskonformität des GSpG lediglich Unterlagen aus dem Zeitraum 2010 bis 2016 zu Grunde gelegt, die vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen seien unberücksichtigt geblieben.

10 Dazu ist auszuführen, dass die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt sind (vgl.  Dickinger und Ömer, C-347/09, Rn. 83 f; , Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; , Admiral Casinos & Entertainment AG, C-464/15, Rn. 31, 35 ff; , Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 28, 62 ff; sowie , Gmalieva s.r.o. u.a., C-79/17, Rn. 22 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Ro 2015/17/0022, durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat an dieser Gesamtwürdigung mit Erkenntnis vom , Ra 2018/17/0048, 0049, mit näherer Begründung festgehalten. Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht im Revisionsfall nicht abgewichen. Entgegen dem weiteren Vorbringen steht die angefochtene Entscheidung daher nicht im Widerspruch zum Pfleger, C-390/12. Darüber hinaus wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht näher dargelegt (vgl. ; , Ra 2020/17/0050).

11 1.2. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Verwaltungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung vom Aktenbestandteile nicht verlesen, aber seine Beweiswürdigung darauf gestützt. Mit diesem Vorbringen gelingt es der revisionswerbenden Partei nicht, eine grundsätzliche Rechtsfrage aufzuzeigen:

12 Gemäß § 48 VwGVG idF BGBl. I Nr. 57/2018 ist, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie in der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge des Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG entfallen ist.

13 § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen.

14 Mit dem oben (Punkt 1.2.) wiedergegebenen Zulässigkeitsvorbringen macht die revisionswerbende Partei einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgrund ins Treffen geführt, so muss darüber hinaus bereits in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz des jeweiligen Verfahrensmangels dargetan und somit dargelegt werden, weshalb bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbende Partei günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa , mwN).

15 Eine nach der hg. Judikatur (vgl. nochmals , mwN) ausreichende Relevanzdarstellung enthält die Zulässigkeitsbegründung nicht. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, welche konkreten Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis als unrichtig bestritten werden und nicht hätten getroffen werden dürfen und welche anderen Feststellungen hätten getroffen werden müssen. Abgesehen davon hat die revisionswerbende Partei trotz gehöriger Ladung und ohne Geltendmachung eines Grundes, der es für das Verwaltungsgericht erforderlich gemacht hätte, die von ihr beantragte mündliche Verhandlung zu vertagen, diese unbesucht gelassen und damit die ihr eingeräumte Möglichkeit zur mündlichen Erörterung der Rechtssache nicht wahrgenommen. Mit diesem Verhalten hat die revisionswerbende Partei zu erkennen gegeben, dass sie von dem von einem Verhandlungsantrag umfassten Begehren, die Argumente zur Verteidigung gegen den erhobenen strafrechtlichen Vorwurf mündlich vorzutragen und die Erhebungsergebnisse mündlich zu erörtern, Abstand nimmt, womit sie in konkludenter Weise auf die Verlesung der Verfahrensakten oder Aktenstücke im Sinne des § 48 Abs. 1 VwGVG verzichtet hat. Wenn daher die Verlesung von Verfahrensakten in der Verhandlung am unterblieben ist, so ist nicht zu erkennen, dass die revisionswerbende Partei dadurch unzulässigerweise in der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte unter dem Blickwinkel des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) beeinträchtigt worden wäre. Derartiges legt die Revision auch nicht dar.

16 Mit ihrem in Bezug auf § 48 VwGVG erstatteten Zulässigkeitsvorbringen, zeigt die Revision daher keine Rechtsfrage des Verfahrensrechtes von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.

17 1.3. Auch sonst wirft das Zulässigkeitsvorbringen der Revision keine Rechtsfrage auf, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

18 2. Die vorliegende Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat nach § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am

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Normen
MRK Art6
VwGVG 2014 §48
VwGVG 2014 §48 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020170078.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-45385