VwGH 16.11.2022, Ra 2020/15/0040
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | §§ 47 bis 49 der FMGebO - auf die § 3 Abs. 5 RGG 1999 hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Befreiung von den Rundfunkgebühren verweist - regeln nur, auf welcher Grundlage Bezieher staatlicher Unterstützung von der Entrichtung der Rundfunkgebühren befreit werden können und dass diese an der Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen mitzuwirken haben. Sie enthalten hingegen keine Regelung dahingehend, dass bei Nichtvorlage bestimmter Unterlagen die Zulässigkeit eines Anbringens nicht gegeben wäre (vgl. ). |
Normen | |
RS 2 | Die Anordnung in § 51 Abs. 1 FMGebO, die "gemäß § 50 erforderlichen Nachweise" anzuschließen, ist angesichts des Umstandes, dass in § 50 FMGebO keine konkreten Belege oder Urkunden genannt sind, die für den Nachweis erforderlich wären, nicht geeignet, eine ausdrückliche Anordnung in dem Sinn darzustellen, dass das Fehlen eines bestimmten, von der Behörde im Einzelfall für erforderlich erachteten Nachweises als Fehlen einer erforderlichen Beilage im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG gedeutet werden könnte (vgl. , mit Hinweis auf ). |
Normen | VwGVG 2014 §14 Abs1 VwRallg |
RS 3 | Die Beschwerdevorentscheidung derogiert dem Ausgangsbescheid endgültig. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2015/08/0026 E VwSlg 19271 A/2015 RS 8 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der U O in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W179 2220340-1/4E, betreffend Befreiung von Rundfunkgebühren, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem am bei der Gebühren Info Service GmbH (GIS) eingelangten Antrag teilte die Revisionswerberin mit, dass sie seit Juli 2018 an der im Antrag angegebenen Adresse wohne, und begehrte die Befreiung von den Rundfunkgebühren für Fernsehempfangs- und Radioempfangseinrichtungen. Diesem Antrag legte sie den Bescheid vom über den Bezug der bedarfsorientierten Mindestsicherung (auszugsweise) bei, der jedoch nicht an die antragsgegenständliche Wohnanschrift adressiert war, sondern an den ehemaligen (vor aufrechten) Hauptwohnsitz der Revisionswerberin. Ab war die Revisionswerberin an der in ihrem Antrag vom angeführten Adresse (mit Hauptwohnsitz) wohnhaft.
2 Mit Schreiben vom trug die GIS der Revisionswerberin unter anderem konkret auf, binnen zwei Wochen einen Nachweis über den aktuellen Anspruch auf soziale Transferleistungen, z.B. auf Mindestsicherung, für die neue Adresse vorzulegen.
3 Die Revisionswerberin teilte daraufhin mit, dass es keinen neuen Bescheid über die bedarfsorientierte Mindestsicherung gebe, legte nochmals (nunmehr in vollständiger Form) den Bescheid vom sowie die Meldezettel (Hauptwohnsitzmeldung) für sich und ihre drei Kinder an der im Antrag angeführten Adresse vor.
4 Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag auf Befreiung von den Rundfunkgebühren zurück. Begründend stützte sich die GIS unter Hinweis auf § 13 Abs. 3 AVG auf das Fehlen des Nachweises eines auf die antragsgegenständliche Adresse lautenden Bescheids über die Gewährung der bedarfsorientierten Mindestsicherung.
5 Über die dagegen erhobene Beschwerde erließ die GIS eine Beschwerdevorentscheidung, mit der es den Befreiungsantrag mit der Begründung abwies, die Revisionswerberin sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.
6 Die Revisionswerberin brachte einen Vorlageantrag ein.
7 Mit Schreiben vom legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht den von der Revisionswerberin als Ergänzung zum Vorlageantrag beigebrachten Mindestsicherungsbescheid vom vor, der nunmehr auf die antragsgegenständliche Adresse lautet.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis - in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde - entschied das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerde. Unter Bezugnahme auf §§ 17 und 28 VwGVG iVm § 13 AVG hob es die Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde ersatzlos auf und wies die Beschwerde als unbegründet ab.
9 Zur Begründung führte es aus, die belangte Behörde habe die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten, indem sie mit ihrer Beschwerdevorentscheidung nach Ergehen eines Zurückweisungsbeschlusses inhaltlich über die Beschwerde abgesprochen habe. Die Beschwerdevorentscheidung sei daher wegen Unzuständigkeit mit Rechtswidrigkeit belastet und ersatzlos zu beheben. Demzufolge sei vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr über den Zurückweisungsbescheid zu erkennen. Da die Revisionswerberin dem behördlichen Verbesserungsauftrag zum Nachweis des aktuellen Bezugs einer sozialen Transferleistung der öffentlichen Hand mit der neuerlichen Vorlage des an ihre alte Wohnadresse ergangenen Bescheids über die bedarfsorientierte Mindestsicherung vom nicht entsprochen habe, sei die Zurückweisung des Antrags rechtskonform gewesen. Im Übrigen könne es aber dahinstehen, ob ein Mangel im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG, der in Folge seiner Nichtbehebung zur Zurückweisung des Antrags geführt habe, vorgelegen sei oder ob die Revisionswerberin ihrer Mitwirkungspflicht nicht entsprochen habe und der Antrag daher abzuweisen gewesen wäre, weil sie durch die Zurückweisung an Stelle der Abweisung nicht in einem Recht verletzt sein könne.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es den auf eine andere Wohnadresse lautenden Nachweis über den Bezug einer sozialen Transferleistung als Mangel des Gebührenbefreiungsantrags im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG wertete.
11 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
13 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
14 § 13 Abs. 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 57/2018 lautet:
„Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.“
15 Von den Mängeln des Anbringens im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Umstände zu unterscheiden, die die Erfolgsaussichten betreffen und die gegebenenfalls zur Abweisung führen. Ob es sich um einen Mangel im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG oder um eine Erfolgsvoraussetzung im obigen Sinn handelt, ist durch Auslegung der Bestimmungen der Materiengesetze zu ermitteln (vgl. , mwN).
16 Gemäß § 3 Abs. 5 Rundfunkgebührengesetz (RGG) sind von den Rundfunkgebühren „auf Antrag jene Rundfunkteilnehmer zu befreien, bei denen die in §§ 47 bis 49 der Anlage zum Fernmeldegebührengesetz (Fernmeldegebührenordnung), BGBl. Nr. 170/1970, genannten Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebühr vorliegen“. Gemäß § 6 RGG hat die GIS bei Wahrnehmung ihrer behördlichen Aufgaben das AVG anzuwenden.
17 Die Fernmeldegebührenordnung, BGBl. Nr. 170/1970, idF BGBl. I Nr. 70/2016, lautet auszugsweise:
„ABSCHNITT XI Befreiungsbestimmungen
§ 47. (1) Über Antrag sind von der Entrichtung
- der Rundfunkgebühr für Radio-Empfangseinrichtungen (§ 3 Abs. 1 1. Untersatz RGG),
- der Rundfunkgebühr für Fernseh-Empfangseinrichtungen (§ 3 Abs. 1 2. Untersatz RGG) zu befreien: [...]
7. Bezieher von Leistungen und Unterstützungen aus der Sozialhilfe oder der freien Wohlfahrtspflege oder aus sonstigen öffentlichen Mitteln wegen sozialer Hilfsbedürftigkeit.
[...]
§ 50. (1) Das Vorliegen des Befreiungsgrundes ist vom Antragsteller nachzuweisen, und zwar:
1. in den Fällen des § 47 Abs. 1 durch den Bezug einer der dort genannten Leistungen,
[...]
§ 51. (1) Befreiungsanträge sind unter Verwendung des hiefür aufgelegten Formulars bei der GIS Gebühren Info Service GmbH einzubringen. Dem Antrag sind die gemäß § 50 erforderlichen Nachweise anzuschließen. [...]
(4) Die GIS Gebühren Info Service GmbH ist berechtigt, den Antragsteller zur Vorlage sämtlicher für die Berechnung des Haushalts-Nettoeinkommens erforderlichen Urkunden aufzufordern.“
18 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regeln §§ 47 bis 49 der FMGebO - auf die § 3 Abs. 5 RGG hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Befreiung von den Rundfunkgebühren verweist - nur, auf welcher Grundlage Bezieher staatlicher Unterstützung von der Entrichtung der Rundfunkgebühren befreit werden können und dass diese an der Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen mitzuwirken haben. Sie enthalten hingegen keine Regelung dahingehend, dass bei Nichtvorlage bestimmter Unterlagen die Zulässigkeit eines Anbringens nicht gegeben wäre (vgl. ).
19 Die Anordnung in § 51 Abs. 1 FMGebO, die „gemäß § 50 erforderlichen Nachweise“ anzuschließen, ist angesichts des Umstandes, dass in § 50 FMGebO keine konkreten Belege oder Urkunden genannt sind, die für den Nachweis erforderlich wären, nicht geeignet, eine ausdrückliche Anordnung in dem Sinn darzustellen, dass das Fehlen eines bestimmten, von der Behörde im Einzelfall für erforderlich erachteten Nachweises als Fehlen einer erforderlichen Beilage im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG gedeutet werden könnte (vgl. neuerlich , mit Hinweis auf ).
20 Indem das Bundesverwaltungsgericht davon ausging, der Verbesserungsauftrag vom zur Vorlage eines auf die antragsgegenständliche Wohnadresse lautenden Bescheids über die Gewährung der bedarfsorientierten Mindestsicherung sei zu Recht erteilt worden, hat es die dargestellte Rechtslage verkannt und mit der erfolgten Abweisung der Beschwerde gegen die mit dem Ausgangsbescheid vorgenommene Zurückweisung des Antrags auf Gebührenbefreiung die Revisionswerberin in ihren Rechten verletzt. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig.
21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis zwischen Ausgangsbescheid und Beschwerdevorentscheidung im Anwendungsbereich des VwGVG derogiert die Beschwerdevorentscheidung iSd § 14 VwGVG dem Ausgangsbescheid endgültig. Das Rechtsmittel, über welches das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, bleibt im Fall eines zulässigen Vorlageantrags die Beschwerde; der Vorlageantrag richtet sich nämlich (nur) darauf, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt wird. Da sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid richtet und sich ihre Begründung auf diesen beziehen muss, bleibt der Ausgangsbescheid auch Maßstab dafür, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht; durch das Verwaltungsgericht im Sinn des § 14 Abs. 1 VwGVG aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden, kann freilich - außer in Fällen einer Zurückweisung der Beschwerde - nur die an die Stelle des Ausgangsbescheids getretene Beschwerdevorentscheidung (vgl. ; und , Ra 2020/08/0046 mit Verweis auf , mwN; anders im Anwendungsbereich der BAO: vgl. etwa ; und , Ra 2019/13/0101).
22 Im gegenständlichen Fall richtet sich die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Zurückweisung des Antrages auf Gebührenbefreiung. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist somit nur über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung zu erkennen. Der Ausgangsbescheid des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens, nämlich der Zurückweisungsbescheid, war - wie bereits oben ausgeführt - rechtswidrig, weil kein Anwendungsfall des § 13 Abs. 3 AVG gegeben ist. Die GIS hat mit ihrer Beschwerdevorentscheidung eine Entscheidung außerhalb der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens (nämlich der Zurückweisung) getroffen, indem die Beschwerdevorentscheidung materiell über den Gebührenbefreiungsantrag abspricht, nämlich diesen Befreiungsantrag abweist.
23 Das BVwG hat richtig erkannt, dass im gegenständlichen Fall durch die Beschwerdevorentscheidung eine Überschreitung der Sache erfolgt ist. Das BVwG hat in seiner Entscheidung über die Beschwerde zum Ausdruck zu bringen, dass im gegenständlichen Fall keine Zurückweisung des Antrages auf Gebührenbefreiung zu erfolgen hat. Erst in der Folge wird die GIS den revisionsgegenständlichen Antrag auf Gebührenbefreiung mit einem Erstbescheid inhaltlich zu erledigen haben.
24 Das angefochtene Erkenntnis war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
25 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
26 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §13 Abs3 FMGebO §47 FMGebO §48 FMGebO §49 FMGebO §50 FMGebO §51 Abs1 RGG 1999 §3 Abs5 VwGVG 2014 §14 Abs1 VwRallg |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150040.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAF-45319