VwGH 20.04.2023, Ra 2020/13/0103
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Eine Unbilligkeit iSd § 14 Abs 2 Abgabeneinhebungsgesetz kann unter Umständen auch dann gegeben sein, wenn es der Steuerpflichtige unterlassen hat, eine gesetzlich vorgesehene Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren in Anspruch zu nehmen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, aus welchen Gründen die Geltendmachung der Begünstigung unterblieben ist; denn nicht jedes im Veranlagungsverfahren unterlaufene Versäumnis des Steuerpflichtigen kann durch ein Steuernachsichtsverfahren nachgeholt werden, weil ein solches Vorgehen zu einer unzulässigen Umgehung der Rechtskraftwirkung einer Veranlagung führen würde (Hinweis E ,131/52, 705 F/1953; E ,2736/52, VwSlg 1371 F/1956; E , 961/55, VwSlg 1397 F/1956 und E , 2736/52, VwSlg 1073 F/1954). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0346/59 E RS 1 |
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RS 2 | Ein Begründungsmangel kann nur dann zur Zulässigkeit der Revision führen, wenn dieser relevant ist, der Mangel also den Revisionswerber an der Verfolgung seiner Rechte oder den VwGH an der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert (vgl. z.B. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/13/0040 B RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der Ing. J B GmbH in N, vertreten durch die WD Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH, Wagramer Straße 4, Bürohaus Top 5, als Kanzleikuratorin des Deszendentenfortbetriebes nach Mag. Wolfgang Dietrich, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1220 Wien, Wagramerstraße 4, Bürohaus Top 5, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7105799/2019, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin brachte im Jahr 2019 einen auf § 236 BAO gestützten Antrag auf Nachsicht der - bereits entrichteten - Umsatzsteuer für die Jahre 1994 und 1995 ein. Zur Vorgeschichte dieser Rechtssache wird auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2000/15/0020 (betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer 1994 und 1995), vom , 2002/15/0017 sowie 2004/15/0083 bis 0085, und vom , 2007/15/0071 (jeweils betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 1994 und 1995) und vom , Ra 2015/13/0007 (betreffend Antrag auf Nichtigerklärung der Umsatzsteuerbescheide 1994 und 1995), verwiesen.
2 Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom - mit näherer Begründung - ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom ab, woraufhin die Revisionswerberin einen Vorlageantrag stellte.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verfahrensgangs - und unter Verweis auf die abgeschlossenen Verfahren betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer 1994 und 1995 - im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin begründe das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit mit der Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im Abgabenverfahren, was sich ua aus dem Urteil des LG Wiener Neustadt vom (mit dem der damalige Geschäftsführer der Revisionswerberin vom Vorwurf der Abgabenhinterziehung freigesprochen wurde) ergebe. Die Nachsicht nach § 236 BAO diene jedoch nicht dazu, im vorangegangenen Festsetzungsverfahren - das im konkreten Fall höchstgerichtlich bestätigt worden sei - allenfalls unterlassene Einwendungen nachzuholen. Die Abgabenfestsetzung sei vor Ergehen der Entscheidung des LG Wiener Neustadt erfolgt und die Abgabenbehörde sei auch nicht an freisprechende Urteile in Strafverfahren gebunden. Die Umsatzsteuerpflicht der betreffenden Jahre sei eine, die jeden wie die Revisionswerberin disponierenden Steuerpflichtigen treffe und damit eine Auswirkung genereller Normen. Eine abnormale Belastungswirkung oder ein im atypischen Vermögenseingriff gelegene Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen seien nicht zu erkennen.
5 Es liege auch keine persönliche Unbilligkeit vor; eine Konstellation, in der die Abgabennachforderungen ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten des Steuerpflichtigen auslösen würden, sei nicht erkennbar. Die vorgebrachte Gefährdung der bei der Revisionswerberin eingerichteten Arbeitsplätze könne als rein wirtschaftspolitische Überlegung noch keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung begründen. Es bedürfe auch deshalb keiner Abgabennachsicht, weil für die Bezahlung der betreffenden Abgabe Zahlungserleichterungen gewährt worden seien. Zudem würden die aus den Umsatzsteuerverfahren 1994 und 1995 stammenden Abgabenschulden seit dem Jahr 2017 nicht mehr aushaften, womit sich nicht erhelle, weshalb eine Veräußerung von Vermögen notwendig sein sollte. Gegen die Nachsichtsgewährung spreche auch, dass sich die Nachsicht nur zu Gunsten anderer Gläubiger - etwa der kreditgewährenden Bank - auswirken würde, zumal nicht behauptet worden sei, dass andere Gläubiger auf ihre Forderungen verzichtet hätten. Soweit die beim alleingeschäftsführenden Gesellschafter der Revisionswerberin eintretenden wirtschaftlichen Folgen der Abgabennachforderung ins Treffen geführt würden, sei darauf hinzuweisen, dass dessen Nachsichtsantrag durch das Finanzamt noch nicht erledigt worden sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revisionswerberin begründet die Zulässigkeit der Revision zunächst damit, dass im angefochtenen Erkenntnis zum einen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unvollständig wiedergegeben worden sei, zum anderen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 0346/59, unerwähnt geblieben sei, obwohl in jenem Erkenntnis eine dem vorliegenden Revisionsfall ähnlich gelagerte Sachverhaltskonstellation als Unbilligkeitsgrund für die Gewährung der Nachsicht anerkannt worden sei.
11 Entgegen diesem Vorbringen in der Revision wurde mit dem angeführten Erkenntnis vom eine (nach damaligen Recht) Beschwerde gegen die Verweigerung der Nachsicht als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof führte dazu aus, dass eine Unbilligkeit (nach der dort zu behandelnden Vorgängerbestimmung zu § 236 BAO) unter Umständen auch gegeben sein kann, wenn der Steuerpflichtige es unterlassen hat, eine gesetzlich vorgesehene Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren in Anspruch zu nehmen. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, aus welchen Gründen die Geltendmachung der Begünstigung unterblieben ist. Nicht jedes im Veranlagungsverfahren unterlaufene Versäumnis des Steuerpflichtigen kann durch ein Nachsichtsverfahren nachgeholt werden, weil ein solches Vorgehen zu einer unzulässigen Umgehung der Rechtskraftwirkung einer Veranlagung führen würde (vgl. dazu ). Im Übrigen hatte die Revisionswerberin in den hier zu Grunde liegenden Veranlagungsverfahren keineswegs die Erhebung von Einwänden unterlassen; sie hatte vielmehr die Festsetzung der Umsatzsteuer 1994 und 1995 umfangreich mit Rechtsmitteln (samt Wiederaufnahmeanträgen) bekämpft, sodass auch keine ähnliche Sachverhaltskonstellation vorliegt.
12 Soweit die Revisionswerberin im Zulässigkeitsvorbringen auch eine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur verfahrensgegenständlichen Bestimmung des § 236 BAO geltend macht, verabsäumt sie es, diese Behauptung durch den Verweis auf einander widersprechende Entscheidungen näher zu konkretisieren (vgl. ). In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. , mwN).
13 Die Zulässigkeit der Revision wird von der Revisionswerberin auch in fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erblickt. Insbesondere würden höchstgerichtliche „Richtlinien“ darüber fehlen, nach welchen Kriterien zu beurteilen sei, wann eine abnormale Belastungswirkung, wann ein atypischer Vermögenseingriff vorliege, wann von einem außergewöhnlichen Geschäftsablauf gesprochen werden könne sowie in welchem Verhältnis die Abgabenschuld zum Sachverhalt - einschließlich allfälligen Fehlern beim Zustandekommen der Abgabenschuld - stehen müsse, damit diese als ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt zu qualifizieren sei.
14 Dieses Vorbringen, das jeglichen konkreten Bezug zum Revisionsfall vermissen lässt, ist nicht geeignet, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darzutun. Zur Zulässigkeit einer Revision reicht es nicht aus, dass diese eine Rechtsfrage darlegt, sie muss von der Lösung dieser Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auch „abhängen“, weil der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zur Lösung abstrakter Rechtsfragen nicht berufen ist (vgl. ; , Ra 2018/15/0014, jeweils mwN).
15 Die Revision bringt weiters vor, die angefochtene Entscheidung stehe nicht im Einklang mit der „gesamten Judikatur“ des Verwaltungsgerichtshofes und bezieht sich dabei ausschließlich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2012/17/0146. Jenes Erkenntnis hatte jedoch die Aufhebung eines Bescheides über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld - nach Aufhebung der entsprechenden Rückzahlungsbestimmung im KBBG durch den Verfassungsgerichtshof (siehe ua) - gemäß § 299 BAO zum Gegenstand und nicht die Gewährung von Nachsicht gemäß § 236 BAO. Da dieses Erkenntnis somit weder hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhaltes noch in Bezug auf die relevanten Rechtsfragen mit dem vorliegenden Revisionsfall vergleichbar ist, liegt das behauptete Abweichen von der Rechtsprechung nicht vor.
16 Soweit die Revisionswerberin schließlich einen wesentlichen Begründungsmangel geltend macht, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, der zufolge ein Begründungsmangel nur dann zur Zulässigkeit der Revision führen kann, wenn dieser relevant ist, der Mangel also den Revisionswerber an der Verfolgung seiner Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert (vgl. , mwN). Einen solchen, vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Begründungsmangel vermag die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung allerdings nicht aufzuzeigen, hat doch das Bundesfinanzgericht die Gründe für die Versagung der Nachsicht ausführlich dargelegt und dabei - mit näherer Begründung - insbesondere das Vorliegen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint. Auf die Erwägungen des Bundesfinanzgerichtes geht die Revisionswerberin in ihrer - weitgehend völlig abstrakt gehaltenen - Zulässigkeitsbegründung nicht ein.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
18 Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG aufgrund der (vermutlichen) Versäumung der Revisionsfrist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020130103.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-45294