VwGH 29.06.2022, Ra 2020/13/0079
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGVG 2014 §33 Abs1 |
RS 1 | Der Parteienvertreter hat sich bei der Übermittlung von fristgebundenen Eingaben im elektronischen Weg - wie etwa per E-Mail - zu vergewissern, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Dabei reicht es nicht aus, wenn sich der Parteienvertreter lediglich darauf verlässt, dass nach der Absendung einer E-Mail-Nachricht keine Fehlermeldung erfolgt (vgl. , mwN). Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl. ; , Ra 2016/12/0026, jeweils mwN). |
Normen | |
RS 2 | Die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels ist unabhängig von einem bloß anhängigen, aber noch nicht entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage zu entscheiden (vgl. , mwN). Wird die Wiedereinsetzung später bewilligt, tritt die Zurückweisungsentscheidung von Gesetzes wegen außer Kraft (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/11/0026 B RS 1 (hier nur der erste Satz) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/13/0080
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revisionen 1. des G, und 2. der B GmbH, beide in P (Deutschland), beide vertreten durch Mag. Michael Schubhart, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 6, gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts vom , Zlen. 1. RV/7500712/2019 und 2. RV/7500804/2019, beide betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sowie gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7500710/2019, betreffend Zurückweisung von Beschwerden in einer Angelegenheit nach dem Wiener Tourismusförderungsgesetz (WTFG), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Erstrevisionswerber - mit näherer Begründung - für schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Zweitrevisionswerberin, die eine Diensteanbieterin im Sinne des § 3 Z 2 des E-Commerce-Gesetzes sei, ab bis zum unterlassen, die nach seinen Geschäftsunterlagen vorhandenen Identifikationsdaten (Bezeichnung, Name, Geschlecht, Geburtsdaten, Rechtsform) und Kontaktdaten der bei ihm registrierten Unterkunftgeber und Unterkunftgeberinnen sowie sämtliche Adressen der registrierten Unterkünfte (Unterkunftseinheiten) im Gebiet der Stadt Wien auf einer näher bezeichneten Plattform dem Magistrat in einer automationsunterstützt auswertbaren Form anzuzeigen und dadurch 86 Verwaltungsübertretungen begangen. Es seien dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt worden: § 15 Abs. 2 des Wiener Tourismusförderungsgesetzes (WTFG) in Zusammenhalt mit § 9 Abs. 1 VStG. Weiters wurden Geldstrafen gemäß § 20 Abs. 2 WTFG verhängt und die Verfahrenskosten gemäß § 64 VStG vorgeschrieben. Die Zweitrevisionswerberin hafte gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.
2 Mit E-Mail vom übermittelten die revisionswerbenden Parteien - durch ihren gemeinsamen Rechtsvertreter - in einem mit datierten gemeinsamen Schriftsatz Beschwerden gegen dieses Straferkenntnis und stellten zugleich Anträge, die Beschwerden „als rechtzeitig anzusehen“ bzw. die „Wiedereinsetzung in die offene Beschwerdefrist zuzulassen“ und die Beschwerden entgegenzunehmen. Die beigefügten Beschwerden seien bereits am durch eine - zuverlässige, jedoch erst kurz in der Kanzlei beschäftigte - Kanzleimitarbeiterin des Rechtsvertreters per E-Mail verschickt worden, allerdings sei die E-Mail-Adresse der belangten Behörde unrichtig angeführt worden.
3 Mit Bescheid vom wies der Magistrat der Stadt Wien die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Gegen diesen Bescheid erhoben die revisionswerbenden Parteien - in einem gemeinsamen Schriftsatz - Beschwerden und führten u.a. aus, die (ursprünglichen) Beschwerden seien bereits am per E-Mail übermittelt worden. Trotz der unrichtig eingetragenen E-Mail-Adresse des Magistrats sei keine Fehlermeldung empfangen worden. Erst am habe „das System“ eine Meldung generiert, dass die E-Mail-Nachricht unzustellbar sei. Daraufhin seien die Beschwerden nochmals übermittelt worden.
4 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, mit dem die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurden, mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass als Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide § 33 Abs. 1 und 4 VwGVG anzuführen sei. Es sprach jeweils aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Das BFG führte auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Rechtsvertreter der revisionswerbenden Parteien habe am den Beschwerdeschriftsatz verfasst und seine Assistentin habe am die eingescannte Beschwerde per E-Mail irrtümlich an eine - näher bezeichnete - unrichtige E-Mail-Adresse gerichtet. Das Rechtsmittel sei vom E-Mail-Server der belangten Behörde nicht empfangen worden, weil die angegebene E-Mail-Adresse nicht existiert habe. Am habe die Kanzlei die Meldung erhalten, dass die Beschwerde unzustellbar sei, woraufhin diese nochmals übersendet worden sei. Eine Übermittlungs- oder Lesebestätigung der Behörde über die erfolgreiche Zustellung der versendeten E-Mail sei nicht angefordert worden. Eine Nachfrage bei der Behörde, ob das Rechtsmittel fristgerecht übermittelt worden sei, sei nicht erfolgt. Der Beschwerdeschriftsatz sei bei der belangten Behörde nicht innerhalb der Beschwerdefrist eingelangt.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht aus, beruflich rechtskundigen Parteienvertretern komme eine umfassende Sorgfalts- und Überwachungspflicht des Kanzleipersonals zu und die Büroorganisation müsse so eingerichtet werden, dass die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln gesichert scheine. Dazu gehöre es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch, dass sich Parteienvertreter bei der Übermittlung von Eingaben im elektronischen Weg vergewissern, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt worden sei. Unterbleibe diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stelle dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar. Dies gelte auch für die Übermittlung von Eingaben im Web-ERV. Ob eine Zustellung eines Rechtsmittels an die Behörde tatsächlich erfolgt sei, könne durch telefonische Nachfrage innerhalb der Rechtsmittelfrist geklärt werden. Das bloße Absenden einer E-Mail, wie dies gegenständlich der Fall gewesen sei, genüge nicht. Die Übermittlung von E-Mails führe oft zu Fehlern und technischen Problemen, sodass gerade bei solchen Übermittlungsarten entsprechende Kontroll- und Überwachungsmechanismen greifen müssen, um das Risiko einer nicht erfolgreichen Zustellung von fristgebundenen Rechtsmitteln auszuschalten.
7 Im Lichte dieser Grundsätze sei es nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes aber jedenfalls als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden anzusehen, dass sich der Rechtsvertreter der revisionswerbenden Parteien darauf verlassen habe, dass nach der Absendung des E-Mails keine Fehlermeldung erfolgt sei, er die erforderliche Bestätigung über den Eingang des E-Mails nicht angefordert habe und dadurch keine wirksame Überwachung der Angestellten in Bezug auf Einhaltung der Fristen sowie eine Kontrolle dahingehend erfolgt sei, dass das fristgebundene Rechtsmittel tatsächlich an die richtige Stelle versendet und von dieser eine Bestätigung über den Erhalt der Sendung nicht nur angefordert, sondern auch übermittelt werde.
8 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundefinanzgericht die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom als nicht fristgerecht eingebracht zurück und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Das Bundesfinanzgericht führte aus, das Straferkenntnis sei den revisionswerbenden Parteien nachweislich am zugestellt worden, womit die Rechtsmittelfrist von vier Wochen am geendet habe. Die mittels E-Mail am eingebrachten Beschwerden seien somit nach Ablauf der Frist bei der Behörde eingelangt und damit verspätet gewesen.
9 Dagegen richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 I. Zur Zulässigkeit der Revisionen gegen die angefochtenen Erkenntnisse wird im Wesentlichen vorgebracht, der Rechtsvertreter der revisionswerbenden Parteien bringe fristgebundene Schriftsätze - wenn möglich - stets am vorletzten Tag der Frist ein, damit auf eventuelle Fehlermeldungen des Mailservers, die in der Regel unmittelbar nach dem Absenden, spätestens jedoch nach einigen Stunden erfolgen würden, noch reagiert werden könne. Im vorliegenden Fall habe die - an die unrichtige E-Mail-Adresse - versendete E-Mail die Hauptdomain der Behörde erreicht, womit die Verständigung über den fehlgeschlagenen Zustellversuch erst am erfolgt sei. Es treffe nicht zu, dass die Beschwerde an eine „(völlig) andere“ E-Mail-Adresse versendet worden sei, weil die Hauptdomain korrekt gewesen sei. Der vom Bundesfinanzgericht geschilderte Fall sei mit dem vorliegenden somit nicht vergleichbar.
14 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (vgl. , mwN). An berufsmäßige rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. , mwN).
16 Das Versehen eines Kanzleiangestellten eines berufsmäßigen Parteienvertreters ist diesem (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten verletzt hat. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. , mwN). Dazu gehört nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch, dass sich der Parteienvertreter bei der Übermittlung von fristgebundenen Eingaben im elektronischen Weg - wie im vorliegenden Fall etwa per E-Mail - vergewissert, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Dabei reicht es nicht aus, wenn sich der Parteienvertreter lediglich darauf verlässt, dass nach der Absendung einer E-Mail-Nachricht keine Fehlermeldung erfolgt (vgl. , mwN). Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl. ; , Ra 2016/12/0026, jeweils mwN).
17 In den Revisionen wird nicht vorgebracht, dass der Rechtsvertreter - entsprechend der dargelegten Rechtsprechung - überprüft hätte, ob die mittels E-Mail versendeten Beschwerden die belangte Behörde auch erreicht haben. Vor diesem Hintergrund kann dem Bundesfinanzgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es aufgrund der unterlassenen Kontrolle des Empfangs der versendeten E-Mail-Nachricht das Vorliegen eines den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Rechtsvertreters angenommen hat.
18 II. Zur Zulässigkeit der Revisionen gegen den angefochtenen Beschluss wird vorgebracht, der Beschluss setze sich inhaltlich nicht mit dem Wiedereinsetzungsantrag auseinander, sodass eine fundierte Überprüfung unmöglich gemacht werde. Da die Rechtssache durch die Möglichkeit der außerordentlichen Revision bzw. einer Beschwerde an die Höchstgerichte noch nicht endgültig abgeschlossen sei, erscheine der angefochtene Beschluss „zur jetzigen Zeit weder erforderlich noch angebracht“, dessen Aufhebung werde jedoch aus Gründen anwaltlicher Vorsicht auch beantragt.
19 Dieses allgemein gehaltene Vorbringen ist nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revisionen darzutun, weil damit dem Erfordernis, gesondert die Gründe über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zu benennen, nicht Rechnung getragen wird. Es wird nicht konkret für die vorliegende Revisionssache aufgezeigt, welche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. ).
20 Das Bundesfinanzgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als verspätet zurückgewiesen, womit Sache des Revisionsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung ist (vgl. , mwN). Weshalb die vom Bundesfinanzgericht unterlassene inhaltliche Auseinandersetzung mit den - Gegenstand anderer Verfahren bildenden - Wiedereinsetzungsanträgen der revisionswerbenden Parteien die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses begründen sollte, wird in den Revisionen nicht dargelegt, zumal auch nicht vorgebracht wird, die Beschwerden seien - entgegen den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes - rechtzeitig erhoben worden. Im Übrigen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage der Verspätung eines Rechtsmittels unabhängig von einem bloß anhängigen, aber noch nicht entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage zu entscheiden (vgl. , mwN).
21 In den Revisionen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130079.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-45285