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VwGH 30.08.2022, Ra 2020/08/0175

VwGH 30.08.2022, Ra 2020/08/0175

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
VStG §44a
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §50
RS 1
Im Verwaltungsstrafverfahren ist zwischen Schuld- und Strafausspruch als Gegenstand des Verfahrens zu unterscheiden (vgl. ).
Normen
AVG §68 Abs1
MRKZP 07te Art4 Abs1
VStG §19
VStG §44a
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §50
VwRallg
RS 2
Bekämpft ein Rechtsmittelwerber nur den Ausspruch über die Strafe, ist Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens nur die Frage der Strafbemessung. Hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit und der Schuldfrage ist diesfalls Teilrechtskraft eingetreten (vgl. ; , Ra 2019/02/0203, jeweils mwN). Die Frage der Rechtswidrigkeit des Schuldspruches - auch vor dem Hintergrund des Doppelbestrafungsverbotes nach Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK - 7. ZPEMRK (vgl. ; , Ra 2015/04/0079) - kann aufgrund der eingetretenen Teilrechtskraft in Folge in dem auf den Gegenstand der Strafbemessung eingeschränkten Beschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. ; , Ra 2021/02/0175; , Ra 2015/04/0078; , Ra 2014/11/0052, mwN). Das VwG ist in dieser Hinsicht an die eingetretene Teilrechtskraft gebunden (vgl. , mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle St. Johann Tamsweg Zell am See in 5600 St. Johann im Pongau, Hans Kappacher-Straße 14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , 405-7/935/1/16-2020, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau; mitbeteiligte Partei: D H in P, vertreten durch Dr. Wolf-Georg Schärf, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zedlitzgasse 1/17), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Im Zuge einer von der Finanzpolizei am um 7:30 Uhr durchgeführten Kontrolle vor dem Kindergarten in der Gemeinde W. wurde - laut dem erhobenen Strafantrag - die vor Ort angetroffene, als Shuttlebusfahrerin für das Einzelunternehmen des Mitbeteiligten tätige, aber zum Zeitpunkt der Kontrolle bei der Sozialversicherung nicht angemeldete Frau S. zu ihrem Beschäftigungsverhältnis einvernommen. Sie gab u.a. an, bereits seit dem (wieder) für den Mitbeteiligten tätig zu sein, und legte ein Heft mit detaillierten Stundenaufzeichnungen vor. Sie wisse nicht, ob sie zur Sozialversicherung angemeldet sei, glaube es aber, weil der Mitbeteiligte ihr eine Anmeldung zugesagt habe.

2 Eine im Anschluss von der Finanzpolizei durchgeführte Abfrage des „ELDA-Systems“ habe ergeben, dass Frau S. um 9:19 Uhr - somit unmittelbar nach Ende der Kontrolle - zur Sozialversicherung mit Beschäftigungsbeginn am angemeldet worden sei.

3 Die Finanzpolizei erstattete aufgrund der nicht rechtzeitigen und unrichtigen Anmeldung eine Strafanzeige samt Strafantrag (für das damalige Finanzamt St. Johann Tamsweg Zell am See) gegen den Mitbeteiligten wegen § 111 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 ASVG.

4 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe als Dienstgeber Frau S. beschäftigt, ohne diese Dienstnehmerin gemäß § 33 Abs. 1 ASVG vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Pflichtversicherung angemeldet zu haben. Gegen dieses Straferkenntnis hat der Mitbeteiligte Beschwerde erhoben, diese Beschwerde jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Salzburg (LVwG) zurückgezogen, womit das Straferkenntnis in Rechtskraft erwachsen ist.

5 Mit weiterem Straferkenntnis vom sprach die belangte Behörde den Mitbeteiligten schuldig, die nachträgliche (verspätete) Anmeldung der Dienstnehmerin Frau S. zur Pflichtversicherung mit einem unrichtigen Beschäftigungsbeginn und somit falsch erstattet zu haben. Er habe hierdurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG begangen und werde hierfür gemäß § 111 Abs. 2 ASVG mit Geldstrafe von 1.090 € (Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden) zuzüglich Kosten belegt.

6 Die belangte Behörde führte zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte habe im Anschluss an die Kontrolle der Finanzpolizei Frau S. mit einem Beschäftigungsbeginn am zur Sozialversicherung angemeldet. Aufgrund der Aussagen von Frau S. und ihrer detaillierten Stundenaufzeichnungen sei der tatsächliche Arbeitsbeginn schon am anzunehmen gewesen, womit die vorgenommene Meldung eine „Falschmeldung“ sei. Der Mitbeteiligte habe in seiner schriftlichen Rechtfertigung die Übertretung nicht bestritten und die Veranlassung einer Richtigstellung und Aufrollung zugesagt.

7 In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde wendete sich der Mitbeteiligte ausschließlich gegen die Strafbemessung und brachte dazu u.a. vor, die belangte Behörde habe zu Unrecht angenommen, er sei nicht unbescholten gewesen und habe sich dabei ohne ausreichende Begründung auf eine Vormerkung aus dem Jahr 2015 gestützt. Die belangte Behörde habe zudem die Tilgungsfrist gemäß § 55 VStG nicht beachtet, die - im Hinblick auf die Vormerkung aus dem Jahr 2015 - wenige Monate nach Einbringung der Beschwerde ablaufen würde. Da der Mitbeteiligte sich in der Frist gemäß § 55 VStG „fast die ganze Zeit“ wohlverhalten habe, sei dies bei der Strafbemessung zu beachten.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Salzburg (LVwG), der Beschwerde des Mitbeteiligten - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - Folge und sah „wegen Doppelbestrafung“ von der Verhängung einer Strafe ab. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Das LVwG führte nach Wiedergabe des Verfahrensablaufs und Feststellung des unstrittigen Sachverhalts - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, Art. 4 des 7. ZPEMRK verbiete eine weitere Strafverfolgung und Bestrafung wegen derselben strafbaren Handlung. Dies sei dann der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpfe, sodass ein weiteres Strafbedürfnis entfalle. Im Fall einer verspäteten Anmeldung eines Dienstnehmers dürfe somit der bereits gemäß § 33 Abs. 1 ASVG unter Strafe gestellte Umstand, wonach der Dienstnehmer nicht vor Arbeitsantritt bzw. verspätet zur Sozialversicherung angemeldet wurde, nicht nochmals Gegenstand eines Tatvorwurfes in Form einer Falschmeldung sein. Es stelle sich die Frage, ob im Fall eines Dienstgebers, der einen Dienstnehmer verspätet, aber nicht mit korrektem Beschäftigungsbeginn meldet, ein „verwaltungsstrafrechtlicher Überhang“ gegenüber einem solchen bestehe, der eine Beschäftigung überhaupt nicht meldet. Dieser Fall sei der Frage gleichzuhalten, ob im Fall eines Dienstgebers, der eine Beschäftigung nicht gemeldet hat, auch nach einer Kontrolle (und möglicherweise einer Bestrafung) weiterhin unter Strafdrohung verpflichtet sei, diese Beschäftigung korrekt zu melden. Dies würde dem Verbot der Selbstbezichtigung gemäß Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK widersprechen, weil dem Sozialversicherungsträger jene - möglicherweise strittigen - Umstände korrekt zu melden seien, die in einem anstehenden bzw. anhängigen Verwaltungsstrafverfahren die Strafbehörde erst beweisen müsse. Zusammengefasst ergebe sich der zwingende Schluss, dass einem Dienstgeber nicht im Rahmen des Vorwurfes einer Falschmeldung nach § 111 Abs. 1 ASVG zur Last gelegt werden könne, dass er den Zeitpunkt des Dienstbeginns falsch gemeldet habe, wenn ihm zugleich der Vorwurf der verspäteten Anmeldung gemacht werde.

10 Der im Straferkenntnis der belangten Behörde getätigte Vorwurf der Meldung einer Dienstnehmerin mit falschem Beschäftigungsbeginn sei daher im „rechtskräftigen Vorwurf“ der Nichtmeldung derselben Dienstnehmerin vor Arbeitsantritt eingeschlossen und der Unrechtsgehalt mit der betreffenden Bestrafung abgegolten gewesen.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem vom Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

12 Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision wird - auf das Wesentliche zusammengefasst - vorgebracht, das LVwG habe die verschiedenen Straftatbestände des § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG entgegen der - näher angeführten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unrichtig interpretiert bzw. nicht genau voneinander abgegrenzt sowie den gegen den Mitbeteiligten erhobenen Tatvorwurf verkannt. Anders als im rechtskräftig abgeschlossenen Parallelverfahren sei der Mitbeteiligte im vorliegenden Verfahren ausschließlich wegen der „falsch erstatteten Anmeldung“ bestraft worden. Darüber hinaus fehle es auch an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Bestrafung nach einem der die Tatbestände iSd. § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG die beiden verbleibenden Tatbestände konsumiere.

13 Die Revision ist wegen der aufgezeigten fehlenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig und im Ergebnis - wegen einer vorrangigen, aufgrund der zulässigen Revision auch von Amts wegen wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit (vgl. ) - auch berechtigt.

14 Im Verwaltungsstrafverfahren ist zwischen Schuld- und Strafausspruch als Gegenstand des Verfahrens zu unterscheiden (vgl. ).

15 Der Mitbeteiligte hat - nach Abgabe eines Schuldeingeständnisses im Verwaltungsverfahren - mit seiner Beschwerde vom das Straferkenntnis der belangten Behörde vom „betreffend der Grundlage der Strafbemessung und der Höhe der Strafe“ angefochten. Damit hat sich die Beschwerde unstrittig - wie auch das LVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses festhält - nur gegen den Strafausspruch gerichtet.

16 Bekämpft ein Rechtsmittelwerber nur den Ausspruch über die Strafe, ist Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens nur die Frage der Strafbemessung. Hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit und der Schuldfrage ist diesfalls Teilrechtskraft eingetreten (vgl. ; , Ra 2019/02/0203, jeweils mwN). Die Frage der Rechtswidrigkeit des Schuldspruches - auch vor dem Hintergrund des Doppelbestrafungsverbotes nach Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK - 7. ZPEMRK (vgl. ; , Ra 2015/04/0079) - kann aufgrund der eingetretenen Teilrechtskraft in Folge in dem auf den Gegenstand der Strafbemessung eingeschränkten Beschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. ; , Ra 2021/02/0175; , Ra 2015/04/0078; , Ra 2014/11/0052, mwN). Das Verwaltungsgericht ist in dieser Hinsicht an die eingetretene Teilrechtskraft gebunden (vgl. , mwN).

17 Das LVwG hat im Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben und „wegen Doppelbestrafung“ von der Verhängung einer Strafe abgesehen. Der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ist - wie bereits ausgeführt - zu entnehmen, das LVwG ist davon ausgegangen, der Mitbeteiligte habe seine Beschwerde auf die Strafhöhe beschränkt. Aus diesem Grund sei eine Einstellung des Strafverfahrens nicht möglich, weshalb lediglich vom Ausspruch einer Strafe abzusehen gewesen sei.

18 Vor dem Hintergrund dieser - zutreffenden - Deutung des Beschwerdegegenstands in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses besteht kein Zweifel daran, dass der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses dahingehend auszulegen ist, dass er sich nicht auf den Schuldausspruch des vom Mitbeteiligten angefochtenen Straferkenntnisses bezieht, womit eine nochmalige meritorische Entscheidung über die Schuldfrage - die das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes belasten würde - nicht vorliegt (vgl. dazu , 0240; , Ra 2018/06/0040).

19 Indem das LVwG von der Verhängung einer Strafe „wegen Doppelbestrafung“ abgesehen hat, hat es allerdings die angenommene Unzulässigkeit der Tatverfolgung als Begründung für die Strafbemessung herangezogen. Damit hat es im Ergebnis - in Missachtung der von der Teilrechtskraft des Schuldspruchs ausgehenden Bindungswirkung - die Schuldfrage aufgrund der angenommenen unzulässigen Doppelbestrafung inhaltlich gegenteilig gelöst, womit es das angefochtene Erkenntnis mit einem Begründungsmangel belastet hat (vgl. erneut ).

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §68 Abs1
MRKZP 07te Art4 Abs1
VStG §19
VStG §44a
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §50
VwRallg
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080175.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-45224

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