Suchen Hilfe
VwGH 29.06.2022, Ra 2020/06/0041

VwGH 29.06.2022, Ra 2020/06/0041

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AVG §7 Abs1
AVG §7 Abs1 Z3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §6
RS 1
Sachliche Differenzen führen für sich genommen nicht zur Befangenheit eines Organwalters. In dem Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Organwalters nicht mit jener der Partei deckt, ist daher grundsätzlich keine Befangenheit zu erblicken; der Anschein einer Befangenheit wird noch nicht damit begründet, dass ein Organwalter eine gewisse Rechtsmeinung vertritt. Sinn und Zweck der Ablehnung wegen Besorgnis einer Befangenheit ist nämlich nicht die Abwehr einer unrichtigen Rechtsauffassung des Organwalters. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Entscheidung ist vielmehr durch die Rechtsmittelinstanzen zu überprüfen und grundsätzlich keine Angelegenheit des Ablehnungsverfahrens (vgl. , mwN).
Normen
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs3
AVG §7 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §6
RS 2
Zweck einer Verhandlung vor dem VwG ist grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen (, 0022, mwN). Dabei kann es für den erkennenden Richter, insbesondere im Hinblick auf den auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu beachtenden Grundsatz der Verfahrensökonomie (§ 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG 2014) in bestimmten Verfahrenskonstellationen auch zweckmäßig sein, ausgehend vom bisherigen Parteienvorbringen und bereits vorliegenden Ermittlungsergebnissen eine vorläufige Rechtsansicht mit den Parteien zu erörtern, zumal dies zu einer Fokussierung auf die zu erörternden Fragen und mögliche weitere Beweisaufnahmen beitragen kann. In einer derartigen Darlegung einer vorläufigen - also im Hinblick auf weitere Verfahrensergebnisse noch offenen - Rechtsansicht kann eine Befangenheit nicht erblickt werden.
Normen
BauG Stmk 1995 §39 Abs3
BauRallg
RS 3
Die in § 39 Abs. 3 Stmk BauG 1995 angesprochenen Verpflichtungen, deren Nichterfüllung durch den Eigentümer Voraussetzung eines Auftrages nach dieser Gesetzesbestimmung ist, können sich angesichts der Formulierung, wonach die Behörde zur Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages ermächtigt ist, wenn "der Eigentümer seinen Verpflichtungen nicht nach[kommt]", nur auf dem Eigentümer der baulichen Anlage normativ aufgetragene Verpflichtungen beziehen.
Normen
BauG Stmk 1995 §39 Abs1
BauO Stmk 1968 §70 Abs2
BauRallg
RS 4
In seinem Erkenntnis vom , 2009/06/0078, führte der VwGH zu § 39 Abs. 1 Stmk BauG 1995 bereits aus, dass die Instandhaltungspflicht gemäß § 39 Abs. 1 Stmk BauG 1995 das Vorhandensein einer rechtmäßigen baulichen Anlage voraussetze, die in einem der Baubewilligung, der Baufreistellungserklärung oder den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden müsse. Zur inhaltlich vergleichbaren Vorgängerbestimmung des § 70 Abs. 2 Stmk BauO 1968, wonach der Eigentümer dafür zu sorgen hatte, dass die Bauten in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden, sprach der VwGH darüber hinaus aus, dass sich die normierte gesetzliche Erhaltungspflicht auf das Bewahren eines bestehenden Zustandes beziehe. Eine Instandsetzung oder Sanierung bedeute die Wiederherstellung eines früher bereits bestandenen Zustandes. Ein Baugebrechen liege somit dann vor, wenn sich der ursprünglich bestandene gute Zustand eines Baues verschlechtert habe, sodass die Verpflichtung des Eigentümers darin bestehe, diesen guten Zustand wiederherzustellen. Von einer Baugebrechensbehebung könne aber nur solange gesprochen werden, als die Instandsetzungsmaßnahmen eine Wiederherstellung des ursprünglichen Bestandes bewirkten (vgl. , mwN).
Normen
BauG Stmk 1995 §39 Abs1
BauG Stmk 1995 §4 Z9
BauRallg
RS 5
Einer gesetzlichen Begriffsbestimmung (§ 4 Z 9 Stmk BauG 1995 enthält eine Legaldefinition des Begriffes "Baugebrechen") kommt in der Regel keine eigenständige normative Bedeutung zu; eine solche wird erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen, die diesen Begriff verwenden, bewirkt (vgl. etwa , mit Verweis auf die Rechtsprechung des VfGH). § 39 Abs. 1 Stmk. BauG 1995 erlegt dem Eigentümer von baulichen Anlagen (bloß) die Verpflichtung auf, diese in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand zu "erhalten". Dass der äußerste mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung absteckt, hat der VwGH bereits mehrfach ausgesprochen (vgl. etwa ); der Begriff "erhalten" bedeutet nach seinem - in diesem Zusammenhang anzuwendenden allgemeinen Begriffsverständnis - dass etwas in seinem Bestand beziehungsweise Zustand "bewahrt, beibehalten, aufrechterhalten" wird (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/erhalten, abgerufen am ), jedoch nicht die Herstellung eines noch nicht bestehenden Zustandes.
Normen
BauG Stmk 1995 §31
BauG Stmk 1995 §39 Abs1
BauRallg
VwRallg
RS 6
Aus § 39 Abs. 1 Stmk. BauG 1995 kann nicht abgeleitet werden, dass der Eigentümer einer baulichen Anlage zur Fertigstellung oder erstmaligen Herstellung eines der Baubewilligung entsprechenden Zustandes verpflichtet wäre. Eine derartige Interpretation lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, zumal sich der Steiermärkische Landesgesetzgeber bewusst gegen Bauvollendungsfristen entschieden und in den Materialien zu § 31 Stmk. BauG 1995, in seiner Stammfassung LGBl. Nr. 59/1995, ausdrücklich klargestellt hat, dass "von einer Bauvollendungsfrist abgesehen [wurde], da es eine nicht vertretbare Härte für den Bauherrn darstellen würde, wenn er etwa auf Grund eingetretener finanzieller Schwierigkeiten sein Bauvorhaben nicht beenden kann und dann die Behörde zufolge Erlöschens des Baukonsens einen Beseitigungsauftrag erlassen müsste" (vgl. XII. GP StLT EB EZ 992, 52). Angesichts dieser in den Materialien deutlich zum Ausdruck gebrachten Intention des Gesetzgebers hat es dieser bewusst in Kauf genommen, dass eine nicht vollständige Konsumierung einer Baubewilligung für einen - auch längeren - Zeitraum bestehen bleiben könnte. Daher ist auch nicht von einer im Wege der Analogie zu schließenden planwidrigen Lücke auszugehen.
Normen
BauG Stmk 1995 §39
BauG Stmk 1995 §39 Abs1
BauO NÖ 1996 §24
BauO NÖ 1996 §33
BauO NÖ 2014 §24
BauO NÖ 2014 §34
RS 7
§ 39 Stmk BauG 1995 unterscheidet sich seinem Wortlaut und Inhalt nach deutlich von den korrespondierenden Bestimmungen nach der niederösterreichischen Rechtslage (§ 24 NÖ BauO 1996 und § 24 NÖ BauO 2014). Nach § 34 der NÖ BauO 2014 hat der Eigentümer eines Bauwerks nämlich dafür zu sorgen, dass dieses in einem der Bewilligung oder der Anzeige entsprechenden Zustand "ausgeführt und erhalten" wird. Auch § 33 NÖ BauO 1996 verpflichtete den Eigentümer zur Ausführung und Erhaltung. Demgegenüber sieht § 39 Abs. 1 Stmk BauG 1995 lediglich eine Verpflichtung des Eigentümers vor, die bauliche Anlage in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand zu "erhalten", eine Verpflichtung zur Ausführung eines der Baubewilligung entsprechenden Zustandes fehlt.
Normen
BauG Stmk 1995
BauG Stmk 1995 §39 Abs1
BauG Stmk 1995 §4 Z9
VwRallg
RS 8
Weder § 39 Abs. 1 Stmk BauG 1995 noch der Begriffsbestimmung des § 4 Z 9 leg. cit. ist eine Verpflichtung des Eigentümers einer baulichen Anlage zu entnehmen, ein Bauvorhaben bewilligungsgemäß binnen bestimmter Frist auszuführen. Auch sonst ist eine solche Verpflichtung dem Stmk BauG 1995 oder anderen Rechtsvorschriften nicht zu entnehmen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart-Mutzl und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 50.4-1052/2019-23, betreffend einen Auftrag nach § 39 Abs. 1 und 3 des Steiermärkischen Baugesetzes (mitbeteiligte Partei: K GmbH in G, vertreten durch die Eisenberger Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Schloßstraße 25; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Landeshauptstadt Graz hat der mitbeteiligten Partei EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom wurde der K. AG die Baubewilligung zur Durchführung näher bezeichneter Zu- und Umbauten eines Gebäudes auf näher genannten, im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehenden Grundstücken in G. unter der Vorschreibung von Auflagen bewilligt. Das genehmigte Projekt sah unter anderem den Abbruch des Daches des bestehenden Gebäudes und den Ausbau und die Aufstockung des Dachgeschoßes vor. Das neue Dach war als mit in Ost-West-Richtung angeordneten, parallelen Sheddächern mit unterschiedlichen Längen und Höhen und abweichenden Neigungen sowie einem dazwischenliegenden Flachdach projektiert. Die Dachhaut sollte durch Kalzip-Aludachbahnen abgedichtet und die derart abgedichtete Stahlunterkonstruktion mit einer vorgehängten Metallfassade aus wärmebehandelten und mit Säure patinierten Bronzewalzblechplatten verkleidet werden.

2 Die bewilligten Um- und Zubauten wurden größtenteils ausgeführt, die projektierte Bronzeverkleidung des Daches wurde jedoch nicht errichtet; der Amtsrevisionswerber erteilte der K. AG in der Folge mehrere Teilbenützungsbewilligungen für das verfahrensgegenständliche Gebäude, die Dachflächenaußenhaut wurde von diesen Teilbenützungsbewilligungen ausgenommen.

3 Mit Bescheid vom erteilte der Amtsrevisionswerber der mitbeteiligten Partei als Gebäudeeigentümerin gemäß § 39 Abs. 1 und 3 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) den Auftrag, die Dachkonstruktion des verfahrensgegenständlichen Gebäudes binnen eines Jahres ab Rechtskraft des Auftrages durch Errichtung der fehlenden Dachsheds und Aufbringung der Dachhaut aus Bronzeplatten in einen der Baubewilligung entsprechenden Zustand zu versetzen.

4 Diesen Bescheid begründete der Amtsrevisionswerber zusammengefasst damit, dass die Ausgestaltung der Dachkonstruktion und deren Verträglichkeit mit dem Ortsbild zentrale Voraussetzung für die Erteilung der beantragten Baubewilligung für das in der Schutzzone 1 nach § 2 Abs. 2 des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes 2008 liegende Bauvorhaben gewesen sei. Die Dachkonstruktion sei jedoch bislang nicht der Baubewilligung entsprechend errichtet worden, der aktuelle Zustand bestehe seit beinahe zehn Jahren. Die unterlassene Herstellung des bewilligungskonformen Zustands der Dachkonstruktion (teilweise fehlende Dachsheds und vollständig fehlende Dachhaut) führe zu einer groben Beeinträchtigung des schutzwürdigen Stadtbildes. § 4 Z 9 Stmk. BauG definiere den Begriff des Baugebrechens allgemein als mangelhaften Zustand einer baulichen Anlage, der (u.a.) deren äußeres Erscheinungsbild betreffe und (u.a.) geeignet sei, das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild grob zu beeinträchtigen. Dieser Begriff könne nicht auf bewilligungsgemäß vollendete Bauwerke reduziert werden. Während der aktiven Bauphase seien Widersprüche zu den Bauvorschriften zwar nicht als Baugebrechen zu qualifizieren, werde der Bau aber nicht fertiggestellt und dauerhaft in diesem Zustand belassen, müsse der dauerhafte Zustand den Bauvorschriften entsprechen.

5 Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (NÖ BauO 1996) führte der Amtsrevisionswerber weiter aus, ein Baugebrechen liege auch dann vor, wenn ein „unentbehrlicher Bauteil“, also ein eine zentrale Voraussetzung für die positive Erledigung des Bauansuchens darstellender Bauteil, ohne dessen Errichtung sich ein vorschriftswidriger Zustand einstelle, fehle. Der derzeitige Zustand des verfahrensgegenständlichen Bauwerkes stelle eine grobe Beeinträchtigung des Ortsbildes dar und sei daher im Sinne des § 4 Z 9 Stmk. BauG mangelhaft. Gemäß § 39 Abs. 1 und 3 leg. cit. seien dem Eigentümer erforderliche Sanierungsmaßnahmen aufzutragen.

6 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG). Mit Beschluss vom bestellte das LVwG einen Amtssachverständigen aus den Fachrichtungen Bautechnik und Straßen-, Orts- und Landschaftsbild und erteilte diesem - unter Darlegung des Verfahrensgegenstandes und einer vorläufigen rechtlichen Beurteilung - einen näher ausgeführten Gutachtensauftrag. Mit Schreiben vom lehnte der Amtsrevisionswerber den zuständigen Richter des LVwG wegen Befangenheit ab, weil dieser im Beschluss vom „mit letzter Deutlichkeit zu erkennen gegeben“ habe, wie er „in der Sache zu entscheiden gedenkt“.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde der mitbeteiligten Partei nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt und behob den angefochtenen Bescheid ersatzlos (I.). Gleichzeitig erklärte es eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig (II.).

8 Begründend führte es dazu - soweit hier relevant - zusammengefasst aus, die Stahlunterkonstruktion mit einer Abdichtung aus Kalzip-Aludachbahnen der Sheddächer Nrn. 1 bis 7 und 12 seien entsprechend den mit Bescheid vom bewilligten Einreichunterlagen errichtet worden. Es handle sich insofern um eine nur teilweise Ausführung des bewilligten Projektes, als die vorgehängte Metallfassade aus wärmebehandelten und mit Säure patinierten Bronzewalzblechplatten als äußerste Schicht des projektierten Dachaufbaues nicht ausgeführt worden sei. Diese fehlende Metallverkleidung stelle eine reine Verblendung dar und sei bauphysikalisch nicht relevant; die über der Stahlunterkonstruktion ausgeführte Abdichtungsebene mit Kalzip-Aludachbahnen sei bautechnisch als äußerste Gebäudehülle geeignet. Die Teilausführung des Bauprojektes führe zu keiner Verschlechterung des Zustandes des ausgeführten Gebäudes in Bezug auf dessen Festigkeit, Brandsicherheit, Hygiene oder äußeres Erscheinungsbild. Demgegenüber seien die Sheddächer Nrn. 8 bis 11 und 13 der Baubewilligung vom widersprechend ausgeführt worden, indem hinsichtlich der Sheddächer Nrn. 9 bis 11 an Stelle der Unterkonstruktion ein Flachdach errichtet worden sei, die nördliche Front des Sheddaches Nr. 8 entgegen den genehmigten Einreichplänen in der unteren Hälfte mit einer außen verputzten Wand geschlossen worden sei und die südliche Front und das Vordach des Sheddaches Nr. 13 ebenfalls abweichend von den bewilligten Einreichplänen errichtet worden seien (wird näher ausgeführt). Von einer näher genannten Ausnahme abgesehen, seien zumindest seit keine Bauarbeiten mehr am Dach vorgenommen worden.

9 Rechtlich begründete das LVwG zunächst, aus welchen Gründen die vom Amtsrevisionswerber behauptete Befangenheit des entscheidenden Richters nicht bestehe. Zur ersatzlosen Behebung des bekämpften Bescheides führte es sodann unter Verweis auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte, zur „Sache“ des Verfahrens, sowie zum Instandsetzungsauftrag nach § 39 Abs. 3 Stmk. BauG (Verweis auf ) zusammengefasst aus, Voraussetzung für einen Auftrag nach der genannten Gesetzesbestimmung sei, dass sich der ursprünglich konsensgemäße Zustand einer baulichen Anlage verschlechtert habe. Ein Instandsetzungsauftrag nach § 39 Abs. 3 Stmk. BauG setze voraus, dass der Eigentümer seiner Instandhaltungspflicht nach § 39 Abs. 1 leg. cit. nicht nachgekommen sei, wobei der Eigentümer nach der letztgenannten Bestimmung zur Erhaltung eines entsprechenden Zustandes verpflichtet sei. Eine Erhaltung setze jedoch einen bestehenden Zustand voraus, aufgrund dessen Verschlechterung ein Instandsetzungsauftrag erteilt werden könne (Verweis auf Trippl/Schwarzbeck/Freiberger, Steiermärkisches Baurecht5 [2013], § 39 Anm. 4).

10 Die Voraussetzung einer Verschlechterung eines früher bereits bestandenen Zustandes für die Erteilung eines Instandsetzungsauftrages gemäß § 39 Abs. 3 Stmk. BauG ergebe sich auch aus einer „subjektiv-historischen“ Interpretation. Es sei Absicht des Landesgesetzgebers gewesen, keine Bauvollendungsfrist vorzusehen, weshalb die Nichtfertigstellung eines Bauvorhabens für sich genommen keinen baugesetzwidrigen Zustand darstelle. Folge man der Interpretation des Amtsrevisionswerbers, könnte dem Eigentümer der baulichen Anlage jedoch die Bauvollendung vorgeschrieben und somit die Absicht des Gesetzgebers unterminiert werden. Der Verwaltungsgerichtshof judiziere in ständiger Rechtsprechung, dass ein Baugebrechen nur dann vorliege, wenn sich der Zustand einer baulichen Anlage verschlechtert habe. Ob das errichtete Dach das Ortsbild beeinträchtige, sei irrelevant, weil das beanstandete Fehlen der Dachsheds und der Dachhaut für sich genommen kein Baugebrechen darstelle; das Fehlen der Metallverkleidung führe nicht zur Verschlechterung des Gebäudes, das der Baubewilligung entsprechend teilausgeführt worden sei. Die vom Amtsrevisionswerber herangezogene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur NÖ BauO 1996 sei außerdem auf das Stmk. BauG nicht übertragbar, da § 33 Abs. 1 der NÖ BauO 1996 im Gegensatz zu § 39 Abs. 1 Stmk. BauG die Pflicht des Eigentümers vorgesehen habe, dass das Bauwerk in einem der Bewilligung oder Anzeige entsprechenden Zustand ausgeführt und erhalten werde, und § 24 der NÖ BauO 1996 darüber hinaus eine Bauvollendungsfrist normiert habe.

11 Was die abweichend von der erteilten Baubewilligung ausgeführten Dachteile betreffe, handle es sich dabei um eine bewilligungspflichtige Abweichung von dem mit Baubewilligungsbescheid vom erteilten Baukonsens; die sich aus § 39 Abs. 1 Stmk. BauG ergebende Instandhaltungspflicht richte sich aber auf bestehende bewilligte bauliche Anlagen, während für konsenslose oder konsenswidrige bauliche Anlagen keine Verpflichtung zur Instandhaltung gegeben sei, sondern ein Beseitigungsauftrag zu erlassen sei. Der bekämpfte Instandsetzungsauftrag sei daher auch insofern rechtswidrig, als dadurch die Errichtung der fehlenden Dachsheds aufgetragen werde. Richtigerweise hätte die Baubehörde hinsichtlich des anstelle der Sheddächer 9 bis 11 ausgeführten Flachdaches einen Beseitigungsauftrag zu erlassen gehabt; dem LVwG sei es jedoch verwehrt, einen anderen baupolizeilichen Auftrag zur erlassen, als Gegenstand des angefochtenen Bescheides gewesen sei (Verweis auf , , 99/05/0136 und , 95/07/0040), sodass der Instandsetzungsauftrag auch insofern zu beheben sei.

12 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit den Anträgen an den Verwaltungsgerichtshof, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben oder durch Entscheidung in der Sache selbst gemäß § 42 Abs. 4 VwGG die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom abzuweisen.

13 Zur Zulässigkeit macht die Revision u.a. fehlende Rechtsprechung zu der Frage geltend, ob in dem Fall, in dem ein Bauwerk nicht entsprechend dem erteilten Konsens fertiggestellt worden sei und durch die fehlenden Bauteile etwa das Ortsbild „gröblichst“ beeinträchtigt und dieser Zustand auf Dauer belassen werde, die Erlassung eines Auftrages nach § 39 Abs. 1 und 3 iVm § 4 Z 9 Stmk. BauG zulässig sei. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 33 NÖ BauO 1996 sei auf den vorliegenden Fall übertragbar und das LVwG davon abgewichen.

14 Die mitbeteiligte Partei erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragt.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16 Die Revision erweist sich aus dem genannten zu § 39 Abs. 1 und 3 Stmk. BauG dargelegten Grund als zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

17 Zum Vorbringen in der Revision, es liege eine Befangenheit des entscheidenden Richters des LVwG vor, da dieser im Beschluss vom betreffend die Bestellung des dem Verfahren beigezogenen Amtssachverständigen sowie in der mündlichen Verhandlung bereits seine Rechtsansicht dargelegt und damit erkennen habe lassen, dass er seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit gewesen wäre:

18 Das Wesen der Befangenheit besteht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive. Auch Mitglieder der Verwaltungsgerichte haben sich gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 AVG (neben den in Z 1, 2 und 4 leg. cit. genannten Fällen) der Ausübung des Amts im Sinne des § 6 VwGVG zu enthalten, wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Zum Vorliegen des Befangenheitsgrundes nach § 7 Abs. 1 Z 3 AVG genügen Umstände, die die volle Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen lassen und die eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Befangenheit begründen können. Es genügt somit, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. etwa , mwN).

19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat jeder Vorwurf einer Befangenheit nach § 7 Abs. 1 Z 3 AVG die konkreten Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa darauf hingewiesen, dass nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit sei, die Unbefangenheit in Zweifel ziehen könnten (vgl. dazu z.B. , mwN).

20 Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenso bereits ausgesprochen hat, führen sachliche Differenzen für sich genommen nicht zur Befangenheit eines Organwalters. In dem Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Organwalters nicht mit jener der Partei deckt, ist daher grundsätzlich keine Befangenheit zu erblicken; der Anschein einer Befangenheit wird noch nicht damit begründet, dass ein Organwalter eine gewisse Rechtsmeinung vertritt. Sinn und Zweck der Ablehnung wegen Besorgnis einer Befangenheit ist nämlich nicht die Abwehr einer unrichtigen Rechtsauffassung des Organwalters. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Entscheidung ist vielmehr durch die Rechtsmittelinstanzen zu überprüfen und grundsätzlich keine Angelegenheit des Ablehnungsverfahrens (vgl. , mwN).

21 Fallbezogen legte der zur Entscheidung berufene Richter des LVwG im Beschluss vom im Zusammenhang mit dem Gutachtensauftrag an den beigezogenen Amtssachverständigen seine „vorläufige“ Rechtsansicht dar und führte mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung am ein Rechtsgespräch, in dem den Parteien die Möglichkeit zur Darlegung ihrer Rechtsansicht gegeben wurde.

22 Zweck einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen (, 0022, mwN). Dabei kann es für den erkennenden Richter, insbesondere im Hinblick auf den auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu beachtenden Grundsatz der Verfahrensökonomie (§ 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG) in bestimmten Verfahrenskonstellationen auch zweckmäßig sein, ausgehend vom bisherigen Parteienvorbringen und bereits vorliegenden Ermittlungsergebnissen eine vorläufige Rechtsansicht mit den Parteien zu erörtern, zumal dies zu einer Fokussierung auf die zu erörternden Fragen und mögliche weitere Beweisaufnahmen beitragen kann. In einer derartigen Darlegung einer vorläufigen - also im Hinblick auf weitere Verfahrensergebnisse noch offenen - Rechtsansicht kann eine Befangenheit nicht erblickt werden. Auch im vorliegenden Fall ergeben sich weder aus dem konkret vorliegenden Sachverhalt, noch aus dem Revisionsvorbringen für den Verwaltungsgerichtshof begründete Anzeichen dafür, dass der entscheidende Richter nicht bereit gewesen wäre, seine Beurteilung aufgrund der Verfahrensergebnisse des vor dem LVwG durchgeführten Verfahrens gegebenenfalls zu ändern. Sachliche Differenzen mit einer Partei in Bezug auf eine vertretene Rechtsansicht führen, wie dargelegt, für sich genommen nicht zur Befangenheit eines Organwalters.

23 Zum Instandsetzungsauftrag bringt der Amtsrevisionswerber vor, die nunmehr im Stmk. BauG (anders als in der davor geltenden Steiermärkischen Bauordnung 1968 - Stmk BauO 1968) enthaltene Legaldefinition des § 4 Z 9 Stmk. BauG stelle auf einen „mangelhaften Zustand einer baulichen Anlage“ ab und impliziere damit auch „ein Fehlen“; auch ein nicht fertiggestelltes Bauwerk könne einen solchen Zustand aufweisen. Das Fehlen eines „unentbehrlichen Bauteils“ könne somit ein Baugebrechen darstellen; als unentbehrlich sei ein Bauteil jedenfalls dann zu qualifizieren, wenn er „zentrale Voraussetzung für die positive Erledigung des Bauansuchens“ gewesen sei und sich ohne seine Errichtung ein vorschriftswidriger Zustand einstelle. Ein dauerhafter baulicher Bestand habe den Bauvorschriften zu entsprechen. Die Begriffe „Instandsetzung“ und „Erhaltung“ würden eine Pflicht zur Herstellung unentbehrlicher Bauteile implizieren.

24 Die maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Baugesetzes - Stmk. BauG, LGBl Nr. 59/1995 idF LGBl. Nr. 61/2017 (§ 4) bzw. LGBl. Nr. 88/2008 (§ 39) lauten:

Begriffsbestimmungen

§ 4. Die nachstehenden Begriffe haben in diesem Gesetz folgende Bedeutung:

[...]

9. Baugebrechen: mangelhafter Zustand einer baulichen Anlage, der deren Festigkeit, Brandsicherheit, Hygiene oder äußeres Erscheinungsbild betrifft und geeignet ist, Personen oder im Eigentum Dritter stehende Sachen zu gefährden oder zu beschädigen oder das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild grob zu beeinträchtigen

...

Instandhaltung und Nutzung

§ 39. (1) Der Eigentümer hat dafür zu sorgen, daß die baulichen Anlagen in einem der Baubewilligung, der Baufreistellungserklärung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden.

[...]

(3) Kommt der Eigentümer seinen Verpflichtungen nicht nach, hat ihm die Behörde die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und die Behebung des der Bewilligung und den baurechtlichen Vorschriften widersprechenden Zustandes unter Festsetzung einer angemessenen Frist aufzutragen.

(4) Ist die Behebung von Baugebrechen technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar, hat die Behörde aus Gründen der Sicherheit die Räumung und Schließung von baulichen Anlagen oder Teilen derselben und nötigenfalls deren Abbruch anzuordnen.

[...]“

25 Der Amtsrevisionswerber führt zur Rechtmäßigkeit des verfahrensgegenständlichen Instandsetzungsauftrages aus, der bestehende Zustand des Bauwerks sei aus näher dargestellten Gründen nicht bewilligungsfähig. Es habe sich ein Zustand des Bauwerkes eingestellt, der im Sinne des § 4 Z 9 Stmk. BauG mangelhaft sei, weil er das äußere Erscheinungsbild betreffe und das Ortsbild grob beeinträchtige. Da dieser Zustand auf Dauer belassen worden sei, liege ein gemäß § 39 Abs. 1 und 3 Stmk. BauG zu sanierendes Baugebrechen vor.

26 § 39 Abs. 3 Stmk. BauG ermächtigt die Baubehörde, dem Eigentümer, wenn dieser seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und die Behebung des der Bewilligung und den baurechtlichen Vorschriften widersprechenden Zustandes unter Festsetzung einer angemessenen Frist aufzutragen.

27 Die in § 39 Abs. 3 leg. cit. angesprochenen Verpflichtungen, deren Nichterfüllung durch den Eigentümer Voraussetzung eines Auftrages nach dieser Gesetzesbestimmung ist, können sich angesichts der Formulierung, wonach die Behörde zur Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages ermächtigt ist, wenn „der Eigentümer seinen Verpflichtungen nicht nach[kommt]“, nur auf dem Eigentümer der baulichen Anlage normativ aufgetragene Verpflichtungen beziehen. Im vorliegenden Fall stützt sich der Amtsrevisionswerber diesbezüglich auf § 39 Abs. 1 Stmk. BauG.

28 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgeführt, dass das Vorliegen von Baugebrechen einen Bauauftrag nach § 39 Abs. 3 Stmk. BauG rechtfertigt, sofern nicht die Voraussetzungen des Abs. 4 leg. cit. gegeben sind (vgl. ). Im genannten Fall ging es jedoch nicht, wie vorliegend, um Bauteile einer baulichen Anlage, hinsichtlich derer die Baubewilligung noch gar nicht konsumiert worden war, sondern um lockere, schadhaft gewordene Verputzteile und bereits vorhandene, schadhaft gewordene Gesimsverblechungen, hinsichtlich derer ein Instandsetzungsauftrag nach § 39 Abs. 3 leg. cit. erteilt worden war. Der Verwaltungsgerichtshof hob im dortigen Fall die Bauaufträge der Berufungsbehörde im Umfang der Anfechtung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, da die belangte Behörde nähere Feststellungen zum baulichen Zustand des Gebäudes, insbesondere zum Ausmaß der Schäden, zu treffen und auf Grundlage dieser Feststellungen darzulegen gehabt hätte, weshalb sie, etwa im Hinblick auf eine wesentliche Verschlechterung des Bauzustandes, den bekämpften Auftrag für gerechtfertigt erachtet habe. Im dortigen Fall ging es daher um eine Pflicht des Eigentümers zur Erhaltung im Sinne des § 39 Abs. 1 Stmk. BauG, weshalb der dort zugrunde liegende Sachverhalt mit dem Sachverhalt des Revisionsfalles nicht vergleichbar ist.

29 In seinem Erkenntnis vom , 2009/06/0078, führte der Verwaltungsgerichtshof zu § 39 Abs. 1 Stmk. BauG weiters bereits aus, dass die Instandhaltungspflicht gemäß § 39 Abs. 1 Stmk. BauG das Vorhandensein einer rechtmäßigen baulichen Anlage voraussetze, die in einem der Baubewilligung, der Baufreistellungserklärung oder den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden müsse. Zur inhaltlich vergleichbaren Vorgängerbestimmung des § 70 Abs. 2 Stmk. BauO 1968, wonach der Eigentümer dafür zu sorgen hatte, dass die Bauten in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand erhalten werden, sprach der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus aus, dass sich die normierte gesetzliche Erhaltungspflicht auf das Bewahren eines bestehenden Zustandes beziehe. Eine Instandsetzung oder Sanierung bedeute die Wiederherstellung eines früher bereits bestandenen Zustandes. Ein Baugebrechen liege somit dann vor, wenn sich der ursprünglich bestandene gute Zustand eines Baues verschlechtert habe, sodass die Verpflichtung des Eigentümers darin bestehe, diesen guten Zustand wiederherzustellen. Von einer Baugebrechensbehebung könne aber nur solange gesprochen werden, als die Instandsetzungsmaßnahmen eine Wiederherstellung des ursprünglichen Bestandes bewirkten (vgl. , mwN).

30 Die Amtsrevision bringt in diesem Zusammenhang vor, gegenüber der Rechtslage nach der Stmk. BauO 1968 enthalte das Stmk. BauG nunmehr eine Legaldefinition des Begriffes „Baugebrechen“ (nämlich § 4 Z 9 leg. cit.), die ihrem Wortlaut nach nicht darauf abstelle, dass sich der Zustand einer Baulichkeit verschlechtert habe.

31 Alleine aus diesem Umstand ist jedoch für die vom Amtsrevisionswerber vertretene Rechtsansicht nichts zu gewinnen: Einer gesetzlichen Begriffsbestimmung kommt nämlich in der Regel keine eigenständige normative Bedeutung zu; eine solche wird erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen, die diesen Begriff verwenden, bewirkt (vgl. etwa , mit Verweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes). § 39 Abs. 1 Stmk. BauG erlegt dem Eigentümer von baulichen Anlagen (bloß) die Verpflichtung auf, diese in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand zu „erhalten“. Dass der äußerste mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung absteckt, hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach ausgesprochen (vgl. etwa ); der Begriff „erhalten“ bedeutet nach seinem - in diesem Zusammenhang anzuwendenden allgemeinen Begriffsverständnis - dass etwas in seinem Bestand beziehungsweise Zustand „bewahrt, beibehalten, aufrechterhalten“ wird (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/erhalten, abgerufen am ), jedoch nicht die Herstellung eines noch nicht bestehenden Zustandes.

32 Aus § 39 Abs. 1 Stmk. BauG kann somit nicht abgeleitet werden, dass der Eigentümer einer baulichen Anlage zur Fertigstellung oder erstmaligen Herstellung eines der Baubewilligung entsprechenden Zustandes verpflichtet wäre. Eine derartige Interpretation lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, zumal sich der Steiermärkische Landesgesetzgeber - wie das LVwG im angefochtenen Erkenntnis zutreffend ausführt - bewusst gegen Bauvollendungsfristen entschieden und in den Materialien zu § 31 Stmk. BauG, in seiner Stammfassung LGBl. Nr. 59/1995, ausdrücklich klargestellt hat, dass „von einer Bauvollendungsfrist abgesehen [wurde], da es eine nicht vertretbare Härte für den Bauherrn darstellen würde, wenn er etwa auf Grund eingetretener finanzieller Schwierigkeiten sein Bauvorhaben nicht beenden kann und dann die Behörde zufolge Erlöschens des Baukonsens einen Beseitigungsauftrag erlassen müsste“ (vgl. XII. GP StLT EB EZ 992, 52).

33 Angesichts dieser in den Materialien deutlich zum Ausdruck gebrachten Intention des Gesetzgebers hat es dieser bewusst in Kauf genommen, dass eine nicht vollständige Konsumierung einer Baubewilligung für einen - auch längeren - Zeitraum bestehen bleiben könnte. Daher ist auch nicht von einer im Wege der Analogie zu schließenden planwidrigen Lücke auszugehen; die vom Amtsrevisionswerber vorgenommene Unterscheidung zwischen einer aktiven Bauphase und einem darauffolgenden Zeitraum, in dem das Bauwerk in dem nicht der Baubewilligung entsprechenden Zustand belassen wird, ohne dass weitere Baumaßnahmen stattfinden, lässt sich dem Stmk. BauG nicht entnehmen.

34 Der Amtsrevisionswerber begründet seine gegenteilige Rechtsansicht in der Revision auch mit einem Verweis auf die NÖ BauO 1996 und die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Dem ist jedoch zum einen zu entgegnen, dass die (außer Kraft stehende) NÖ BauO 1996 ebenso wie die (derzeit in Kraft stehende) NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) in deren § 24 Ausführungsfristen vorsehen, wohingegen sich der Steiermärkische Gesetzgeber, wie bereits dargelegt, bewusst gegen eine Bauvollendungsfrist entschieden hat.

35 Zum anderen unterscheidet sich § 39 Stmk. BauG seinem Wortlaut und Inhalt nach deutlich von den korrespondierenden Bestimmungen nach der niederösterreichischen Rechtslage. Nach § 34 der NÖ BO 2014 hat der Eigentümer eines Bauwerks nämlich dafür zu sorgen, dass dieses in einem der Bewilligung oder der Anzeige entsprechenden Zustand „ausgeführt und erhalten“ wird. Auch der von der Revision zitierte § 33 NÖ BauO 1996 verpflichtete den Eigentümer zur Ausführung und Erhaltung. Demgegenüber sieht § 39 Abs. 1 Stmk. BauG, wie dargestellt, lediglich eine Verpflichtung des Eigentümers vor, die bauliche Anlage in einem der Baubewilligung und den baurechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustand zu „erhalten“, eine Verpflichtung zur Ausführung eines der Baubewilligung entsprechenden Zustandes fehlt.

36 Vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Inhaltes des § 39 Abs. 1 Stmk. BauG und der korrespondierenden Bestimmungen nach der niederösterreichischen Rechtslage und unter Berücksichtigung des vom Steiermärkischen Gesetzgeber in den Materialien deutlich zum Ausdruck gebrachten Willens, keine Bauvollendungsfristen vorsehen zu wollen, kann auf die zur niederösterreichischen Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - entgegen der Ansicht des Amtsrevisionswerbers - daher nicht zurückgegriffen werden.

37 Zusammenfassend ist somit weder § 39 Abs. 1 Stmk. BauG noch der Begriffsbestimmung des § 4 Z 9 leg. cit. eine Verpflichtung des Eigentümers einer baulichen Anlage zu entnehmen, ein Bauvorhaben bewilligungsgemäß binnen bestimmter Frist auszuführen. Auch sonst ist eine solche Verpflichtung dem Stmk. BauG oder anderen Rechtsvorschriften - was der Amtsrevisionswerber im Übrigen auch nicht vorbringt - nicht zu entnehmen.

38 Für die Erlassung des verfahrensgegenständlichen Bauauftrages nach § 39 Abs. 3 Stmk. BauG an die mitbeteiligte Partei bestand daher keine gesetzliche Grundlage; auch die vom Amtsrevisionswerber behauptete Befangenheit des erkennenden Richters des LVwG ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich. Zur Aufhebung des Instandsetzungsauftrages hinsichtlich der abweichend von der erteilten Baubewilligung ausgeführten Dachteile (vgl. oben Rz 11) enthält die Revision kein Vorbringen; vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „Sache“ des Verfahrens (vgl. etwa ) begegnet auch die diesbezügliche Aufhebung durch das LVwG keinen Bedenken.

39 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

40 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs3
AVG §7 Abs1
AVG §7 Abs1 Z3
BauG Stmk 1995
BauG Stmk 1995 §31
BauG Stmk 1995 §39
BauG Stmk 1995 §39 Abs1
BauG Stmk 1995 §39 Abs3
BauG Stmk 1995 §4 Z9
BauO NÖ 1996 §24
BauO NÖ 1996 §33
BauO NÖ 2014 §24
BauO NÖ 2014 §34
BauO Stmk 1968 §70 Abs2
BauRallg
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §6
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Baubewilligung BauRallg6 Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020060041.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-45184