VwGH 01.06.2021, Ra 2020/05/0149
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | AVG §71 Abs1 Z1 VwGG §46 Abs1 |
RS 1 | Auch ein Rechtsirrtum (Unkenntnis von Rechtsvorschriften) kann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder nur leichtes Verschulden, vorliegen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/03/0127 E RS 1 |
Normen | COVID-19-VwBG 2020 §1 COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z1 COVID-19-VwBG 2020 §6 Abs2 VwGG §26 Abs1 VwGG §34 Abs1 VwRallg |
RS 1 | Der , bereits ausgesprochen, dass im dort gegenständlichen Fall die Erhebung der Revision nicht in einem bei ihm bereits anhängigen Verfahren erfolgte, sodass die Fristunterbrechung des § 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG 2020) nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr ist die Revisionsfrist als Frist für einen "verfahrenseinleitenden" Antrag iSd § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG 2020 anzusehen und wird nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur "gehemmt". Für den Revisionsfall, der im Hinblick auf die Sach- und Rechtslage mit jenem des zitierten Beschlusses vergleichbar ist, folgt daraus, dass die Revisionsfrist am (somit noch vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG 2014 am ) zu laufen begann und für die Zeit vom bis gehemmt war (vgl. § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG 2020). |
Normen | |
RS 2 | Zwar ist es zutreffend, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision iSd § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG 2020 "unterbrochen" oder iSd § 2 Abs. 1 leg. cit. "gehemmt" ist, doch lässt dieser Umstand für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen. Vielmehr hätte der Parteienvertreter, der sich in den für die Antragsteller verfassten Schriftsätzen zur Frage der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung lediglich auf § 1 COVID-19-VwBG 2020 gestützt hat, § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen. Der zusätzlich ins Treffen geführte Umstand, dass eine Mehrzahl von Rechtsanwälten ebenfalls die Revisionsfrist versäumt habe, lässt keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden des im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreters zu. |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/05/0150
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision 1. des Dr. K M und 2. der E M, beide in S, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner, Dr. Peter Gloß und Mag. Alexander Enzenhofer, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-695/002-2018, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Stadt S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: L GmbH in S, vertreten durch die Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Europaplatz 7), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die von den Revisionswerbern gegen die der mitbeteiligten Partei im innergemeindlichen Instanzenzug von der belangten Behörde erteilte Baubewilligung für die Errichtung eines Bürogebäudes mit Tiefgarage erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Dieses Erkenntnis wurde den Revisionswerbern am zugestellt.
3 Mit Schriftsatz vom , zur Post gegeben am , erhoben die Revisionswerber außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Zur Rechtzeitigkeit wurde in der Revision vorgebracht, bezüglich der Anfechtungsfrist werde auf das BGBl. I Nr. 16/2020 verwiesen. Mit Art. 16 dieses Gesetzes werde die Frist zur Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof - vorübergehend - neu geregelt. Das vorliegende Erkenntnis sei am zugestellt worden. Die Rechtsmittelfrist von sechs Wochen sei am nicht abgelaufen gewesen. Das Gesetz sehe vor, dass die Rechtsmittelfrist in solchen Fällen mit neu zu laufen beginne. Ausgehend davon sei die vorliegende Revision in offener Frist eingebracht worden.
4 Diese Rechtsauffassung wiederholten die Revisionswerber in ihrer Stellungnahme vom , die aufgrund des mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom erfolgten Vorhalts der Verspätung der Revision eingebracht wurde.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom , Ra 2020/11/0098, bereits ausgesprochen, dass im dort gegenständlichen Fall die Erhebung der Revision nicht in einem bei ihm bereits anhängigen Verfahren erfolgte, sodass die Fristunterbrechung des § 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr ist die Revisionsfrist als Frist für einen „verfahrenseinleitenden“ Antrag iSd § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und wird nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur „gehemmt“.
6 Für den Revisionsfall, der im Hinblick auf die Sach- und Rechtslage mit jenem des zitierten Beschlusses vergleichbar ist, weshalb gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz iVm Abs. 9 VwGG auf die Begründung dieses Beschlusses verwiesen wird, folgt daraus, dass die Revisionsfrist am (somit noch vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG am ) zu laufen begann und für die Zeit vom bis gehemmt war (vgl. § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG).
7 Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist am Montag, den , hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des Montages, den , geendet (§ 32 Abs. 2 AVG). Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristhemmung vom bis hat die Revisionsfrist im vorliegenden Fall, da das Fristende auf Samstag, den , fiel, gemäß § 33 Abs. 2 AVG mit Ablauf des geendet.
8 Die am zur Post gegebene Revision erweist sich daher als verspätet und war somit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Beschluss
Entscheidungsdatum:
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/05/0150
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über den Antrag 1. des Dr. K M und 2. der E M, beide in S, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner, Dr. Peter Gloß und Mag. Alexander Enzenhofer, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-695/002-2018, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Stadt S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: L GmbH in S, vertreten durch die Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Europaplatz 7), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Wiedereinsetzungsantrag wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die von den Antragstellern gegen die der mitbeteiligten Partei im innergemeindlichen Instanzenzug von der belangten Behörde erteilte Baubewilligung für die Errichtung eines Bürogebäudes mit Tiefgarage erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Dieses Erkenntnis wurde den Antragstellern am zugestellt.
3 Mit Schriftsatz vom , zur Post gegeben am , erhoben die Antragsteller außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
4 Mit Schriftsatz vom stellten die Antragsteller den gegenständlichen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Begründend wird ausgeführt, die Antragsteller hätten die Einbringung der Revision noch in ihrer Stellungnahme vom zum Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtshofes als rechtzeitig verteidigt. Am sei ihnen jedoch der beiliegende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom (zu ergänzen: Ra 2020/11/0098) bekannt geworden. Dieser Beschluss sei in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat, demnach in einem Fünfersenat, gefasst worden. Es müsse daher eine Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegen sein, die nicht besonders einfach oder nicht durch die bisherige Rechtsprechung klargestellt gewesen sei. Daher liege hinsichtlich der vorliegenden Versäumung der Einbringungsfrist der Revision ein bloß minderer Grad des Versehens vor. Eine solche Säumnis sei einer Mehrzahl von Rechtsanwälten durch die unrichtige Auslegung des BGBl. I Nr. 16/2020, insbesondere zu Artikel 16 dieses Gesetzes, passiert.
5 Mit Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2020/05/0149 und 0150-7, wurde die Revision der Antragsteller als verspätet zurückgewiesen.
6 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen (vgl. bis 0234, mwN).
8 Nach der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs kann auch ein Rechtsirrtum (Unkenntnis von Rechtsvorschriften) einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder nur leichtes Verschulden, vorliegen (vgl. , mwN).
9 Nach ständiger Rechtsprechung trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa bis 0028, mwN).
10 Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt in der Regel keinen minderen Grad des Versehens dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. bis 0031; , Ra 2016/16/0094; , Ra 2016/06/0095, jeweils mwN).
11 Mit dem Vorbringen, es liege nur ein minderer Grad des Versehens vor, weil noch keine einschlägige Rechtsprechung insbesondere zu „Artikel 16“ des 2. COVID-19-Gesetzes vorgelegen und einer Mehrzahl von Rechtsanwälten eine solche Fristversäumung passiert sei, machen die Antragsteller keine besonderen Umstände geltend, die einen Ausnahmefall zu der im vorangegangenen Absatz angeführten Judikatur begründeten.
12 Zwar ist es zutreffend, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine Rechtsprechung dazu vorlag, ob die Frist zur Einbringung einer Revision iSd § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder iSd § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ ist, doch lässt dieser Umstand iSd obigen Judikatur für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen. Vielmehr hätte der Parteienvertreter, der sich in den für die Antragsteller verfassten Schriftsätzen zur Frage der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung lediglich auf § 1 COVID-19-VwBG gestützt hat, § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen. Der zusätzlich ins Treffen geführte Umstand, dass eine Mehrzahl von Rechtsanwälten ebenfalls die Revisionsfrist versäumt habe, lässt keine Rückschlüsse auf das allein maßgebliche Verschulden des im hier zu beurteilenden Verfahren tätigen Parteienvertreters zu.
13 Da das den Antragstellern zuzurechnende Verschulden ihres Vertreters somit den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am
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Normen | COVID-19-VwBG 2020 §1 COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z1 COVID-19-VwBG 2020 §6 Abs2 VwGG §26 Abs1 VwGG §34 Abs1 VwRallg |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020050149.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-45179