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VwGH 21.12.2023, Ra 2020/04/0143

VwGH 21.12.2023, Ra 2020/04/0143

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
GewO 1994 §75 Abs2
RS 1
Der Aufenthalt von Dienstnehmern eines Dienstleistungsbetriebes

(hier: Anlagen und Gebäudetechnik GmbH) in diesem Betrieb ist

mit der Art des Aufenthaltes der Insassen bzw Kunden in den im

§ 75 Abs 2 letzter Satz GewO 1994 beispielsweise aufgezählten

Einrichtungen (Beherberungsbetriebe, Krankenanstalten, Heime)

nicht vergleichbar (Hinweis E , 94/04/0196).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 98/04/0078 E RS 1 (hier: betreffend den Aufenthalt von Arbeitnehmern bzw. Kunden eines Handelsbetriebes)
Normen
AVG §8
GewO 1994 §75 Abs2
GewO 1994 §77 Abs1
RS 2
Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass in betriebsanlagenrechtlichen Genehmigungsverfahren der Schutz der Kunden (die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen) nach den Bestimmungen des § 77 Abs. 1 GewO 1994 von Amts wegen wahrzunehmen ist und somit keine Nachbar- und Parteistellung für Kunden in diesen Verfahren besteht (vgl. Stolzlechner/Wendl/Bergthaler, Die gewerbliche Betriebsanlage4 [2016] Rz. 87). Dies ist in gleicher Weise für Kunden benachbarter Betriebsanlagen anzunehmen.
Normen
AVG §8
GewO 1994 §75 Abs2
RS 3
Der Aufenthalt von Kunden in einem Restaurant ist nicht durch eine für etwa Beherbergungsbetriebe typische Art der Inanspruchnahme gekennzeichnet, sondern eher mit dem Aufenthalt von Kunden in einem Handelsbetrieb vergleichbar (vgl. ).
Normen
AVG §8
EURallg
32011L0092 UVP-RL Art1 Abs2
RS 4
Der VwGH hat (in Zusammenhang mit der Parteistellung und dem Antragsrecht im UVP-Feststellungsverfahren) ausgesprochen, dass in Fällen, in denen der Revisionswerber in Bezug auf das verfahrensgegenständliche Vorhaben als der betroffenen Öffentlichkeit im Sinn des Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie angehörig angesehen werden kann, restriktive Regelungen der Parteistellung in den betreffenden Materiengesetzen unangewendet zu bleiben haben und der Revisionswerber, insoweit er an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt ist (§ 8 AVG), fallbezogen gemäß den Bestimmungen der UVP-Richtlinie Parteistellung im Verfahren nach dem betreffenden Materiengesetz haben muss, um dort vorbringen zu können, dass das Vorhaben einer UVP zu unterziehen wäre (vgl. etwa aus dem Veranstaltungsrecht , und aus dem Baurecht ).
Normen
EURallg
32011L0092 UVP-RL Art11
32011L0092 UVP-RL Art11 Abs3
62013CJ0570 Gruber VORAB
RS 5
Mit Urteil vom in der Rechtssache C-570/13, Karoline Gruber gegen den Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten, wies der EuGH auf den Effektivitätsgrundsatz hin und führte weiter aus, eine auf der Grundlage einer nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, dürfe einen zur "betroffenen Öffentlichkeit" im Sinne der Richtlinie 2011/92 gehörenden Einzelnen, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein "ausreichendes Interesse" oder gegebenenfalls eine "Rechtsverletzung" erfülle, nicht daran hindern, diese Entscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten. Bei der Bestimmung dessen, was ein "ausreichendes Interesse" oder eine "Rechtsverletzung" darstelle, verfügten die Mitgliedstaaten zwar über einen weiten Wertungsspielraum, aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 Richtlinie 2011/92 ergebe sich jedoch, dass dieser Wertungsspielraum seine Grenzen in der Beachtung des Ziels finde, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Es stehe dem nationalen Gesetzgeber zwar frei, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2011/92 geltend machen kann, auf subjektiv-öffentliche Rechte zu beschränken, d. h. auf individuelle Rechte, die nach dem nationalen Recht als subjektiv-öffentliche Rechte qualifiziert werden können (Hinweis auf das Urteil Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen, C-115/09), doch die Bestimmungen dieses Artikels über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten der Mitglieder der Öffentlichkeit, die von unter diese Richtlinie fallenden Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen betroffen seien, dürften nicht restriktiv ausgelegt werden.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2014/06/0078 E VwSlg 19239 A/2015 RS 4 (hier: ohne den ersten Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der L GmbH in St. Valentin, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. 405-2/208/1/28-2020, betreffend gewerbliches Betriebsanlagenverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau; mitbeteiligte Partei: T GmbH in S, vertreten durch die Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Sterneckstraße 35), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird im Umfang des bekämpften Spruchpunktes I. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid vom erteilte die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau (belangte Behörde) der mitbeteiligten Partei gemäß § 356e GewO 1994 die gewerbebehördliche Generalgenehmigung für die Änderung der bestehenden Betriebsanlage „T [...] Center“ an einem näher bezeichneten Standort in der Gemeinde E durch Errichtung eines weiteren Objekts mit Shop-Einheiten samt Klimaanlage sowie durch den Umbau des Vordachs und der Errichtung einer Fußgängerrampe und von Werbeeinrichtungen.

2 In der Begründung ging die belangte Behörde von der Parteistellung der revisionswerbenden Partei aus. Zu deren Einwand der UVP-Pflicht des Vorhabens verwies die belangte Behörde auf eine Stellungnahme des Amtes der Landesregierung, die im vorangegangenen Verfahren zur Bauplatzerklärung eingeholt worden sei. Demnach sei bereits damals kein Grund für die Einleitung eines UVP-Feststellungsverfahrens vorgelegen und es habe sich hinsichtlich der damals maßgeblichen Umstände keine wesentliche Änderung ergeben.

3 2.1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Partei mangels Parteistellung als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt III.).

4 2.2. Das Verwaltungsgericht stellte in Bezug auf die Zurückweisung der Beschwerde der revisionswerbenden Partei fest, dass diese (als juristische Person) auf dem Nachbargrundstück der gegenständlichen Betriebsanlage eine Autobahnraststätte betreibe. Eigentümerin des Nachbargrundstückes sei die Republik Österreich. Eine verbücherte Dienstbarkeit zugunsten der revisionswerbenden Partei liege nicht vor.

5 In seinen rechtlichen Erwägungen kam das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die revisionswerbende Partei als juristische Person nicht in ihrem Leben oder in ihrer Gesundheit gefährdet oder im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 belästigt sein könne. Ebenso wenig könne sie ihre Parteistellung im gewerbebehördlichen Verfahren auf eine dingliche Berechtigung stützen und komme ihr aus dem Titel des Eigentumsrechts Parteistellung gemäß § 75 Abs. 2 GewO 1994 zu. Auch mit der unbelegt gebliebenen Behauptung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, Bauwerkseigentümerin des auf dem betreffenden Grundstück situierten Objektes zu sein, habe die revisionswerbende Partei für ihren Rechtsstandpunkt nichts zu gewinnen vermocht.

6 Mangels Parteistellung der revisionswerbenden Partei sei die Beschwerde daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen und habe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der eingewendeten Gefährdung dinglicher Rechte sowie der behaupteten Unzuständigkeit der belangten Behörde infolge einer UVP-Pflicht des gegenständlichen Vorhabens unterbleiben müssen.

7 3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Beschlusses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie der Revision inhaltlich entgegentritt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 1.1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, dass nach näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einem Mitglied der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit offenstehen müsse, in einem späteren Genehmigungsverfahren die Frage der UVP-Pflicht des Vorhabens relevieren zu können. Im vorliegenden Fall komme der revisionswerbenden Partei als Betreiberin eines Autobahnrestaurants und somit als Inhaberin einer Einrichtung, in der sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen „Nachbarstellung“ und somit Parteistellung zu.

10 Das Verwaltungsgericht sei von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es vermeine, dass mangels Parteistellung der revisionswerbenden Partei nach der GewO 1994 das von ihr - sowohl vor der Behörde als auch vor dem Verwaltungsgericht - erstattete Vorbringen, wonach für das Vorhaben der mitbeteiligten Partei eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen sei, nicht zu prüfen gewesen sei. Der revisionswerbenden Partei werde damit nicht die effektive Möglichkeit eingeräumt, dieses Vorbringen zu erstatten, obwohl kein weiteres Genehmigungsverfahren über das gegenständliche Vorhaben mehr anhängig sei.

11 1.2. Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und - aus nachstehenden Erwägungen - auch als berechtigt.

12 2.1. Das Verwaltungsgericht begründet die Zurückweisung der Beschwerde der revisionswerbenden Partei damit, dass diese als juristische Person nicht in ihrem Leben oder in ihrer Gesundheit gefährdet oder im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 belästigt sein könne und sie ihre Parteistellung aber auch nicht auf eine dingliche Berechtigung stützen könne.

13 2.2. Die Revision hält dem entgegen, dass der revisionswerbenden Partei als Betreiberin eines Autobahnrestaurants und somit Inhaberin einer Einrichtung, in der sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen Parteistellung gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 zukomme.

14 Als Trägerin individueller Rechte und auch als Mitglied der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinn der UVP-Richtlinie müsse der revisionswerbenden Partei die Möglichkeit eingeräumt werden, vorzubringen, dass das jeweilige Vorhaben einer UVP zu unterziehen sei. Nach (näher bezeichneter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse es einem Mitglied der „betroffenen Öffentlichkeit“ möglich sein, in einem späteren Genehmigungsverfahren die Frage der UVP-Pflicht des Vorhabens zu relevieren.

15 2.3. Die belangte Behörde verweist in ihrer Revisionsbeantwortung zur Parteistellung als Mitglied der „betroffenen Öffentlichkeit“ auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Karoline Gruber. Danach gehörten Personen, die unter den Begriff „Nachbar“ nach der GewO 1994 fielen, unionsrechtlich zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinn der UVP-Richtlinie. Nachdem die revisionswerbende Partei aber nicht als Nachbarin nach der GewO 1994 anzusehen sei, könne sie auch nicht Mitglied der „betroffenen Öffentlichkeit“ sein. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass sich die belangte Behörde inhaltlich mit der Frage der UVP-Pflicht des gegenständlichen Vorhabens ohnehin befasst (und diese verneint) habe.

16 3.1. Art. 1 und Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26 vom , Seite 1, (im Folgenden: UVP-Richtlinie) haben auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Artikel 1

(1) Gegenstand dieser Richtlinie ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(2) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

[...]

d) ‚Öffentlichkeit‘: eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

e) ‚betroffene Öffentlichkeit‘: die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran. Im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse;

f) [...]

(3) und (4) [...]“

Artikel 11

(1) Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.

(2) Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.

(3) Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 1 Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels verletzt werden können.

(4) bis (5) [...]“

17 § 75 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194, lautet wie folgt:

§ 75. (1) Unter einer Gefährdung des Eigentums im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 ist die Möglichkeit einer bloßen Minderung des Verkehrswertes des Eigentums nicht zu verstehen.

(2) Nachbarn im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Als Nachbarn gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe der Betriebsanlage aufhalten und nicht im Sinne des vorherigen Satzes dinglich berechtigt sind. Als Nachbarn gelten jedoch die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich, wie etwa in Beherbergungsbetrieben, Krankenanstalten und Heimen, regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, und die Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen.

(3) Als Nachbarn sind auch die im Abs. 2 erster Satz genannten Personen zu behandeln, die auf grenznahen Grundstücken im Ausland wohnen, wenn in dem betreffenden Staat österreichische Nachbarn in den entsprechenden Verfahren rechtlich oder doch tatsächlich den gleichen Nachbarschaftsschutz genießen.“

18 3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 75 Abs. 2 GewO 1994 ausgesprochen, dass entsprechend der beispielsweisen Aufzählung „Beherbergungsbetriebe, Krankenanstalten, Heime“ im letzten Satz dieser Bestimmung unter „Einrichtungen“ im Sinn dieser Gesetzesstelle nur solche zu verstehen sind, in denen der vorübergehende Aufenthalt von Personen durch eine für derartige Einrichtungen typische Art der Inanspruchnahme gekennzeichnet ist. Der Aufenthalt von Arbeitnehmern bzw. Kunden eines Handelsbetriebes in diesem Betrieb ist aber mit der Art des Aufenthaltes der Insassen bzw. Kunden in dem in § 75 Abs. 2 letzter Satz GewO 1994 beispielsweise aufgezählten Einrichtungen nicht vergleichbar (vgl. , mwN).

19 Auch im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass in betriebsanlagenrechtlichen Genehmigungsverfahren der Schutz der Kunden (die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen) nach den Bestimmungen des § 77 Abs. 1 GewO 1994 von Amts wegen wahrzunehmen ist und somit keine Nachbar- und Parteistellung für Kunden in diesen Verfahren besteht (vgl. Stolzlechner/Wendl/Bergthaler, Die gewerbliche Betriebsanlage4 [2016] Rz. 87). Dies ist in gleicher Weise für Kunden benachbarter Betriebsanlagen anzunehmen.

20 Der revisionswerbenden Partei käme demnach als (nicht dinglich berechtigte - siehe dazu ) Betreiberin eines Autobahnrestaurants und damit als Inhaberin einer Einrichtung, in der sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, - aus rein innerstaatlicher Sicht - keine Nachbar- und Parteistellung nach der GewO 1994 zu, zumal der Aufenthalt von Kunden in einem Restaurant nicht durch eine für etwa Beherbergungsbetriebe typische Art der Inanspruchnahme gekennzeichnet, sondern eher mit dem Aufenthalt von Kunden in einem Handelsbetrieb vergleichbar ist.

Durch das Fehlen der Nachbar- und Parteistellung nach der GewO 1994 unterscheidet sich der vorliegende Fall von jener Konstellation, die dem Fall „Karoline Gruber“ zugrunde lag (vgl. Rn. 22), wo der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass Personen, die unter den Begriff „Nachbar“ im Sinn des § 75 Abs. 2 GewO 1994 fallen, zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinn von Art. 1 Abs. 2 der UVP-Richtlinie gehören (vgl. ).

21 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof (in Zusammenhang mit der Parteistellung und dem Antragsrecht im UVP-Feststellungsverfahren) auch schon ausgesprochen, dass in Fällen, in denen der Revisionswerber in Bezug auf das verfahrensgegenständliche Vorhaben als der betroffenen Öffentlichkeit im Sinn des Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie angehörig angesehen werden kann, restriktive Regelungen der Parteistellung in den betreffenden Materiengesetzen unangewendet zu bleiben haben und der Revisionswerber, insoweit er an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt ist (§ 8 AVG), fallbezogen gemäß den Bestimmungen der UVP-Richtlinie Parteistellung im Verfahren nach dem betreffenden Materiengesetz haben muss, um dort vorbringen zu können, dass das Vorhaben einer UVP zu unterziehen wäre (vgl. etwa aus dem Veranstaltungsrecht , und aus dem Baurecht ).

22 Nach der Rechtsprechung des EuGH, auf die der Verwaltungsgerichtshof hier Bezug nimmt, verfügen die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung dessen, was ein „ausreichendes Interesse“ oder eine „Rechtsverletzung“ darstellt, zwar über einen weiten Wertungsspielraum. Aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 der UVP-Richtlinie ergibt sich jedoch, dass dieser Wertungsspielraum seine Grenzen in der Beachtung des Ziels findet, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Es steht dem nationalen Gesetzgeber zwar frei, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinn des Art. 11 der UVP-Richtlinie geltend machen kann, auf subjektiv-öffentliche Rechte zu beschränken, das heißt auf individuelle Rechte, die nach dem nationalen Recht als subjektiv-öffentliche Rechte qualifiziert werden können. Doch dürfen die Bestimmungen dieses Artikels über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten der Mitglieder der Öffentlichkeit, die von unter diese Richtlinie fallenden Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen betroffen sind, nicht restriktiv ausgelegt werden (vgl. etwa VwGH Ro 2014/06/0078 unter Verweis auf , Karoline Gruber).

23 3.3. Ausgehend davon hätte das Verwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Partei nicht schon wegen mangelnder Parteistellung nach § 75 GewO 1994 zurückweisen dürfen. Vielmehr hätte es prüfen müssen, ob die revisionswerbende Partei mit ihrem Vorbringen, Inhaberin einer Einrichtung zu sein, in der sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, in Bezug auf das verfahrensgegenständliche Vorhaben und das dazu geführte betriebsanlagenrechtliche Verfahren als der betroffenen Öffentlichkeit im Sinn des Art. 1 Abs. 2 der UVP-Richtlinie angehörend anzusehen ist (vgl. VwGH Ro 2016/05/0011, Rn. 23 und 24). Dazu hätte es der Klärung und der Erörterung mit der revisionswerbenden Partei bedurft, ob deren Kunden durch die Änderung der gegenständlichen Betriebsanlage gefährdet oder belästigt im Sinn des § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 werden (vgl. in diesem Sinn VwGH Ro 2016/05/0011, Rn. 20).

24 4. Da das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage die dafür notwendigen Feststellungen nicht getroffen und die gebotene Prüfung nicht vorgenommen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

25 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §8
EURallg
GewO 1994 §75 Abs2
GewO 1994 §77 Abs1
32011L0092 UVP-RL Art1 Abs2
32011L0092 UVP-RL Art11
32011L0092 UVP-RL Art11 Abs3
62013CJ0570 Gruber VORAB
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gewerberecht
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020040143.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
FAAAF-45175