VwGH 29.06.2023, Ra 2020/04/0026
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | AVG §17 Abs3 |
RS 1 | Im Rahmen des § 17 Abs. 3 AVG ist das Interesse der Partei an der Akteneinsicht gegen das Interesse anderer Parteien (hier insbesondere der Zuschlagsempfängerin) im Einzelfall abzuwägen bzw. ist im Einzelfall zu beurteilen, inwieweit ein überwiegendes Interesse besteht, einem (hier) Bieter bestimmte Informationen vorzuenthalten (Hinweis E vom , 2009/04/0187). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/04/0022 B RS 3 (hier: "der anderen Bieter" statt "insbesondere der Zuschlagsempfängerin") |
Normen | |
RS 2 | Der VfGH hat zu § 17 Abs. 3 AVG bereits ausgesprochen, dass die Behörde bzw. das VwG die ihrer Vorgangsweise zugrundeliegende Abwägung zwischen Geheimhaltungsanspruch und Recht auf Akteneinsicht und damit Transparenz der Entscheidungsgrundlage nachvollziehbar zu begründen haben, sodass die Verfahrensparteien diese zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Kontrolle bzw. einer Revision an den VwGH machen können (vgl. VfSlg. 20.345/2019). In Bezug auf das Legalitätsprinzip kommt bei solchen Abwägungsentscheidungen dem Verfahren insoweit Bedeutung zu, als die im Einzelfall in Betracht kommenden Belange umfassend zu erörtern sind und danach auf Grund nachvollziehbarer Kriterien darzutun ist, warum bestimmten Interessen ein Vorrang gegenüber anderen Interessen eingeräumt wird. Nach dem Erkenntis , Rn. 20 ff, ist eine Geheimhaltung auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der G GmbH in M, vertreten durch Dr. Martin Leitner, Dr. Ralph Trischler, Dr. Peter Kraus und Dr. Bernhard Hofmann, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Lindengasse 38/3, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W134 2122936-3/5E, betreffend Verweigerung der Akteneinsicht in einer vergaberechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: Ö AG in W, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Bartensteingasse 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen
Begründung
I.
1 1.1. Mit Eingabe vom beantragte die Revisionswerberin beim Bundesverwaltungsgericht die „Absprache über die Verweigerung der Akteneinsicht durch verfahrensrechtlichen Bescheid, wobei, jeweils mit entsprechend sachlicher Begründung, jene Aktenteile explizit aufgezählt werden mögen, die bei der Vorlage als ‚schützenswerten Unterlagen‘ bezeichnet wurden und in welche die Einsicht verwehrt wurde.“
2 Begründend wurde dazu vorgebracht, dass die Revisionswerberin als ehemalige Beteiligte in einem näher bezeichneten (rechtskräftig abgeschlossenen) vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren am versucht habe, Akteneinsicht zu nehmen. Der Revisionswerberin sei jedoch nur Akteneinsicht in die Ausschreibung selbst und in die die Revisionswerberin betreffenden Aktenteile gewährt worden. Darüber hinaus sei die Akteneinsicht verweigert worden.
3 1.2. Im erwähnten Nachprüfungsverfahren wurde der Antrag der Revisionswerberin, die gesamten Ausschreibungsunterlagen des Vergabeverfahrens für nichtig zu erklären, zurückgewiesen, weil sich dieser auf Grund des erfolgten Widerrufs der Ausschreibung nicht mehr gegen eine gesondert anfechtbare Entscheidung gerichtet habe. Die Revisionswerberin begehrte in der Folge beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Schadenersatz, weil der Widerruf rechtmäßig erfolgt sei und die Gründe für den Widerruf für die Auftraggeberin vorhersehbar gewesen seien.
4 2.1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerberin die Akteneinsicht in den Vergaberechtsakt W134 2122936-2 gemäß § 17 Abs. 3 AVG in Bezug auf die Schriftstücke OZ 6, OZ 13, OZ 31, Beilage A zu OZ 5 und das Senatsberatungsprotokoll vom verweigert werde. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
5 2.2. In der Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerberin am Akteneinsicht in die Ausschreibung und in die die Revisionswerberin betreffenden Aktenteile gewährt worden sei. In Aktenteile, die Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse anderer Parteien enthielten, sei keine Einsicht gewährt worden.
Auf Ersuchen des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien sei diesem der gegenständliche Verfahrensakt übermittelt worden.
6 Die Nichtgewährung der Akteneinsicht begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass eine Verletzung der Geschäft- und Betriebsgeheimnisse der anderen Bieter nicht hätte ausgeschlossen werden können. Die anderen Bieter hätten ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, das durch die Einsichtnahme der Revisionswerberin geschädigt werden würde.
7 Der Auftraggeber habe beantragt, aus den vorgelegten Unterlagen gemäß § 17 AVG sämtliche Unterlagen des Vergabeverfahrens von der Akteneinsicht der Revisionswerberin auszunehmen, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen enthielten und die zu einem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil führen würden.
8 Die Revisionswerberin habe von allen Beweismitteln und den dem Nachprüfungsverfahren zugrundeliegenden Erwägungen Kenntnis erlangt. Der Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sei daher so ausgestaltet, dass ein effektiver Rechtsschutz und die Wahrung der Verteidigungsrechte gewahrt sei. Das Recht auf ein faires Verfahren sei beachtet worden. Das Interesse der übrigen Bieter an der Wahrung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse habe das Interesse der Revisionswerberin an uneingeschränkter Akteneinsicht überwogen. Schon allein aus diesem Grund sei dem Antrag der Revisionswerberin auf uneingeschränkte Akteneinsicht nicht stattzugeben gewesen. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass die Revisionswerberin im anhängigen Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien in den gegenständlichen Akt (soweit zulässig) Einsicht nehmen könne.
9 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Im eingeleiteten Vorverfahren erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision beantragt wurde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 1.1 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, die angefochtene Entscheidung weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Bundesverwaltungsgericht keine Interessenabwägung durchgeführt bzw. eine solche nicht begründet habe. Die Verweigerung der Akteneinsicht stütze sich nur auf Scheinbegründungen. Es fehle somit eine tragfähige Begründung, wodurch eine Überprüfung des Beschlusses durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts verunmöglicht werde.
11 1.2 Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.
12 2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Rahmen des § 17 Abs. 3 AVG das Interesse der Partei (hier der Revisionswerberin) an der Akteneinsicht gegen das Interesse anderer Interessen (hier der anderen Bieter) im Einzelfall abzuwägen bzw. ist im Einzelfall zu beurteilen, inwieweit ein überwiegendes Interesse besteht, einem (hier) Bieter bestimmte Informationen vorzuenthalten (vgl. , und , jeweils mwN).
13 Auch der Verfassungsgerichtshof hat zu § 17 Abs. 3 AVG bereits ausgesprochen, dass die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht die ihrer Vorgangsweise zugrundeliegende Abwägung zwischen Geheimhaltungsanspruch und Recht auf Akteneinsicht und damit Transparenz der Entscheidungsgrundlage nachvollziehbar zu begründen haben, sodass die Verfahrensparteien diese zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Kontrolle bzw. einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof machen können (vgl. VfSlg. 20.345/2019, sowie darauf Bezug nehmend auch Leeb, Akteneinsicht versus Betriebs- und Geschäftsgeheimnis, ÖZW 2020, 30 [35]).
In Bezug auf das Legalitätsprinzip kommt bei solchen Abwägungsentscheidungen dem Verfahren insoweit Bedeutung zu, als die im Einzelfall in Betracht kommenden Belange umfassend zu erörtern sind und danach auf Grund nachvollziehbarer Kriterien darzutun ist, warum bestimmten Interessen ein Vorrang gegenüber anderen Interessen eingeräumt wird (vgl. dazu die Judikaturnachweise bei Lienbacher, Abwägungsentscheidungen im öffentlichen Recht, in: Khakzadeh-Leiler/Schmid/Weber [Hrsg.], Interessenabwägung und Abwägungsentscheidungen [2014] 85 [95]). Im Kontext der nach § 17 Abs. 3 AVG vorzunehmenden Abwägung ist insbesondere auf das Erkenntnis , Rn. 20 ff, hinzuweisen, wonach eine Geheimhaltung auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken ist.
14 Nach der (auch nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51, aufrecht erhaltenen) Rechtsprechung führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, der einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt (vgl. , mwN).
15 Im vorliegenden Fall hält das Verwaltungsgericht in seiner Begründung zwar fest, dass das Interesse der übrigen Bieter an der Wahrung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse das Interesse der Revisionswerberin an Akteneinsicht überwiegen würden. Die diesem Ergebnis zugrundeliegende Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts erschöpft sich jedoch in der Wiedergabe von Rechtssätzen und Literaturmeinungen zu § 17 Abs. 3 AVG. Demnach seien etwa unter berechtigten Interessen im Sinn dieser Bestimmung auch wirtschaftliche Interessen, wie zB das Interesse am Schutz von Betriebsgeheimnissen, zu verstehen.
Auf den konkreten Fall bezogen führte das Bundesverwaltungsgericht jedoch lediglich aus, dass die anderen Bieter ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse hätten, das durch die Einsichtnahme der Revisionswerberin geschädigt werden würde. Eine nähere Erörterung zu den betroffenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen fehlt hingegen. Es ist weder ersichtlich, um welche Art von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen es sich handelt (zB Kalkulationsgrundlagen, Marktstrategien, Einkaufskonditionen, Kundenlisten etc; siehe dazu auch Mayr, Akteneinsicht und Geheimhaltungsrechte aus der Perspektive des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, JRP 2021, 304 [308]), noch hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit den Kriterien für das Vorliegen von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen auseinandergesetzt (vgl. , mwN).
Zudem fehlt es an Ausführungen zu dem ebenfalls in die Abwägungsentscheidung einfließenden Interesse der Revisionswerberin an der Akteneinsicht. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, die Revisionswerberin habe von allen Beweismitteln und Erwägungen, die dem (rechtskräftig abgeschlossenen) Nachprüfungsverfahren zugrunde lagen, Kenntnis erlangt, greift zu hier kurz, weil das Interesse der Revisionswerberin an der Akteneinsicht offenbar in Zusammenhang mit der von ihr eingebrachten Schadenersatzklage steht (dazu, dass eine solche im vorliegenden Fall im Anschluss an ein Nachprüfungsverfahren - ohne Dazwischentreten einer Feststellungsentscheidung - zulässig ist, siehe ).
16 Die erfolgte Abwägung zwischen Geheimhaltungsanspruch und Recht auf Akteneinsicht erweist sich somit als nicht nachvollziehbar begründet. Ohne eine entsprechende Auseinandersetzung mit den in die Abwägungsentscheidung einfließenden Belangen ist diese einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich.
17 3. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020040026.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-45169