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VwGH 24.06.2021, Ra 2020/02/0076

VwGH 24.06.2021, Ra 2020/02/0076

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
VStG §9 Abs1
VStG §9 Abs2
VStG §9 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
RS 1
Eine eindeutige und zu keinen Zweifeln Anlass gebende Umschreibung des Verantwortungsbereichs liegt nur dann vor, wenn für die in räumlicher, sachlicher und allenfalls auch zeitlicher Hinsicht abgegrenzte, verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit "immer nur eine von vornherein feststehende Person" in Betracht kommt. Die Wichtigkeit der Übernahme der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit erfordert es, dass die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten und die damit übereinstimmende Zustimmung so erklärt werden, dass kein Zweifel an deren Inhalt entsteht (vgl. und 0202).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend (nunmehr: Bundesminister für Arbeit) gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-302534/9/Kl/CG, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land; mitbeteiligte Partei: Dipl.-Kfm. (FH) H in S, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in 4600 Thalheim bei Wels, Raiffeisenstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom wurde dem Mitbeteiligten als nach außen berufenen handelsrechtlichen Geschäftsführer und somit verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen einer näher bezeichneten Gesellschaft als Arbeitgeberin angelastet, er habe es zu verantworten, dass einem konkret genannten jugendlichen Lehrling in einer mit der Adresse präzisierten Arbeitsstätte in der Zeit vom 21. März bis an bestimmten aufgezählten Tagen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit keine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden gewährt worden sei. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 30 Abs. 1 iVm § 16 Abs. 1 Z 2 Kinder- und Jugendlichen-Beschäftigungsgesetz - KJBG übertreten, wofür über ihn gemäß § 30 Abs. 1 KJBG eine Geldstrafe in der Höhe von € 250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) verhängt wurde.

2 Begründend führte die belangte Behörde aus, nach den Bestellungsurkunden von vier verantwortlichen Beauftragten seien alle genannten Personen für denselben räumlichen und sachlichen Bereich zuständig. Entgegen den näher dargestellten Anforderungen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an eine eindeutige Zuständigkeitsabgrenzung für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs. 2 VStG seien diese Urkunden unklar, bedürften einer Interpretation sowie weiterer Ermittlungen im anhängigen Strafverfahren.

3 In der dagegen erhobenen Beschwerde wendete der Mitbeteiligte ein, die belangte Behörde habe die Urkunde über die Bestellung der Marktleiterin ab zur verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung sämtlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften in der in Rede stehenden Arbeitsstätte nicht beachtet.

4 Das Verwaltungsgericht gab dieser Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt, behob das bei ihm bekämpfte Straferkenntnis, stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.

5 In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht das Zustandekommen und den Inhalt von fünf Bestellungsurkunden zu verantwortlichen Beauftragten für die gegenständliche Filiale für die Einhaltung u.a. sämtlicher Arbeitnehmerschutzvorschriften fest:

1.) Die die Marktleiterin betreffende Urkunde sei am beim Arbeitsinspektorat eingelangt und enthalte die Einschränkung, dass die Bestellung für den Feinkostbereich nur im Falle der Verhinderung des Substitut-Feinkost gelte.

2.) Die die Marktleiter-Stellvertreterin betreffende Urkunde sei am beim Arbeitsinspektorat eingelangt und deren Bestellung gelte

a) für den Bereich Trockensortiment nur im Falle der Verhinderung des Marktleiters sowie

b) für den Feinkostbereich (der Hauptwarengruppen 11 bis 14) nur im Falle der Verhinderung des Substitut-Feinkost und des Marktleiters.

Die Bestellung gelte ausdrücklich nicht während der Verhinderung der Marktleiter-Stellvertreterin und „lebt aber automatisch bei dessen Rückkehr wieder auf.“

3.) Die den Substitut-Feinkost betreffende Urkunde sei am beim Arbeitsinspektorat eingelangt und die Bestellung gelte ausdrücklich nicht während der Verhinderung des Substitut-Feinkost und „lebt aber automatisch bei dessen Rückkehr wieder auf.“ Am sei beim Arbeitsinspektorat der Widerruf dieser Bestellung eingelangt.

4.) Die den Bezirksleiter WG für den gesamten Verkaufsbezirk (inklusive der hier in Rede stehenden Filiale) betreffende Urkunde sei am beim Arbeitsinspektorat eingelangt und dessen Bestellung gelte ausdrücklich nicht während seiner Verhinderung und „lebt aber automatisch bei dessen Rückkehr wieder auf.“ Darüber hinaus gelte diese Bestellung

a) für den Bereich Trockensortiment nur im Falle der Verhinderung des Marktleiters und des Marktleiterstellvertreters sowie

b) für den Feinkostbereich (der Hauptwarengruppen 11 bis 14) nur im Falle der Verhinderung des Substitut-Feinkost, des Marktleiters, des Marktleiterstellvertreters und des Fachberaters Feinkost.

5.) Die den Bezirksleiter DW für den gesamten Verkaufsbezirk (inklusive der hier in Rede stehenden Filiale) betreffende Urkunde sei am beim Arbeitsinspektorat eingelangt und dessen Bestellung gelte ausdrücklich nicht während seiner Verhinderung und „lebt aber automatisch bei dessen Rückkehr wieder auf.“ Darüber hinaus gelte diese Bestellung

a) für den Bereich Trockensortiment nur im Falle der Verhinderung des Marktleiters und des Marktleiterstellvertreters sowie

b) für den Feinkostbereich (der Hauptwarengruppen 11 bis 14) nur im Falle der Verhinderung des Substitut-Feinkost, des Marktleiters, des Marktleiterstellvertreters und des Fachberaters Feinkost.

In sämtlichen Bestellungsurkunden werden die Verhinderungsgründe gleichlautend wie folgt definiert: „wegen unfall-, urlaubs- bzw. krankheitsbedingter Abwesenheit oder wegen sonstiger im KV der Handelsangestellten unter Punkt 13. angeführten Gründe sowie bei Pflegefreistellung, Zeitausgleich und sonstiger bezahlter Abwesenheit“.

Weiters enthält das angefochtene Erkenntnis die Feststellung, dass es für jeden Filialstandort der Gesellschaft einen Marktleiter und zwei Stellvertreter gebe, wobei „ein Stellvertreter nur für den Feinkostbereich gilt, der zweite Stellvertreter gesamt für den Marktleiter. Dem Marktleiter übergeordnet gebe es einen Regional- bzw. Gebietsverkaufsleiter, vormals Bezirksleiter bezeichnet, mit einem Stellvertreter.“ Der Marktleiter sei für sämtliche Personalangelegenheiten sowie Organisation und Einteilung zuständig. Die Arbeitsaufzeichnungen des Lehrlings würden keine Zuordnung zu einem bestimmten Bereich der Filiale aufweisen. Der Mitbeteiligte habe angegeben, dass der Lehrling im Tatzeitraum im Bereich Trockensortiment tätig gewesen sei.

6 Rechtlich gelangte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die Bestellung der Marktleiterin zur verantwortlichen Beauftragten wirksam erfolgt sei. Die Zuständigkeiten würden sich nicht überlappen, weil die Verantwortung der Marktleiterin die Filiale ausgenommen den Bereich Feinkost umfasse und für den Bereich des Trockensortiments nur eine Vertretungsregelung der Marktleiter-Stellvertreterin bestehe. Auch die beiden Bezirksleiter seien nur im Vertretungsfall zuständig und eine Überlappung der Zuständigkeit der beiden Bezirksleiter habe keine Auswirkung auf die Bestellung der Marktleiterin.

7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende auf § 13 ArbIG gestützte Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

8 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurück- oder Abweisung der Revision sowie den Zuspruch von Kostenersatz beantragte. Auch die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragte, der Revision stattzugeben. Darauf replizierte der Mitbeteiligte.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revisionswerberin erachtet die Revision für zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Unwirksamkeit der Bestellung von mehreren verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG für denselben räumlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich abgewichen sei (Verweis unter anderem auf  und 0202, ).

11 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

12 Gemäß § 9 Abs. 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

13 Nach Abs. 2 leg. cit. sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.

14 Gemäß § 9 Abs. 4 VStG muss der verantwortlichen beauftragten Person für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen sein.

15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der räumliche oder sachliche Bereich des Unternehmens, für den ein verantwortlicher Beauftragter mit dessen Zustimmung gemäß § 9 Abs. 2 und 4 VStG bestellt wird, klar abzugrenzen. Erfolgt eine solche klare Abgrenzung nicht, so liegt keine wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten vor. Die Verwaltungsstrafbehörden sollen nicht in die Lage versetzt werden, Ermittlungen über den jeweiligen Betrieb und seine Gliederung in räumlicher und sachlicher Hinsicht anstellen zu müssen. Sie sollen auch der Aufgabe enthoben sein, die Bestellung (ihren Nachweis) einer nur unter Zuhilfenahme weiterer Beweise möglichen Interpretation unterziehen zu müssen, um zu klären, welcher Inhalt einer diesbezüglich nicht eindeutigen Erklärung beizumessen ist. Jedenfalls soll vermieden werden, dass Zweifel am Umfang des Verantwortlichkeitsbereichs entstehen und dass als deren Folge die Begehung von Verwaltungsübertretungen allenfalls überhaupt ungesühnt bleibt. Eine eindeutige und zu keinen Zweifeln Anlass gebende Umschreibung des Verantwortungsbereichs liegt nur dann vor, wenn für die in räumlicher, sachlicher und allenfalls auch zeitlicher Hinsicht abgegrenzte, verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit „immer nur eine von vornherein feststehende Person“ in Betracht kommt. Die Wichtigkeit der Übernahme der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit erfordert es, dass die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten und die damit übereinstimmende Zustimmung so erklärt werden, dass kein Zweifel an deren Inhalt entsteht (vgl. unter anderem  und 0202, mwN).

16 Die rechtspolitisch fragwürdige Situation, dass ungeachtet ihrer tatsächlichen internen Aufgabenverteilung alle eine bestimmte Organstellung bekleidenden Personen - auch kumulativ - für Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften zur Verantwortung gezogen werden dürfen, soll im Falle gewillkürten Abgehens zu der Lösung führen, dass die Verantwortlichkeit möglichst klar definiert ist. Dies ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn auf Grund überlappender Verantwortungsbereiche wiederum mehrere Personen nebeneinander und wiederum auch kumulativ für einen bestimmten Verstoß gegen eine Verwaltungsvorschrift bestraft werden können (vgl. , mwN).

17 Diesen Anforderungen werden die im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Bestellungen von verantwortlichen Beauftragten nicht gerecht. Die hier getroffene Abgrenzung der Verantwortlichkeit in zeitlicher Hinsicht stellt auf Abwesenheiten auf Grund näher genannter Verhinderungsfälle ab. Demnach ist primär die Marktleiterin für die Filiale zuständig. Davon wird grundsätzlich der Feinkostbereich ausgenommen, für den der Substitut-Feinkost zuständig ist, und eine Verantwortlichkeit der Marktleiterin nur im Falle der Verhinderung des Substitut-Feinkost geregelt. Darüber hinaus gibt es Zuständigkeiten der Marktleiter-Stellvertreterin und in der Folge der Bezirksleiter, wenn die Marktleiterin oder auch die Marktleiter-Stellvertreterin und der Substitut-Feinkost aus den genannten Verhinderungsgründen nicht anwesend sind. Aus den Feststellungen zur Bestellungsurkunde der Marktleiterin ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese im Falle ihrer Verhinderung nicht zuständig sein soll. Bereits daraus ergibt sich nach dem Wortlaut der festgestellten Urkunden eine Zuständigkeit mehrerer Personen im Falle einer Abwesenheit der Marktleiterin aus den genannten Verhinderungsgründen. Dem im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, ob die Marktleiterin im angelasteten Tatzeitraum in der Filiale anwesend war, oder ob und aus welchen Gründen sie dort nicht anwesend war. Die hier vorliegenden Urkunden lassen somit nicht klar erkennen, welche von vornherein feststehende Person für die angelastete Übertretung als verantwortliche Beauftragte hinsichtlich der angelasteten Übertretung in Betracht kommt.

18 Eine klare zeitliche Abgrenzung der Zuständigkeiten der verantwortlichen Beauftragten erfordert, dass immer nur eine von vornherein feststehende Person in Betracht kommt (vgl. neuerlich und 0202, mwN). Für die hier gewählte Vertretungsregelung im Verhinderungsfall sind aber eindeutige, die Abwesenheit begründende Kriterien, deren Erfüllung sofort belegbar ist und keiner weiteren Beweisaufnahme durch die Verwaltungsstrafbehörde bedarf, von Nöten.

19 Da die vom Verwaltungsgericht angenommene Wirksamkeit der Bestellung der Marktleiterin zur verantwortlichen Beauftragten mangels klarer zeitlicher Abgrenzung zur Zuständigkeit ihrer Vertreter nicht gegeben ist, war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
VStG §9 Abs1
VStG §9 Abs2
VStG §9 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020076.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAF-45158