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VwGH 24.03.2023, Ra 2019/22/0215

VwGH 24.03.2023, Ra 2019/22/0215

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
RS 1
Gemäß § 30 Abs. 1 NAG 2005 darf sich ein Ehegatte, der ein gemeinsames Familienleben iSd. Art. 8 MRK nicht führt, für die Erteilung und Beibehaltung eines Aufenthaltstitels nicht auf die Ehe berufen. Ein bloß formales Eheband reicht also nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen abzuleiten, es muss vielmehr eine durch ein Familienleben gekennzeichnete (echte) Ehe vorliegen (vgl. ). Eine (echte) Ehe - wie auch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft - besteht aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein kann. Es kommt regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an, wobei insbesondere der Wirtschaftsgemeinschaft überragende Bedeutung beizumessen ist. Eine Geschlechtsgemeinschaft ist gegenüber den sonstigen Merkmalen zwar von untergeordneter Bedeutung (vgl. ), es bedarf aber diesbezüglicher Feststellungen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/074/7486/2019-15, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem bekämpften Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte - unter Berufung auf seine am mit einer österreichischen Staatsbürgerin (Zusammenführende) geschlossene Ehe - am beim Landeshauptmann von Wien (Behörde) einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Der beantragte Aufenthaltstitel wurde dem Revisionswerber zunächst mit Gültigkeit bis erteilt und in der Folge aufgrund seines Verlängerungsantrags vom mit Gültigkeit bis verlängert.

Am stellte der Revisionswerber - nach einvernehmlicher Scheidung seiner Ehe mit  - einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ in Anwendung des § 27 Abs. 1 NAG.

Die Behörde ersuchte daraufhin die Landespolizeidirektion (LPD) Wien um Überprüfung gemäß § 37 Abs. 4 NAG wegen des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe.

Die LPD Wien teilte schließlich mit Bericht vom mit, dass aufgrund der Ermittlungsergebnisse vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe auszugehen sei.

1.2. Mit Bescheid vom sprach die Behörde die amtswegige Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren (über den Erstantrag und den Verlängerungsantrag) gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG wegen des nachträglichen Hervorkommens einer Aufenthaltsehe aus. Unter einem wies sie den Erstantrag gemäß § 30 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 3 bzw. § 11 Abs. 1 Z 4 NAG sowie den Verlängerungsantrag und den Zweckänderungsantrag jeweils mangels Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels gemäß § 24 NAG ab.

Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, die Behörde habe die Beweise nicht vollständig aufgenommen und die Entscheidung nicht ordnungsgemäß begründet. Eine Aufenthaltsehe sei nicht mit der nötigen Sicherheit erwiesen.

2.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Verwaltungsgericht Wien - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid vom als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Weiters verpflichtete es den Revisionswerber zum Ersatz der Barauslagen für den (auf seinen Antrag der mündlichen Verhandlung beigezogenen) Dolmetscher und erklärte eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkte II. und III.).

2.2. In den Entscheidungsgründen legte das Verwaltungsgericht zunächst den wesentlichen bisherigen Verfahrensgang dar. Sodann gab es die Aussagen des Revisionswerbers und der Zeugen in der mündlichen Verhandlung umfangreich wieder. In der Folge stellte es - soweit für das strittige Vorliegen einer Ehe bzw. Aufenthaltsehe von Bedeutung - (auszugsweise) Folgendes fest:

„Der BF und seine Exfrau haben sich etwa ein Monat vor der Hochzeit kennen gelernt. Die Initiative zum Heiraten ist vom BF ausgegangen. Der BF und seine Exfrau haben nach der Hochzeit für etwa ein Jahr in der Wohnung der Exfrau gelebt; im Februar 2017 ist der BF ausgezogen. Der BF war viel auf Baustellen eingesetzt und wenig zu Hause. Unter anderem war er auch im Unternehmen seines Onkels (...) beschäftigt (...)

Die Exfrau des BF ist Kindergartenpädagogin. Sie hat über eine Arbeitskollegin, die Tante des BF, Kontakt zum BF bekommen. Der BF sprach im Dezember 2015, als sich der BF, ein Freund und die Exfrau verabredet haben, nur brüchig Deutsch und war die Verständigung schwierig, daher hat der Freund für ihn übersetzt. Dennoch wurden sofort die Telefonnummern getauscht, Kontakt gehalten und wurde am geheiratet. Die Exfrau war vom Heiratsantrag überrascht, sie kannte den BF erst seit einem Monat. Der Onkel des BF war ebenso überrascht von der Heirat, er sieht den BF als jung und unreif an (...)

Die Exfrau hat von dieser Eheschließung nur ihrer Mutter erzählt. Die Exfrau hat noch ihren Vater, sie hat keine Geschwister; Vater und Mutter leben in Wien. Bei der Hochzeit war von Seiten der Braut keine Familie oder Verwandtschaft anwesend. Die Exfrau hat niemanden von der Familie des BF kennengelernt. Sie hat die Verwandten in Wien, Onkel, Tanten und Cousins, kennengelernt, soweit sie ihr nicht bereits bekannt waren, wie die Tante des BF.

Der BF hat in der Heimat noch seine Eltern, zwei Schwestern und einen Bruder, zu welchen Personen er Kontakt hat. Die Exfrau war nie in Serbien. Während aufrechter Ehe war der BF nie in Serbien, zuletzt war er vor etwa einem Jahr in Serbien.

Der BF hat im Zuge seiner Einvernahme angegeben, so rasch geheiratet zu haben, weil er hier bleiben und arbeiten hat wollen. Vor der Ehe wurde von den Eheleuten nicht sehr viel ausgemacht; der BF konnte sich alleine auf Deutsch nicht gut verständig machen. Die rasche Eheschließung ist im Vordergrund gestanden.

Es gab keine gemeinsamen Urlaube. Der unregelmäßige Besuch der Pferde der Exfrau, gemeinsam etwas trinken gehen, Onkel und Tante treffen waren die Gemeinsamkeiten im Leben der Eheleute. Onkel und Tante waren auch die engsten Freunde der beiden. Die Schwiegereltern der Eheleute waren in keinster Weise im gemeinsamen Leben vorhanden. Gekocht wurde fast nie. Einkaufen, Kostenteilung, Haushalt war praktisch nicht zwischen den beiden geregelt. Vor der Eheschließung wurde kaum über das künftige gemeinsame Leben gesprochen, die rasche Eheschließung wurde vom BF betrieben, da er hier bleiben wollte. In weiterer Folge hat der BF sehr viel gearbeitet. Es wurde sehr wenig und mit der Zeit immer weniger Zeit gemeinsam verbracht.“

2.3. Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt das Verwaltungsgericht fest:

„Die Feststellungen zum Privatleben der Eheleute gründen vor allem auf den Aussagen des BF und der einvernommenen Zeugen, wobei die Exfrau einen jugendlichen und der BF einen auf sich selbst bezogenen Eindruck hinterließ. Der Aussage des Onkels des BF, der den Eindruck eines am Boden der Realität stehenden Menschen machte, kam besonderes Gewicht zu. Der Onkel kennt den BF seit seiner Geburt, er beschäftigt ihn nunmehr zum zweiten Mal in seinem Betrieb. Der Onkel bemühte sich einerseits in seiner Aussage um Verständnis für den BF und rügte andererseits den BF, er beschrieb ihn als unreif, auf sich selbst konzentriert und leichtfertig. Die Reaktion des BF auf diese Wortmeldung des zeugenschaftlich vernommenen Onkels in der Verhandlung deckte sich dahingehend mit dieser Umschreibung, als er vor sich hin lachte. Der BF begegnet nach Ansicht des Gerichtes der Angelegenheit nicht mit der Ernsthaftigkeit eines Erwachsenen; er verlässt sich auf andere, wie etwa, dass seine Tante eine Frau zum Heiraten aussucht, ein Onkel ihm Arbeitsstelle und Wohnung verschafft, bei Gericht für ihn aussagt etc..

Nach den getroffenen Feststellungen und in Würdigung der Beweise ist demnach nicht davon auszugehen, dass der BF und seine Exfrau ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt haben, sondern die Ehe vom BF geschlossen wurde, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen.“

2.4. In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - nach Wiedergabe bezughabender Gesetzesbestimmungen und einschlägiger Rechtssätze aus der Judikatur - im Wesentlichen aus, nach den getroffenen Feststellungen sei nicht von einem Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK auszugehen, zumal als erwiesen anzusehen sei, dass der Revisionswerber die Ehe nur zum Zweck der Erteilung eines Aufenthaltstitels eingegangen sei und eine eheliche Gemeinschaft tatsächlich nicht vorgelegen habe. Der Umstand, dass er mit der Zusammenführenden zeitweilig an derselben Anschrift gemeldet und wohnhaft gewesen sei, könne am Vorliegen einer Aufenthaltsehe nichts ändern, weil ein bloßes Zusammenleben allein ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht begründen könne. Da somit eine Aufenthaltsehe vorliege, habe die Behörde die Verfahren über den Erstantrag und den Verlängerungsantrag zu Recht wiederaufgenommen, sei doch die Titelerteilung jeweils durch objektiv unrichtige Angaben (Berufung auf die geschlossene Ehe, obwohl ein Familienleben nicht geführt worden sei) mit Irreführungsabsicht erwirkt worden.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis - inhaltlich freilich nur gegen den Spruchpunkt I. (die Verpflichtung zum Barauslagenersatz blieb demnach unbekämpft) - wendet sich die gegenständliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung das Vorliegen von Begründungsmängeln behauptet wird. Es sei - so das wesentliche Vorbringen - nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht nicht von einem gemeinsamen Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK ausgegangen sei, liege doch - neben der vom Verwaltungsgericht festgestellten zeitweiligen Wohnungsgemeinschaft - auch eine Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft vor, wozu das Verwaltungsgericht aber keine Feststellungen getroffen und auch keine beweiswürdigenden Überlegungen angestellt habe.

3.2. Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist aus dem geltend gemachten Grund (Vorliegen von Begründungsmängeln) zulässig und auch berechtigt.

5.1. Die Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts hat auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 VwGVG jenen Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl. , Pkt. 6.1.).

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheids die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige - eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche - konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, infolge derer bei Vorliegen widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung gerade jener Sachverhalt festgestellt wurde, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (vgl. , Pkt. 7.2.).

5.2. Was die (fallbezogen besonders im Blick stehende) Beweiswürdigung betrifft, so muss eine diesbezügliche dem § 60 AVG entsprechende Begründung (auch) zu widersprechenden Beweisergebnissen im Einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was das Verwaltungsgericht veranlasst hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen. Die dabei vorgenommenen Erwägungen müssen schlüssig sein, das heißt mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Einklang stehen (vgl. , Rn. 25).

5.3. Lässt eine Entscheidung die notwendigen Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei bzw. die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, so führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. , Rn. 8).

6.1. Vorliegend wird das angefochtene Erkenntnis den soeben aufgezeigten Anforderungen an eine nachvollziehbare und nachprüfbare Begründung nicht gerecht, lässt doch die Entscheidung insbesondere eine nachvollziehbare und überprüfbare Beweiswürdigung nicht erkennen.

6.2. Das Verwaltungsgericht beruft sich im Rahmen der Beweiswürdigung nur ganz allgemein bzw. pauschal auf die „Aussagen des BF und der einvernommenen Zeugen“, ohne sich auch nur ansatzweise mit den Aussagen der vernommenen Beweispersonen inhaltlich auseinanderzusetzen und schlüssig zu begründen, infolge welcher konkreten Beweisergebnisse und würdigenden Erwägungen das Verwaltungsgericht letztlich zu den getroffenen Feststellungen gelangt ist.

Derartige Ausführungen wären erforderlich gewesen, stimmten doch die Aussagen der Beweispersonen in so manchen Punkten (wie etwa in der Frage, wann genau das gemeinsamen Wohnen beendet wurde) nicht überein, sodass das Verwaltungsgericht konkret hätte darlegen müssen, wie es jeweils zu den betreffenden Feststellungen gelangt ist, insbesondere warum es dem einen Beweismittel mehr Vertrauen geschenkt hat als einem anderen. Zum Teil traf das Verwaltungsgericht aber auch Feststellungen (wie etwa, dass in Bezug auf Kostenteilung, Haushalt etc. „praktisch“ keine Regelung erfolgt sei), die sich so nicht unmittelbar aus den Aussagen der Beweispersonen ableiten ließen, sodass das Verwaltungsgericht näher hätte darlegen müssen, aufgrund welcher anderen Beweisergebnisse und/oder Erwägungen es zu den betreffenden Feststellungen gelangt sei.

6.3. Das Verwaltungsgericht setzte sich zwar eingehend mit vermeintlichen Charaktereigenschaften der Beweispersonen auseinander (so habe die Zusammenführende einen „jugendlichen“ Eindruck, der Revisionswerber hingegen einen „auf sich selbst bezogenen“ Eindruck vermittelt, wobei ihm auch vom Onkel Unreife, Selbstkonzentriertheit und Leichtfertigkeit zugeschrieben worden seien und das Verwaltungsgericht ebenso ein Fehlen von „Ernsthaftigkeit eines Erwachsenen“ und ein Sich-Verlassen auf andere erkannt haben will). Inwieweit sich aus diesen vom Verwaltungsgericht beobachteten Charaktermerkmalen entscheidende Kriterien für die Beweiswürdigung ergeben hätten und deshalb letztlich auf das Fehlen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu schließen wäre, wurde jedoch vom Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar und überprüfbar dargetan.

6.4. Nach dem Gesagten fehlt es dem angefochtenen Erkenntnis somit jedenfalls an einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung und liegt (bereits) deshalb ein erheblicher Begründungsmangel vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt.

7.1. Zudem lässt das angefochtene Erkenntnis auch für die Beurteilung des Vorliegens einer Ehe oder einer bloßen Aufenthaltsehe erforderliche ausreichende Tatsachenfeststellungen vermissen.

7.2. Gemäß § 30 Abs. 1 NAG darf sich ein Ehegatte, der ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führt, für die Erteilung und Beibehaltung eines Aufenthaltstitels nicht auf die Ehe berufen. Ein bloß formales Eheband reicht also nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen abzuleiten, es muss vielmehr eine durch ein Familienleben gekennzeichnete (echte) Ehe vorliegen (vgl. dazu , Rn. 11).

Wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, besteht nach übereinstimmender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs eine (echte) Ehe - wie auch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft - aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein kann. Es kommt regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an, wobei insbesondere der Wirtschaftsgemeinschaft überragende Bedeutung beizumessen ist (vgl. , mwN).

7.3. Gegenständlich hat das Verwaltungsgericht zu den nach dem soeben Gesagten für das Führen einer allfälligen Ehe maßgeblichen Merkmalen, insbesondere zum allfälligen Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. zu deren näherer Umschreibung etwa , Pkt. 2.) keine ausreichenden Feststellungen getroffen. So wurde etwa nicht festgestellt, ob der Revisionswerber und die Zusammenführende ihren Lebensunterhalt gemeinsam bestritten, ob sie einander gegenseitig Beistand und Dienste leisteten etc. Zum allfälligen Bestehen einer Geschlechtsgemeinschaft - mag diese auch gegenüber den sonstigen Merkmalen von untergeordneter Bedeutung sein (vgl. erneut VwGH Ro 2014/22/0026) - fehlen ebenso jegliche Konstatierungen.

Folglich ist das angefochtene Erkenntnis auch mit Feststellungsmängeln behaftet, die eine Beurteilung, ob fallbezogen vom Vorliegen einer Ehe oder einer bloßen Aufenthaltsehe auszugehen ist, nicht zulassen.

8. Insgesamt ist daher aufgrund der vorliegenden Begründungsmängel das angefochtene Erkenntnis im Umfang seines Spruchpunkts I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

9. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2019220215.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
DAAAF-45154