Suchen Hilfe
VwGH 09.11.2022, Ra 2019/22/0046

VwGH 09.11.2022, Ra 2019/22/0046

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
RS 1
Eine Partei kann sich zwar auf ein in einem anderen Verfahren erstattetes Sachverständigengutachten berufen. Sie wird dabei jedoch im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht - sofern dem nicht unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen - das Gutachten in Abschrift, Kopie etc. vorzulegen haben (vgl. ).
Normen
B-VG Art133 Abs4
IntG 2017 §10 Abs3 Z2
VwGG §34 Abs1
RS 2
Nach der ausdrücklichen Anordnung in § 10 Abs. 3 Z 2 IntG 2017, wonach der Drittstaatsangehörige die Unzumutbarkeit der Erfüllung des Moduls 2 durch ein amtsärztliches Gutachten "nachzuweisen" hat, und den diesbezüglichen Gesetzesmaterialien (vgl. ErläutRV 1586 BlgNR 25. GP 7), wonach das Gutachten (durch den Drittstaatsangehörigen) "der Behörde vorzulegen" ist, ist davon auszugehen, dass das amtsärztliche Gutachten vom Fremden selbst einzuholen und vorzulegen ist.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des M O, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Edward Daigneault, dieser vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das am  mündlich verkündete und mit schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/023/12234/2018-8, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art.133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, ist seit Oktober 2004 nahezu durchgehend in Österreich gemeldet. Seit September 2011 verfügt er über eine fortlaufend verlängerte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Aufgrund einer psychischen Erkrankung wurde für ihn im Jahr 2011 ein Sachwalter (nunmehr: Erwachsenenvertreter) bestellt.

Am stellte der Revisionswerber einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ gemäß § 45 Abs. 12 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Diesen Antrag wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (im Folgenden: Behörde) mit Bescheid vom ab.

3.1. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab.

3.2. Das Verwaltungsgericht führte - soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung - begründend aus, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels setze neben den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung (im Folgenden nur: Modul 2) voraus. Diese besondere Erteilungsvoraussetzung könne gemäß § 10 Abs. 3 Z 2 Integrationsgesetz (IntG) dann entfallen, wenn dem Antragsteller aufgrund seines physisch oder psychisch dauerhaft schlechten Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden könne, wobei er dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen habe.

Vorliegend habe der Revisionswerber das Modul 2 nicht erfüllt, wobei ihm dies mit behördlichem Schreiben vom unter Hinweis auf § 10 Abs. 3 Z 2 IntG vorgehalten worden sei. Er habe daraufhin zwar mit Eingabe vom  auf seine schwere psychische Erkrankung hingewiesen, wegen der ihm die Erfüllung des Moduls 2 nicht möglich sei. Er habe jedoch - auch in der mündlichen Verhandlung - keine diesbezüglichen Unterlagen, insbesondere kein amtsärztliches Gutachten, vorgelegt und auch kein weiteres Vorbringen erstattet. Er habe daher die (näher erörterte) Pflicht zur Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung verletzt. Folglich sei davon auszugehen, dass er das Modul 2 nicht erfüllt habe und (mangels Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens) auch kein Dispens bestehe. Der Antrag sei bereits aus diesem Grund abzuweisen gewesen.

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende - Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende - außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

5.1. Der Revisionswerber releviert, er sei zur Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens (zum Nachweis, dass ihm die Erfüllung des Moduls 2 nicht zugemutet werden könne) nicht verhalten gewesen, lägen doch solche Gutachten dem Magistrat (im Verfahren bei der MA 40 betreffend Mindestsicherung) sowie dem Verwaltungsgericht (im Beschwerdeverfahren betreffend Mindestsicherung) bereits vor. Er habe annehmen dürfen, dass seine aus den anderen Verfahren hinreichend bekannte psychische Erkrankung keines weiteren Beweises bedürfe.

5.2. Die - nach der Aktenlage erstmals im Revisionsverfahren erhobene - Behauptung, der Revisionswerber sei zur Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens nicht verhalten (gewesen), weil derartige Gutachten bereits in anderen bei der Behörde bzw. beim Verwaltungsgericht geführten Verfahren betreffend Mindestsicherung vorlägen, stellt eine Verletzung des Neuerungsverbots dar (§ 41 VwGG). Das diesbezügliche Vorbringen ist schon deshalb unbeachtlich.

5.3. Der Revisionswerber legt zudem die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels (vgl. zu diesem Erfordernis etwa , Pkt. 4.3., mwN) nicht dar. Er zeigt insbesondere nicht auf, dass in den anderen Verfahren ein in § 10 Abs. 3 Z 2 IntG vorausgesetztes amtsärztliches Gutachten, wonach aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands die Erfüllung des Moduls 2 nicht zugemutet werden könne, bereits vorliegen würde. Dass ein derartiges Gutachten in den anderen Verfahren schon vorhanden wäre, ist auch nicht naheliegend, geht es doch dort laut dem Vorbringen des Revisionswerbers um Mindestsicherung und nicht um die hier im Blick stehende Erfüllung des Moduls 2.

5.4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof auch schon ausgesprochen hat, dass sich eine Partei zwar auf ein in einem anderen Verfahren erstattetes Sachverständigengutachten berufen kann. Sie wird dabei jedoch im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht - sofern dem nicht unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen - das Gutachten in Abschrift, Kopie etc. vorzulegen haben (vgl. in dem Sinn ). Gegenständlich hat der Revisionswerber die in den anderen Verfahren nach seinem Vorbringen bereits vorhandenen Gutachten nicht vorgelegt; dass er daran durch unüberwindliche Umstände gehindert gewesen wäre, wurde nicht behauptet.

6.1. Der Revisionswerber moniert, selbst wenn ein weiteres amtsärztliches Gutachten erforderlich (gewesen) wäre, hätte das Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlungspflicht gemäß §§ 37, 39 AVG verletzt, indem es das Gutachten nicht selbst eingeholt habe. Davon abgesehen könne er ein amtsärztliches Gutachten auch nicht selbst einholen, sondern sei dieses von der Behörde (vom Verwaltungsgericht) zu beauftragen.

6.2. Soweit der Revisionswerber vermeint, er habe ein amtsärztliches Gutachten nicht selbst einzuholen, vielmehr sei ein solches durch die Behörde zu beauftragen, ist auf die ausdrückliche Anordnung in § 10 Abs. 3 Z 2 IntG, wonach der Drittstaatsangehörige die Unzumutbarkeit der Erfüllung des Moduls 2 durch ein amtsärztliches Gutachten „nachzuweisen“ hat, und auf die diesbezüglichen Gesetzesmaterialien (vgl. ErläutRV 1586 BlgNR 25. GP 7) hinzuweisen, wonach das Gutachten (durch den Drittstaatsangehörigen) „der Behörde vorzulegen“ ist. Es ist daher davon auszugehen, dass das amtsärztliche Gutachten vom Revisionswerber selbst einzuholen und vorzulegen gewesen wäre. Dass ihm ein amtsärztliches Gutachten (vom zuständigen Ersteller) verweigert worden wäre, wurde nicht dargelegt.

7.1. Der Revisionswerber argumentiert ferner, es sei Aufgabe der Behörde (des Verwaltungsgerichts), der Partei mitzuteilen, welche Angaben noch benötigt würden, und sie aufzufordern, die entsprechenden Beweise anzubieten. Erst dadurch werde die Mitwirkungspflicht der Partei ausgelöst. Vorliegend sei eine entsprechende Aufforderung (zur Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens) nicht erfolgt, sodass der Revisionswerber seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt habe.

7.2. Der Vorwurf der fehlenden Anleitung des Revisionswerbers im Verfahren ist nicht begründet. Nach der Aktenlage wurde der - anwaltlich vertretene - Revisionswerber jedenfalls von der Behörde mit Schreiben vom  („Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“) über den erforderlichen Nachweis der Erfüllung des Moduls 2 unterrichtet und auch auf die Ausnahmen von der Erfüllungspflicht unter anderem gemäß § 10 Abs. 3 Z 2 IntG hingewiesen. Er hat dem jedoch im weiteren Verfahren nicht entsprechend Rechnung getragen.

8. Insgesamt wird daher keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
Schlagworte
Beweismittel Sachverständigenbeweis Gutachten Verwertung aus anderen Verfahren Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019220046.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-45149